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Probleme mit dem Terrain
ОглавлениеEthische Analysen im sexuellen Bereich werden mit besonderer Skepsis betrachtet – was gewissermaßen in der Natur der Sache liegt: Da wären zunächst einmal die früheren Misserfolge. Wenn es so viele Jahrhunderte lang »falsch gemacht wurde«, wieso sollten wir es dann plötzlich richtig machen? Dieser Einwand geht davon aus, dass aus religiösen, philosophischen und kulturellen Traditionen keinerlei Wissen über die menschliche Sexualität zu gewinnen sei. Er geht auch davon aus, dass es wirklich »nichts Neues unter der Sonne« geben kann, keine neue Erkenntnis, der bedingungslos (oder auch nur für eine bestimmte Zeit und einen bestimmten Ort) zu trauen wäre. Offenbar handelt es sich um eine überzogene Absage sowohl an die Vergangenheit als auch an die Gegenwart. Selbst wenn es das »letzte Wort« nie gibt, ist der Versuch der Bergung und Rekonstruktion von Wissen der Mühe wert. Ob dem wirklich so ist, hängt nicht zuletzt davon ab, wie drängend wir unsere Probleme mit der Sexualität erfahren. Wenn wir damit fortfahren, uns in unserem Sexualleben zu schaden und zu verletzen, oder daran scheitern, das Potenzial des anderen anzuerkennen, wenn wir uns auf irgendeine Weise verantwortlich für zukünftige Generationen fühlen, wenn Angst und Verwirrung unsere sexuellen Optionen immer noch einschränken, wenn wir uns deren Verwirklichung gegenseitig nicht zugestehen und der eigenen Entscheidung sowie der Entscheidung der anderen nicht trauen können, wenn unsere Sehnsucht nach Freude oder Glück oder Erfüllung unnötig behindert scheint: Wenn dem so ist, muss die Sexualität erforscht werden – unabhängig davon, wie attraktiv skeptische Positionen zu sein scheinen.
Es gibt jedoch einen weiteren Grund, der uns zur Vorsicht mahnt. In der westlichen Kultur, zumindest in ihrer christlichen Prägung, hat es die ständige Tendenz gegeben, der Sexualmoral eine zu große Bedeutung zuzumessen. Das Sexuelle hat den moralischen Schwerpunkt ganzer Generationen von Menschen eingenommen. Alles »Sexuelle« wird als »moralisch« oder »unmoralisch« angesehen. »Moral« wird oft beinahe auf »sexuelle Moral« reduziert. Das geschieht zum Nachteil anderer wichtiger Anliegen, als da sind ökonomische Ungerechtigkeit, die Unterdrückung ganzer Völker, politische Unehrlichkeit, selbst Diebstahl und Mord. Ironischerweise fällt vielleicht ein Großteil dessen, was die sexuelle Sphäre ausmacht, gar nicht in den Bereich der Moral oder nur indirekt. Beziehungen – zu anderen, uns selbst, Gott – tragen immer moralische Elemente in sich; aber die Sexualität oder die Abwesenheit von Sex in ihnen kann von geringerer moralischer Bedeutung sein als Faktoren wie Respekt, Vertrauen, Ehrlichkeit, Fairness und Treue. Und doch verletzen oder verraten wir einander häufig als sexuelle menschliche Wesen. Trotz des Risikos, die moralische Bedeutung von Sex überzubewerten, kann deshalb die Notwendigkeit einer Sexualethik nicht gänzlich verworfen werden.
Die andere Seite der Tendenz, Moral mit Sex gleichzusetzen, besteht darin, den sexuellen Bereich als isoliert vom Rest des Lebens zu betrachten. Das bedeutet, dass wir einerseits der Sexualmoral zu viel Gewicht beimessen, andererseits jedoch zu wenig. Diese Art von Skepsis bemängelt, dass eine Sexualethik ein kleines, leichtfertiges Unterfangen oder eine Obsession ist, die von den wirklich drängenden moralischen Problemen wie Rassismus, Hunger, Obdachlosigkeit, Armut und Krieg ablenkt. Das ist plausibel, aber nur solange man die Verbindung zwischen sozialen Strukturen und sexuellen Beziehungen, zwischen politischen Kämpfen und Gender-Bias, zwischen sexuellen Sanktionen und sozialpolitischen Strategien außer Acht lässt. Feministinnen sind mit ihrer Behauptung, dass das »Persönliche politisch« sei, nicht immer auf Verständnis gestoßen; aber insbesondere in der Sphäre der Sexualethik ist das Private ebenso institutionell wie individuell bestimmt. In einem Jahrhundert, in dem Vergewaltigungen Teil der militärischen Strategie waren, Armut nicht selten das Ergebnis eines Mangels an selbstbestimmter Reproduktion ist, in dem Industrien auf sexueller Ausbeutung basieren und die Vergabe von Arbeitsplätzen von Rasse, Geschlecht und Klasse abhängen, kann die Entwicklung einer Sexualethik kein triviales Anliegen sein.
Eine letzte, aber zweifache Quelle der Skepsis entspringt einerseits der unüberschaubaren Breite des sexuellen Erlebnishorizontes und andererseits unseren wachsenden Zweifeln, dass moralische Normen überhaupt eine positive Auswirkung auf unser Sexualleben haben. Allein der Gedanke an ethische Standards für sexuelle Beziehungen und Aktivitäten setzt voraus, dass sie generalisierbar sind. Aber ist dem so? Von kulturellen Unterschieden einmal ganz abgesehen: Ist es möglich, eine allgemeingültige Ethik zu entwickeln, die unser Sexualleben bereichert? Nehmen wir nur die Erfahrung der romantischen Liebe, die das sexuelle Begehren prägt und von ihm geprägt wird. Wie viele Formen nimmt sie an? Gibt es wirklich moralische Kriterien, die sowohl auf schmerzhaft unerwiderte Liebe anwendbar sind wie auf Beziehungen, in denen die Leidenschaft in einem gemeinsamen und geordneten Leben allmählich zu reifer gegenseitiger Liebe wird? Können ethische Normen bestimmen, ob eine Liebe Erfüllung findet? Ob sich unerfüllte Liebe als tragisch oder einfach traurig oder als glückliche Möglichkeit eines Neuanfangs erweist? Können ethische Prinzipien und moralische Regeln den Weg zu einer möglichen und schönen Beziehung weisen? Oder verhindern, dass wir verletzt werden oder unser Leben aus der Bahn geworfen wird? Oder uns dabei helfen, die unsicheren Gewässer der Intimität zu befahren?
Gibt es ethische Perspektiven, die sowohl die erotische Liebe in romantischen Beziehungen als auch leidenschaftliches Verlangen nach Sex ohne Beziehung umfassen können? Wie sieht es mit Beziehungen aus, die weder romantisch noch leidenschaftlich sind? Kann es dieselben moralischen Grenzen für lang andauernde (oder im Laufe der Zeit bitter gewordene) Liebe geben wie für aufblühende, noch unsichere Liebe voller Macht und Gefahr? Stärkt es die ethischen Normen, wenn Sex und Liebe institutionell durch Strukturen von Ehe und Familie, Berufs- und Alterskategorien, stärkenden Traditionen, selbstgenügsamen Kulturen reguliert werden? Mit anderen Worten: Kann über die menschliche Erfahrung der Sexualität überhaupt genug gesagt werden, um universelle oder auch nur lokale Richtlinien zu erlassen? Was bedeutet die Erfahrung der moralischen Verpflichtung für die sexuelle Erfahrung? Kann diese geschützt oder befreit werden? Wenn sich Sex friedlich in die Ordnung des Lebens einfügt, wozu braucht es dann ethische Normen? Und wenn Sex Unruhe stiftet und unser Leben in Unordnung bringt, helfen sie dann überhaupt? Geht es lediglich darum, ob ethische Normen befolgt, oder vorrangig darum, dass sie überhaupt zur Kenntnis genommen werden?
Niemand würde argumentieren, dass ethische Standards alle möglichen Probleme der Sexualität lösen oder auch nur beleuchte können. Und nur wenige Menschen würden darauf bestehen, dass moralische Regeln sich immer positiv auf unser Sexual- und Beziehungsleben auswirken. Trotzdem sollten wir nicht zu dem Schluss kommen, dass unser Sexualleben nicht reflektiert und von ethischen Grundsätzen und moralischer Klugheit bestimmt sein soll. Wie grundverschieden unsere sexuellen Erfahrungen auch sind, wie vielfältig die Kontexte für unser sexuelles Begehren, wie gleichgültig unsere Sexualität gegenüber ethischen Standards auch erscheinen mag, wir fällen trotzdem moralische Urteile, entwickeln bestimmte Ansprüche als Reaktion darauf und erfahren uns in unserem Handeln als selbstbestimmte Menschen. All das mag sich als illusorisch erweisen, als illegitime Überbleibsel seit Langem bestehender Tabus. Und doch erleben wir echte moralische Verwirrung, suchen nach moralischer Führung und empfinden moralische Empörung über bestimmte sexuelle Aktivitäten, bestimmte sexuelle Beziehungen. Wie auch immer die Theorien über Sex und Moral beschaffen sind, unser Sexualleben ist untrennbar mit moralischen Fragen verbunden. Skepsis hin oder her: Die Anstrengung, eine Sexualethik zu entwickeln, ist unumgänglich.