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Jeff 2 Das Kriechtier aus dem Sumpf von Alabama

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Jeff hatte mit vierzehn schießen gelernt. Der Professor hatte es ihm nicht beigebracht; sein Vater billigte so etwas nicht. Jeff war einsam, hatte aber keine Lust, sich immer mit den anderen Lehrerskindern herumzudrücken. Nach dem Tod seiner Mutter fing er an, die Umgebung zu durchstreifen, manchmal auf seinem Fahrrad, manchmal als Mitfahrer auf dem Trittbrett eines klapprigen Ford T über Schotterstraßen, manchmal auf der Ladefläche eines bäuerlichen Kastenwagens. Er suchte das Entrinnen, und die Herumtreiberei mit den Kindern auf den Farmen in den Bergen verschaffte ihm einen Fahrschein aus seinem Jammer. Dort war er nicht mehr schüchtern, weil sie ihn nicht als schüchternen Bücherwurm kannten. Dort war er frei, sich als Abenteurer auszugeben. Er war etwas Besonderes, der mit den vielen Einfällen, ein Anführer, der sich in einer den anderen Jungen nur allzu vertrauten Umgebung neue Abenteuer ausdachte.

Er lernte jedes Seitensträßchen und jeden Fußpfad in den Bergen kennen, die alle Entrinnen, Abenteuer, Kameradschaft bedeuteten und die er nach und nach zu lieben begann, anfangs mit dem Bleistift, dann mit Wasserfarben, schließlich mit Ölfarben. Vielleicht hatte ihn sein Bedürfnis, diese Landschaft zu besitzen und zu preisen, zum Maler gemacht.

Er hatte schießen gelernt, und obwohl es für ihn immer schwierig geblieben war, Vögel und andere Tiere zu töten, tat er es, weil es erwartet wurde und weil die Ablehnung durch seine Freunde den Ausschluss aus seinem selbsterkorenen Abenteuer zum Preis gehabt hätte. Rotwild mochte er nicht jagen, aber er ging mit seinen Freunden auf Enten- und Gänsejagd und schoss Kaninchen und Eichhörnchen. Er zog das Tontaubenschießen vor, mit dem er im College anfing. Zach war ein recht guter Schütze, aber Jeff war besser. Da er sich über die Jahre so viele Gewehre und Schrotflinten von anderen geliehen hatte, erfasste er rasch die Eigenarten einer jeden Waffe und stellte sich darauf ein. Als er auf der Ferienranch arbeitete, ließ Quinlan ihn mit einem 44er Colt zum Ergötzen der Gäste ein Schauschießen veranstalten und hin und wieder Unterricht im Scheibenschießen geben.

Es blieb der Armee vorbehalten, seinen langen Flirt mit Feuerwaffen zu bestrafen, denn er saß in Alabama fest, gelangweilt bis hinunter zum intellektuellen Niveau der Schimmelpilze, die ihm zwischen den Zehen und hinter den Ohren wuchsen, er trank viel zu viel und fieberte etwas von einer leichten Infektion, einem Rückfallfieber, das ihn schwächte, aber nie fest aufs Krankenbett warf. Er war Ausbilder am M-1-Gewehr. Seine Klassen kamen und gingen, aber ihm wuchs Moos auf dem Rücken.

Das Einzige, was ihn damit aussöhnte, war gerade nach Übersee verschifft worden, seine Krankenschwester Betty Jo, die einen vollen Dienstgrad höher stand als er. Sie war ein Rotschopf aus Tennessee und konnte ihn unter den Tisch trinken, die derbmäulige, braunäugige Tochter eines Bergmanns. Aus zusammengekniffenen Augen und mit aufeinandergepressten Lippen starrte Betty Jo auf die Welt, bis sie die Schuhe auszog, dann kam eine deftig liebevolle Person zum Vorschein, ebenso überraschend wie ihr weicher Körper unter der Uniform. Er hatte Betty Jo kennengelernt, als einer seiner Schüler ihm in den Arm schoss. Der Soldat konnte nicht verstehen, warum Jeff ihn nach dem Unfall nicht schurigelte.

Sie war auch einsam. Jeff kam dahinter, warum die Armee alle Krankenschwestern zu Offizieren ernannte. Sie konnte mit keinem der Mannschaftsränge ausgehen, denn die Dienstvorschriften verboten solche Mischung. Und so war die Verleihung des Offiziersranges ein Weg, die Krankenschwestern für alle außer männlichen Offizieren sexuell zu verbotenem Terrain zu erklären. Manchmal waren die Wege der Armee unergründlich, dann wieder waren ihre Absichten erbarmungslos deutlich.

Nun war sie fort und ließ Jeff deprimiert zurück. Sein Leben glich einer Reihe von stehenden Lagunen, die durch kaum fließende Stichkanäle verbunden waren. Als er sich zum Militär gemeldet hatte, dachte er anfangs oft an einen gewaltsamen Tod, aber jetzt dachte er, dass er an Langeweile und Trägheit zugrunde gehen würde, durchfaulen wie ein im Moorwasser versunkener Baumstumpf. Der Sommer war nie seine Lieblingsjahreszeit gewesen, und der Sommer kam hier im April. Schwüle war Dauerzustand.

Er musste säuerlich lächeln bei dem Gedanken, dass er Brachvogel erzählt hatte, es ziehe ihn in eine grünendere, südlichere Landschaft. Anfangs hatte er hier zu malen versucht, aber Papier wie Leinwand verwelkten und vermoderten. Sein Kommandeur machte ihm das Leben schwer und rief ihn immer mit ›Hey, Rembrandt‹. Schließlich übermannte ihn die Trägheit, und er dachte nicht mehr an Licht und Farbe. Morgens erwachte er nicht mehr mit jenem Gefühl des Besessenseins, von Formen, die in seinem Kopf Gestalt annahmen, von Farben, die immer lebendiger wurden. Er sah keine Bilder mehr, und er malte nicht mehr. Er war ein Tier, nicht mal ein Hund oder ein Waschbär, sondern etwas Niederes und Schläfriges wie ein Salamander in verrottendem Laub.

Er ersuchte um Versetzung, aber nichts geschah. Die Armee sprang mit kleinen Leutnants so um, wie er mit benutzten Rasierklingen verfuhr. So war er erstaunt, als ihn ein Brief von einem unbekannten Hauptmann Cunningham erreichte, der anfragte, ob er zum Amt für Strategische Dienste, dem Office of Strategic Services, wechseln wollte, und die übliche Menge an Armeebewerbungsformularen beifügte. Er füllte sie aus und schickte sie ab und fragte sich, worum es sich drehen mochte. Im Armeechinesisch konnten strategische Dienste auch das Ausliefern der Post oder das Organisieren von Freizeitvergnügungen für die höheren Chargen sein. Nichts würde herauskommen bei seinem neuerlichen Versuch, dieser Wasserschlangenfalle zu entrinnen.

Zehn Tage später zitierte ihn sein Kommandeur zu sich. »Sie haben sich rausgewieselt, Rembrandt. Ich weiß nicht, wen Sie da kennen, aber es klingt nach einem gemütlichen Schreibtischpöstchen in Washington.«

Sein Befehl lautete schlicht, sich am kommenden Montag beim OSS in Washington einzufinden. In der verbleibenden Zeit übertrug ihm der Alte die schmutzigsten Sonderkommandos, die er sich ausdenken konnte, und er musste mit den Männern in die Sümpfe marschieren und einen Tag lang Dschungelkrieg üben und eine Nacht lang im Freien kampieren, worin Jeff lediglich eine Methode sah, die Moskitos zu füttern. Sein Fieber stieg, bis ihm in der Hitze, die so greifbar war wie eine erstickende, nasse Wolldecke, die Zähne klapperten.

Am Montag erfuhr er in Washington wenig mehr, als dass OSS genauso viel Papierkram produzierte wie andere Armeeabteilungen und von den Mitarbeitern nur OSS genannt wurde, niemals der, die oder das OSS. Er gab auf fünf verschiedenen Formularen seinen Bildungsweg an und seine nächsten Verwandten auf sechs. Ein Major Cod hielt ihm eine strenge Begrüßungsansprache und betonte, die ihm bevorstehenden Aufgaben schlössen das Sammeln von nachrichtendienstlichen Informationen hinter den feindlichen Linien ein und seien vertraulicher und höchst gefährlicher Natur, und die OSSAusbildung sei sowohl anstrengend als auch riskant und erfordere geistige Widerstandskraft und körperliches Durchhaltevermögen. Der Major sprach gerne in Bandwurmsätzen. Jeff schloss aus dem Vortrag, dass OSS eine Art Kommandoeinheit war, und fragte sich, wie man auf ihn gekommen war.

Er wurde auf ein Gelände gefahren, das aussah wie ein ehemaliger Country Club. Auf immer noch deutlich erkennbaren Tennisplätzen waren Zelte errichtet. Der Hauptausbilder, ein Hauptmann Spinnaker mit vorzeitiger Glatze, obwohl kaum dreißig, sagte ihm, er würde den Sonderoperationen zugeteilt und habe bis dahin seine Fähigkeiten im Guerillakrieg und im Sammeln geheimdienstlicher Meldungen zu schulen.

Dann übergab ihm Hauptmann Spinnaker einen versiegelten Umschlag. In diesem steckte ein weiterer, ebenfalls versiegelter Umschlag. Jeff rechnete schon damit, dass darin wieder ein versiegelter Umschlag steckte und dann noch einer und noch einer, bis schließlich im Innersten eine kleine Pille mit der Anweisung ISS MICH zum Vorschein kam und ihn in einen Schmetterling verwandelte.

Doch in dem zweiten Umschlag steckte ein kurzer Brief, hastig in einer sehr vertrauten Handschrift hingeworfen.

Alter Jeff,

höre, du hattest was mit einem Alligator zu laufen, den du bei einem Ringkampf kennengelernt hast. Tut mir leid, dass ich mich einmische, aber Mutter braucht dich, und Alligatoren sind berüchtigt für ihre Wankelmütigkeit.

Dieser Verein müsste dir geistig und gesellschaftlich ein bisschen mehr liegen. Bring die Ausbildung hinter dich. Traue niemandem und halte deinen Mund fest geschlossen, außer um Getränke zu dir zu nehmen. Geh davon aus, dass du nicht die Freiheit hast, Blödsinn anzustellen, bis du mit der Ausbildung fertig bist, ab welchem Zeitpunkt du es wie wir Übrigen ungestraft und unablässig tun kannst.

Z

Das große Z stand nicht für Zorro. Also Zach steckte hinter der plötzlichen Anfrage von Hauptmann Cunningham und seiner Versetzung. Jeff fragte sich, in was Zach ihn diesmal hineingezogen hatte; aber aus was Zach ihn herausgezogen hatte, stand ihm deutlich vor Augen, und er segnete seinen Freund, wo immer er gerade sein mochte.

Dieser neue Einsatz, auch wenn er mindestens so geheimnisumwittert war wie frühere Jungensspiele, schien die erste vernünftige Entscheidung, die die Armee über ihn gefällt hatte. Jeder in seiner Gruppe beherrschte zumindest eine europäische Sprache. Er sprach ausgezeichnet Französisch und konnte sich auf Spanisch, Italienisch, Deutsch und Griechisch verständigen. Seine OSS-Ausbilder waren sich offenbar im Unklaren, ob sie ihn zum Spion schulten oder zum Guerillakämpfer, doch beide Tätigkeiten schienen ihm angetan, sein Gehirn in Gang und seinen Körper wach zu halten. In Alabama hatte er im Sterben gelegen.

Das Rückfallfieber verschwand in der gesünderen Luft von Washington. Sie hatten tagsüber Unterricht und nachts Übungen, stolperten durch die Wälder, um sich an Wachposten anzuschleichen, die auf sie warteten, sie versuchten, ein Nebengebäude zu erobern, das eine feindliche Befehlsstelle darstellte, oder mit Übungssprengladungen einen Schuppen in die Luft zu jagen, der ein Munitionslager darstellte. Sie überfielen aus dem Hinterhalt Fahrzeuge, die auf der nahe gelegenen Straße hin- und herfuhren, und hetzten einander durch die Wälder und über den Golfplatz, auf dem das Gras inzwischen kniehoch wuchs. Sie übten Minenlegen an den Wänden des Schwimmbeckens.

Es war nicht unbedingt eine interessante Landschaft, die mit weißen Schindeln verkleidete Offiziersmesse, die Garagen und die in aller Eile errichteten Nissenhütten, die neuer Nutzung zugeführten Nebengebäude, aber er ertappte sich dabei, wie er die Eichen vor der Veranda skizzierte, das Glitzern des Sonnenlichts auf den langen Lanzen des Magnolienlaubs. Niemand hier nannte ihn eine Schwuchtel, wenn er zeichnete.

Von den Männern seiner Gruppe zog er zwei den anderen vor. Carey war ein in kleinen Zeitschriften veröffentlichter Dichter gewesen, Aaron Graveur. Beide sprachen fließend Französisch, und der Graveur Aaron konnte Holländisch, denn er war Holländer gewesen, ein jüdischer Emigrant, für den Verwandte in den Vereinigten Staaten gebürgt hatten, nachdem ihm die Flucht nach Schweden gelungen war. Ein Jahr lang hatte er nun in Sicherheit gelebt. Er war eins fünfundsechzig groß, kräftig gebaut, mit karottenroten Haaren, die Jeff an seine Krankenschwester Betty Jo erinnerten, und katzenartigen Topasaugen. Er war ein auffällig aussehender Bursche, aber hielt nichts von Palaver. Selbst bei den Übungen im Töten war er effizient, aber phlegmatisch.

Carey redete genug für alle drei. Er hatte an einer Mädchenschule Englisch unterrichtet, im nördlichen Teil des Staates New York, was für ihn dem Nordpol gleichkam. Er stammte aus dem Shenandoahtal in Virginia, obwohl seine Mutter, so erzählte er ihnen bei jeder Gelegenheit, eine Culter aus Roanoke war. Er war mit seiner zweiten Kusine dritten Grades verlobt gewesen und häufig mit ihr ausgeritten, doch sie hatte ihm den Laufpass gegeben und einen Marineflieger vorgezogen. Er war ganz entzückt, wieder in der Zivilisation zu sein, die in Maryland begann und hinter North Carolina aufhörte, mit Ausnahme von Savannah, das er kultiviert fand, und vielleicht noch Charleston, obwohl er dort entsetzliche Verwandte hatte, ausgesprochen kläffige Leute, wie Hunde.

Jeff dachte, wahrscheinlich war Carey das, was Zach ihn schwul zu nennen gelehrt hatte, aber von ihm wollte Carey nur brüderliche Zuwendung. Jeff hatte gelegentlich Sex mit Männern gehabt, angefangen beim gegenseitigen Masturbieren mit dreizehn in einem Heuschober. Nur ein einziges Mal hatte er mit einem Mann den Liebesakt vollzogen, und das war mit Zach. Er fand im Geschlechtsverkehr mit einem Mann keine sinnliche Befriedigung, und er hatte den Verdacht, dass Zach ihn keineswegs überwältigend attraktiv fand. Zach mochte sie roh und rau. Er meinte, dass Zach ihn verführt hatte, um so seine Vorlieben darzutun und um eine Art droit de seigneur auszuüben. Jeff liebte Zach auf eigene Art, und dieser kurze Anfall sexueller Bindung im Alter von zwanzig war Teil seiner Erziehung gewesen. Von Zeit zu Zeit, in einer seiner Landstreicherphasen, hatte er Geschlechtsverkehr mit einem Mann als Mittel, für eine Mitfahrt oder ein Nachtquartier zu bezahlen. Mit Männern geschlafen zu haben war Teil seiner Bildung, ein Code, den er gelernt hatte und der Dingen einen Sinn gab, die sonst an ihm vorbeigegangen wären.

So hatte er nun fast ohne sein Zutun zwei Freunde. Viele der Männer, die mit ihm in der Ausbildung waren, sah er als Mitglieder künftiger Altherrenriegen: Sie gehörten der gleichen Verbindung an. Dieser ehemalige Country Club bot eine andere Atmosphäre als die Brutalität und das Plattwalzen auf den niedrigsten gemeinsamen Nenner seiner ersten Militärerfahrungen oder das kleinliche und rücksichtslos wetteifernde Durchschlängeln in den Offizierslehrgängen. Hier dagegen war Grips nicht etwas, was einem unbedingt ausgeprügelt werden musste. Vielleicht war dies hier die Truppe der schwarzen Schafe, dachte er oft, und dann fielen ihm die durchreisenden Wirtschaftsjuristen auf und die jüngeren Söhne von Bankiers.

Er lernte, Waffen zu benutzen, die nicht zur Grundausbildung gehörten, lernte, lautlos zu töten, mit einem Messer, mit den Fingern und sogar mit einer zusammengefalteten Zeitung, die als Behelfsdolch in den Bauch oder direkt unter dem Kinn in den Hals gestoßen wurde. Er lernte, Funkgeräte zu bedienen, mit Codes umzugehen, Karten zu lesen, zu beobachten. Wo waren die Arsenale? Die Depots für Waffen und Munition und Öl? Die Treibstofflager? Welche Eisenbahnlinien waren in Betrieb und was wurde wann darauf transportiert? Die Flugabwehrstellungen? Jeff war ein schlechter Funker, seine Funksprüche langsam und voller Fehler. Er hasste den Morsecode.

Er tat sich jedoch in einem Test hervor, bei dem ihnen auf einer Leinwand zwanzig Sekunden lang Personenfotos gezeigt wurden, unter deren Gesicht Name, Alter, Beruf und Adresse eingeblendet waren. Dann wurden ihnen die Fotos noch einmal dreißig Sekunden lang ohne den Text und in willkürlicher Reihenfolge gezeigt, und sie mussten alles aufschreiben, was sie sich von dieser Person noch ins Gedächtnis rufen konnten. Jeff brachte die Gesichter nicht durcheinander. »Ihr schaut hin, aber ihr seht nichts!«, schimpfte der Ausbilder, aber zu Jeff sagte er das nicht.

Er begann, mit Aquarellfarben zu malen, eine Zwischenstation. Er malte an den Ufern des Potomac. Er wanderte durch die Landschaft Virginias und merkte, wie er wieder in Ölfarben zu denken begann, den Farbtönen, der Struktur.

Allmählich bekam Jeff einen Eindruck von der OSS-Struktur. OSS hatte als völlig andere Dienststelle begonnen, als COI – Coordinator of the Office of Information, Koordinator des Informationsdienstes –, aber weil Robert Sherwood und Wild Bill Donovan nicht miteinander ausgekommen waren, gab es jetzt ein Office of War Information, ein Amt für Kriegsinformation, zuständig für Propaganda, und den Dienst, dessen langer Arm ihn aus dem Sumpf gezogen hatte, OSS.

OSS hatte eine Abteilung SI – Secret Intelligence –, den Geheimdienst, der Spione führte. Jeffs Abteilung war Special Operations – Sonderoperationen –, und er ging davon aus, dass er bald genug herausfinden würde, was genau die tat und mit wem und wo. R & A war die Abteilung für Recherche und Analyse und voller Akademiker. MO – Moraloperationen – erzeugte sogenannte schwarze Propaganda, die die Kampfmoral des Feindes unterminieren sollte. X-2 war die Spionageabwehr. Eine weitere Abteilung arbeitete an Geheimwaffen, unsichtbaren Tinten, Agentenschnickschnack.

Seine zwei Ausbildungsmonate vergingen rasch. Dann erhielt er achtundvierzig Stunden Urlaub, bevor er sich nach England einzuschiffen hatte. In New York musste er umsteigen, und als er von der Pennsylvania Station zur Grand Central hastete, überlegte er, ob es nicht Blödsinn war. Vielleicht sollte er sein letztes Wochenende lieber mit einer Frau verbringen, wie er sie in New York bestimmt fand. Doch nein, er wollte Brachvogel sehen, und er wollte sogar seinen Vater sehen.

Die Temperatur pendelte um achtunddreißig Grad; Schweiß durchweichte seine Uniform. Er musste den größten Teil der Fahrt nach Boston stehen, aber im Bus nach Bentham bekam er endlich einen Sitzplatz. OSS war lockerer als die übrige Armee, und er hatte schon früher aufbrechen können, mit einem Vorsprung auf sein Wochenende.

Er hatte nach Hause telegrafiert. Der Professor und Bernice warteten beide am Busbahnhof. Er fühlte sich schmuddelig und halb gekocht, aber Bernice reichte ihm seine Badehose und warf sein Zeug auf die Ladefläche des geliehenen Kastenwagens. »Was ist mit dem Austin?«

»Der ist auf Kriegsdauer aufgeblockt. Bernice hat diese absurde idée fixe, dass du sofort im Teich baden möchtest«, sagte der Professor.

»Das ist das Einzige, was mich wiederbeleben kann. Wessen Wagen ist das?«

Bernice, die am Steuer saß, antwortete. Sie war braungebrannt und grinste. »Er gehört einem Freund vom Flugplatz. Du ahnst gar nicht, wie vorteilhaft es für ihn ist, uns das Ding mit Benzin und allem zu borgen. Dafür werde ich die Tragfläche seines Flugzeugs reparieren, an der die Bespannung beschädigt ist.«

»Bernice fliegt an drei Tagen in der Woche für die Regierung«, sagte der Professor so griesgrämig, wie er nur konnte. Sie schuckelten dahin, auf der Sitzbank der Fahrerkabine zusammengezwängt.

Bernice hatte ihm alles über ihre Flüge geschrieben. »Ich kriege meine Verkehrspilotenlizenz, Jeff, ja, wirklich. Aber ich habe nicht genug Flugstunden für WAF, Women in the Air Force. Sie nehmen nur die besten Pilotinnen, Frauen mit Hunderten von Stunden mehr als ich. Aber diesen Herbst kriege ich meine Verkehrspilotenlizenz.«

Als er auf dem Rücken im Round Pond lag und die Schreie der Kinder wie eine Schar bunter Sittiche im seichten Wasser hörte, strömten die Erinnerungen auf ihn ein. Er war an diesen Teich gewöhnt, und dieses Bad war eines einer endlosen Reihe, bildete mit Hunderten anderer über die Jahre hin eine Kontinuität. Er war der siebenjährige Jeff und planschte mit Mutter und Schwester. Er war der dreizehnjährige Jeff und tauchte vom Pier und schnitt sich an einer zerbrochenen Flasche die Hand klaffend auf. Er war der sechzehnjährige Jeff und lag mit Zach und zwei Mädchen vom Smith College auf einem Floß und trank seine ersten Martinis, von Zach gemixt. Er war der einundzwanzigjährige Jeff und bumste am vierten Juli, dem Nationalfeiertag, Harriet Hacker unterm Viertelmond, während über dem Wasser das Feuerwerk verpuffte. Er war der fünfundzwanzigjährige Jeff und erholte sich zu Hause von einem Tripper und einer Prügelei.

Werde ich sterben?, fragte er und antwortete sich dann: Aber ja. Jeder stirbt. Er versuchte sich seinen Tod vorzustellen, und ihm wollte nur ein Gefühl einfallen, in tiefes Wasser zu sinken, einzuschlafen und dabei wach zu bleiben.

Er dachte wieder kurz daran, mit einer Frau zu schlafen, und hatte schon begonnen, eine Liste möglicher Kandidatinnen in der Stadt durchzugehen, da drehte er sich um und kraulte zielstrebig auf das Floß zu, auf dem Bernice sich sonnte. Der Professor saß am Ufer an einem Campingtisch und las. Die Gesellschaft von Brachvogel war es, die er brauchte, aber hier konnte er nicht richtig mit ihr reden. Er wusste noch, wie Stimmen über das Wasser trugen, und erinnerte sich, wie er aus dem Wasser kam und die kleine Rothaarige draußen auf dem Floß zu Zach sagen hörte, sie habe Angst, sie sei schwanger.

»Lass uns nach Hause gehen«, sagte er. »Ich habe Hunger. Du musst mich aufpäppeln.« Er wollte sich mit ihr in die Küche zurückziehen, damit er ihr davon erzählen konnte, wie er in Alabama fast gestorben war, wie ihn hirnlose Trägheit verschluckt hatte. Wie demoralisierend es gewesen war, seine Energie, seine Vision, sich selbst zu verlieren. Wie er erst mit dem Malen aufgehört hatte, dann mit dem Zeichnen und zuletzt sogar damit, wie ein Maler zu denken. Wem sonst durfte er gestehen, dass er drauf und dran gewesen war, alles zu verlieren, was er in sich wertschätzte, dass er sich schließlich als ein zerbrechliches Gefüge über einem Sumpf belangloser Triebe und äußerst belangloser Bedürfnisse und Ärgernisse gesehen hatte?

Wenn er mit dem Malen aufhörte, verlor er seine Vergangenheit, die dann nicht mehr die Wanderschaft eines verkannten und zurzeit nicht gefragten Malers war, sondern einfach das leere Umherirren eines Tippelbruders. Wenn er mit dem Malen aufhörte, verlor er seine Zukunft, denn wer wollte sich schon ein Leben aus Gelegenheitsarbeiten in elenden Nestern vorstellen? Er hatte nie geglaubt, dass er je mit dem Malen aufhören könnte, doch er hatte es getan. Das machte ihm Angst.

Er überlegte, ob er seine französische Staffelei mit aufs Schiff nehmen sollte. OSS war großzügig beim Schiffsgepäck der Offiziere. Wahrscheinlich zu sperrig. Er wollte lieber die teureren Farben mitnehmen. Wenn er mit ihr redete und ihr klarer Kopf sein Leben umfing, wahrhaft sah, dann gelang ihm sicher, es zu verstehen. Und anzunehmen. Und weiterzuleben. Dann fühlte er sich zweifellos wieder als ein Kind des Schicksals, der günstigen Fügung, und das Glück, das ihn aus dem Morast der Trägheit und dem Sumpf der Verzweiflung gezogen hatte, das Glück, das im Augenblick den Namen Zach trug, würde irgendwann andere Gestalt annehmen und ihn voranwinken.

Menschen im Krieg – Gone to Soldiers

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