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ОглавлениеUnd dann begann für Julia das angstvolle Warten auf die nächste Menstruation.
Natürlich hatte sie keine Verhütungsmaßnahmen getroffen, Alles war so plötzlich gekommen. Auch wenn sie Robert gegenüber so getan hatte, als bestünde überhaupt keine Gefahr, war sie sich dessen durchaus nicht sicher. Sie wußte nur, sie wolle kein Kind haben — zumindest noch nicht. Aber sie fürchtete, wenn es denn doch passiert war, würde sie es nicht übers Herz bringen, das Kind abtreiben zu lassen.
Eine Freundin, der sie sich anvertraute, weihte sie in die Berechnungsmethode von Knaus-Ogino ein. Julia hatte zwar schon davon gehört, sich aber niemals damit beschäftigt. Obwohl die Freundin ihr versicherte, daß im Prinzip keine Befruchtung stattgefunden haben konnte, verließ die Unsicherheit sie nicht. Sie vermutete, daß die Freundin sie nur beruhigen wollte.
Sie besorgte sich einen Schwangerschaftstest in einer Düsseldorfer Apotheke, in der niemand sie kannte. Er fiel negativ aus. Ihre Furcht blieb dennoch bestehen. Vielleicht hatte sie ja etwas falsch gemacht, oder der Test war nicht in Ordnung gewesen.
Julia wurde von Tag zu Tag schmaler und blasser. Dabei mußte sie sich munter und gelassen geben. Mit Robert konnte sie über ihre Ängste nicht sprechen — und mit seiner Mutter schon gar nicht. Er würde das ungewollte Kind sofort in ihrer beider Zukunft einplanen, und das war mehr, als sie im Augenblick ertragen konnte. Und Ida Palmer würde ihr vorwerfen, daß sie das Leben ihres Sohnes ruiniert hätte.
Roberts Mutter, die nie herzlich zu Julia gewesen war, behandelte sie von nun an geradezu feindselig. Es schien sie Mühe zu kosten, sich auch nur einen Gruß abzuringen. Darüber hinaus verlor sie kein Wort mehr, tat buchstäblich so, als wäre Julia Luft für sie.
Einmal klingelte Julia an der Wohnungstür. Es war am Abend eines sehr verregneten Tages; an Motorradfahren war nicht zu denken.
Ida öffnete und erklärte mit starrem Gesicht: »Robert ist nicht da!« Dann wollte sie ihr die Tür vor der Nase zuschlagen.
Julia war schneller. Sie stellte den Fuß zwischen die Tür. »Kann ich nicht auf ihn warten?«
»Nein«, lautete die eiskalte Antwort, und Roberts Mutter versuchte die Tür mit Gewalt zuzudrücken.
»Du tust mir weh!« schrie Julia, aber Ida Palmer reagierte nicht darauf. »Was habe ich dir denn getan?«
»Als ob du das nicht wüßtest!«
»Nein, ich weiß es nicht«, beteuerte Julia mit Tränen in den Augen. »Keine Ahnung.«
Schritte näherten sich, und Ida, die Angst um ihren guten Ruf hatte, gab nun doch den Eingang frei.
Nun standen sich die beiden Frauen in der kleinen Diele gegenüber, Ida wohlfrisiert in einem eleganten Kimono, Julia in vor Nässe glänzendem Ölzeug, einen Regenhut auf dem hochgesteckten Haar.
»Deinetwegen hat Robert sein Studium hingeschmissen!« schimpfte Roberts Mutter.
»Denkst du etwa, das hätte ich so gewollt?«
»Genau das. Ihr Mädchen seid doch eine wie die andere. Erst große Reden schwingen, und dann könnt ihr nicht schnell genug unter die Haube kommen.«
»Das ist einfach nicht wahr! Frag doch Robert! Ich habe es durchaus nicht eilig mit der Heirat.«
»O doch, das hast du.«
»Ja, bildest du dir denn ein, es ist für mich dasselbe, ob ich einen Krämer oder einen Doktor der Medizin heirate?« Julia schluchzte auf. »Ich war so stolz auf ihn. Ich hätte gern ein halbes Leben lang auf ihn gewartet.«
»Um dich Frau Doktor nennen zu können?« fragte Roberts Mutter nun wesentlich ruhiger, wenn auch leicht sarkastisch.
»Lach mich nur aus, aber so ist es. Alle meine Freundinnen haben mich beneidet, und jetzt, jetzt will er Einzelhandelskaufmann werden.«
Roberts Mutter schloß das weinende Mädchen in die Arme. »Du bist also auch enttäuscht?«
»Natürlich«, schniefte Julia, »was denn sonst?«
Ida wiegte sie sanft in den Armen. »Warum nur hat er uns das angetan?«
»Ich weiß es nicht. Ich glaube, er selbst wollte nie wirklich studieren. Er hat einfach nur das getan, was du von ihm erwartet hast. Aber den wirklichen Ehrgeiz hat er nie gehabt.«
Roberts Mutter ließ Julia los und trat einen Schritt zurück. »Du hast recht. Ich habe mir wohl all die Jahre etwas vorgemacht. Das ist bitter.«
»Nicht nur für dich!« meinte Julia.
Roberts Mutter seufzte. »Und es gibt keine Möglichkeit, ihn umzustimmen«, sagte sie. Es klang eher wie eine Feststellung, nicht wie eine Frage.
»Nein«, bestätigte Julia, »ich habe alles versucht.«
Julia war nahe daran, sich Roberts Mutter anzuvertrauen. Aber sie brachte es dann doch nicht über sich. So intim standen sie nicht zueinander.
Also erklärte sie nur: »Jedenfalls bin ich froh, daß du mir nicht mehr die Schuld gibst.«
»Nein, ich muß dir wohl glauben.«
Durch diese Aussprache hatte sich die gespannte Atmosphäre zwischen Roberts Mutter und Julia ein wenig gelockert. Aber wenn Ida Palmer auch einsah, daß Julia für Roberts Entschluß nicht verantwortlich zu machen war, blieb doch ein wenig Mißtrauen zurück. Schuld daran war die Eifersucht, die Ida Palmer für Julia empfand. Wenn Julia nicht in Roberts Leben getreten wäre, hätte sie, die Mutter, ihn weiterhin beeinflussen und ihn zwingen können, den Weg zu gehen, den sie ihm zugedacht hatte.
Julias Periode verspätete sich um einige Tage, vielleicht weil sie verkrampft und abgespannt war, vielleicht auch ganz zufällig. Sie hatte das Gefühl, in dieser Zeit der Ängste erwachsen zu werden. Als es dann endlich doch soweit war, fiel ihr ein Stein vom Herzen.
Später kam ihr das Problem, unter dem sie so sehr gelitten hatte, eher banal vor. Das gleiche hatten schon Millionen Frauen vor ihr durchgemacht. Was war schon dabei? Aber für sie war es entsetzlich gewesen.
Sobald wie möglich ging sie zum Arzt und ließ sich die Pille verschreiben.
Robert war nicht so erleichtert wie sie, denn er hatte sich ja auch nicht so geängstigt.
»Eigentlich schade«, meinte er. »Es wäre bestimmt ein entzückendes Baby geworden.«
Der Blick, den sie ihm daraufhin zuwarf, sprach Bände.
Er nahm seine Bemerkung sofort zurück. »Schnapp nicht gleich ein«, bat er, »es sollte ja nur ein Witz sein.«
Sie hatten jetzt beide große Lust, miteinander zu schlafen, aber das war leichter gesagt als getan. Roberts Mutter ließ sie nur selten allein, und immer mußten sie befürchten, daß sie hereinplatzen könnte. Zu sich nach Hause wollte Julia ihren Freund nicht bitten, weil sie sich vor dem Vater genierte. Sie war für ihn immer noch ein kleines unschuldiges Mädchen; Es mußte ihn verletzen, dachte sie, wenn er herausfand, daß sie inzwischen zur Frau geworden war.
Das Gebot der Stunde hieß, sich eine eigene Wohnung zu beschaffen. Das um so mehr, da der Vater wieder auf Freiersfüßen wandelte. Für Julia kam das ganz überraschend. Sie hatte ihn für einen alten Mann gehalten, der längst jenseits von Gut und Böse stand. Jetzt mußte sie akzeptieren, daß er noch längst nicht mit dem Leben abgeschlossen hatte. Er war erst Mitte vierzig und wirkte nun, da er wieder mehr Wert auf sein Äußeres legte, durchaus noch ansehnlich. Seine Freundin, die etwa zehn Jahre jünger als er war, gab sich munter und unbekümmert und zeigte durchaus nicht den Ehrgeiz, die Rolle der Stiefmutter zu übernehmen. Aber obwohl weder der Vater noch Lore Druck auf sie ausübten, hatte Julia das Gefühl — oder bildete sie es sich ein daß sie störte.
Das Apartment, das sie endlich fand, lag in einer alten Villa am Stadtpark, nahe dem Gebäude von »Pro vohis«. Julias Wohnung bestand aus einem einzigen, allerdings sehr großen Raum mit einer integrierten Küchenzeile und einem separaten Bad. Mehr brauchte sie nicht. Es war niemals die Rede davon gewesen, daß sie mit Robert zusammenziehen wollte. Er wurde von seiner Mutter gut versorgt, und Julia drängte es nicht, ihm den Haushalt zu führen.
Obwohl sie mit dem Vater gut ausgekommen war, empfand sie es doch als Erleichterung, ein eigenes Zuhause zu haben. Auch Robert war davon sehr angetan.
Gemeinsam renovierten sie den großen Wohnraum. Sie liebten sich auf dem Teppichboden, zum ersten Mal ganz frei, und genossen die Schönheit ihrer jungen Körper, Anschließend veranstalteten sie ein Picknick, das sie im Schneidersitz verzehrten.
Julia möblierte ihr Apartment ganz allmählich und mit Bedacht. Nichts aus ihrem häuslichen Jugendzimmer wollte in den schönen Raum passen. Bevor sie sich für eine sehr luxuriöse Bettcouch entschied und sie sich leisten konnte, kampierte sie im Schlafsack auf dem Boden. Robert und sie fanden das abenteuerlich und lustig.
Von nun an hatte sie morgens nur wenige Schritte bis zur Firma zu gehen, und wenn sie in die Stadt wollte, holte Robert sie mit dem Motorrad ab. Ein Auto benötigte sie also nicht.
Trotzdem nahm sie, auf Drängen von Frau Hagen, Fahrstunden und machte im Frühling ihren Führerschein.
»Pro vobis« machte gewaltige Fortschritte; der Vertrieb wurde erweitert und ausgebaut. In ganz Deutschland mußten Kunden gesucht und ausgewählt werden. Es kam darauf an, das Interesse der besten Geschäfte zu gewinnen. In kleineren Städten durften höchstens zwei, in größeren konnten es bis zu fünf sein. Das brachte viel Arbeit mit sich und machte Reisen nötig. Meist fuhr Elvira Hagen allein, auf größeren Strecken ließ sie sich aber gern chauffieren. Julia lernte so nicht nur ganz Deutschland, sondern bald auch die Schweiz und Österreich kennen. Für Frankreich, England, Italien und später auch Spanien, Portugal und Skandinavien wurden einheimische Agenten eingesetzt, die, wenn eine neue Kollektion stand, nach Ratingen beordert wurden. Julia, die zwischendurch immer noch als Hausmannequin arbeitete, führte die neueste Kollektion dann vor. Mit Vergnügen stellte sie die eigene Persönlichkeit dabei ganz zurück, um nur das zur Geltung zu bringen, was sie trug.
Anschließend wurde die Kollektion in anderen Städten vorgestellt. Elvira Hagen und Julia präsentierten sie; Julia als Starmannequin, Elvira Hagen als Leiterin und Ansagerin. Die anderen Mannequins wurden vor Ort engagiert.
Es war ein aufregendes Leben, und Julia genoß es. Sie war nicht traurig darüber, daß sie durch ihre Reisen häufig von Robert getrennt war, denn dadurch wurde ihre Liebe nicht im Alltäglichen erstickt Sie glaubte, auch Robert müßte das begreifen.
Den Schock, daß er kein Doktor werden würde, hatte sie sehr rasch überwunden. Daß er sich statt mit Latein und Anatomie nun mit Porzellan, Keramik und Glas befaßte, brachte sie einander näher, fand sie. In seinem Beruf waren Material und Design genauso wichtig wie in dem ihren, wenn auch die Mode nicht so starken Schwankungen unterworfen war.
Als Robert seine Lehre beendet hatte — als Bester seines Jahrgangs —, feierten sie es ganz groß. Sie stießen mit Champagner an.
»Nun können wir endlich heiraten!« verkündete er.
Julia hatte bei aller Liebe jedoch Angst vor diesem Schritt, wollte es aber nicht zugeben. »Sobald du Onkel Edmunds Laden übernommen hast«, schränkte sie ein. »Einverstanden?«
Robert stimmte zu, denn er dachte, daß die Übergabe des Geschäftes nicht mehr lange auf sich warten lassen würde.
Aber es zog sich hin. Der alte Herr unterschrieb den Vertrag nicht, den Robert ihm vorlegte und der eine ansehnliche Leibrente für ihn vorsah.
»Geduld!« mahnte er immer wieder. »Ich verstehe gar nicht, warum ihr jungen Leute immer so ungeduldig sein müßt.«
»Aber er hat es dir doch versprochen«, meinte Julia, als Robert ihr davon erzählte.
»Wahrscheinlich fällt es ihm jetzt doch schwer, das Geschäft aufzugeben.«
»Könnte er dich dann nicht wenigstens zum Teilhaber machen?«
Aber auch diesen Vorschlag lehnte der Onkel ab.