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Jeff 1 Emplumado

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Es war dumm gewesen, sich mit Quinlan zu prügeln und ihm eine blutige Nase zu verpassen. Aber es brachte Jeff aus Taos heraus, und es war ihm eine Wohltat, einiges von dem Zorn losgeworden zu sein, den er in den vergangenen Monaten angehäuft hatte.

Wie überrascht Quinlan gewesen war, in dessen Kopf feststand, dass der wohlerzogene, künstlerische Jeff jede Beleidigung schluckte. Dabei prügelte er sich, wenn es sich denn nicht vermeiden ließ, ganz gern. Er mochte es, seinen Körper zu fordern. Mit dem Rucksack in die Berge zu klettern, was nach Ansicht seiner Bekannten in Taos zwangsläufig zu Stürzen von Steilwänden führte oder in die Irre. Zum ersten Mal war er in Österreich geklettert, dann in der Schweiz. Er hatte festgestellt, die Berge um Taos waren faszinierend, aber nicht übermäßig anspruchsvoll. Er hatte festgestellt, Quinlan war leicht niederzuschlagen.

Quinlan hatte sich von Anfang an wie ein Schinder aufgeführt. Er leitete die Ferienranch im Auftrag eines Konzerns, und Jeff vermutete, dass er so viel nur irgend ging in die eigene Tasche wandern ließ, indem er bei der Pflege der Tiere, den Unterkünften und dem Essen der Hilfskräfte kürzte, neben ärgerlichen kleinen Einsparungen wie der, dass es auf der Latrine für die Hilfskräfte nie Toilettenpapier gab.

Das Schimpfwort, mit dem Quinlan ihn belegt hatte, war nicht der Grund, ihn niederzuschlagen, nur der Vorwand. Quinlan, dem jedes Talent für Kraftausdrücke abging, schimpfte ihn einen roten Homo. Rot, weil Jeff Anhänger von Roosevelts Wirtschaftspolitik war, obwohl der Präsident sie für sein Gefühl nicht energisch genug durchsetzte. Homo, weil er es vermied, mit Mrs. Terwilligher ins Bett zu steigen, die reich war, ebenso widerwärtig wie Quinlan und für ihn sicherlich genauso wenig empfand wie er für sie. Jeff hatte sich angewöhnt, so zu tun, als verstünde er nicht, dass die Hilfskräfte den Urlaubern auch sexuell zur Verfügung zu stehen hatten, dass auch sexuelle Bedienung von den Kellnerinnen erwartet wurde, von den Zimmermädchen und den sogenannten Fährtenburschen, die die Überfressenen auf bequemen Rundblickpfaden umherführten.

Dabei hatte Jeff im Prinzip nichts gegen dieses Arrangement. Als er die Schützlinge seines Vaters, des Professors, auf ihren Kulturreisen begleitet hatte, waren sie für ihn ein Harem gewesen, aus dem er sein Bett bestückte. Der Professor war wohl nie dahintergekommen, auch wenn Bernice Bescheid wusste. Für eine Jungfrau war sie überraschend verständnisvoll. Arme Bernice. Sein Brachvogel in einem sehr schlichten Käfig.

Er gab die beiden Bilder, die er für die besten hielt, zusammen mit seiner französischen Staffelei an Bernice auf, nachdem er seine Schulden mit Leinwänden bezahlt und für alle Fälle drei in der Galerie gelassen hatte. Falls sie verkauft wurden, sah er bestimmt nie sein Geld, aber wenigstens wurden sie ausgestellt. Als Landschaftsmaler, der in relativ kleinen Formaten arbeitete, war er definitiv aus der Mode, aber nicht unverkäuflich. Trotzdem hatte er seine besten Arbeiten nicht in Taos gemacht. Er sah immer wieder Arbeiten anderer Maler, die das formale Wesen der Landschaft erfassten, wie O’Keeffe oder Dasburg, oder die dramatischen Wechsel von Himmel und Stein, wie sie Marin gemalt hatte, immer den Heiligen Berg. Er hatte Taos nicht zu seinem Eigen gemacht. Die Klarheit von Taos hatte sich bei ihm nicht herauskristallisiert. Er wanderte aus der Stadt hinaus und fuhr per Anhalter nach Denver.

Er trug seine wenigen Habseligkeiten in einem Rucksack, leichter zu tragen als ein Koffer, aber kein Amerikaner sonst schien einen Rucksack zu benutzen. In Denver fand er beim Bahnhof eine billige Absteige. Er angelte sich aus einer Mülltonne eine Zeitung. Die Russen unternahmen allem Anschein nach eine Gegenoffensive in den Vororten von Moskau. Zach hatte aus London geschrieben, wohin er mit der Idee gegangen war, in die Royal Air Force einzutreten, doch die hatte ihn abgelehnt. Zu viele alte Verletzungen? Vielleicht fanden sie Zach mit achtundzwanzig jenseits seiner besten Jahre. Nicht, dass Zach die Nazis hasste. Die politischen Ansichten seiner Familie gingen durchaus in die gleiche Richtung. Jeff konnte sich ohne weiteres vorstellen, wie Zachs Vater – Zachary Barrington Taylor der Dritte, so wie Zach der Vierte war – sagte: »Dieser Hitler ist eine Spur ordinär, aber er versteht es, die Arbeiter auf Vordermann zu bringen«, und anschließend Geld für die Parteikasse spendete. Zach ging einfach dahin, wo es aufregend war. Er liebte das Fliegen. Er war mit Träumen von Kampffliegerduellen im Weltkrieg aufgewachsen und wollte sich mit dem Roten Baron messen. In den letzten Jahren hatte Zach irgendetwas Langweiliges im Versicherungsunternehmen seiner Familie in Chicago getan; genauer gesagt, hatten die Taylors die Mehrheitsbeteiligung an diesem Konzern wie an vielen anderen, ganz zu schweigen vom Barrington-Familienimperium in Textilien und Zucker. Zach war seinen Familienpflichten nachgekommen, hatte geheiratet und ein Kind gezeugt. Jeff hatte nichts mit der respektablen Seite von Zachs Leben zu tun. Man würde ihn dort nicht einmal zur Tür hereinlassen.

Zach drängte ihn, nach England herüberzukommen, unterließ es aber, ihm Fahrkarten zu schicken, was hieß, dass es ihm nicht ernst war. Zach musste wissen, dass Jeff nicht einmal das Geld hatte, um nach Hause zu fahren, geschweige denn nach Europa. Was hatte die Depression für Zach bedeutet: mehr Gesindel auf den Straßen? Jeff, dessen Leben von der Depression zu Bruchstücken aus Hilfsarbeit und Arbeitslosigkeit in etlichen Städten und Landstrichen zerhackt worden war, der zum hundertsten Mal in der Flohkiste einer Absteige schlief, der bei diversen Notprogrammen der Regierung gearbeitet und Steine für den Straßenbau gebrochen und Weizen geerntet hatte, verspürte einen stechenden Groll, stark genug, um seinen Freund zu durchbohren wie ein Dolch aus Eis.

Aber Zach kam mit seinem Vater nicht besser aus als Jeff mit dem Professor; Zach war früh in die Rolle des zweiten, des schlechten Sohnes, des schwarzen Schafs gefallen. Er hatte nie in das Leben hineingepasst, das für ihn zurechtgelegt war wie der Gesellschaftsanzug von einem Kammerdiener. War er endlich entronnen?

Jeff wollte nach Hause. Nicht zu seinem Vater, dem kalten Zwangsneurotiker, den nur seine eigene Arbeit und seine eigene Bequemlichkeit kümmerten und der ihm das Gefühl gab, ein unartiges, pflichtvergessenes Kind zu sein. Nach all den Jahren, die der Professor damit verbracht hatte, Schützlinge durch die Museen Europas zu schleifen, hatte er kein Verständnis für einen Sohn, der malte. Jeff wollte nach Hause zu Bernice, die seine Mutter war und auch wieder nicht. Natürlich war sie es nicht, denn sie hatten eine richtige Mutter gehabt, jenes Geschöpf aus Fleisch und Intellekt und Humor und Betriebsamkeit, die beste Köchin des Lehrkörpers, die Gedichte liebte und sie ihnen statt alberner Kinderbücher vorlas, die ihnen die Ilias in der Übersetzung von Alexander Pope vorlas und manchmal in Griechisch rezitierte, deren Schoß es nie an Platz und Wärme fehlen ließ.

Bernice war in einem anderen Sinne seine Mutter, denn sie war alles, was ihm danach geblieben war. Sie hatten einander großgezogen. Wenn sie doch nur sein Zwillingsbruder gewesen wäre, ein Junge, der zu einem Mann heranwuchs, dann würden sie sich zusammen in der Welt umtun. Bernice hätte einen ansehnlichen Mann abgegeben. Doch für eine Frau war sie zu groß, eins fünfundsiebzig und grobknochig, eine Frau, die einen Pflug ziehen konnte. Zu einer anderen Zeit wäre sie anders angeschaut worden. Bei den großen quadratischen Frauenakten aus Picassos klassischer Periode musste Jeff an seine Schwester denken.

Jetzt wollte er bei ihr sein, umfangen von der intelligenten Wärme, die nie ohne Urteil war, aber nie destruktiv. Er wollte verhätschelt werden. Er wollte die Abenteuer mit ihr teilen, die seit seiner Kindheit beim Erzählen fast beglückender waren als beim Erleben. Nichts war ganz wirklich, bevor Brachvogel es erfuhr. Stattdessen saß er hier in Denver.

Wenn er es bis Boulder schaffte, konnte er eine Mitfahrgelegenheit bekommen, sobald die Schulen in die Weihnachtsferien gingen, aber der Gedanke, so lange zu warten, ließ ihn vor Selbstmitleid einschrumpfen. Er wollte die letzte Leinwand betrachten, die er vollendet und Bernice geschickt hatte. Er wollte morgens auf dem felsigen Jumpers Mountain malen, wenn Schnee die Landschaft bestäubt hatte.

Entweder ließ er sich von Lastwagen mitnehmen, oder er schmuggelte sich auf der Eisenbahn durch, aber er bat nie um Geld von zu Hause. Das Gehalt des Professors reichte kaum zur Haushaltsführung. Der Krieg hatte den Sommerexkursionen, die so viel eingebracht hatten wie neun Monate Unterricht, ein Ende bereitet. Bernice kam zurecht, aber Jeff wusste, wie sparsam sie wirtschaftete. Er selbst hatte dieses großbürgerliche Sommerleben in vollen Zügen genossen, Hotels, Restaurants, Museen, den Künstler spielen zu können, der er in Wirklichkeit war. In Taos vermischten sich die Gesellschaftsschichten in der ortsüblichen Uniform aus Levi’s, buntem Halstuch und Stiefeln, dennoch lebte er als Landarbeiter und nicht als Maler. Das tat weh.

Bernice war erlaubt worden, am College-Unterricht teilzunehmen, aber einen Abschluss hatte ihr St. Thomas nicht zugestanden. Der Professor wollte ihr nicht erlauben, einer Arbeit nachzugehen, selbst wenn sie die Ausbildung dafür gehabt hätte. Er, Jeff, würde immer auf die Füße fallen. Er war kein Mann, der mit der Sicherheit elterlicher Monatswechsel auf Abenteuer ging. Er war frei. Wenn er nach Hause fuhr, dann, weil er sich nach seiner Schwester sehnte, nicht, weil er irgendetwas von ihnen erwartete. Jetzt musste das kleine Problem gelöst werden, wie dorthin gelangen.

Dolores hatte ihm anfangs diesen Hafen geboten, den warmen Ort, den er bei Frauen suchte. Frauen schienen ihn stets aus einer Menschenmenge, aus Festgedränge herauszufischen. Eine der unangenehmen Begleiterscheinungen des Landstreicherlebens war, dass seine Tagelöhnerarbeiten ihn oft in reinen Männerenklaven festhielten, und in Wahrheit hatten die meisten Männer keine Ahnung, wie man lebte. Sie bauten keine Nester, sie schufen keine Behaglichkeit, sie machten das Schlimmste aus ihren Unzulänglichkeiten. Er mochte es, zu einer Frau zu ziehen.

Mit Dolores hatte er nicht eigentlich zusammengelebt, denn zu seiner Anstellung bei Quinlan gehörte eine eigene Unterkunft, und Dolores achtete sehr auf die Meinung der Nachbarn. Trotzdem hatte sie oft für ihn gekocht, und er konnte sich in die Gemütlichkeit ihres weiß gekalkten Adobehauses einkuscheln. Er hatte sie gerne angeschaut, sogar ein paar Zeichnungen gemacht, obwohl er wusste, wenn er eines seiner wenigen Porträts malte, dann verwandelten Menschen sich in Landschaften. Ihr Gesicht war faszinierend asymmetrisch. Dolores war sich nicht bewusst, dass die eine Seite ihres Gesichts eckiger war und die andere weicher. Schatten, die darüber hinspielten, hatten nie aufgehört, ihn zu fesseln. Ihr Körper war von gefälliger Üppigkeit, mit dem herausgestreckten vollen Hintern, den in barocker Rundung sich wölbenden Hüften mit den zwei deutlich unterscheidbaren Einbuchtungen. Im Dunkel ihrer Haut fanden sich Bernsteintöne und ein schwaches Grün.

Dolores hatte zu ihm gesagt, er sei ein alter Kater, un gaton, der sich daran gewöhnt habe, umherzustreichen und Mahlzeiten zu schnorren. Dann hatte sie Druck auf ihn ausgeübt, sich häuslich niederzulassen. Warum taten Frauen das? Sie erkoren ihn wegen seiner Ausstrahlung des Weitgereisten, seiner romantischen Aura des rastlosen Wanderers, der morgen fort ist, und dann versuchten sie ihn für die Häuslichkeit zu gewinnen.

In normalen Zeiten hätte er das College abgeschlossen und dann hier oder im Ausland eine Kunstakademie besucht, wäre zurückgekommen, um zu unterrichten und zu malen, zu heiraten und Kinder zu haben. Aber es war kein Geld da gewesen und keine Arbeit. Er hatte sich aufgemacht, mit der Armee der heimatlosen Männer von Güterzug zu Amüsierviertel zu Arbeitsvermittlung zu wandern. Als er dann schließlich den Wettbewerb eines Notprogramms der Regierung zur Ausschmückung von Postämtern mit Wandbildern gewonnen hatte, war er es schon gewohnt, seine Sachen zu packen und weiterzuziehen, sobald sich Schwierigkeiten auftaten.

Eines Tages würde er sich niederlassen, aber nur, wenn er den richtigen Ort fand, den passenden Ort, seine eigene Landschaft und eine Frau, die die Schönheit von Dolores mit der Eigenständigkeit und Intelligenz von Bernice verband. Er war wie einer, der aus Notwendigkeit, um die Schmerzen zu nehmen, auf Morphium gesetzt und süchtig geworden war. Weiterzuziehen war ihm zur Gewohnheit geworden, aber er träumte ständig von einer Gefährtin. Einer, die wusste, wie es in der vorigen Stadt oder im vorigen Land gewesen war, die Barcelona kannte, bevor Franco herrschte, und London vor dem Blitz und Paris, bevor die Nazis es besetzt hatten. Ein gemeinsames Koordinatensystem. Nicht einmal die Angst vor dem Krieg konnte das herstellen. Die meisten Leute schienen davon auszugehen, dass er nie kommen würde. Die einzig gemeinsame Kultur schienen Filme und Comicstrips zu sein. Jeder redete über Gasoline Alley, Li’l Abner, Dick Tracy. Vielleicht war das der Grund, warum er unbedingt nach Hause musste, jetzt, sofort. Bernice war seine Schatzkammer. Alle Geschichten endeten in ihrem Kopf.

Am Donnerstagmorgen säuberte er sich am Bahnhof und stiefelte zu einem Fernfahrertreff. Er wurde fast sofort fündig. Ein firmenunabhängiger Fahrer, der eine Fuhre Reifen abholen und nordwärts nach Cheyenne fahren sollte, erklärte sich bereit, ihn zum Auf- und Abladen mitzunehmen. Er war froh, einen Schritt näher zu kommen. Diese Reise war ein Schachspiel, in dem er der Springer war, der jedes Mal zwei Schritte vorwärts und dann einen Schritt zur Seite tat. Die Reifen stellten sich als riesig heraus, für Erdbewegungsfahrzeuge. Der Mann schaute ihn zwar anfangs skeptisch an, aber Jeff hatte keine Zweifel an seiner Fähigkeit, ungefüge Gegenstände zu wuchten. Er war kräftiger, als er aussah, ohne ein Gramm Fett; und er verstand etwas von Balance.

Während sie nach Norden durch die Einöde fuhren und er leichtfüßigen, erdfarbenen Antilopen zusah, spielte er mit dem Gedanken, Mittelamerika zu erkunden oder vielleicht nach Brasilien zu gehen. Er malte sich die scharfen, zerklüfteten Rottöne der Mittelmeerfelsen aus, aber vor dem Hintergrund der gespenstisch pulsierenden Grüntöne eines Urwalds. Er nahm sich vor, in der Bibliothek über Orte im Süden nachzulesen, derweil er sich an Bernices guter Hausmannskost sättigte. Sie würden auf den Jumpers Mountain steigen, um einen Baum zu stehlen. Sie würden die alten Kartons mit Christbaumschmuck hervorholen, die tschechischen Prismen, die deutschen Kugeln mit dem eingeätzten Goldflitter, die Holzpferdchen und bemalten Trommler, die Rauschgoldvögel. Er würde seinen früheren Bildern an den Wänden von Bernices Zimmer und seinem Zimmer einen Besuch abstatten. Sein Versagen in Taos hatte sein Selbstvertrauen angenagt. Er brauchte es, seine besten Arbeiten zu sehen.

Was oder wem hatte er denn eigentlich in Taos nachgeschnüffelt, dem Geist von D. H. Lawrence? Jeder zeigte ihm die Relikte, die Stätten, an denen Lawrence dieses oder jenes Unflätige oder Bedeutsame, Unsinnige oder Prophetische gesagt oder getan hatte. Die gefiederte Schlange mochte er von Lawrences Romanen am wenigsten, auch wenn ihn die Bildersprache faszinierte. Eine Schlange mit Federn fesselte seine Phantasie. Vielleicht hatte er in Taos solch ein Bild gesucht, eine Möglichkeit, den Flug und die Erdgebundenheit miteinander zu verknüpfen. Schlangen hatten ihn nie angewidert, sondern er hatte sie immer gefangen, Kletterschlangen und Milchschlangen und hübsche kleine Strumpfbandnattern.

Er hatte eine Morris-Graves-Ausstellung gesehen, die ihn ungeheuer bewegt hatte, aber die Landschaften, auf die er ansprach, waren das Gegenteil von jenen nebligen, gischtübersprühten Visionen, die er bei Graves bewunderte. Er brauchte intensives Licht, harte Trennlinien, Fels und starke Formen. Warum hatte er dann in Taos so versagt?

Sie hielten zum Mittagessen. Er kaufte sich einen Teller Chili. Der Fernfahrer spendierte ihm einen Kaffee. Es schien ihm zu gefallen, dass Jeff nicht versucht hatte, sich von ihm das Essen zahlen zu lassen. Er hatte ein interessantes Gesicht, alles platte Flächen, die auf verschiedenen Ebenen gegeneinander abgesetzt waren, ein Gesicht wie mit dem Meißel gemacht oder wie eine von Braques kubistischen Collagen. Als sie wieder im Sattelschlepper saßen, fragte er, ob Jeff so ein Ding fahren konnte. Als Jeff bewies, dass er es konnte, kletterte der Fernfahrer in den hinteren Teil des Führerhauses und legte sich schlafen.

Es schneite ein wenig. Die Berge im Norden waren im oberen Drittel weiß. Staub mischte sich eine Weile mit Schnee und übersäte die Windschutzscheibe mit Pusteln. Er musste an einen Traum von einer Frau denken, deren Schenkel gefiedert gewesen waren. Blau und grün und golden schimmernde Federn, die sanft wehten, als er ihre Schenkel teilte. Ihr Haar war so jettschwarz gewesen wie das von Dolores. Allein beim Gedanken an sie erigierte sein Penis. Er stellte im Radio leise die Nachrichten ein und hörte nur halb hin.

Seit 1939 hatte er in dem Bewusstsein gelebt, dass jeden Augenblick Krieg sein konnte. Die Nazis waren für ihn weitaus realer als für die meisten Amerikaner, denen er begegnete, und weit furchterregender. Er teilte nicht die Erheiterung seiner Bekannten über Hitler, den ehemaligen Tapezierer, der komische Fratzen zog und lächerliche Reden hielt, während seine Legionen im Stechschritt auf die Schnauze fielen. Er hatte sie auf den Straßen von Heidelberg und Berlin und Frankfurt gesehen. Sie waren trunken von Gewalt und Macht. Sie fühlten sich überlegen, weil sie zusammen waren, und zusammen fügten sie Leid zu. Sie hatten die Willkürherrschaft unter einem sichtbaren Gott für sich entdeckt. Er hatte einer Nazikundgebung beigewohnt und mit angesehen, wie Massen choreografiert, manipuliert und hypnotisiert wurden, bis sie in Ekstase und Blutrausch tobten und die Aufstachelung zu diesem Taumel liebten.

Er erwartete den nächsten Schachzug von den Göttern oder seiner Schwester oder seinen Freunden. Er verließ sich darauf, aus seiner Langeweile errettet zu werden, aber er wusste nicht, wer es diesmal tun würde. Zach konnte es, immer. Es hatte ihn nicht überrascht, von Zachary Barrington Taylor zu hören, auch wenn er ihn seit wann – seit zwei Jahren nicht mehr gesehen hatte. Irgendjemand würde ihm ein Angebot machen, so wie sich die Mitfahrt nach Cheyenne ergeben hatte.

Ihm war nicht bestimmt, in Cheyenne, Wyoming, stecken zu bleiben, wo der Schnee von den Big Horns herunterwehte. Jeff hatte das Urvertrauen derer, denen Dinge einfach widerfahren. Er brauchte sich nur im Freien hinzustellen, davon war er überzeugt, denn so war es ihm passiert, und jemand sprach ihn an oder machte ihm ein Angebot oder bat ihn um einen Gefallen oder warf sich ihm an den Hals oder machte ihm einen Antrag, denn Jeff war allzeit bereit, und zwar wesentlich ernsthafter als die Pfadfinder. Er glaubte fest daran, dass die Götter ihn liebten und ihm bestimmt ein interessantes Abenteuer schickten, wenn er einfach nur wartete, mit leeren Händen und mit jener Bereitschaft von Körper und Seele, die seiner Vorstellung vom Zustand der Gnade entsprach.

Wegen dieses Moments von Glück und Gnade hatte er sich in die Landschaftsmalerei verliebt. So ging er hinaus auf ein freies Feld, an einen Strand, auf einen Hügel, und richtete sich ein. Und während er den Blick auf die Szene vor ihm, um ihn herum richtete, die Szene, deren Teil er war und in der er Wurzeln schlug, erwachte sie zu immer intensiverem Leben, bis jedes Blatt und jede in der Sonne schimmernde Fliege und jedes Stäubchen seine Aufmerksamkeit beanspruchte. Dann fühlte er sich völlig offen, verbunden, schutzlos, ein Gefühl besser als die Liebe und ehrlicher. Um gut zu malen, musste er von aller Herrschaft ablassen. Alles veränderte sich ständig um ihn her, und alles bewegte sich, und er stand in einem wirbelnden Chaos und redete es demütig an. Was er auch auf der Leinwand festhielt, es war unzulänglich, wie die Liebe.

Wenn er klar, wenn er offen, wenn er schutzlos und stark genug war in seinem Sehen, dann erfasste er den alledem innewohnenden Geist und belebte das, was er malte, obwohl seine erste Reaktion auf das, was er geschaffen hatte, immer Abscheu war, denn es verfehlte die ungeheure, sich wandelnde Dingheit, die er staunend und leidenschaftlich miterlebt hatte. Studiomaler konnten von Herrschaft träumen, aber Landschaftsmaler wussten, wie sie vor den Ortsgöttern standen, winzig, voller Hoffnung, vor sich hin stümpernd. Alles, was er je malen konnte, war ein winziges Aufblitzen dessen, was sich ihm in Wahrheit gezeigt hatte, ein Zugriff auf einen Augenblick.

So strebte Jeff nach Osten und nach Hause und dem nächsten Abenteuer entgegen, das ihn bestimmt davor bewahrte, lange dort zu bleiben.

Menschen im Krieg – Gone to Soldiers

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