Читать книгу Ich, eine schlechte Mutter - Marguerite Andersen - Страница 11
HOCHZEIT
ОглавлениеEs ist Januar, das Meer aufgewühlt.
Das Schiff schaukelt, alles schwankt um mich herum, ich erbreche, links, rechts, in meiner Koje, auf meine Kleider, im Klo, über Bord, ich übergebe meinen Mageninhalt, alles, bis auf den letzten Tropfen, und dann fängt alles wieder von vorn an. Liegt es daran, dass ich schwanger oder dass ich seekrank bin, ist es Angst vor dem, was ich in Angriff nehme? So oder so werde ich niemals diese jämmerliche Überquerung eines grauen, wintrigen Mittelmeers vergessen.
Hätte es nicht blau sein müssen, dieses Meer? Glücklich, ich? Die Stadt.
Tunis.
Warum ist die Luft so unbewegt, so grau?
Wo ist denn die Sonne?
Der Geliebte hat beim Rathaus das standesamtliche Aufgebot bestellt. Auf dass es alle zur Kenntnis nehmen.
So will es der Brauch. Das Gesetz. Die Welt hat zehn Tage Zeit, um Widerspruch einzulegen. Die Welt? Wer hätte einen Grund, wer ein Wörtchen mitzureden, wer einen Rat zu erteilen? Niemand.
Ich bin die Fremde in der Fremde, ich werde Ja sagen, eine Urkunde unterschreiben, einen anderen Namen tragen.
Der Geliebte hat sich auch verändert. Er ist nicht mehr der stolze Eroberer, der fröhliche Befreier meines Landes, er ist wieder der gleiche Beamte wie in seinem Leben vor dem Krieg.
Muss ich ihn heiraten?
Just, als ich die paar Stufen zur Tür des Rathauses hinaufgehe, wird mir mein Irrtum bewusst.
Heiraten, ich?
Mein Leben Tag und Nacht mit einem anderen teilen?
Wegen eines Kindes?
Wehr dich, Marguerite, ruf Halt, erkläre, dass du nicht heiraten wirst! Nicht heute, nicht ihn, und wenn du noch so schwanger bist, nein, du willst nicht heiraten … Du bist stark, du wirst allein zurechtkommen … Sag dem Mann und seinen beiden Trauzeugen, wir müssen umkehren, irgendwo ein Gläschen trinken, hier, in dieser Bar an der Ecke, und in Ruhe über alles reden. Sonnenkerne knabbern …
Ich gehe durch die Tür.
Habe ich das Recht, dem Kind seinen Vater vorzuenthalten?
Ob diese Frage sentimental ist?
Wer wird mir Antwort geben?
Das Kind kann sich nicht äußern.
Wer versteht die Sprache von Faustschlägen oder Fußtritten gegen die Gebärmutterwand?
Ein paar Sekunden lang
fern von meiner Familie
von allen, die ich wirklich kenne
allein
schwanger
durch meine Natur und meine Taten gezwungen, ein Kind im Werden zu bergen
bin ich verwirrt.
Was würde der Standesbeamte mit seiner unverhofften Freistunde anfangen, in seinem trostlosen Büro, in das die Sekretärin vielleicht noch einen Strauß aus blauen, weißen und roten Anemonen stellen wird, um die Zeremonie aufzuheitern?
Und ich? Was würde ich tun?
Das Meer, Europa, Berlin …
Da wird mir schwindlig
ich weiß nicht wohin.
Ich würde gern laut verkünden, das Aufgebot gehöre annulliert, getilgt, vergessen
ich sei keine glückliche Verlobte, keine Frau, die man heiratet, keine Mutter, die bereit ist, ein Kind aufzuziehen.
Ich würde mich gern setzen, hier,
auf dieser grauen Bank
in diesem Flur
mich ganz und gar ausweinen.
Liege ich falsch, liege ich richtig?
Wer wird es mir sagen?
Die Wörter wirbeln in meinem Kopf:
Affentheater, Farce, Unsinn …
Ich betrete das Büro, in dem die Ehe geschlossen werden wird.
Der vermeintliche Ausgang führt in ein schwieriges Leben.