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3 Die Nestroy-Villa Nestroyweg 1

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Johann Nestroy ist in Ischl sehr präsent, trägt doch die Neue Mittelschule im Zentrum der Stadt seinen Namen, gelegen zwischen der Pfarrkirche, dem Café Ramsauer und dem einstmals so mondänen Hotel Post gegenüber. Originellerweise liegt der Schwerpunkt der Schule auf technisch-naturwissenschaftlichen Fächern, hat also mit dem Volkstheater im Sinne Nestroys wenig zu tun. Und trotzdem: Der Name prangt groß auf der Fassade und erinnert an den bekannten Dichter und Darsteller, der so viele Sommer in Ischl verbracht hat. Ein kleiner Spaziergang führt über den Kreuzplatz, wo eine Lehár-Statue neben dem Theater zu finden ist, weiter auf die andere Seite der Stadt hinter das Kurhaus. Dort führt der schmale Nestroyweg steil bergauf – und wieder prangt Nestroys Name auf einer Fassade, diesmal auf einer Villa mit prachtvollem Blick über die Stadt.

Am 11. September 1845 steigt Johann Nestroy, eingetragen als Schauspieler aus München, erstmals in Ischl ab, erst zehn Jahre später kommt er wieder, nun bereits als Direktor des Wiener Carltheaters. Doch auch in der Zwischenzeit bleibt er präsent: Seine Stücke stehen auf dem Spielplan des Ischler Theaters, Der Zerrissene ebenso wie Einen Jux will er sich machen, Das Mädel aus der Vorstadt oder Ehrlich währt am längsten.

1855 findet eine Benefizvorstellung zugunsten der Kinderbewahr-Anstalt unter doppelter Nestroy’scher Ägide statt: Das Mädel aus der Vorstadt unter Mitwirkung des »unsterblichen Volksdichters und Komikers« selbst, wie der Ischler Fremden-Salon schwärmt. Die Vorstellung wird gestürmt, und sehr poetisch beschreibt der Fremden-Salon die vorherrschenden Empfindungen: Man fühlte sich bei dem Anblick der Menschenmassen »zu dem Wunsche gedrängt, es möchten die Mauern des Hauses von Kautschuk geformt sein.«13 Da dies jedoch nicht möglich ist, warten zahlreiche Schaulustige vergeblich vor dem Theater. Aufgrund des enormen Erfolges steht Nestroy ein paar Tage später in einer weiteren Benefizvorstellung als Titus Feuerfuchs in seinem Talisman auf der Bühne – dass die Liebe und Verehrung der Ischler Bevölkerung ihm sicher ist, liegt auf der Hand. Dies entwickelt sich zu einer Tradition – Jahr für Jahr stellt sich Nestroy in den Dienst der Ischler Wohltätigkeit. Doch tritt er nicht nur auf, sondern nutzt die Sommermonate auch, um neue Werke für die Wintersaison zu erarbeiten – nicht nur als Darsteller, sondern auch als Direktor. Im von Nestroy 1854 übernommenen Carltheater lernen die Wiener erstmals die grandiosen Operetten von Jacques Offenbach kennen. Die Zeitungen berichten, dass er die Operetten Vent du soir und Mesdames de la Halle, die an dem legendären Théâtre des Bouffes-Parisiens Triumphe feiern, nun auch für Wien adaptiert hat – in Ischl wird also der eigentliche Grundstein für die Wiener Operettengeschichte gelegt.


Villa Nestroy

Ein anderer großer Ischler gilt als einer der grandiosesten Nestroy-Darsteller: Alexander Girardi (siehe Kapitel 37). Er hat Nestroy jedoch nie auf der Bühne gesehen und auch nie kennengelernt, ist er bei Nestroys Tod doch erst zwölf Jahre alt. Girardi erklärt, wie der eine Ischler von dem anderen richtig gespielt werden muss: »Ich glaub’ – ohne Ziererei, wienerisch! Man muß ihm in’s Herz schauen können, wie jedem echten Dichter. Bis auf den Grund schauen jeder Sach’, sie drehen und wenden, daß Einem Nichts verloren geht, und dann Etwas von der eigenen Individualität dazuthun, daß sie durchscheint – ich glaube immer, daß dann was Richtiges entstehen kann.«14

1860 verbringt Nestroy erstmals den Ischler Sommer in seiner eigenen Villa – und auch Marie Weiler erscheint auf der Kurliste unter dieser Adresse. Sie ist Nestroys Lebensgefährtin, die er jedoch aufgrund seiner Scheidung nicht heiraten kann. Er führt mit ihr eine jahrzehntelange Beziehung, aus der drei Kinder hervorgehen und die von der Umwelt akzeptiert wird. Um das Haus bequemer zu gestalten, setzt Nestroy ein Stockwerk auf das ursprüngliche alte Bauernhaus und lässt rundumlaufende Balkone errichten. Das sehr steile Grundstück wird abgegraben, eine Stützmauer errichtet, um die Feuchtigkeit im Haus zu verringern – also wirklich große Eingriffe, um die Substanz zu verbessern. Auch der Garten wird von Nestroy selbst gestaltet: teils Ziergarten, teils Wald, mittendrin eine »Einsiedelei«, ein Holzhäuschen mit bunten Glasscheiben, in dem Nestroy in Ruhe arbeiten kann. Und auch eine Grotte, die mit Flusssteinen ausgeschmückt ist, findet sich im Garten.15 Ziemlich aufwendig und fantasievoll.

Nestroy selbst kann seine Villa kaum mehr genießen, nur den Sommer 1861 verbringt er hier, am 25. Mai 1862 stirbt er in Graz. Marie Weiler, seine Universalerbin, überlebt ihn nur um zwei Jahre – im Jahr 1864 verbringt sie ihren letzten Sommer in der Ischler Villa, die sie mit viel Liebe und Aufwand eingerichtet und ausgestattet hat. Ihr Sohn Karl kommt bis 1876 jährlich nach Ischl, steigt aber immer im Hotel ab. Und auch nach seinem Tod im Jahr 1880 bleibt die Familie Ischl verbunden: Karls Witwe Stefanie, die ihren Mann um 58 Jahre überlebt und erst am 2. März 1938 mit 89 Jahren in Ischl stirbt, kehrt Jahr für Jahr wieder, wohnt jedoch in der Villa ihrer eigenen Familie Bene von Röjtök – und wieder einmal liegt die Vermutung nahe, dass sich Karl und Stefanie in der Sommerfrische begegnet sind, eine weitere Ehe, die wohl in Ischl gestiftet worden ist.


Der extravagante Johann Nestroy

In der Nestroy-Villa steigt dafür die Witwe eines anderen großen Schriftstellers ab: Therese Stelzhammer, vormals verheiratet mit Franz Stelzhammer, der viele Sommer in Ischl verbracht hat. Die Villa verliert offenbar nicht an Anziehungskraft für Schriftsteller, denn 1904 verbringt hier ein weiterer Literat seinen Sommer: Alexander Ritter von Weilen, Kustos der Hofbibliothek und Verfasser diverser Werke zur Wiener Theatergeschichte – was für eine Inspiration, im Haus eines der größten Dichter zu verweilen und sich von dessen Geist umwehen zu lassen.

Alexanders Vater Josef Weil von Weilen zählte zu den engsten Vertrauten von Kronprinz Rudolf und ist Herausgeber dessen großartigen Werkes Die österreichische Monarchie in Wort und Bild. Aufgewachsen in der Atmosphäre des literarisch gebildeten Wiens der 1870er- und 1880er-Jahre widmet sich Alexander der Germanistik, einem noch eher exotisch anmutenden Gegenstand. »Die neue Zeit mit ihren liberalen Anschauungen erfüllte den ganzen Kreis«, schreibt Rudolf Holzer in der Wiener Zeitung in seinem Nachruf am 27. Juli 1918. Weilen ist Beamter ebenso wie Gelehrter, er ist Künstler und Forscher, Theaterbegeisterter und Professor. Er vereint Theorie und Praxis des Theaters in seiner Person. Manche Beschreibungen in diesem Nachruf muten jedoch etwas eigenartig an, denn »er war scheinbar von nicht sehr starkem Temperament, aber dies Manko ward reichlich ersetzt durch eine Fülle von positiven Gaben: Charakter, Zuverlässigkeit, Festigkeit, Willen und Klarheit.« Das klingt nach einem eher faden, aber gescheiten Menschen. Sein literarisches Lebenswerk ist in jedem Fall bemerkenswert: Weilen gelingt es, in seinen großartigen Büchern zur Wiener Theatergeschichte nicht zu belehren, sondern er vermittelt, ohne zu bewerten. »Durch den Dämon der Berge fand dieses scheinbar dem Leben abgewendete Forscherdasein ein Ende.« So schließt Rudolf Holzer seinen Nachruf auf diesen Forscher, der im Juli 1918 beim Schwammerlsuchen in den Tod gestürzt ist.

1911 verbringt Laura Egger-Möllwald, Präsidentin des Vereins »Erzherzogin Marie Valerie Wiener Frauenheim«, den Sommer in der Villa, die ihr Vater Alois 1871 gekauft hat. 1918 geht das Haus dann in den Besitz von Matthias und Charlotte Wotroubek über, die es jedoch bereits 1923 an Dr. Oskar und Nelly Inwald weiterverkaufen. Diese erwerben vom Ehepaar Wotroubek auch den benachbarten Besitz, die Villa Seilern, und belassen beiden Häusern die Namen der prominenten Vorbesitzer (siehe Kapitel 2).

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