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6: Troisdorfer Kommissariat, 12 Uhr

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Die großen Fenster durchfluteten das Treppenhaus im Troisdorfer Polizeigebäude mit viel Tageslicht und ließen den Flur mit graublauem Teppichboden wohnlich erscheinen. Der Besprechungsraum im 2. OG des Kriminalkommissariates West füllte sich. Nikki und Sven hielten die Kaffeemaschine in Gang. Die Küchenzeile wurde von der ganzen Abteilung benutzt. So war eine kunterbunte Auswahl an Gebäck und süßen Naschereien zu finden. Jeder legte seine Akten auf die beiden aneinandergereihten Tische mit den blauen Polsterstühlen und so sah der Raum bereits nach fünf Minuten aus wie ein Schlachtfeld. Auf der übergroßen weißen Magnettafel stand: Tötungsdelikt Heinrich von Berg mit den Fotos und den Ergebnissen des Protokolls am Fundort. Hitzige Debatten führte Guido mit Otto Knopp. Dieser schlaksige, sportliche große Junge, dessen Hobby Marathonlauf war, der nach eigenen Worten ein super Kommissar werden wollte, saß neben Otto, dem rothaarigen untersetzten Mann. Ottos Hobby war diskutieren. Recht bekam bisher niemand bei ihm. Frank ließ ihn sich an Otto austoben, der würde Guido schon zurechtstutzen. Kaspars schlohweiße Haare erschienen im Türrahmen. Nikki flitzte schnell zwischen den Stühlen, um zwei Kaffeekannen abzustellen und auf dem Platz des Chefs seine Vollmilch-Schokolade bereitzulegen. Kaspar nahm neben Frank Platz und breitete seinen blauen Ordner aus. Alle wussten, wenn dieser blaue Ordner mit dem lachenden Delphin, auf dem Tisch lag, war die Sitzung eröffnet. Kaspar sah Ottos hochroten Kopf und neben ihm das gereizte Gesicht von Guido.

„Ich muss de Otto vom Kollejen Guido erlöse“, dachte er sich.

„Bitte Otto, beginne“, beendete Kaspar die Diskussion und richtete seine wachen Augen nur auf Otto.

„Die eingerissene Innentasche fand sich an der Weste aus Büffelleder. Beim sorgfältigen Umstülpen des Innenfutters fanden sich feine Krümel von getrockneten Blättern mit säuerlichem Aroma. Im Gewebe des karierten Jägerhemdes war nicht nur abgelagerter Gestank von erbrochenem Tabak, sondern auch feinste Reste der Tabakblätter im Gewebe.“ Otto schaute kurz auf seine Notizen. Dann fuhr er fort: „An der Jägerhose fanden sich aufgerissene Taschen. Dieses Blatt Nr. 65 aus seinem Heimatbuch übergaben wir bereits am Tatort. Der verdeckte Reißverschluss an der Innentasche war unversehrt. Wir haben diesen eigenartigen Tabakgeruch als virginischen Tabak lokalisiert. Virgin ist eine Pflanzenart aus der Gattung der Nachtschattengewächse. In den getrockneten Blättern kann der Nikotingehalt auf etwa 9% ansteigen. Lediglich die Samen sind frei. Nikotin hat auch eine insektizide Wirkung und wurde daher früher als Pflanzenschutzmittel eingesetzt. Aufgrund der hohen akuten Toxizität dieses Nikotins, ist man von dieser Praxis abgekommen. In den Blättern schwankt der Gehalt dieser Stoffe relativ stark. Beim Rauchen wird die Giftigkeit im Vergleich zum Verzehr verringert.“ Anerkennend schauten die Kollegen auf Otto.

„Der hat ja echt was drauf“, dachte sich Guido, hielt sich aber im Hintergrund, er war noch nicht fertig mit Ottos Wichtigtuerei während ihrer Diskussion.

„Da stellt sich mir die Frage, wo wird diese Pflanze angebaut? Woher stammen diese getrockneten Blätter?“ Kaspar schaute erwartungsvoll auf Otto und schwenkte seinen Kopf in die Runde.

„Eine heimliche Tabakplantage wäre auf kleinstem Raum möglich“, meinte Otto dazu.

„Die Suche nach der Tabakpflanze würde uns im Moment aufhalten“, sagte Kaspar.

„Wie weit seid Ihr mit den Fingerabdrücken und Fußspuren?“, informierte sich Frank.

„So schnell sind wir auch nicht, wir brauchen noch Zeit, unsere Spuren mit den Fremden abzugleichen“, unterstrich Otto.

„Und die roten Armbandstreifen?“, wollte Guido wissen.

„Wurde irgendwas Brauchbares gefunden, womit eine Fesselung vollzogen wurde?“, schloss Kaspar sich Guido an. „Ja, ein winziges Stück weiße Nylonkordel. Die roten Streifen rühren von einer weißen Kordel, die in jedem Baumarkt zu kaufen ist.“

„Sie ist noch in der KTU und wird auf Spuren des Opfers untersucht. Wenn ja, wird auf andere Spuren untersucht“, berichtete Otto weiter.

„Untersucht Ihr zuerst, ob die Kordel die Fessel von Heinrich von Berg war und dann ist das Fundstück wichtig genug, um auf andere Spuren überprüft zu werden“, schob Guido hinterher.

„Maach halvlang, Guido“, wies Kaspar ihn zurecht und kümmerte sich nicht darum, ob er verstand was er meinte. Ottos Haut wurde inzwischen stark durchblutet. Immer wenn er im Stress war, glich er einer Blutorange. „Du bist ja ein ganz schlauer“, konterte Otto unwirsch in Richtung Guido.

„Danke, Otto“, brummte Kaspar. „Der Guido schwad sich de Muul in Franse.“ Er wusste, dass Otto auf heißen Kohlen saß, um seine Untersuchungen fortzuführen. „Geh zurück in Dein Labor.“

Frau Dr. Blum öffnete leise die Tür. Ein allgemeines Murmeln, „Guten Morgen Frau Staatsanwältin“, begleitete sie bis zu ihrem Stuhl, wie immer am Kopfende.

„Bitte, Herr Heimberg, machen Sie weiter“, ordnete sie in Richtung Kaspar an.

„Die Frage stellt sich, hat der Täter die getrockneten Blättern in einem Sud aufgelöst? Und wie hat man ihm das Gift eingeflößt? War das noch möglich nach dem Schlag auf den Kopf?“ „Ich habe den Virginischen Tabak medizinisch lokalisiert“, erklärte Dr. Wilfried Winkler, der eben den Raum betrat.

„Mögliche Symptome: Leichte Nikotin-Vergiftungen äußern sich durch Schwindel, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Schwitzen, Kopfschmerzen und ggf. Zittern der Hände. Schwere Vergiftungen können mit Kreislaufkollaps, kaltem Schweiß, Krampfanfällen und Bewusstseinsverlust einhergehen und durch Herzstillstand zum Tode führen. Gift der virginischen Tabakpflanze befand sich auch im Blut. Also wurden die Blätter aufgebrüht. Zusätzlich waren noch kleine gemörserte Krümel im Magen. Der Täter wollte sicher gehen. Todesursache war Gifttod. Und der Schlag auf den Kopf führte nicht zur Bewusstlosigkeit, er konnte noch schlucken.“

„Was sagt die Kopfwunde dir, Wilfried?“, fragte Kaspar.

„Er wurde von hinten mit einem Stein geschlagen, dies diente mit Sicherheit zur Ablenkung. Dann hat der Mörder ihn an Händen und Füßen gefesselt und vermutlich an einen Brückenpfeiler gelehnt.

Frank nickte, „wir haben Fasern seiner Kleidung an dem Pfeiler gefunden, sind noch bei Otto im Labor.“

Wilfried führte weiter fort. „Das Gift wurde ihm mit einer Flüssigkeit eingeflößt. Der Täter könnte dies mit einer Art Babyflasche vollzogen haben. Oder eine große Spritze ohne Kanüle. Die Druckstellen unter dem Hals zeugen dafür, dass er nicht freiwillig geschluckt hat. Ihm wurde immer wieder der Mund zugedrückt, damit er diese Flüssigkeit nicht sofort auswürgen konnte.“

„Und was hat der Täter danach gemacht?“

„Er hat ihm beim Sterben zugesehen und danach entfesselt und neben den Pfeiler gelegt“, beendete Wilfried seinen Untersuchungsbericht.

„Wie krank ist das denn?“, stellte die Staatsanwältin die Frage. Kaspar nickte. „Das war ein geplanter Mord bis ins Detail. Danke Wilfried.“

„Welches Motiv hatte der Täter?“

„Wahnsinn und unglaublicher Hass“, führte Frank aus. Jeder schätzte ihn in seiner gelassenen Art eine Situation auf den Punkt zubringen. Kaspar nickte.

„So schnell findest Du ein Motiv?“, platzte Guido heraus und schaute Frank schief an.

„Kollejen, wie weit seid Ihr mit möglichen Zeugen?“, erkundigte sich Kaspar laut, um die Lage zu entschärfen.

„Wir müssen noch vor Ort“, antwortete Frank und schüttelte leicht den Kopf in Richtung Guido.

„Und ich bespreche mit Justus Tanner die herausgerissene Seite des Heimatbuches“, sagte Kaspar und schloss die blaue Mappe. Wie immer am Anfang eines Falls, herrschte Nervosität und es war Kaspar noch nicht gelungen, dass ein Rädchen ins andere griff.

Sinnierend sagte er „Wat net ös, dat kann noch wäde.“

„Wir treffen uns morgen um 12 Uhr hier. Jeder weiß, was zu tun ist. Die Ergebnisse besprechen wir morgen. Als die Kommissare den Raum verlassen hatten, hielt die Staatsanwältin Kaspar Heimberg noch kurz am Arm.

„Sie müssen ein harmonisches Zusammenwirken Ihrer Abteilung im Auge behalten, Herr Hauptkommissar. Ich könnte Ihnen einen Fachmann für Coaching empfehlen.“ Frau Dr. Blum schaute auf ihre Uhr.

„Wir reden nächste Woche noch mal drüber.“ Kaspar schaute ihr unwirsch auf den Rücken. „Druck von ovve und von unge. Heinrich wat häs Du mir eenjebrok“, murmelte er vor sich her. Sein Kopf brummte und die Gedanken schossen wie eine Achterbahn. Sein Magen knurrte. „Ich muss zom Schorsch in die Wiertschaft, jett esse.“

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