Читать книгу Das eigene Maß - Margrit Hasselmann - Страница 7
ОглавлениеAuf einer Betriebsfeier stehen zwei schlanke Mittfünfzigerinnen vor üppig angerichteten Platten. „Ich esse ja eigentlich keine Kohlehydrate mehr nach 18 Uhr“, sagt die eine entschuldigend zur anderen.
Bei einer Hochzeit wird das abendliche Buffet eröffnet. Während die anderen Gäste zu den Tellern greifen, bleibt ein junges Paar sitzen: „Wir machen seit ein paar Monaten Intervallfasten.“
Eine Frau feiert ihren 40. Geburtstag und seufzt mit verschämtem Blick auf ihren Kuchenteller: „Heute ist mein Cheat Day!“
Drei von vielen, alltäglichen Szenen, die wir so oder so ähnlich jederzeit erleben können. Menschen, die sich überlegen, was sie essen „dürfen“, die sich an wechselnde Ernährungsempfehlungen halten, über ihre neueste Diät berichten. Schon Teenager konkurrieren um den höchsten Gewichtsverlust, in der Kantine geht es darum, wer warum auf welche Nahrungsmittel verzichtet, und Partygespräche kreisen um die beste Ernährungsform.
Doch was heißt es eigentlich, wenn jemand einen „Cheat Day“ ausruft – also schummeln muss – um sich seine eigene Geburtstagstorte zu erlauben? Welche Bedeutung hat Essen, wenn eine Essenseinladung die Angst zu „sündigen“ hervorruft? Wenn mit schlechtem Gewissen oder anschließender Reue gegessen wird?
Dieses Ringen um Essen oder Nichtessen und die richtige Ernährung wird nicht nur in der täglichen Anschauung deutlich. Es drückt sich auch in Zahlen aus: Laut der Studie „So is(s)t Deutschland“ würden sich rund 85 Prozent der Befragten gern anders ernähren, als sie es derzeit tun.1 Jede vierte Zwölfjährige in Deutschland hat bereits Diäten gemacht um abzunehmen, jede Dritte ab 13 Jahren kontrolliert regelmäßig ihr Gewicht.2 Einerseits erleben wir in unserer Gesellschaft einen regelrechten Diätwahn. Andererseits gilt jeder vierte Erwachsene in Deutschland als adipös (fettleibig), ernährungsbedingte Krankheiten wie Diabetes nehmen zu.3, 4 Und schließlich gehören Essstörungen zu den häufigsten chronischen psychischen Störungen im Erwachsenenalter.5 Unser Essverhalten kann also zu Problemen sowohl für die körperliche als auch die seelische Gesundheit führen. Doch wie hängt das alles zusammen?