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5 Oscar Straus und der Stern’sche Familienclan Wiesingerstraße 1 (vormals Elisabethstraße)

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Am 13. Juni 1878 bezieht die Bankiersfamilie Stern die Villa Pilz in der Brennerstraße 15 (siehe Kapitel 19): Katharina Stern mit ihren Söhnen Alfred und Julius, ihren Töchtern Hermine Rosenbach und Gabriele Straus, Enkeln, einer Nichte, einem Hofmeister, einer Gouvernante und Dienerschaft – alles in allem 15 Personen, die sich für den Sommer in Ischl einrichten. Einer der Enkel heißt Oscar Straus und ist acht Jahre alt. Mehr als 70 Jahre wird seine Verbindung mit Ischl andauern, schon als Vierjähriger wird er in ländlicher Tracht abgebildet.24 Der Familientross hat sich bereits ab 1863 Jahr für Jahr nach Ischl in Bewegung gesetzt – diese Monate der Sommerfrische prägen den heranwachsenden Oscar und pflanzen in ihm eine nachhaltige und tiefe Liebe für Ischl ein.


Oscar Straus, vierjährig in Bad Ischl

Oscars Mutter Gabriele heiratet Louis Straus, der im Bankhaus Stern beschäftigt ist – wenig spektakulär. Doch endet diese Ehe dramatisch, denn 1875 begeht Louis Selbstmord: »Der bekannte Börsenagent und Disponent der Firma Stern und Straus, Herr Louis Straus, stattete gestern nachmittags seiner in der Kärntnerstraße Nr. 20 im vierten Stockwerk wohnhaften Mutter einen Besuch ab. Nachdem er sich von derselben verabschiedet hatte, begab er sich in das Stiegenhaus und stürzte sich über alle Stockwerke hinab, wo er mit zerschmetterten Gliedern todt liegen blieb«, berichtet die Neue Freie Presse am 25. November 1875 in plastischen Worten. Die Gründe für diese Tat liegen im Dunkeln. Oscar wächst dadurch jedoch in der Familie Stern auf: Sein Onkel Alfred nimmt den Neffen unter seine Fittiche und lässt ihm die bestmögliche Ausbildung zukommen. Alfred Stern ist angesehener Rechtsanwalt und ausgewiesener Spezialist des Wiener Finanzwesens, darüber hinaus fungiert er viele Jahre lang als Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde und ist als solcher »der bedeutendste Mann im Kreise des liberalen Judentums«, wie es in einem respektvollen Nachruf in der Jüdischen Korrespondenz vom 5. Dezember 1918 heißt. Ein streitbarer Mann, der für seine Angelegenheiten eintritt und eine feste Meinung hat – auch in Bezug auf den Lebensweg seines Neffen: Ein Musiker entspricht wahrlich nicht den Vorstellungen des Patriarchen. Doch Oscar setzt sich durch.

Trotz aller Differenzen verbindet Onkel und Neffe die große Zuneigung zu Ischl: Alfred und die Familie verbringen hier die Sommermonate und zelebrieren dies. An den Vormittagen wandert man gemeinsam zur Jause, Mutter Katharina Stern wird im Tragsessel transportiert, umrahmt von ihrem Sohn Alfred und zahlreichen anderen Familienmitgliedern. Hinterdrein kommt Oscar, dem die Szenerie, angeführt von einem Diener mit weißen Handschuhen, eher peinlich ist. Großes Theater also – und vielleicht auch eine Inspirationsquelle für kommende Erfolgsoperetten. Am Nachmittag darf Oscar Ischl auf eigene Faust erkunden, er liebt die Konzerte der Kurmusik und dirigiert begeistert mit. Sein Wunsch nach einer Trommel samt Trompete wird erstaunlicherweise erfüllt, nun ist es aus mit den ruhigen Abenden in der Villa, denn Oscar entwickelt eine Methode, beide Instrumente gleichzeitig zu spielen. Die Legende besagt, dass sich Johann Strauß und Johannes Brahms über den Krawall beschwert haben sollen – doch beide wohnen weit entfernt von der Villa in der Brennerstraße, es bleibt aber eine gute Anekdote zu Oscars ersten musikalischen Schritten in Ischl.

Als Musiker reüssiert Oscar Straus erstmals in Berlin. Dort trifft er auch die Geigerin Helene Neumann mit dem Künstlernamen Nelly Irmen, die er 1895 im Wiener Stadttempel heiratet. Ihr wurde das künstlerische Talent bereits in die Wiege gelegt, denn ihre Mutter Bertha schreibt unter den Pseudonymen Reinhold Scheffel und G. Naumann Dorfgeschichten, mit einem Vorwort von Ludwig Anzengruber versehen, sowie historische Skizzen und Romane. Helenes Schwester Edwina, genannt Eddy, auch Schriftstellerin, heiratet den Vorstand der Länderbank, Hermann Gruhenberg, und deren Tochter Myra, wiederum eine Schriftstellerin, heiratet 1922 ihren Cousin Leo Straus – nicht so unüblich in diesen Kreisen. Und alle treffen einander in Ischl.


Oscar Straus, 1910 bereits arriviert

Die Ehe zwischen Oscar und Nelly hält nicht, 1908 wird Clara Singer seine zweite Frau. Sie erwirbt 1924 ein Haus in Bad Ischl – das erste Mal, dass sich ein Mitglied des Clans »festlegt«, bis zu diesem Zeitpunkt hat man gemietet. Verkäufer des Hauses ist der Bankier Oskar Deli-Vásárhely, der 1908, aus Hamburg kommend, erstmals in Ischl absteigt. 1920 erwirbt er eine Villa, die er jedoch bereits vier Jahre später an Clara Straus verkauft. 220 000 000 Kronen bezahlt sie in der Inflationszeit. Doch bereits eineinhalb Jahre später verkauft sie das Haus wieder.

Oscar und Clara Straus halten die Tradition der Stern’schen Familie aufrecht, eine Unterkunft zu mieten, die Villa Brennerstraße 30 wird für einige Jahre zur Sommerfrische. Die Villa Vielweib am Rande des Kurparks beziehen Oscar und Clara Straus erst nach ihrer Rückkehr aus dem Exil als letzte Heimat.

Wie kaum einer seiner Kollegen wird Oscar Straus schon sehr früh mit radikalem Antisemitismus konfrontiert: 1897 mobbt ihn eine antisemitische Kampagne aus seiner Position als Kapellmeister in Teplitz-Schönau. Abgesehen von rassistischen Beschreibungen seines Äußeren kommen die typischen Stereotype zum Tragen: Arroganz, Unhöflichkeit, Unvermögen. Straus zieht die Konsequenz und beendet seinen Vertrag. Berlin bringt ihm nun internationalen Erfolg, im Land selbst äußern sich rechtsgerichtete Stimmen jedoch lautstark – doch wieso? Straus schafft eines seiner Meisterwerke, Die lustigen Nibelungen. Und auch ohne etwas vom ironisch-amüsanten Inhalt zu wissen, kann davon ausgegangen werden, dass die hehren Nibelungen für gewisse Kreise nicht als Stoff für eine leichtfüßige Operette geeignet sind.


Villa Vielweib, das Altersdomizil von Oscar Straus


Edmund Eysler, Franz Lehár, Leo Ascher, Oscar Straus in Bad Ischl, Zeichnung von Alfred Gerstenbrand

Oscar Straus macht eine Weltkarriere, seine Werke werden in Frankreich und England ebenso gespielt wie in Amerika – und überall ist der Meister auch selbst zu Gast. Einen ersten großen Einschnitt bringt der Ausbruch des Ersten Weltkrieges, seine Werke werden auf den internationalen Bühnen verboten, man befindet sich ja im Krieg mit Österreich-Ungarn. Was für eine Ironie: 1933 erfolgt das nächste Verbot auf den deutschen Bühnen, nun gilt Oscar Straus als Jude, und seine Werke feiern Erfolge auf den zuvor verbotenen Bühnen – Operettenrezeption als Spiegel der Weltgeschichte sozusagen.

So viel Erfolg erweckt Neid – und dass diesem Neid vor allem in nationalsozialistischen Zeitungen Ausdruck verliehen wird, liegt auf der Hand. Schon 1933, anlässlich der Produktion von Zwei lachende Augen am Theater an der Wien unter der Regie Hubert Marischkas, an der auch Trude Lieske mitwirkt (siehe Kapitel 40), hetzt Der Stürmer: »Ein jüdischer Komponist – Oskar Straus. Ein jüdischer Librettist – Ludwig Hirschfeld. Vor den Kulissen – Juden, hinter den Kulissen – Juden. Über allem das Weihnachtsgeschäft. Und alles umarmend, umfassend, umschlingend – Hubert.«25 1938 verlassen Oscar und Clara Straus Österreich und gelangen über Frankreich nach Amerika. Ihr Sohn Walter heiratet Friedl Harrer, die Tochter des Besitzers des Ischler Hotels Goldenes Kreuz (siehe Kapitel 6).

Oscars Sohn Leo ist, wie schon erwähnt, mit seiner Cousine Myra Gruhenberg verheiratet – ihnen gelingt die Flucht nicht, sie enden im Grauen der Konzentrationslager. Dies erfahren Oscar und Clara jedoch erst nach dem Ende des Krieges, den sie in Hollywood überstehen. Doch sobald es möglich ist, kehren sie nach Europa, nach Ischl zurück, um hier ihren Lebensmittelpunkt einzurichten – Oscar bleibt begehrt in der Welt und begibt sich trotz seines fortgeschrittenen Alters unermüdlich auf Reisen, um seine Werke zu dirigieren. Ein Weltstar. Clara führt in Ischl ein großes Haus, ihre Jausen sind legendär und ziehen andere Weltstars nach Ischl. Greta Garbo und der Direktor der New Yorker Met, Rudolf Bing, kommen aus Amerika, der geniale Produzent und Schöpfer des Weißen Rössls, Eric Charell, ist ebenfalls ein gern gesehener Gast, ebenso wie die Stars Gregory Peck und Maria Jeritza – die ganze Welt der Unterhaltungsbranche zu Gast bei einer Ischler Jause. Der Verleger und Librettist Armin Robinson kommt täglich vom Haidenhof (siehe Kapitel 40) und verbringt einige Stunden mit Oscar Straus, er ist zu seinem engsten Vertrauten geworden. Am 11. Jänner 1954 stirbt der große, international verehrte Komponist in Ischl, doch zu seinem Begräbnis kommen nur wenige Menschen: Ein Unwetter legt den Verkehr lahm und lässt ein Leben, das so vielen politischen Unwettern standgehalten hat, in einem Schneesturm untergehen. Wie sagte Oscar Straus: »Wie ich es heute sehe, bin ich in Wien zur Welt gekommen, in Berlin berühmt geworden, in Amerika konnte ich viel Geld verdienen, Paris hat mich freundlich aufgenommen, aber zu Hause bin ich doch in Ischl.«26

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