Читать книгу Aus den Tiefen der Sieg - Maria Reinartz - Страница 15

8: In der Wohngemeinschaft

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Staunend hörte Tina zu. Sie war nicht auf den Mund gefallen, aber was hier abging verstand sie nicht. Der nervöse Straßenlärm drang jetzt abgeschwächt in die Wohnung. Tina ging zum Fenster und atmete tief ein und aus. Der Himmel war blau. Eingeklemmt schien der Innenhof zwischen Fronten von Hinterhöfen. Nur die windzerzauste Krone des Kastanienbaumes war das einzige Grün. Ihr Blick verlor sich im wilden Geäst.

„Darum müsste sich jemand kümmern“, dachte sie. Sie drehte sich um und sah Lissy mit einem schmerzverzerrten Gesicht. Diese unglaubliche Nachricht musste sie irgendwie verstehen. „Lissy, dass kann alles nicht wahr sein.“ Lissy kniff die Augen zusammen.

„Tina, dass ist wirklich passiert. Denkt mit mir nach, stellt mir Fragen, zwingt mich, den Tatsachen ins Auge zu sehen.“ In Lissys Stimme klangen Tränen. Für einen Moment herrschte im Raum vollkommene Stille. Tina umarmte sie. „Ich bin für dich da.“

„Dann fahre ich fort“, meinte Shukran verlegen.

„Informationen der Polizei: Heinrich von Berg, gestorben in Bergheim unter dem Pfeiler der Brücke am Bergheimer Siegufer, zehn Meter links neben der Gaststätte Siegfähre. Diese Fläche wird auch als Parkplatz benutzt und endet am Ufergebüsch der Sieg. Tina forschte nach: „Wer fand Deinen Vater?“ „und wer rief die Polizei?“, fragte Tina weiter. „Alex, der Wirt fand ihn.“ „Hast Du eine Kopie des Polizeiberichtes?“, wollte Tina wissen.

Lissy schüttelte den Kopf.

„Hm, Schitt“, meinte Tina. „Wusste Alex, warum Dein Vater dort war?“

„Diese Fragen haben bereits die Kollegen gestellt und die Antwort war unbekannt“, erregte sich Lissy.

Shukran wartete einen Moment und stellte die Frage: „Steht es für die Polizei fest, dass es ein geplanter Mord war?“

Lissy saß kerzengerade auf dem Stuhl und starrte ihn an. „Nein, das ist nur ein erster Verdacht.“

„Hatte die Brücke eine besondere Bedeutung für Deinen Vater?“, erfragte Tina. Lissy stützte ihren Kopf aufs Handgelenk. Die Verspannungen krochen den Rücken hoch bis zum Kopf.

„Ich weiß, dass die Brücke während der Bauzeit einstürzte. Vorher war dort ein Schafweideplatz. Vater wurde damals an die Unfallstelle zitiert, um an der Überprüfung der Bodenproben und den Berechnungen teilzunehmen. Das war fast genau an der Stelle, wo er tot gefunden wurde. Ob der Brückeneinsturz damit zu tun hat?“

Shukran glättete mit beiden Händen seine schwarzen Locken und nahm das Heimatbuch von Heinrich von Berg in seine Hände. Aufrecht sitzend, las er laut die Aufzeichnungen der Seite 65: … Es ist möglich, aber nicht erwiesen, dass der Graf Adolf I von Berg auch in Mondorf und Bergheim landeshoheitliche Rechte erwarb. Mit Sicherheit konnte er im 13. Jahrhundert Fuß fassen. Bedeutend war an der Unteren Sieg auch die Schafzucht. Die Tiere sind genügsam und mit mageren Weiden zufrieden. Erst wenn alle übrigen Weidetiere das Weidestück verlassen hatten, hatte das Schaf Zutritt. So lautet ein Sprichwort: ‚Wo eine Kuh hungern muss, werden noch 10 Schafe satt.‘ Aber auch dem Herzogtum Berg hatte die letzte Stunde geschlagen. Am 15.3.1806 verzichtete der in München residierende Max Joseph auf sein bergisches Herzogtum zugunsten Napoleons. (aus Schriften von Heinrich Brodeßer)

Welche Ländereien zu unrecht verteilt wurden und heute noch von einigen Städten unberechtigt als Eigentum angesehen werden, wird von Heinrich von Berg recherchiert.“

„Warum soll diese Ahnenforschung Deines Vaters einen Mord wert sein?“ In Lissys Augen blitzte ein Feuer. „Die Recherchen und mein Instinkt sagen es mir, dass musst Du mir glauben“, empörte sie sich über diese Frage. Tina und Shukran schauten sich besorgt an. „Ruhig, Lissy, natürlich glauben wir dir“, besänftigte Shukran Lissy.

Sie sahen wie Lissy immer mehr in sich zusammensackte. Ihre Energie war der Erschöpfung gewichen. Mit hängenden Schultern murmelte sie noch: „Ich muss an den Ort des Geschehens, fühlen, spüren, in mein Herz lassen und denken, aber jetzt bin ich unendlich müde.“ Sie schloss für einen Moment ihre Augen und versank in eine seltsame Mattigkeit. Sie nahm nicht mehr wahr, dass Tina in ihr Schlafzimmer ging.

Gefühlte hundert Klamotten raffte sie zusammen und stapelte diese auf den braunen Rattansessel. Tina war noch dabei, die zahlreichen Kuscheltiere und Kissen zu sortieren, da trug Shukran Lissy wie ein kleines Kind auf seinen Armen und legte sie aufs Bett. Ihre großen, braunen Augen schauten todmüde auf die beiden Freunde. „Danke“, flüsterte sie und Tina zog mit einem Kopfnicken die Tür bei. Shukran grinste, als Tina resolut die Klamottensammlung auf dem Sofa sortierte, um sie zu ordnen.

„Wenn ich hier nicht aufräume, würdet ihr wie Maulwürfe leben“, rief sie und blies sich ihre zerzausten blonden Haare aus den Augen.

Aus den Tiefen der Sieg

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