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Warum ein Buch über die Villen von Bad Ischl?
ОглавлениеSeit ich denken kann, führen mich Ausflüge von meinem Sommerdomizil in St. Gilgen nach Bad Ischl, dessen Flair sich für mich schon von Kindesbeinen an aus den wunderschönen Villen speist. In meiner Kindheit brachte uns eine Großtante aus Bad Ischl immer Dinge mit, die es bei uns »am Land« nicht gab: die Oblaten vom Zauner und frisches Obst. Umgekehrt waren die Ausflüge in die Stadt etwas Besonderes – und auch da spielte und spielt die Konditorei Zauner eine große Rolle, genau wie der freitägliche Wochenmarkt, für den man sich ins Dirndl wirft und auf dem es bis heute die herrlichsten Dinge zu erstehen gibt. Mit zunehmendem Alter haben sich meine Interessen erweitert: Was für eine Bedeutung hatte Ischl eigentlich in der Geschichte? Der Nimbus des Kaisers ist bis heute spürbar und des Kaisers Geburtstag immer noch eine Zäsur. Denn dieser 18. August ist eine Art Benchmark: Da kippt das Wetter, da endet die Saison. Und wenn das Wetter nicht kippt, überwiegt fast die Enttäuschung.
Bad Ischl hat etwas Magisches – der Hof, der Kaiser, das Großbürgertum, die Künstler, die Operettengesellschaft. All dies begleitet und beschäftigt mich seit vielen Jahrzehnten. Wer und was hat seinerzeit das Flair Ischls ausgemacht? Die TV-Serie Der Salzbaron und die Sissi-Filme unterstützen Klischees, die aber immer auch eine Teilwahrheit beinhalten. Meine intensive Beschäftigung mit der Unterhaltungsbranche der Zwischenkriegszeit, mit Operette und Kabarett, hat Ischl einmal mehr in den Fokus gerückt. Weshalb gab es gerade hier diese legendäre »Operettenbörse«, wo sich auch nach dem Ende des sogenannten Hoflagers die Größen der Branche trafen, miteinander arbeiteten, aber auch stritten, Verträge abschlossen und dabei ganz nebenbei ihre Meisterwerke schufen? Und dann kam das Jahr 1938, das einen enormen Einschnitt in der Geschichte Ischls brachte – wahrlich kein Ruhmesblatt, genauso wenig wie die Zeit nach 1945. Dennoch ist auch dies ein Teil der Geschichte der Ischler Villen.
Kurz gesagt: Ohne ihre Bewohner hat eine Villa keine Geschichte. Diese Binsenweisheit liegt diesem Buch zugrunde, das bislang unbekannte Geschichten und erstaunliche Menschen aus einem neuen Blickwinkel in den Mittelpunkt stellt, und das sich zum Ziel gesetzt hat, Wege vorzuschlagen, auf denen Ischl erforscht werden kann. Bitte heben Sie auch einmal den Blick über die Villen zu den Bergen, zu der herrlichen Landschaft, die Ischl beherrscht. All dies war und ist einer der Anziehungspunkte dieser Stadt – und Kaiser hin oder her: Hier ist es einfach schön.
Meine Auswahl der Villen ist natürlich subjektiv: Ischl ist reich an historischer Bausubstanz – aber der Umfang des Buches beschränkt. Daher mussten Auswahlkriterien erstellt werden: interessante Eigentümer, interessante Mieter, interessante Architektur. Gerade der letzte Punkt führt zu einem erstaunlichen Phänomen: Die Wiener Ringstraßengesellschaft traf sich zwar in Ischl, brachte jedoch ihre Architekten nicht mit hierher. Letztere bauten ihre imposanten Villen am Traunsee und am Attersee, in Ischl hingegen dominierten die lokalen Baumeister, die sich gelegentlich an der Schweizerhaus-Architektur orientierten, die Villen jedoch selbst planten und zur Durchführung brachten. Nur einige ältere Villen, die bereits in der Biedermeierzeit erbaut worden waren, fanden in Architekturführer Eingang.
Daher stehen die Menschen im Mittelpunkt. Menschen, die Ischl die unverwechselbare Atmosphäre gaben, über all die großen Veränderungen des 20. Jahrhunderts hinweg. Vom Hof und seinen Apologeten über Künstler aller Sparten und Arten – von Operndiven bis zu Soubretten, von Volksschauspielern bis zu Burgtheatergrößen, von Komponisten vieler Generationen bis zu Librettisten: Sie alle wurden umschwärmt von einer bunten Mischung aus Adabeis und Journalisten, internationalen Geschäftsleuten und Aristokraten, Industriellen und Erfindern. Geschäfte und Ehen wurden hier gleichermaßen angebahnt. Schon wohlbekannte Geschichten werden nicht erzählt, sondern Neues ans Licht geholt und Unbekanntes ausgegraben. So manches Erwartete sucht man vergeblich und stößt dafür auf Erstaunliches.
Ansichtskarte von Bad Ischl, 1897
Die Umbrüche, die Europa im 20. Jahrhundert mitmachte, waren in Ischl deutlicher spürbar, sie waren näher, denn hier unterzeichnete Kaiser Franz Joseph den Untergang Europas in Krieg und Nationalismus. Das alte Europa gehörte der Vergangenheit an, auch das hatte unmittelbare Auswirkungen auf Ischl, denn das Fehlen des Hoflagers machte sich hier mehr als anderswo bemerkbar.
Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges muss sich Ischl neu erfinden – und verbietet zunächst den Besuch von Sommergästen in der Angst, dass die ausgehungerten Städter die Umgebung leer essen. Wirtschaftlich gesehen eine Fehlentscheidung, die auch bald revidiert wird. Und langsam kommen die Sommergäste wieder – alte und neue. Die Zeit des Hofes liegt hinter Ischl – und weckt doch bis heute nostalgische Gefühle.
In wirtschaftlicher Hinsicht ändert sich vieles: Die alten Eliten sind verarmt und die neuen Kriegsgewinnler dominieren das Geschehen, das Ischler Publikum verändert sich: Die Trabanten des Hoflagers haben weder einen Anlass noch das Geld dazu, weiterhin nach Ischl zu kommen, wenige der alten Villenbesitzer halten dem Ort die Treue. Viele Villen stehen zum Verkauf, die neuen Reichen ergreifen die Gelegenheit und schlagen zu. Dennoch bleibt der Nimbus Bad Ischls erhalten. Der Trubel auf der Esplanade bleibt derselbe – das Publikum ist ein anderes. Statt des Hofes und seiner Adlaten regiert nun die Operette. Jetzt stehen die Künstler, die Ischl früher schon als fixer Bestandteil des Hofes bevölkert haben, vermehrt im Fokus. Viele von ihnen kaufen Villen oder mieten sich ein und schaffen sich in Ischl ein zweites Zuhause. »Operettenbörse« Bad Ischl lautet eine der Bezeichnungen und bringt die Sache auf den Punkt. Franz Lehár und Emmerich Kálmán leben und arbeiten in ihren wunderschönen und herrschaftlichen Villen – Ersterer als Besitzer, Zweiterer eingemietet. In ihrer unmittelbaren Nachbarschaft wohnen Librettisten wie Alfred Grünwald und Julius Brammer, die auf der Esplanade und am Kalvarienberg zu Hause sind. Bewunderer kreisen um die Meister, es wirkt fast so, als ob der Hof von der Operette abgelöst worden ist, einer Operette, die die »gute alte Zeit« oftmals verklärt und besingt. Eigentlich bleibt so alles beim Alten. Die Villen haben Bestand, ihre Bewohner sind weiterhin Teil der Geschichte dieser großen und kleinen, vornehmen oder bescheideneren Häuser.
Das jüdische Publikum nimmt zu. Es ist den Ischlern wie der ganzen Bevölkerung des Salzkammerguts fremd. Anstatt sich mit ihm auseinanderzusetzen, sich auf eine andere Welt einzulassen und Unterschiede zu akzeptieren, lehnt man es apodiktisch ab. Man nimmt die Juden aus, ist vordergründig freundlich, in Wirklichkeit jedoch antisemitisch. Fremdes hat man nicht gern, man will unter sich bleiben. Zwei Welten prallen aufeinander und finden nicht zusammen, mit fatalen Folgen. Es stellt sich die Frage, weshalb man nicht einfach akzeptieren kann, dass Menschen anders und trotzdem keine Feinde sind? Nouveaux Riches waren und sind immer unbeliebt – sie werden scheel angeschaut. Aber müssen diese Ressentiments in blinden Hass umschlagen? Gibt es tatsächlich keinen Weg des Nebeneinanders, keinen Weg der Akzeptanz? Gibt es keine Welt, die offen und bunt ist und dies als Chance sieht anstatt als Bedrohung? Nein. Spätestens im März 1938 erweist sich dies als Illusion: Die Gräben sind zu tief, der Hass, worauf auch immer, siegt und zeigt sein wahres Gesicht. Und das bedeutet: Juden sind nicht erwünscht. Eine differenzierte Wahrnehmung hat keinen Platz mehr.
Die Art und Weise, wie den jüdischen Villenbesitzern ihr Hab und Gut genommen wird, ist beispiellos in seiner Radikalität und Menschenverachtung. Ein akkurat ausgeführtes Unternehmen, ersonnen und perfekt umgesetzt von Wilhelm Haenel, »Arisie-rungs- und Entjudungsbeauftragter von Bad Ischl, der sämtliche Arisierungen im Salzkammergut durchgeführt hat«1 – ein unfassbarer Raubzug durch Bad Ischl und die Region, begleitet von Drohungen und Einschüchterungen. Der Gau Oberdonau sieht in den Enteignungen eine Chance, seine finanziellen Probleme rasch zu beheben, dennoch verläuft der Prozess nicht immer reibungslos. Einzelne Nazi-Organisationen streiten darüber, wer denn nun profitieren soll von diesem grandiosen Diebstahl.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erwartet man eine Entspannung, eine Deeskalation. Eine Illusion. Die Rückstellungsverfahren gestalten sich zum Teil sehr langwierig, die Bestohlenen werden einmal mehr als rechtlos hingestellt. An ihnen liegt es, die unrechtmäßige Enteignung darzustellen, nicht an den Profiteuren. Ein bürokratischer Hürdenlauf setzt ein und verursacht noch heute Wut auf diese überbordenden Hindernisse. Anstatt einer lösungsorientierten Vorgehensweise regieren Kleingeist und Blockierertum. »Die Sache in die Länge zu ziehen« wird, wie es Innenminister Helmer so unverblümt ausgedrückt hat, zum Motto. Die Villa Spiegl stellt den ärgsten Fall dar: Erst im Jahr 1959, lang nach dem Abschluss des Staatsvertrages, können sich das Finanzministerium und die Finanzlandesdirektion Linz auf eine Lösung einigen, nachdem sie sich jahrelang gegenseitig den »Schwarzen Peter« zugeschoben haben.
Was bleibt, ist ein schaler Nachgeschmack: Die meisten Villen werden nach langwierigen Verhandlungen restituiert – ungern, meist ohne Mobiliar und sehr oft in verlottertem Zustand. Und was nun? Ein Weiterverkauf weit unter dem tatsächlichen Wert stellt meist die einzige Lösung dar. In den 1970er-Jahren bricht wiederum eine neue Zeit an, in der viel Altes ausgelöscht, niedergerissen und vernichtet wird. Man hat sich der Moderne verschrieben. Statt wunderschöner alter Villen finden sich Betonklötze ohne Gesicht – eine Entwicklung, die man wohl auch akzeptieren muss, die aber das Bild Ischls radikal verändert hat.
Bad Ischl ist eine Stadt, an der die Brüche der politischen Entwicklungen in besonderer Art abzulesen sind. Das versucht dieses Buch in ein neues Licht zu rücken, in all seinen Facetten und Widersprüchlichkeiten.
Folgende Quellen liegen diesem Buch zugrunde:
Das Grundbuch und die Urkundensammlung, wo sich die »hard facts« finden. Ihnen gilt es, Leben einzuhauchen.
Die Arisierungs- und die Rückstellungsakten, die so manchem Kapitel einen ob der Machtlosigkeit wütenden Unterton verleihen. Sie sind ein skandalöses, beschämendes und zugleich peinliches Armutszeugnis für die Behörden der Nationalsozialisten ebenso wie jene der Zweiten Republik.
Lebenserinnerungen aller Arten, verpackt in Büchern, Artikeln und Interviews.
Die großartige und bahnbrechende Recherchearbeit meines Mannes Georg Gaugusch, die für viele Kapitel die Grundlage bietet.
Zeitungsberichte zu erwarteten und viel öfter zu unerwarteten Themen. Wer suchet, der findet oft etwas ganz anderes. Dass die Recherchearbeit in Zeitungen möglich ist, verdanke ich im Namen aller historisch interessierten und forschenden Menschen einer großartigen Institution, der Plattform ANNO der Österreichischen Nationalbibliothek, die historische Zeitungen digital zur Verfügung stellt, meist bereits mit Volltextsuche. Und mit großer Dankbarkeit verweise ich darauf, dass dazu auch die Ischler Kurlisten zählen, eine Quelle, die vieles, was nie zu entdecken gewesen wäre, ans Tageslicht gebracht hat. Der größte Dank gilt der ANNO-Verantwortlichen Christa Müller für ihr unermüdliches Nachfragen, Forschen und Möglichmachen!
Danke den Mitarbeiterinnen des oberösterreichischen Landesarchivs und Peter Zauner für die geduldige Unterstützung. Danke auch den Mitarbeiterinnen des Grundbuchs im Bezirksgericht Bad Ischl, die meine Besuche so unproblematisch akzeptiert haben. Danke auch an Wolfgang Quatember und Nina Höllinger vom Zeitgeschichtemuseum Ebensee, die wertvolle Forschung leisten und mich alle Unterlagen einsehen ließen.
Mein besonderer Dank gilt Maria Sams, der Leiterin des Stadtmuseums Bad Ischl, für ihre große Unterstützung und Wertschätzung. Danke auch an Bürgermeister Hannes Heide, der dieses Buchprojekt von Anfang an wohlwollend begleitet hat.
Dem Nationalfonds der Republik Österreich für die Opfer des Nationalsozialismus danke ich für die Förderung meiner Recherchen zu diesem Buch.
Ich bedanke mich bei meinen unermüdlichen Korrekturlesern und -innen, bei meinem Mann Georg Gaugusch, meiner Mutter Christiane Arnbom, meiner Schwester Elisabeth Kühnelt-Leddihn, meinen Freunden Hanna Ecker und Georg Male und bei all den anderen, die das eine oder andere Kapitel vorab lesen durften (oder mussten) und mich mit konstruktivem Feedback versehen haben.
Carmen Sippl und dem Amalthea Verlag danke ich für das Vertrauen und die freundschaftliche Begleitung dieses Buches.
Marie-Theres Arnbom
Februar 2017