Читать книгу Die Villen von Bad Ischl - Marie-Theres Arnbom - Страница 12
4 Ladislaus Dirsztay und seine Söhne Wiesingerstraße 9 (vormals Elisabethstraße)
Оглавление42 Jahre ist die sogenannte Villa Herzfeld im Besitze der Familie Dirsztay – eine lange Zeit, die 1938 ein abruptes Ende findet. Den Dirsztays mangelt es nicht an skurrilen und eigenwilligen Persönlichkeiten, die das Haus in Ischl im Sommer bewohnen und wohl im Ort auch auffallen – sei es durch eine große Kutsche und später ein Elektromobil, sei es durch unkonventionelle Kleidung und ebensolches Auftreten und Aussehen.
Beginnen wir mit Ladislaus und Georgine, den Erwerbern der Villa. László Dirsztay de Dirszta, wie er offiziell heißt, gehört zu diesem Zeitpunkt, also im Jahr 1896, seit elf Jahren dem ungarischen Adelsstand an, 1905 wird ihm dann die ungarische Baronie verliehen – eine typische Aufsteigergeschichte des 19. Jahrhunderts. Und auch seinen Namen trägt er erst seit sieben Jahren, denn 1889 lässt er ihn, wie damals üblich, magyarisieren: Aus Ladislaus Fischl de Dirszta wird László Dirsztay de Dirszta. Die Familie Fischl stammt ursprünglich aus Temesvár, wo sie bereits seit der Biedermeierzeit infolge der Napoleonischen Kriege zur jüdischen Oberschicht zählt. Lászlós Vater Gutmann geht von Temesvár nach Budapest, wo er ein Großhandlungshaus gründet und eine Frau der wirtschaftlichen Oberschicht heiratet: Emma Schosberger de Tornya garantiert ihm den Zugang zur Budapester Geschäftswelt – die Basis für den Erfolg ist gelegt. László wächst also in etablierten Verhältnissen auf und arbeitet sich bis zum kaiserlich ottomanischen Generalkonsul hinauf. Seine große Leidenschaft gilt Rennpferden, von denen er einige exquisite erwirbt und mit ihnen bei Rennen große Erfolg erzielt – ein kostspieliges Unternehmen, das jedoch eine der Eintrittskarten zur Wiener Gesellschaft bedeutet. László reist von einer fashionablen Sommerfrische zur nächsten und ist gern gesehener Gast von Abbazia bis Marienbad, worüber Gesellschaftsgazetten wie das Wiener Salonblatt regelmäßig berichten.
Die Villa Mendl, später Dirsztay, Wiener Bauindustriezeitung, Blatt 31, 1889
Mit 30 Jahren entscheidet er sich, eine Villa in Ischl zu erwerben. Die Familie hält dem Ort schon lang die Treue, Lászlós Onkel Carl Fischl steigt bereits 1853 zum ersten Mal im Hotel Post ab. In den 1880er-Jahren kehrt die Familie wieder zurück, László selbst besucht Ischl erstmals 1894, da ist er bereits in zweiter Ehe mit Georgine Plaut verheiratet. Aus erster Ehe hat er Sohn Viktor, aus zweiter Ehe Sohn Andor. Und auch Georgine bringt zwei Kinder mit in die Ehe, Charlotte und Franz, der von László adoptiert wird. Sie alle verbringen die Sommerfrische gemeinsam in Ischl.
Lászlós Frau Georgine steht ihm in Sachen extravagante Lebensführung um nichts nach. Sie fährt im Jahr 1926 täglich mit einem Elektromobil durch die Straßen Wiens, und auch wenn das prunkvolle Palais am Rennweg zu diesem Zeitpunkt bereits verkauft ist, ist der luxuriöse Haushalt, der nun in der Theresianumgasse geführt wird, stadtbekannt.
Eine Reise nach Hannover im November 2016 bringt eine unerwartete Begegnung mit dem Schriftsteller Viktor Dirsztay: In einer Ausstellung im Sprengel-Museum hängt sein Porträt, gemalt von Oskar Kokoschka. Zu sehen ist ein hagerer Mann mit Monokel in einem auffallend gestreiften Anzug, der eine lässige Handbewegung macht. Und der Eindruck des Porträts trügt nicht: »Vor Jahren konnte man bei großen Wiener Premieren, schönen Konzerten und sonstigen Ereignissen einen auffallend häßlichen, jungen Menschen, der sich von den üblichen Wiener Typen durch einen stark geistigen Ausdruck unterschied, an der Seite einer schönen schlanken blonden Frau sehen«, berichtet eine Zeitung16 am 20. März 1926 unter der Überschrift Die Tragödie eines geistigen Menschen. »In den Wiener Restaurants vom Sacher abwärts, im Tabarin und Trocadero kannte man den Baron Viktor Dirsztay als einen liebenswürdigen, im Wesen ziemlich exzentrischen, jungen Mann, der niemals die üblichen Gesten des Viveurs gebrauchte, eher den Eindruck eines Künstlers machte, der sich irgendwie in ein Nachtlokal oder ein mondänes Restaurant verirrt hat. Er verfügte über viel Witz, war mitunter zynisch, doch ein gütiger Mensch, auch in der Gesellschaft beliebt, wurde aber nie ganz ernstgenommen.«
Oskar Kokoschka porträtiert Viktor Dirsztay.
Aber warum? Eine plausible Erklärung gibt das Neue Wiener Journal: »Wenn man in einem noblen Palais dichtet, hat man es viel schwerer, den Leuten die Überzeugung von wirklich vorhandenem Talent beizubringen, als wenn man ein armer Schlucker ist. So war man eben viel eher dazu geneigt, den jungen Baron Dirsztay als einen liebenswürdigen Dilettanten hinzunehmen, dem die Mäzenatengeste besser zu Gesicht stand als eigenes Schaffen. Die Gunst des Schicksals, nicht im Kampf um das tägliche Brot stehen zu müssen, war nur scheinbar eine Gunst. In Wirklichkeit war sie ein Verhängnis.«17 Ein trauriges Resümee, das der Wahrheit näher kommt, der Persönlichkeit Viktor Dirsztays jedoch nicht gerecht wird, beschäftigt er sich doch intensiv mit Sigmund Freuds Lehren und komponiert Kammermusik – ein umfassend gebildeter Mensch, befreundet mit Kokoschka, immer offen für Neues und neugierig auf ungewöhnliche Entwicklungen.
Viktor hat für seine Familie nicht viel übrig, im Gegenteil. Er macht sich über die große Anstrengung, alles Jüdische hinter sich zu lassen, lustig und lässt sich Visitenkarten drucken mit folgendem Text: Baron Viktor Dirsztay, né Fischl.
Nach dem Tod des Vaters im Jahr 1921 versiegt die finanzielle Quelle. Doch gilt Viktor der Geist mehr als das Geld: Er übersiedelt in eine Wohnung in kleinbürgerlichem Ambiente: »In den letzten Jahren ging es dem kunstsinnigen Mann finanziell nicht mehr so gut wie früher. Er mußte sich mit einem wesentlich niedrigeren Standard bescheiden. Das waren ja nur Äußerlichkeiten, die er ruhig getragen hätte. Er litt keine Not und damit hatte er vollauf genug. Was ihn brach, war das Leiden seiner Frau, mit der ihn eine tiefe und schöne Freundschaft verband.«18
1935 nimmt sein Leben in einem Doppelselbstmord gemeinsam mit seiner Frau Klara ein spektakuläres Ende – ein Skandal aus der Wiener Gesellschaft interessiert immer, doch klingt die Berichterstattung weniger reißerisch als mitleidvoll. Klara Dirsztay litt an einer schweren Gemütsdepression und befand sich in der Heilanstalt Am Steinhof. Auf Revers wird sie in häusliche Pflege entlassen und zieht zu ihrem Mann, mit dem sie im besten Einverständnis lebt, obwohl sie seit Jahren geschieden sind. Die Neue Freie Presse berichtet am 6. November 1935, dass Baron Dirsztay geäußert habe, dem Leiden seiner Frau nicht mehr lang zuschauen zu können und er »Schluß machen wolle«. Diesen Plan setzt er um: Er dreht das Gas auf, das Ehepaar wird tot in der Küche gefunden. »Baron Viktor Dirsztay ist aus dem Leben gegangen, sehr diskret, sehr ›con sordino‹«, schreibt Der Morgen respektvoll und wehmütig am 11. November 1935. »Auf dem Küchentisch lag nur ein Zettel mit den Worten ›im Einverständnis‹. Zwei kurze Worte eines reichen Lebens. Denn der Baron Viktor Dirsztay, der still und ein wenig salopp im Äußeren, im Kaffeehaus saß und über Literatur, Musik, Psychoanalyse debattierte, war ein echter großer Künstler.« Sein Leben wird vom Zug der Zeit überrollt – sein Leben als gern gesehener Gast großer Theaterpremieren, legendärer Konzerte, skandalöser Ausstellungseröffnungen und hochgeistiger Kaffeehausdiskussionen liegt in der Vergangenheit. »Die einen erblickten in ihm einen leidenschaftlichen Parteigänger aller neuen künstlerischen und geistigen Bestrebungen, die anderen, weniger mit seiner Haltung und seinem Tagewerk einverstanden, ein extravagantes Original. Die Wahrheit lag wohl auch diesmal wie so häufig in der Mitte.« Ein Freigeist, der sich den Konventionen um keinen Preis unterordnet und keineswegs langweilen will – Small Talk ist ihm ein Greuel: »Tatsache ist, daß sich der Baron von allem, was über die Banalitäten des Alltagslebens hinaus zu den freieren Regionen der Geistigkeit hinwies, magisch angezogen fühlte, und Tatsache ist, daß er sich nicht damit genügte, bloßer Zuschauer zu sein, sondern auch sehr ernst zu nehmende Proben einer eigenen und stark persönlichen Begabung ablegte.«19
Viktor und Klara Dirsztay, Neues Wiener Journal, 7.11.1935
Franz und Olga Dirsztay in Bad Ischl, 1950er-Jahre
Auch zu Viktors Adoptivbruder Franz führt eine persönliche Begegnung: Sein Sohn Oliver hat uns bei einem Abendessen im Jahr 2015 viel über die Familie erzählt – ein temperament- und humorvoller Herr, der mit seiner Frau Elyane in München lebt und uns Einblicke in diese bunte Familie gewährt hat. Franz Dirsztay betätigt sich ebenfalls als Schriftsteller – unter anderem publiziert er 1924 den Roman Kokotte Mann. Der Roman eines erotischen Abenteurers ebenso wie den Essay Der höhere Snobbismus, erschienen 1930 im Amalthea-Verlag. Allein diese beiden Titel lassen erahnen, dass sich auch Franz keinen gesellschaftlichen Zwängen unterordnet, doch gewisse Traditionen schätzt und pflegt. »In seinem Essay Der höhere Snobismus versuchte er mit leiser Selbstironie seine Grande Passion auszudeuten und zu erklären. Und er war auch klug genug, auf große, weithin sichtbare Erfolge offenbar leichten Herzens zu verzichten und sich damit zufrieden zu geben, daß er doch irgendwie mit zum Bau gehörte und zumindest als Publikum Avantgardist anbrechender Ideen und Formen war.«20
Zu den von Franz gepflegten Traditionen zählen die Sommeraufenthalte in der Ischler Villa, die er nach dem Tod des Vaters gemeinsam mit seinen Geschwistern Charlotte und Andor besitzt. Charlotte ist mit Heinrich Freiherr von Menasce verheiratet, dessen Eltern bereits 1899 erstmals im vornehmen Hotel Bauer in Ischl abgestiegen sind. Sie haben einen weiten Weg hinter sich, lebt die Familie doch in Ägypten. Es ist anzunehmen, dass sich Charlotte und Heinrich in Ischl begegnet sind, jedenfalls heiraten sie 1902 hier während der gemeinsamen Sommerfrische. Sie leben zuerst in Alexandrien, dann in Wien und verbringen jeden Sommer in Bad Ischl, doch vorerst nicht in der Familienvilla, sondern meist im Hotel Bauer oder eingemietet in unterschiedlichen Sommerwohnungen. Erst nach dem Tod des Vaters im Jahr 1921 verbringt Charlotte samt ihrer Familie die Sommer meist in der eigenen Villa.
Der Sommer 1938 zählt nicht mehr dazu. Das Gerangel um die Villen in Ischl beginnt, und auf die Villa der Dirsztays hat es die Sparkasse Bad Ischl abgesehen. Mit Erfolg: Am 23. November 1938 »kauft« sie die Villa um 15 000 RM. Das Gutachten eines Sachverständigen errechnet wenig später einen Wert von 24 000 RM – ein Schnäppchen also. Charlotte befindet sich zu diesem Zeitpunkt in Lausanne, Franz und Andor sind in Paris. »Die Sparkasse hat diese Liegenschaft nicht aus spekulativen Gründen erworben, sondern der SA Standarte J/6 Bad Ischl durch diesen Ankauf die Möglichkeit geboten, die Unterbringung dieser SA Standarte in Bad Ischl zu vollziehen«, rechtfertigt Wilhelm Haenel (siehe Kapitel 25) das Vorgehen gegenüber der Vermögensverkehrsstelle in Wien.21 Der Grund dieses Schreibens ist die noch nicht erteilte Genehmigung des Kaufvertrages durch die Vermögensverkehrsstelle, der alle Vermögenswerte der als jüdisch geltenden Menschen gemeldet werden müssen und die bei allen »Kaufverfahren« das letzte Wort hat. Die Angelegenheit zieht sich in die Länge, denn auch der Gau Oberdonau ist an diesem wertvollen Besitz interessiert und setzt 1940 Wilhelm Haenel als Treuhänder ein. Dieser vertritt jedoch nicht die Interessen des Gaues, sondern macht sich für den Verkauf an die Sparkasse stark, was ihm am 20. Juni 1940 auch gelingt – es soll sein eigener Schaden nicht sein.
Noch bevor die Entscheidung fällt, wird man noch auf ein weiteres Objekt der Begierde aufmerksam: ein Safe in der Sparkasse Bad Ischl lautend auf Andor Dirsztay, der eine beachtliche Anzahl an Silbermünzen, Silberbesteck sowie ein »Taschenuhrgehänge bestehend aus neun Stahlmantelgeschossen und vier russischen Münzen«22 enthält. Dies alles wird unter der Bezeichnung »Judendepot« bei der Bad Ischler Sparkasse per 18. Mai 1942 registriert.23 Am 15. März 1948 wird die Villa an Charlotte, Franz und Andor rückgestellt, 1957 verkaufen die Erben die Villa.