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Emotionales Essen

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Durch die emotionale Aufladung von Essen setzen wir Nahrungsmittel manchmal auch gezielt ein, um angenehme Empfindungen hervorzurufen: Beispielsweise im Sinne von Selbstfürsorge, wenn wir uns ein leckeres Essen kochen. Vielleicht motiviert man sich auch an einem anstrengenden Arbeitstag mit Süßigkeiten durchzuhalten oder „belohnt“ sich am Abend mit einem großen Teller Nudeln.

Daneben essen Menschen auch, um unangenehme Gefühle, Sorgen oder Ärger zu verdrängen. Die Verbindung von Essen mit Ablenkung, Beruhigung oder Trost lernen wir oft schon in der Kindheit kennen: Das weinende Baby bekommt nicht nur bei Hunger die Flasche, sondern auch, damit es aufhört zu weinen. Das Kleinkind wird bei einem Sturz mit ein paar Gummibärchen auf andere Gedanken gebracht. Auf diese Weise wird eine unangenehme Erfahrung durch einen anderen Reiz – hier: durch Essen – kompensiert. Diese gelernte Verbindung kann dazu führen, dass sich schon Kinder bei Einsamkeit oder Traurigkeit selbst mit Essen trösten – und sich noch als Erwachsene bei Problemen durch Knabbereien ablenken, vor Prüfungssituationen naschen, um die Anspannung zu lindern, oder versuchen zur Ruhe zu kommen, indem sie nachts nochmal zum Kühlschrank schleichen.

Kurzfristig kann Essen auch tatsächlich die Stimmung aufhellen: es lenkt vorübergehend ab, Belohnungsstoffe werden ausgeschüttet. Zuckerhaltiges stellt dem Körper schnell Energie zur Verfügung, die er in Stress-Situationen besonders braucht. Zudem wird Nahrung mit Sicherheit und Versorgung assoziiert – da liegt es nahe, in verunsichernden Situationen oder bei Einsamkeitsgefühlen zum Essen zu greifen.

Ob Nervennahrung, Trost- und Frustessen: Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich unser Essverhalten in herausfordernden Situationen oder in Momenten, in denen starke Gefühle vorherrschen, anpasst. Das können Empfindungen wie Stress, Frustration oder Traurigkeit sein, manchmal aber auch Glücksgefühle wie Verliebtheit. Nach repräsentativen Befragungen isst jeder dritte Deutsche bei Stress mehr als üblich.26

Natürlich ist es legitim, nach einem anstrengenden Tag mal zur Schokolade zu greifen. Wenn Essen allerdings regelmäßig als Belohnung oder Trost eingesetzt wird, kann das ungesunde Essgewohnheiten fördern: Man isst mehr, als man will, womöglich bis der Magen unangenehm spannt, oder ständig zwischen den Mahlzeiten. Vielleicht werden auch die Essensmengen immer größer: Hat früher ein Teller Nudeln ausgereicht, sind es neuerdings immer zwei oder drei Portionen. Allerdings entsteht meist kein wirkliches Wohlbefinden – denn die Probleme, die das Verlangen nach Nahrung ursprünglich hervorriefen, werden ja nicht gelöst.

Das Eating Behavior Laboratory der Universität Salzburg untersuchte in einer 2016 veröffentlichten Studie das emotionsbedingte Essen erstmals nicht unter Laborbedingungen, sondern im Alltag.27 Die Teilnehmenden dokumentierten mehrmals täglich per Smartphone, ob sie unter Stress oder Zeitdruck standen, ob bei ihnen positiv oder negativ empfundene Emotionen vorherrschten und ob sie jeweils aus Hunger oder aufgrund des Geschmacks aßen.

Während sich schlechte Stimmung bei manchen Personen appetitmindernd auswirkte, aßen die emotionalen Esser bei Traurigkeit, Ärger, Einsamkeit oder Langeweile deutlich mehr. Ebenso die Teilnehmenden mit einem hohen BMI. Vor allem Frauen und zwei Arten von „Ess-Typen“ griffen bei negativ empfundenen Gefühlen stark zu: Zum einen die so genannten „gezügelten Esser“, die ihre Nahrungsaufnahme normalerweise streng kontrollierten – unter Belastung aber zu Essanfällen neigten. Zum anderen die „externalen Esser“, die sich stark durch Sinneseindrücke zum Essen verleiten ließen.

Das „emotionale Essen“ hat bei einigen Menschen also einen großen Einfluss auf ihr alltägliches Essverhalten – und gegebenenfalls auf ihre Gesundheit. Denn auch medizinische Behandlungen, die zwingend eine Veränderung des Essverhaltens erfordern, etwa bei Diabetes, werden dadurch erschwert.

Bleibt Essen dauerhaft die einzige Bewältigungsstrategie, kann emotionales Essen zu zwanghaftem Essverhalten oder sogar einer Essstörung wie Bulimie oder Binge Eating führen. Für eine gesunde, ausgeglichene Beziehung zum Essen ist es daher wichtig, körperlichen von emotionalem Hunger zu unterscheiden, das emotionale Essen zu verstehen und andere Strategien zu erlernen, um mit Gefühlen umzugehen.

Was, wann und wie viel wir essen, entscheiden wir im Lauf unseres Lebens also zunehmend unabhängig von unserem Hunger- und Sättigungsgefühl. Gerade unsere Emotionen können körperliche Signale deutlich dominieren. All diese Faktoren, die unser Essverhalten, unsere Nahrungsauswahl und unsere Esskultur prägen, sind natürlich nicht trennscharf und beeinflussen sich wechselseitig. Was zusätzlich eine Rolle spielt: das finanzielle Budget, die Nahrungsmittelpreise, das individuelle Ernährungswissen und die Lebensmittelwerbung. Entscheidend sind zudem auch das Angebot und die Qualität der verfügbaren Nahrung, die sich in den letzten Jahrzehnten enorm verändert hat.

Das eigene Maß

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