Читать книгу Die Villen von Bad Ischl - Marie-Theres Arnbom - Страница 16
8 Das Rosenstöckl, Ischls Musikerhaus Esplanade 6a
ОглавлениеAn der Esplanade befinden sich die ältesten und schönsten Häuser Ischls aus dem 17. Jahrhundert, in denen einst die Salzfertiger im Erdgeschoß das Salz lagerten. Die Traun rauscht vorbei, die Häuser zeigen den gediegenen Reichtum ihrer früheren Eigentümer. Im Jahr 1849 werden die Salzfertigungen aufgehoben, gerade als die Nachfrage für Sommerwohnungen ansteigt – eine glückliche Fügung, können doch die Häuser somit gleich einer neuen Nutzung zugeführt werden. Am berühmtesten ist sicherlich das Hotel Austria, in dem die kaiserliche Familie vorerst absteigt. Fast direkt daneben besitzt Ferdinand Lidl von Lidlsheim aus einer alteingesessenen Salzfertiger-Dynastie ein stattliches Haus, dem 1842 ein Gartenhaus hinzugefügt wird, das sogenannte »Rosenstöckl«. Es muss ein musikalischer Geist mitschwingen, schaffen dort doch Komponisten wie Meyerbeer, Lehár und Kálmán zahlreiche Werke, inspiriert von der Atmosphäre des Biedermeierhäuschens, das inmitten eines wunderschönen Gartens steht, ausgestattet mit Springbrunnen und Salettl.
1848 notiert Giacomo Meyerbeer in sein Tagebuch, dass er sich für die Dauer seines sechswöchigen Ischler Aufenthaltes im Sommer dieses Jahres ein Klavier ausborgen kann – unerlässliches Instrument für den Komponisten, der hier nun seine Oper Le Prophète mit dem berühmten Krönungsmarsch vollenden kann. Meyerbeer, der sich in keinem besonders guten gesundheitlichen Zustand befindet, lässt sich in einem Tragsessel in die Wandelhalle tragen und empfängt Bewunderer im Garten des Stöckls. Eine Anekdote besagt, dass er im Kreise seiner Gäste eingenickt sei und diese ganz ruhig, um ihn nicht zu stören, Geschirr und Tischtücher vor einem drohenden Gewitter in Sicherheit gebracht hätten. Meyerbeer sei aufgeschreckt und habe den lautlosen Zug ins Haus gehen sehen – angeblich der Moment der Inspiration für den Krönungsmarsch. Die Musik erinnert jedoch eher an die Militärmärsche, die oftmals durch Ischl gehallt sind. So oder so: Ischl bietet anscheinend die nötige Atmosphäre, um Meisterwerke zu schaffen.
Das Rosenstöckl
Ein Jahr später verbringen Meyerbeers Frau Minna und die drei Töchter mehrere Monate in Ischl, der Meister kommt auf ein paar Tage zu Besuch. Auch in den folgenden Jahren zählen die Damen Meyerbeer zu den Ischler Sommergästen, sie logieren jedoch nicht mehr im Rosenstöckl, sondern in der Villa Gassner in Roith. Als musikalischen Assistenten beschäftigt Meyerbeer in Ischl den jungen Pianisten Theodor Leschetizky, der bereits als Kind seine Sommer hier verbracht hat und später eine Villa erwirbt (siehe Kapitel 32).
Jahre später mietet Franz Lehár das Stöckl, bevor er seine Villa kaufen kann, und komponiert hier in dieser offenbar so inspirierenden Atmosphäre einige Operetten: 1909 Zigeunerliebe und Graf von Luxemburg mit Libretti von Alfred Willner und Robert Bodanzky, die im Sommer zuvor selbstverständlich auch in Ischl weilten, um an den neuen Werken zu arbeiten. Zwei Jahre später bringt dasselbe Trio die Operette Eva heraus – die erste Operette, die im Arbeitermilieu spielt, eine echte Novität. Und ein weiterer Librettist mischt mit: Victor Léon, der 1905 den Welterfolg der Lustigen Witwe miterschaffen hat. 1909 wird Das Fürstenkind uraufgeführt, ebenfalls im Rosenstöckl entstanden.
1915 und 1916 mietet Emmerich Kálmán das Rosenstöckl, das eigentlich keine Villa, sondern ein kleiner Bungalow mit nur drei Zimmern ist. Der Komponist erinnert sich: »Vor dem Häuschen blühen tausende von Heckenrosen und bilden eine dichte Blumenmauer, aus der kleine alte Skulpturen schelmisch herausgucken. Unzählige rote und rosa Rosen blühen hier jedes Jahr – die Natur schenkt ihre Blüte unbekümmert um Krieg und Frieden …«37
Lehár hatte dem Komponistenkollegen geraten, das Rosenstöckl zu mieten, und ihm nebenbei erzählt, dass er dort Das Fürstenkind, Graf von Luxemburg und Zigeunerliebe geschrieben habe – die Atmosphäre scheint für musikalische Einfälle also ausgesprochen günstig zu sein. Und es geht tatsächlich weiter: Die so erfolgreiche Csárdásfürstin und Die Faschingsfee erblicken hier, in diesem von Rosen umkränzten Haus, das Licht der Welt – und die Grundlage für so manch anderes Meisterwerk entsteht in Form von Skizzen, Melodien, Ideen. Kálmán schätzt vor allem die versteckte Lage des Stöckls: Von der Esplanade, auf der sich das Ischler Gesellschaftsleben zum Großteil abspielt und wo es dementsprechend laut und lustig zugeht, führt ein Gang durch das Vorhaus, den es erst zu passieren gilt – der Komponist nennt diesen seine »Zugbrücke«, an die ein »Wassergraben« in Form des Gartens anschließt, der erst durchquert werden muss, um endlich ins Stöckl zu gelangen – kein Wunder, dass jenes von Kálmán als »Kastell« bezeichnet wird. Nur diese Schutzmaßnahmen lassen ein ruhiges Arbeiten mitten im Ischler Wirbel zu. Aber auch ein Idyll hat Nachteile – das Stöckl ist nicht unterkellert und dementsprechend feucht, Kálmán entschließt sich daher, es gegen die Sarsteiner-Villa zu tauschen (siehe Kapitel 20).
Béla Jenbach, der Textdichter der Csárdásfürstin, findet ebenfalls Geschmack an Ischl – und am Rosenstöckl, das er ab 1923 für einige Wochen mietet, um mit »seinem Komponisten« Lehár in Ruhe weitere Meisterwerke zu schaffen. Die inspirierende Atmosphäre funktioniert also nicht nur beim Komponisten, sondern auch beim Librettisten: Mit Paganini im Jahr 1925 und Der Zarewitsch zwei Jahre später erreichen sie den Gipfel ihres Erfolgs, gemeinsam mit Richard Tauber, dem die Hauptrollen auf den Leib geschrieben sind.
Das Rosenstöckl im Jahr 1932
Was macht die Atmosphäre eines Hauses so speziell, dass sich Künstler die Klinke in die Hand geben, eintreten und mit neuen Werken wieder herauskommen? Eine Frage, die nur durch die Bewohner beantwortet werden kann – und diese reißen nicht ab: In denselben Jahren wie Jenbach verbringt der Opernkomponist Julius Bittner einige Sommer hier – und auch sein Werkverzeichnis wächst munter weiter. Ein anderes Genre, die Erfolge bleiben jedoch ebensowenig aus.
Und dann gibt es hier noch zwei wahre Originale: die Schriftsteller Emil und Arnold Golz, Zwillinge mit markanten Gesichtszügen, einander so ähnlich, dass sie kein Mensch auseinanderhalten kann. Und sie kultivieren dies auch: Sie sprechen mit den gleichen Worten, haben die gleichen Gebärden, tragen die gleichen Anzüge und die gleichen Hüte. All ihre Stücke schreiben sie gemeinsam und können enorme Erfolge verzeichnen: Ihre Lustspiele, Possen und Komödien erfreuen sich größter Beliebtheit und erobern die Bühnen, für Carl Michael Ziehrer und Edmund Eysler verfassen sie Operettenlibretti. Eine unglaubliche Produktivität, die sich von 1924 bis 1937 auch im Rosenstöckl speist.
Emil und Arnold Golz, genannt die Golze: nicht zu unterscheiden
Die Golze, wie sie allgemein genannt werden, setzen spöttisch dem Ischler Sommertreiben mit ihrem Artikel Die Wallfahrt nach Ischl in der Bühne vom 20. Juli 1925 ein Denkmal: »Wir haben unseren Musentempel mitten im Trubel und Jubel des Theaterstädchens auf der Esplanade errichtet und sind voll Erwartungen einer regen Saison. Der Regen hat sich schon vor Wochen pünktlich eingestellt, was man aber von der Saison nicht gut behaupten kann.« Sogar das sich sehr seriös gebende Jahrbuch der Wiener Gesellschaft aus dem Jahr 1929 setzt an den Anfang seiner Brüder Golz-Biografie eine amüsiert-respektlose Anekdote: »›Wir sind‹, erzählte einmal Emil Golz, ›in Ischl mit dem Kaiser Franz Josef spazierengegangen, und da haben die Leute gefragt: ›Wer ist denn der vornehme, alte Offizier, der mit den Brüdern Golz spazierengeht?‹«
Die Nazis hassen diese amüsanten, spöttischen – und jüdischen – Brüder, und einmal mehr ist unverständlich, weshalb Humor und Witz als solch große Bedrohung angesehen werden. Erstaunlicherweise heiratet nur einer der Brüder, Emil Golz – die wahrscheinlich einzige Ungleichheit im Leben der Brüder. Seine Frau Fanny gilt nicht als jüdisch, obwohl sie anlässlich der Hochzeit 1915 zum Judentum übergetreten ist – und das wird ihnen zum Verhängnis: Die Kultusgemeinde bemüht sich, jüdischen Personen die Ausreise zu ermöglichen – Fanny zählt nicht dazu. Alle anderen Organisationen versuchen, nichtjüdischen Verfolgten zur Flucht zu verhelfen – Emil und Arnold zählen nicht dazu. Ein unüberwind-bares Hindernis, wie eine verzweifelte Korrespondenz zwischen Fanny Golz und Alfred Grünwald, der mittlerweile im sicheren New York gelandet ist, zeigt. Fanny Golz berichtet Alfred Grünwald am 22. März 1941: »Vom hiesigen Amerikanischen Generalkonsulat endlich davon verständigt, zur Einreise in die USA an die Reihe zu kommen, erklärt die hiesige israelitische Kulturgemeinde apodiktisch, nur Emil und Arnold Schiffkarten zu beschaffen, während sie eine solche für mich als Arierin verweigert. Nachdem es nun ganz unmöglich ist, diese Schiffkarte für mich irgendwie zu erlangen, wollten Emil und Arnold allein die Fahrt unternehmen, da erklärt das hiesige Amerikanische Konsulat, uns nur dann die Visa zu erteilen, wenn wir gemeinsam, also zu dritt die Reise antreten. Drum meine tiefherzliche, meine flehentliche Bitte an Sie verehrter Herr Grünwald, uns zur Erreichung unseres Reisezieles Ihren gütigen Beistand nicht zu versagen. Von diesem allein hängt die Zukunft Emils und Arnolds ab, deren Sehnsucht beide nach USA zieht, wo ihrer seit langem unsere Affidavitgeber harren. Und nun: Mein Appell, meine Bitte, mein Gebet: Erlegen Sie so rasch wie nur möglich an American Joint Distribution den Betrag für eine Schiffkarte für Fanny Golz-Goldstein. … Sie sind, verehrter Herr Grünwald, als der vielgerühmte Poet zu klug und als der herzensgute Mensch zu einsichtsvoll, um nicht die Notwendigkeit und das überaus Dringende meines Ansuchens verstehend, es auch zu entschuldigen. Drum – helfen Sie! Helfen Sie vor allem den beiden, deren Dank Ihnen sicher ist.«38
Es gelingt nicht. Arnold wird am 20. August 1942 nach There-sienstadt deportiert und stirbt 76-jährig am 2. Oktober 1942. Emil stirbt am 22. November 1944 in einer »Sammelwohnung«, wie die Ghettos in Wien beschönigend genannt werden, mit 78 Jahren. Dies alles muss Fanny ertragen. Sie stirbt am 14. April 1951 im jüdischen Altersheim in der Seegasse 9.
So nimmt die Geschichte der Bewohner einer so inspirierenden, anregenden und positive Energie versprühenden Villa ein tragisches Ende.