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Kapitel 9 – Jakob

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Das weitläufige Industriegebiet Spähenfelde, mit seinen zahlreichen Gewerbeflächen, lag wie ausgestorben vor ihnen. Aus der Traumfabrik dröhnten laute elektronische Beats, und der Bass wummerte selbst draußen auf der Straße so laut, dass der Asphalt des Gehsteiges zu beben schien. Vor dem Eingang hatte sich eine lange Menschenschlange bis hinunter zur nächsten Straßenecke gebildet.

Jakob zog zögernd an Nelus Ärmel. »Meinst du wirklich, ich kann da reingehen? Guck mal, wie ich aussehe.« Hektisch fummelte er an seinem alten T-Shirt herum.

Er betrachtete die Männer in der Schlange. Nicht ein einziger trug Turnschuhe. »Und außerdem muss ich morgen früh zu Frau Siemens-Kleimann.«

Nelu lacht laut auf. »Wer zum Teufel ist Frau Siemens-Kleimann?«

»Meine Sachbearbeiterin vom Jobcenter«, erklärte Jakob mit düsterer Miene, »sie streicht mir immer wieder das Arbeitslosengeld und bietet mir Jobs an, die kein Schwein machen will. Sanktionen nennt sie das. Diese Frau ist eine verfluchte Sadistin. Ich wünschte, die Alte wäre tot.«

»Jetzt hab dich nicht so. Jammere nicht rum und komm endlich mit.« Nelu zog ihn an der Schlange vorbei nach vorne zu dem schrankähnlichen Türsteher in Anzug und Krawatte, dessen Blick grimmig und genervt über die Menschenmenge flog.

Als er Nelu erkannte, entspannten sich seine Gesichtszüge und er begann zu strahlen. Er breitete seine Arme aus, und die beiden umarmten sich brüderlich. Der Türsteher drückte Nelu fest an seine breite Brust.

»Avram, wie kommen wir denn zu der Ehre, dass du uns mal wieder besuchst? Ist das schön, dich zu sehen, Bruder. Komm rein, komm rein.«

»Komm, Jakob«, rief Nelu über die Schulter.

Die Augen des Türstehers musterten Jakob von oben bis unten. Er verzog keine Miene.

»Der gehört zu dir?«, fragte er misstrauisch; als Nelu nickte, lächelte er Jakob zu.

»Herzlich willkommen.« Er winkte ihn mit einer Handbewegung hinein.

Ohrenbetäubende Musik empfing sie. Das Wummern des Basses vermischte sich mit Jakobs Herzschlag.

Im Klub war es dunkel, nur die Tanzfläche und die Bar wurden von zuckenden Lichtern beleuchtet. Die Einrichtung und Wände waren in Rottönen gehalten.

Nelu bewegte sich, als wäre er hier zu Hause, und zog Jakob durch die tanzenden Menschen zur Theke. Er küsste die Bardame auf beide Wangen, die unaufgefordert zwei monströs große Gläser, gefüllt mit einer trüben Flüssigkeit, vor ihnen auf die Theke stellte.

Erst als Jakob sich an seinem Glas festhalten konnte, begann er sich etwas sicherer zu fühlen. Der Drink war stark. Eine Mischung aus Hochprozentigem, die Jakob zuvor noch nicht probiert hatte. Der Geschmack hielt sich in Grenzen, doch die Wirkung des Alkohols war sofort spürbar.

Jakob beobachtete die zuckenden, sich drehenden Leiber vor ihm. Die entrückten Gesichter der Tanzenden, die die Arme in die Luft streckten und das Leben feierten.

Glücklich, frei und mit sich selbst im Reinen.

Sie konnten sich selbst spüren, und ich kann das nicht, dachte Jakob. Ein Gefühl der Verbitterung überkam ihn. Er gehörte nicht dazu. Grenzte sich allein durch seine schäbige Kleidung und sein Aussehen von den anderen ab.

Er trank einen großen Schluck.

Nelu, der neben ihm gestanden hatte, stieß sich von der Bar ab und sprang auf die Tanzfläche. Er lachte Jakob zu und verschmolz sofort mit der Masse. Er bewegte sich geschmeidig und anmutig im Rhythmus der Musik, als würde sie durch die Boxen direkt durch seinen Körper fließen. Sofort richteten sich die Blicke der weiblichen Besucherinnen auf ihn.

Nelu machte ihm Handzeichen und versuchte, ihn auf die Tanzfläche zu locken, doch Jakob schüttelte den Kopf. Niemals würde er vor allen Augen mit seinem dürren Körper ungelenke Tanzversuche und sich zum Gespött der Leute machen.

Er trank und schluckte die brennende Flüssigkeit schnell hinunter. Er beobachtete, wie Nelus Aufmerksamkeit sich auf eine junge Frau richtete und er auf ihre Flirtversuche einzugehen begann.

Sie tanzten nah voreinander, rückten enger zusammen und warfen sich vielsagende Blicke zu.

Jakob war vergessen und spürte den bitteren Geschmack von Galle in seinem Mund. Sein Hals wurde enger, und er hatte Schwierigkeiten zu schlucken.

Eifersucht fuhr wie ein Hammerschlag durch seinen Körper und machte ihn bewegungslos.

Schockiert stellte er fest, dass sich Tränen in seinen Augenwinkeln bildeten, die er schnell mit der Hand wegwischte.

Was war los mit ihm? Lag es am Alkohol, dass er so sentimental wurde? Er drehte sich von der Tanzfläche weg und sah in Richtung Bar.

Die Bardame hantierte mit Flaschen und Gläsern wie eine Schauspielerin auf einer Bühne.

Jede Bewegung wirkte einstudiert, und sie sonnte sich im Scheinwerferlicht und in der Bewunderung der Gäste.

Eigentlich war ihm Gustav in seiner Eckkneipe lieber, dachte er versonnen. Der war wenigstens ein Mensch aus Fleisch und Blut und verstellte sich nicht.

Nelu tauchte plötzlich wieder neben ihm auf. Er strich sich das verschwitzte Haar aus der Stirn.

»Geile Party«, stieß er atemlos hervor.

Jakob nickte, ohne zu lächeln, er wollte ihm den Abend nicht verderben.

»Ich muss bald los«, meinte er, »muss morgen wirklich früh raus.«

»Du bist doch grade erst gekommen.« Nelu wirkte enttäuscht.

Jakobs Herz machte einen kleinen Hüpfer.

Nelu zwinkerte ihm zu.

»Ich hab da was, das dich wach machen wird. Bock auf ’ne kleine Line? Wir bringen dich schon in die richtige Stimmung.« Er wies in Richtung Toiletten.

»Ne, lass mal. Mit Drogen hab ich es nicht so.«

Jakob fummelte verlegen an seinem Glas herum.

»Mann, du bist so ein Spießer. Dann warte kurz auf mich. Bin gleich wieder da.« Er verschwand.

Unsicher drückte Jakob seinen Rücken an die Theke und ließ seinen Blick über die feiernde Masse schweifen.

Nelu kam zurück, ein seliges Lächeln in seinem Gesicht. Ein Rest von weißem Puder schimmerte an seinem rechten Nasenloch.

»Ich muss jetzt los«, wiederholte Jakob.

»Moment. Wir besorgen dir noch Taxigeld.«

Nelu wandte sich dem Mann zu, der neben ihm stand, schon leicht betrunken über der Theke hing und aus glasigen Augen die Bardame anglotzte.

»Natascha, mach mal einen Drink fertig für meinen Bruder hier«, wies Nelu sie an und klopfte dem Mann wohlwollend auf die Schulter. Erfreut grinste der Mann Nelu an.

»Danke, mein Freund. Ich bin Dirk.« Er reichte ihm die Hand.

Nelu schlug ein.

»Luca«, stellte er sich vor. Die Muskeln seines Kiefers bewegten sich rhythmisch. Er knirschte mit den Zähnen.

Sie neigten die Köpfe zueinander und unterhielten sich.

Jakob konnte nicht verstehen, worüber sie sprachen, die Musik war zu laut. Er beobachtete, wie Nelu der Bardame zunickte, die zu den beiden herüberkam und den Mann namens Dirk in ein Gespräch verwickelte.

Nelu zückte ein kleines Fläschchen aus der Tasche, öffnete es, ließ mehrere Tropfen brauner Flüssigkeit in das Glas des Mannes tropfen und steckte es dann wieder weg. Die Bardame ließ von Dirk ab und drehte sich weg.

Mit einem debilen Lächeln auf dem Gesicht strahlte der Mann Jakob und Nelu an.

»Die Schnecke scheint mich zu mögen«, lallte er voller Stolz, »da habe ich heute den ganz großen Fang gemacht.«

Nelu stieß mit ihm an. Dirk trank in großen Schlucken. Es dauerte eine Weile, bis er sich an der Theke festhalten musste und seine Augen begannen hervorzutreten. Sein Gesicht nahm eine grünliche Farbe an »Scheiße. Was ist los mit mir? Es dreht sich alles.« Er stöhnte. Schweiß lief über sein Gesicht und tropfte auf den Tresen. Mit den Händen fasste er an seinen Magen und krümmte sich.

»Komm mit«, Nelu griff unter seinen Arm, »ich bringe dich auf die Toilette.«

Sie verschwanden und blieben eine ganze Weile weg.

Nelu kam bestens gelaunt und ohne Dirk zurück. Er nickte Natascha hinter der Theke zu, kramte ein Portemonnaie aus der Tasche, zog einen Hunderter daraus hervor und reichte ihn ihr.

»Ich bring dich noch nach draußen«, raunte er Jakob zu.

Die frische Luft tat gut. Ein paar Meter entfernt von der Eingangstür warteten Taxis. Jakob war erleichtert, die Lautstärke des Klubs hinter sich lassen zu können, und atmete befreit auf. Endlich ließ der Druck auf seinen Ohren nach.

Nelu drückte Jakob einen 200-Euro-Schein in die Hand.

»Hier. Komm gut nach Hause.«

»Das kann ich nicht annehmen«, wehrte Jakob entrüstet ab.

»Mann, das ist doch nicht mein Geld, du Affe«, lachte Nelu, »habe ich dem Spacken Dirk abgenommen.«

»Was ist mit ihm? Was hast du ihm ins Glas getan?«

»K.o.-Tropfen. Funktioniert immer wieder gut. Hab ihm auf dem Klo sein Geld abgenommen. Kleine Bezahlung dafür, dass er sich mit mir unterhalten durfte.«

Jakob zögerte.

»Nun schau nicht so blöd aus der Wäsche. Es geht ihm gut, und er wird nicht sterben. Man sollte sich halt vorher überlegen, mit wem man sich einlässt. Ist selbst schuld der Typ. Traue niemandem außer dir selbst, und so prall wie sein Portemonnaie gefüllt war, hat der Vogel genug Geld, glaub mir. Da kann er ruhig mal was abgeben.«

Jakob nickte. Das hörte sich vernünftig an. Menschen waren schlecht, und wer sich verarschen ließ, war selbst schuld. Er nahm den Schein, Nelu zog eine Visitenkarte aus der Tasche.

»Kannst mich ja mal anrufen. Ich gehe rein und schnappe mir die leckere Kleine, mit der ich vorhin getanzt habe. Eine ordentliche Nummer ist ein guter Abschluss für den heutigen Tag.« Jakob schaute auf die Karte in seiner Hand.

»Radu-Cristian Marsavela – Unternehmensberater«, stand auf der Karte und eine Telefonnummer.

»Mach ich«, flüsterte er in die Dunkelheit.

Nelu war längst im Inneren des Klubs verschwunden.

Als Jakob im Taxi saß und entspannt die Beine ausstreckte, spürte er, wie müde er war.

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