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Spickzettel

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Überlegt man, wie Spickzettel entstehen, muss man doch sagen, dass die Anfertigung gewisse Kenntnisse und Fähigkeiten erfordern. Im Wörterbuch weist „spicken“, im Synonymwörterbuch auf „bestechen“ hin und dort wiederum auf „eine Belastung bis zum Ende aushalten“. Belastung könnte auch als Schwerstarbeit ausgelegt werden. Da kann man schon ins Schwitzen kommen. Es wird aber auch auf „abschreiben oder unerlaubt von einem anderen übernehmen“ hingewiesen. Also muss doch der Spickzettelbenutzer so eine Art Mutprobe bestehen.

Ein Stichpunkt sollte so sein, dass er Gedankenfolgen auslöst. Das ist Lernarbeit und es erfordert gewisse Fertigkeiten, wie man nach Stichpunkten arbeitet. Man lernt und im Grunde genommen kann man den Lehrstoff, fühlt sich aber im Besitz der kleinen Zettel sicherer.

Es erfordert Phantasie und Nachdenken, wie der Helfer in der Not so angebracht wird, dass man nicht erwischt wird. Vielleicht löst beides, benutzen und verstecken, bei diesem oder jenem einen Adrenalinkick aus.

Und nebenbei gesagt, wenn ein leistungsschwacher Schüler dieses Hilfsmittel anwendet, warum soll ein Lehrer nicht einmal großzügig sein und diesem schwitzenden, angsterfüllten Prüfling ein Erfolgserlebnis gönnen?

Jetzt wird sich so manch ein Schüler die Hände reiben: „Oh, fein! Eine Anleitung für Spickzettel! Das probiere ich aus!“

Vorsicht! Auch ein Lehrer ist nicht ohne Möglichkeit. Wenn er hinter der Klasse steht und nur Schülerrücken sieht, wird es gefährlich. Dem kriminalistischen Lehrerauge entgehen nicht die kleinsten Bewegungen oder unauffälligsten Regungen, die nicht zur Kontrollarbeit gehören. Und Angst im Rücken macht unsicher. Der Erfolg für den Lehrer ist garantiert.

Heute würde ich es nicht riskieren und das Spicken unterlassen. Lieber eine ehrliche Fünf als einen bestrafte Sechs.

Diese beliebte Schülertätigkeit machte mich neugierig, auch deshalb, weil manch einer behauptet, er hätte nie Spickzettel angefertigt. Wer das glaubt?

Nach Schulabschluss sagte ich zu einem Einser-Schüler: „Ich glaube, dass du deine Leistungen auch ohne solche Hilfsmittel erreicht hättest!“ Die Antwort: „Da wäre ich ja blöd gewesen. Sie glauben falsch, ich kenne alle Tricks!“

Wie war nun meine Spickzettelzeit? Wie die meiner Schüler? Vergleiche ich, so muss ich feststellen, dass sich die Anfertigung nicht geändert hat, aber sie waren phantasieloser, fast primitiv versteckt. Kleine Zettel in der Federtasche oder in den Unterlagen, auf die Bank geschrieben oder auf das Lineal, mit Sicherheitsnadeln in der Jacke befestigt, mehr nicht. Es kann natürlich auch sein, dass meine Lehrer solche Aktionen nicht kannten, denn wir wurden nie erwischt. Aber ich muss gestehen, Spickzettel waren bei den Arbeiten auch meine treuen Begleiter.

In meiner langjährigen Lehrertätigkeit konnte ich feststellen, dass sich Spickzettel der schulischen und technischen Entwicklung anpassen. Die altbewährten Methoden der Eltern werden zwar noch angewandt, aber neue waren auf dem Vormarsch, mussten aber erst ergründet werden. Und Vorsicht! Schüler sind erfinderisch!

Meine Schüler suchten während der Kontrollarbeiten sehr häufig die Toiletten auf und bewiesen beim Verstecken ihrer Nothelfer eine reiche Phantasie. Es ergaben sich drei Möglichkeiten der Hilfestellung:

Beim Gang zur Toilette wurde dem Hilfebedürftigen unauffällig ein vorbereiteter Zweitzettel zugesteckt.

Im Schulflur boten die zahlreichen Grünpflanzen und Blumentöpfe hinreichend Gelegenheit, diverse Lösungen unterzubringen.

In der Toilette wurden genügend Möglichkeiten des Versteckens gefunden, hinter dem Spiegel, am Spülkasten usw.

Auch boten die Etikettierungen der Trinkflaschen so ihre Möglichkeiten. Winzig klein geschrieben und ein Adlerauge halfen bei der Klassenarbeit. Spürte man die Nähe des Lehrers, wurde zur Flasche gegriffen und getrunken. So wurde das verdeckt, was der Lehrer nicht sehen sollte.

Als dann die Kugelschreiber aufkamen, wurden auch diese bei Kontrollen eingesetzt, aber nicht immer zum Schreiben.

Mit Argusaugen beobachtete ich meine Schüler. Da fiel mir auf, dass Kulis durch die Klasse flogen, mit der Begründung von den angeblich vergessenen Schreibmitteln. Ich half aus und kassierte einige dieser Corpus delicti ein. Während der Aufsicht spielte und drehte ich an einem der Stifte, ohne eine bestimmte Absicht zu verfolgen. Plötzlich hielt ich die Teile in der Hand: Zwei Hülsen, eine Feder, eine Mine und ... einen Spickzettel.

Eine weitere Möglichkeit war, den Spicker auf die Innenfläche der Hand zu schreiben. So auch eine Schülerin. Nur dachte sie nicht daran und gab mir die Hand zur Begrüßung. Ich ließ sie die Arbeit schreiben und kontrollierte dann die Hand, aber nicht auf Sauberkeit. Der Handspickzettel wies Fehler auf und somit auch die Arbeit. Erkenntnis: Auch die Anfertigung erfordert die nötigen Kenntnisse. Ein Spickzettel kann übrigens auch den Hunger stillen. Ein ehemaliger Schüler verriet mir nach Jahrzehnten, dass er vor lauter Angst den Spickzettel in den Mund steckte, kaute und verschluckte. In der Not isst man Spickzettel auch ohne Brot. Die elterliche Strafe war so einprägend, dass er, wie er mir versicherte, nie wieder eine derartige Schummelei beging.

Nach Abschluss einer zehnten Klasse sollten mir die Schüler doch einmal ihre Tricks verraten. Und das taten sie mit Freude, denn sie hatten ja mit dieser Möglichkeit die Lehrer hereingelegt. Übrigens, ihre Tricks waren mir alle bekannt, bis auf einen. Ganz einfach herzustellen und jedes Mal mit einem Erfolgserlebnis. Ein mit den wichtigsten Hinweisen beschriebener Bierdeckel wird mit einer Reißzwecke locker unter der Bank befestigt. Naht ein Lehrer, wird der Deckel mit dem Oberkörper wieder unter die Bank geschoben.

Es hat den Anschein, als würde es Spickzettelerfinder geben.

Eine Möglichkeit soll aber noch genannt werden, eine leere Heftseite.

Ein nicht gerade fleißiger, mittelmäßig begabter Schüler der 10. Klasse sollte seinen Hausaufsatz vorlesen. Flüssig, ohne zu stocken, las er vor. Ein toller Aufsatz! Zu gut! Das machte mich stutzig und rief Erinnerungen hervor. Ich wollte ihn sehen. „Nee, das ist geschmiert, das können sie nicht lesen.“ Ich bestand darauf und sah ihn an, denn ich hielt die leere Heftseite in der Hand. Er wiederum sah mich jetzt verdattert an: „Wie haben sie das denn so schnell rausbekommen?“

„Der Aufsatz war zu gut und außerdem, bin ich auch einmal in die Schule gegangen. Übrigens: Wenn dem Esel zu wohl ist, geht er aufs Eis tanzen.“ Ich konnte ihm doch nicht sagen, dass ich bereits in der 7. Klasse mit dieser Art der Aufgabenbewältigung sowie mit diesem Sprichwort meine Erfahrungen gesammelt hatte.

Allerdings kam ich auch meinen Schülern entgegen und gestattete ihnen einen im Unterricht gelernten Satz mit dem Gebrauch von „das und dass und den sich daraus ergebenen Kommaregeln“ als Spickzettel zu benutzen. Diesen durften sie als ständigen Begleiter in der Federtasche haben und jederzeit, außer beim Diktat, beäugen. Der jahrelange Gebrauch festigte ihre Kenntnisse und die späteren Abschlussarbeiten (ohne Benutzung) bestätigten den Erfolg eines vom Lehrer gestatteten Spickzettel.

Nun wird so manch einer sich ärgerlich äußern, dies wäre eine Anleitung für den Gebrauch illegaler Hilfsmittel. Da kann ich beruhigt sagen, dass die Schüler mehr von diesen Hilfsmöglichkeiten kennen, als der Lehrer glaubt. Das erfahren sie schon von den Eltern und Großeltern, wenn diese aus ihrer Schulzeit erzählen.

Die altbewährten Methoden der Eltern werden zwar noch angewandt, wurden weiterentwickelt, aber noch raffiniertere Methoden sind auf dem Vormarsch, die auch der modernen Technik entsprechen.

Schüler sind erfinderisch und Lehrer, die in die heutige Zeit hineingewachsen sind, werden die neuen Spickzettelmöglichkeiten ergründen.

Diese und auch viele andere Probleme, die auf ihn zukommen, werden der Inhalt seiner Lehrertätigkeit sein. Ein Lehrer sollte aber nie vergessen, dass er selbst einmal Schüler war. Denn nur dann kann er sich in die Gedankenwelt und Handlungen seiner Zöglinge hineinversetzen und sie verstehen.

Im Schulalltag muss er sich bewähren und dieser sollte kontinuierlich und durch Regelmäßigkeit bestimmt sein.

Doch trotz dieser Regelmäßigkeit und Pflichtbewusstsein bieten viele kleine, heitere Momente eine Aufhellung des Schulalltags. Der Lehrer muss sie nur finden und nutzen.

Aber hier soll noch nicht von Unterrichtsstunden die Rede sein, sondern von Schülererinnerungen, die immer wieder zum Schmunzeln und Lachen verführen, nämlich die

Schulzeit – eine Zeit schöner Erlebnisse?!

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