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ОглавлениеEines Abends, es war Anfang Mai, kam Julia von einer Messe früher zurück, als sie erwartet hatte. Sie nahm ein Schaumbad, wusch sich die Haare und saß mit gekreuzten Beinen auf dem Bett, als es Sturm klingelte. Sie sprang auf, doch da wurde die Tür auch schon von außen aufgeschlossen.
Es war Robert, der hereinstürmte. Sein Gesicht war wutverzerrt, die blauen Augen wirkten finster.
Ehe sie noch zu einer Erklärung ansetzen konnte, wieso sie schon zurück war und warum sie sich nicht bei ihm gemeldet hatte — denn sie glaubte, das war der Grund für seine Aufgebrachtheit — fiel er über sie her. Von Zärtlichkeit konnte keine Rede sein.
Es war, als könnte er nicht genug von ihr bekommen, als wäre es ihm nicht anders möglich, seine aufgestauten Gefühle abzureagieren. Zuerst wollte sie sich wehren, gab sich ihm dann aber hin und wurde von seiner Leidenschaft mitgerissen.
Später lagen sie eng beieinander, keuchend, atemlos. Sie fuhr ihm mit dem Finger durch das Haar und suchte nach Worten, brachte aber keinen Ton hervor.
Sein Kopf lag auf ihrer Brust. »Wenn er mich wenigstens nicht belogen hätte!« brach es aus ihm heraus. »Alles kann ich verstehen … alles verzeihen … aber das nicht!«
Es dauerte eine Weile, bis sie begriff. Sein Ausbruch hatte also nichts mit ihr zu tun gehabt, stellte sie erleichtert fest.
»Wen meinst du?« fragte sie und dann ahnungsvoll: »Onkel Edmund?«
»Dieser Mistkerl! Ich könnte ihn mit meinen eigenen Händen erwürgen.«
»Nein, das könntest du nicht. Du doch nicht. Aber erzähl schon! Versucht er dich weiter hinzuhalten?«
»Er hat mit gezinkten Karten gespielt, und ich Idiot habe es nicht gemerkt. Er hat Verhandlungen geführt mit allen möglichen Unternehmen. Ich sollte für ihn nur die Notlösung sein, für den Fall der Fälle sozusagen. Aber jetzt steht er kurz vor dem Abschluß. Eine Drogeriekette will seine Räumlichkeiten übernehmen. Durch einen dummen Zufall habe ich es erfahren.«
»Aber einen Vertrag hat er noch nicht unterschrieben, oder?«
»Das wird aber bald der Fall sein. Ich habe ihm den Bettel vor die Füße geworfen. Ich lasse mich nicht länger zum Narren halten.«
Und was willst du jetzt tun? hätte sie beinahe gefragt. Aber sie wollte ihn nicht noch mehr verunsichern und sagte statt dessen: »Das kann ich verstehen.« Sie löste sich von ihm und stand auf. »Ich mache uns ein bißchen Musik, ja?«
Sie kniete sich nieder, suchte unter Platten und Kassetten und legte dann ein Menuett von Haydn auf. Das schien ihr der richtige Hintergrund für ein entspanntes Gespräch. Sie kletterte wieder zu ihm ins Bett, und während die melancholisch-heiteren Töne durch den halb verdunkelten Raum schwangen, erfuhr sie nach und nach alles, was in ihrer Abwesenheit geschehen war: sein steigendes Mißtrauen dem Onkel gegenüber; seine zaghaften Versuche, ihn auszuspionieren; schließlich der fehlgeleitete Anruf, der ihm die schlimme Nachricht enthüllte.
Mit seinem Motorrad war er ziellos durch die Stadt gebraust. Dann war er zu ihr gefahren, hatte aber nicht damit gerechnet, daß sie zu Hause sein könnte.
»Du mußt geahnt haben, wie sehr ich dich brauche!« schloß er.
Sie hätte ihm sagen können, daß es dem Zufall zu verdanken war, daß sie schon zurück war. Doch mochte sie ihn nicht enttäuschen »Mag schon sein«, erwiderte sie vage und kuschelte sich in seinen Arm. » Wer weiß?«