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A ls Julia zwei Wochen später das Firmengebäude am Stadtpark verließ — als letzte der Angestellten, denn sie mußte noch einiges aufarbeiten —, vertrat ihr ein junger Mann den Weg. Sie war überrascht, nicht erschrocken, denn es war noch heller Tag, und er sah alles andere als bedrohlich aus. Lächelnd wollte sie an ihm vorbei.

Doch er wich nicht aus, sondern hielt ihr statt dessen eine langstielige rote Rose entgegen. »Hallo, Julia!« sagte er. »Endlich!«

Nun betrachtete sie ihn genauer. Er hatte eine schmale hohe Stirn, blondes, naturgelocktes Haar und wirkte sehr sympathisch. Die Motorradkluft, die er trug, hätte ihrer Meinung nach modischer sein können, aber zweifellos war er attraktiv.

»Sollte ich dich kennen?« fragte sie.

»Unbedingt. Wir haben uns schon einmal tief in die Augen gesehen.«

»Und wann soll das gewesen sein?«

»Bei deiner Modenschau.«

Eine flüchtige Erinnerung an den jungen Mann im dunklen Anzug stieg in ihr auf. »Nun, erstens war es nicht meine Modenschau, sondern die von ›Pro vobis‹ …« begann sie.

»Es war dein Triumph!« fiel er ihr ins Wort.

Julia fuhr unbeirrt fort: » … und zweitens waren sehr viele Zuschauer da.« Sie zuckte mit den Schultern.

»Aber du hast mich angesehen. Ich bin mir ganz sieher.«

»Na schön. Wenn du darauf bestehst.«

»Du gibst es also zu?«

»Ich habe nicht die Absicht, mich mit dir zu zanken.«

»Du ahnst nicht, wie schwierig es war, dich zu finden.«

»Das kann ich mir wirklich nicht vorstellen. Du hättest doch bloß hier« — sie deutete auf das Haus — »anzurufen brauchen und …«

»Das habe ich ja getan. Aber ein nicht ganz kooperatives weibliches Wesen erklärte mir, es wäre zu viel verlangt, mir die Adressen sämtlicher Mannequins herauszusuchen.«

Elvira Hagen! schoß es Julia durch den Kopf. Nicht sehr nett von ihr. Aber vielleicht wollte sie mir ersparen, belästigt zu werden.

»Dein Pech!« erwiderte sie nun. »Normalerweise gehe ich ans Telefon.«

»Bist du nicht Mannequin?«

»Hausmannequin. Ich arbeite aber auch im Büro. Inzwischen«, fügte sie nicht ohne Stolz hinzu, »bin ich Assistentin der Managerin geworden.«

»Gratuliere. Aber willst du nicht endlich die Rose nehmen, Julia? Ich wäre wirklich gern dein Romeo.«

»Klingt nicht gut«, meinte Julia, nahm die Rose, deren Stiel mit Alufolie umwickelt war, aber doch. »Die beiden haben ein schlimmes Ende genommen, nicht wahr?«

»Das wird uns nicht passieren. Ich heiße auch nicht wirklich Romeo, sondern Robert«, er verbeugte sich leicht, »Robert Palmer, Medizinstudent im fünften Semester.«

Natürlich imponierte ihr das. Ein junger Mann, der promovieren wollte, das war schon beeindruckend. Aber er hätte ihr auch gefallen, wenn er Maurer oder Taxifahrer oder sonst etwas gewesen wäre.

»Student mit wenig Geld«, sagte er offen. »In der Hinsicht darfst du nichts von mir erwarten.«

Julia lachte. » Wie sollte ich? Vor fünf Minuten habe ich dich ja noch nicht mal gekannt.«

»Dann darf ich dich also nach Hause bringen?«

Sie dachte einen Moment nach. Sie wäre gerne jetzt, da das Eis gebrochen war, noch ein wenig mit ihm zusammengeblieben. Aber das konnte und wollte sie ihm nicht zeigen. »Ich habe noch nie auf einem Motorrad gesessen«, sagte sie schließlich.

»Nichts leichter als das. Du mußt dich nur festhalten.« Er nahm seinen Helm von dem Motorrad, das er am Straßenrand aufgestellt hatte, und reichte ihr einen zweiten. Dann klappte er die Stützen hoch und schwang sich auf den Sitz. »Komm, steig auf!«

Und Julia setzte sich hinter ihn. Es kümmerte sie nicht, daß ihr der Rock bis zu den Oberschenkeln hinaufrutschte. Mit dem rechten Arm umschlang sie seine Taille, mit der linken Hand hielt sie die Rose. Die Wange schmiegte sie unwillkürlich an seinen warmen Rücken, und so brausten sie durch die Stadt so kam es ihr jedenfalls vor, tatsächlich jedoch gab er nicht allzuviel Gas.

Zu diesem Zeitpunkt konnte sie noch nicht wissen, daß sie diese Fahrt nie vergessen würde.

Später, als Robert sie vor der Haustür absetzte, spürte sie, daß er noch etwas auf dem Herzen hatte.

»Ich kann dich nicht mit hinauf bitten«, sagte sie und gab ihm den Helm zurück. »Mein Vater wartet auf mich.«

»Ja, natürlich. Ich habe jetzt auch keine Zeit mehr.«

Sie fand es sonderbar, daß er sie trotzdem angesprochen hatte.

»Ich hatte Angst, jemand könnte mir zuvorkommen«, erklärte er, als hätte er ihre Gedanken gelesen.

»Jetzt verstehe ich gar nichts mehr.«

»Ich will dich nämlich heiraten.«

Julia verschlug es die Sprache. »Falls du schon verlobt bist oder einen Freund hast — das macht gar nichts, mit dem werde ich schon fertig.«

»Sag, bist du verrückt?«

»Nein, überhaupt nicht. Seit ich dich gesehen habe …«

»Auf der Bühne, ja? In diesem pompösen Brautkleid? Angemalt, daß mich meine eigene Mutter nicht wiedererkannt hätte!« brauste sie auf.

»Du warst sehr süß.«

»Richtig niedlich, ja? Und deswegen willst du mich heiraten? Du weißt doch gar nichts von mir.«

»Zum Kennenlernen bleibt uns ja noch jede Menge Zeit. Kann ich dich Sonntag zum Picknick abholen? Du brauchst nichts zu besorgen, ich bringe alles mit.«

Beinahe hätte sie ihm einen Korb gegeben. Aber sie wußte, daß sie ihn auf diese Art nicht loswerden würde — und andererseits: Wollte sie das denn überhaupt? Er war sympathisch und blickte sie so treuherzig an. Wenn sie ihn nicht wenigstens näher kennenlernte, würde sie es wahrscheinlich später bereuen.

»Also wann?« fragte sie, und damit war alles entschieden.

Wie neu geboren

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