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I. Einführung: Was war Aufklärung?

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Als Epochenbegriff bezeichnet Aufklärung einen bestimmten Abschnitt der (meist westlichen) Kulturgeschichte, der sich durch Änderungen der Selbst- und Weltbilder des (meist westlichen) Menschen und aus ihnen hervorgehende soziale Veränderungen auszeichnet. Diese Veränderungen verstehen wir gerne als entscheidende Fortschritte – weg vom Dunkel, näher zum Licht. Schwieriger wird es dann festzulegen, wann ein solcher Zeitabschnitt beginnt und gegebenenfalls, wann er endet, was als entscheidende soziale Transformationen gelten können, wie diese zu bewerten sind – segensreich, ambivalent oder nachteilig –, welche Faktoren Aufklärung befördern und ob es sich um zufällige bzw. kontingente oder geschichtlich notwendige Prozesse handelt. Die Beantwortung dieser Fragen in Summe stellt wiederum die Weichen dafür, mögliche weitere Epochen der Aufklärung in der Weltgeschichte auszumachen.

Sprechen wir von »der Aufklärung«, meinen wir also eine Epoche des neuzeitlichen Europas und Nordamerikas (seltener Russlands oder auch Lateinamerikas), die häufig als »Zeitalter der Vernunft« bezeichnet wird. Manche identifizieren dieses Zeitalter mit dem ›langen‹ 18. Jahrhundert, andere wiederum legen seinen Beginn bereits mit der Renaissance fest, die an antike (»heidnische«) Denkströmungen anknüpfte und diese weiterentwickelte. Die meisten halten diese Epoche für vergangen, manche aber denken, sie dauere noch immer an. In ihr, so erzählen ihre Verehrer*innen, habe sich das rationale Denken Bahn gebrochen, sei der Mensch befreit und die Religion zurückgedrängt, seien die Fundamente von Demokratie und Menschenrechten gelegt worden. Kritiker*innen der Aufklärung wenden ein: Im Zeitalter der Aufklärung wurde rationales Denken überschätzt oder zu gefährlichen Spitzen getrieben. So manche Befreiung habe auch die Bahn zu neuer Unterdrückung geebnet, alte Religionen wurden durch neue ersetzt und Rechte nur unter Ausschluss weiter Teile der (Welt-)Bevölkerung gewährt. Radikale Kritiker*innen der Aufklärung erblicken in ihr gar einen üblen (Selbst-)Zerstörungsprozess der Moderne.1

Die Geschichte selbst, als Ablauf von Ereignissen, kennt keine Epochen. Diese sind ihr künstlich übergestülpte Einteilungen des Menschen, mit anderen Worten: Konstruktionen. Sie legen nahe, dass bestimmte Ereignisse gleichförmig verlaufen seien (Aufklärung als »Projekt«) und dabei klare Grenzziehungen bzw. klare Demarkationen errichtet wurden (Moderne vs. Mittelalter).

Auch das Zeitalter der Aufklärung stellt eine solche Konstruktion dar. Das bedeutet jedoch nicht, dass es falsch wäre, von solch einem Zeitalter zu sprechen oder gar davon auszugehen, dass es ein solches Zeitalter nie gegeben hätte. Vielmehr verweist diese Feststellung auf die Deutungs- und Auswahlkomponente jeder Theorie der Geschichte. Die entscheidende Frage ist: Was nehmen wir genau in den Blick, wenn wir von der Aufklärung sprechen? Und was blenden wir aus?

Mutig denken. Aufklärung als offener Prozess

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