Читать книгу Die Villen von Bad Ischl - Marie-Theres Arnbom - Страница 9
Entdeckungstour Eins 1 Alltag in der Sommerfrische. Die Villa Albrecht und die Villa Schodterer Kurhausstraße (vormals Erzherzogin-Marie-Valerie-Straße) 7 und 9
ОглавлениеDie meisten Besuche in Ischl führen durch die Kurhausstraße, wo der Blick jedes Mal aufs Neue an zwei der beeindruckendsten Villen hängen bleibt: prachtvolle Häuser mit Holzveranden und Terrassen in einer Mischung aus städtischem und ländlichem Stil – also gewissermaßen die architektonische Darstellung des Sommerfrischepublikums par excellence.
1887 wird dieser Teil der Stadt hinter dem Kurhaus neu erschlossen, die Straße erhält ursprünglich den Namen der jüngsten Kaisertochter Marie Valerie. Mehrere Bauherren – zwei wollen wir in den Mittelpunkt stellen – beschließen, hier neue Gebäude mit mehreren Wohnungen, zur Vermietung für das anspruchsvolle Publikum zu errichten. Die Stadt platzt im Sommer aus allen Nähten, viele Familien reisen mit Sack und Pack an und wollen ihre Zeit statt im Hotel in mehr oder weniger bequemen und komfortablen Wohnungen verbringen. Ein Balkon gehört dazu, nicht nur zum Genießen der herrlichen Luft, sondern auch um einen guten Blick auf das Geschehen hier zu erhalten. Ein wichtiges Detail des Sommerfrischelebens.
Villa Albrecht und Villa Schodterer, Bauindustriezeitung Blatt 9, 1889
Der Goldschmied Engelbert Schodterer2 mischt zwischen 1875 und 1895 während der liberalen Ära kräftig in der Ischler Kommunalpolitik mit. 42 Jahre lang gehört er dem Gemeinderat an – in so vielen Jahren kann man schon einiges bewegen. Und dies tut er auch: Sein größtes Verdienst besteht in der Errichtung der Wildenstein-Hochquellwasserleitung, die für Einheimische genauso bedeutsam ist wie für die Sommergäste. Sein Geschäft in der Pfarrgasse existiert noch heute – ebenso wie die prächtige Villa in der Kurhausstraße 9.
Die Nebenvilla lässt der Wiener Kaufmann Edwin Albrecht erbauen, der jedoch bereits 1891 stirbt. Seine Witwe Adele und ihre Schwestern samt Familien verbringen viele Sommer gemeinsam in der Villa, die zwei gleich große Wohnungen inklusive Nebenräume beherbergt – ebenso wie die Villa Schodterer. Ausgeführt werden die Ischler Villenbauten von lokalen Baumeistern mit Sinn für Stil, Tradition, Proportionen und Funktionalität – im Fall dieser beiden Villen zeichnen der Ischler Baumeister Franz Huber für die Villa Albrecht und der Linzer Baumeister Paul Hochegger für die Villa Schodterer verantwortlich.3
Die beiden Wohnungen sind jeweils großzügig angelegt: Um den zentralen Salon mit dem obligaten Balkon oder einer bei Regen idealen Veranda gruppieren sich sechs Räume, Küche und Wirtschaftsräume. Die Dachgeschoße bieten weitere Zimmer zur Einzelvermietung – hier steigen oft Studenten ab, um auf preiswerte Weise das Ischler Leben zu genießen.
Was macht ein Haus zu einer Villa? Man muss ein wenig in die Vergangenheit blicken, zu den unvergleichlichen Palladio-Villen des 16. Jahrhunderts mit ihren perfekten Proportionen: Die Villa Toscana in Gmunden steht ganz in dieser Tradition – und liegt nicht weit von Bad Ischl. Die Zeit der Romantik mit wunderschönen Landschaftsgärten kommt noch hinzu und hinterlässt auch in Ischl ihre heute kaum mehr bemerkbaren Spuren. Und dann gibt es die herausragenden Bauten: das Gut Engleithen, besser bekannt als Villa Rothstein vulgo Spiegl, sicherlich der beeindruckendste Besitz in Ischl. Eine Villa? Nein, eher ein Schloss, dem gegenüber die Kaiservilla wirklich den Eindruck einer herrschaftlichen Villa, jedoch nicht den eines Schlosses macht. Oder die Villa Blumenthal, außergewöhnlich und extravagant – eine ganz eigene Liga. Auch die Villa Landauer bildet eine eigene Kategorie, so wie die Lehár-Villa: völlig unterschiedliche Stile mit demselben Ziel, nämlich einen dem Lebensstil adäquaten Wohnraum zu schaffen oder zu beziehen. Die Sarsteiner-Villa, bewohnt von Emmerich Kálmán, fällt ebenso in diese Kategorie wie die Villen Dumba, Zichy/Maass-Portheim oder Herzfeld. Die Villa Seilern hingegen entspricht viel mehr einem Palais und verweist fast alle anderen Ischler Häuser auf die hinteren Plätze, falls es einen Wettkampf geben sollte.
Der Bautypus der Villa stammt aus römischer Zeit und imitiert den eines bürgerlichen Landhauses, passend zur Ischler Geschichte, denn genau darum dreht sich das Leben in der Sommerfrische, das sich seit der Zeit des Biedermeier entlang der neuen Bahnlinien entfaltet hat. Dazu gesellt sich der Klassizismus, weniger zurückhaltend und mehr auf Repräsentation ausgerichtet. Die Erweiterung des Ortes in alle Richtungen erfolgt rasch und durchaus geplant – eben auch in das erwähnte Gebiet hinter dem Kurhaus. Die Nachfrage steigt, das Angebot zieht nach. Gerade der westlich gelegene Ortsteil Kaltenbach wird zu einer Art Stadtentwicklungsgebiet. Die meisten Sommerfrischler siedeln sich hier an, lassen Villen erbauen oder erwerben sie, mitunter auch von der sehr aktiven Union Baugesellschaft, die Gründe im großen Stil aufkauft und Villen zum Weiterverkauf errichtet. Sie kennt ihre Klientel, betätigt sie sich doch auch an großen Ringstraßenbauten wie etwa dem Rathaus und dem Hotel Sacher. Vorausblickend erwirbt sie 1873 viele Gründe in Kaltenbach in dem Wissen, dass die Ringstraßengesellschaft bald dafür Interesse entwickeln wird. Und sie behält recht. Noch im Jahr 1923 schreibt das Neue Wiener Journal: »Ischl ist eine – zugegeben liebenswürdige – Zwangsvorstellung, die ein ganz bestimmter, wintersüber zwischen dem Café Siller4 und der Bristol-Bar fluktuierender Menschenschlag zu Anfang Juli bekommt, um sie nicht vor dem ersten September wieder loszuwerden. Ischl ist die ins Grüne übersiedelte Opernkreuzung, auf seiner Esplanade ist Österreich. Irgendwie bewahrt auch das heutige Ischl noch immer seine gestrige Macht. Man braucht dort nur oft genug gesehen worden zu sein, um zu einer Persönlichkeit zu avancieren, die man nicht ist.«5
Was macht das Leben in den Villen während des Ischler Sommeralltags denn eigentlich aus? Dieses beginnt bereits mit den Vorbereitungen, stellt doch die Sommerfrische einen zentralen Punkt im Jahresablauf der Aristokratie und des Bürgertums dar. Das gesellschaftliche Leben verlagert sich nach Ischl, denn die Familien verbringen hier Monate, die Männer pendeln von Wien hierher, Geschäfte werden in entspannter Atmosphäre angebahnt. Für diesen mehrmonatigen Aufenthalt reist man »mit Wirtschaft«, denn für die Führung eines voll ausgerüsteten Haushaltes darf es an nichts fehlen, weder an Wäsche, noch an Mobiliar oder Personal. »Menagieren« nennt man diese Art des Reisens. Kleidung für alle möglichen und unmöglichen Gelegenheiten nimmt viel Platz ein, hinzu kommen ausreichend Lektüre, Spielzeug für die Kinder, Studienmaterial für die Ältesten, Tennis-, Bade- und Wanderausrüstung und was es eben noch an vermeintlich Unentbehrlichem gibt.
Wie gestaltet sich aber der Alltag für die Familienmitglieder, die keine beruflichen Verpflichtungen haben, und all die Operettenmacher, Künstler, Theaterdirektoren oder Journalisten? Die Sportlicheren unternehmen Landpartien in die Berge, andere frequentieren nahe gelegene Jausenstationen, wenn gewünscht, auch im Tragsessel. Auch das Ischler Strandbad, wie Strobl genannt wird, erfreut sich großer Beliebtheit, das Planschen im Wolfgangsee, eine kleine Bootspartie oder auch ein Segelausflug stehen auf dem Schönwetterprogramm. So manchen zieht es auch an den Hallstättersee, um in der dortigen Seerestauration eine Jause einzunehmen. Die Jause hat überhaupt einen eigenen Stellenwert und findet auch nicht unbedingt zu einer bestimmten Uhrzeit statt – Gelegenheiten dazu bieten sich immer, vor allem in der Konditorei Zauner, nicht nur wegen der Mehlspeisen, sondern wegen des Gesehenwerdens. Dies gilt auch für die Promenade über die Esplanade zu den Konzerten der Kurkapelle.
Die Familien verbringen viel Zeit in ihren Villen oder Sommerwohnungen. Lesen, Musizieren und das Schreiben von Briefen bestimmen den Alltag – und natürlich das Kartenspielen: Tarock- und Bridgeturniere zählen zu den gefragtesten Beschäftigungen. Ein geruhsames Leben, denn trotz großer Hotels gilt Ischl nicht als mondän, ausgestattet mit zahlreichen Nachtlokalen oder Bars, sondern als ruhig – das gesellschaftliche Leben spielt sich eher im privaten Rahmen der Villen ab. Abwechslung bringen das Theater und zahlreiche Benefizveranstaltungen zugunsten der Ischler Bevölkerung – für die Armen, ein Waisenhaus, für die Bücherei oder für die Opfer von Hochwasserkatastrophen. Die Sommergäste beteiligen sich eifrig daran.
Dirndl und Lederhose gehören ebenso zur Grundausstattung wie Vormittags-, Nachmittags- und Abendgarderobe – das Reglement der passenden Kleidung für den richtigen Anlass hält sich an strenge Vorschriften, die sich erst im Laufe des 20. Jahrhunderts zu lockern beginnen. Unter diesem Gesichtspunkt muss auch eine der von den Nationalsozialisten im Sommer 1938 erlassene Verordnung gesehen werden: »Juden ist das öffentliche Tragen von alpenländischen Trachten wie Lederhosen, Joppen, Dirndlkleidern, weißen Wadenstutzen usw. verboten.« Ein Verbot, sich angemessen zu kleiden, kommt einer Ausgrenzung gleich – und genau dies ist auch bezweckt.