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Ladies Night.

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Irgendwann würde sie sich wieder ein Fahrrad zulegen, schwor sich Theresa, während sie eingeklemmt zwischen frustrierten Schlipsträgern, lärmenden Teenies, erschöpften Verkäuferinnen und dauertelefonierenden Studenten in der U-Bahn Richtung Stephansplatz unterwegs war. Der Geruch von Schweiß, Parfum und schlechtem Atem mischte sich mit der stickigen Luft der U-Bahnschächte und verstärkte ihr Unbehagen. Aber nachdem ihr innerhalb eines Jahres drei Fahrräder gestohlen worden waren, hatte sie die Nase voll. Sie seufzte. Ihre Füße in den hohen Plateauschuhen schmerzten. Wie sehr sie große Frauen wie Marie-Christine beneidete, die auch in bequemen Ballerinas toll aussahen. Sie dagegen musste sich Tag für Tag in Folterwerkzeuge mit schwindelerregend hohen Absätzen zwängen, um zumindest die Ein-Meter-siebzig-Marke zu erreichen und ihrer opulenten Figur zu ein wenig optischer Streckung zu verhelfen.

„Nein, er hat dich schon wieder beschissen?“ Eine aufgeregte Stimme schrie dicht an ihrem Ohr. „Dieser Mistsack von Mann! Warum verlässt du ihn nicht? Ich mein, nicht nur, dass er dich betrügt. Er hängt dir auch fast jedes Mal was an. Den Herpes wirst du nie mehr wieder los, das schwör ich dir!“ Theresa hätte sich gern die Ohren zugehalten. Aufgrund des dichten Gedränges war es jedoch unmöglich, der telefonischen Therapiesitzung der aufgebrachten Mittvierzigerin zu entkommen. Die aufgedonnerte schwarze Haarpracht wackelte bedenklich, der grell geschminkte Mund verzog sich gefährlich weit nach unten. „Was heißt ... So ein Blödsinn! Du bist erst Fünfzig, da steht man noch nicht mit einem Fuß im Grab. Schau mich an! Und hör endlich auf, dich herunterzumachen. Kein Wunder, dass er dich so schlecht behandelt. Nein, ich hab nicht gesagt, dass du Schuld bist! Aber, nein, das hab ich nicht gesagt ...“

Inmitten eines dichten Menschenknäuels wurde Theresa aus der U-Bahn gedrängt und barmherzigerweise von ihrer Nachbarin getrennt. Keine Minute länger hätte sie die kreischende Stimme ertragen. Langsam kämpfte sie sich über die Rolltreppen in Richtung Ausgang.

Endlich! Es war ein lauer Frühlingsabend, die Fußgängerzone der Innenstadt war wie immer laut und voller Leben. Im „Goldenen U“ der glamourösen Einkaufsstraßen Kohlmarkt, Graben und Kärntner Straße mit ihren Monumentalbauten, den prachtvollen Palais, exklusiven Boutiquen und Fünfsternehotels wetteiferten Straßenmusikanten um Zuhörer und Geldspenden. Die Geschäfte hatten bereits geschlossen, aber nach einer ausgiebigen Shoppingtour oder einem langen Arbeitstag nahm man mit Freunden oder Arbeitskollegen gern einen Drink oder mehr in einer der zahllosen Bars und Restaurants zwischen Schwedenplatz und Staatsoper.

Vorsichtig darauf achtend, mit ihren hohen Absätzen nicht zwischen den Pflastersteinen hängen zu bleiben, entgingen Theresa die anerkennenden Blicke der Männer, die sich reihenweise nach ihr umdrehten. Endlich erreichte sie das berühmte Kaufhaus Steffl – benannt nach dem nahe gelegenen Stephansdom, den die Wiener seit jeher liebevoll „den Steffl“ nennen – und musterte kritisch die Auslagen. Viel zu teuer, stellte sie kopfschüttelnd fest, während sie mit einem eleganten Paar mittleren Alters und zwei sich angeregt unterhaltenden, auffällig zurechtgemachten Russinnen auf den Panoramalift wartete, der sie direkt über die Dächer der Wiener Innenstadt führte. Doch statt den Ausblick zu genießen, hielt Theresa ihre Augen stur geradeaus. Nur nicht nach unten sehen, ermahnte sie sich. Sie hatte nämlich – was sie natürlich nie und nimmer zugeben würde – Höhenangst, und der Weg nach oben in diesem gläsernen Käfig bereitete ihr großes Unbehagen. Nicht auszumalen, wenn er steckenbliebe. Theresa hielt die Luft an und entspannte sich erst, als sich die Türen öffneten. Die letzten Treppen führten durch das Innere des Gebäudes und wurden von einer Banderole mit Zitaten des österreichischen Lyrikers Erich Fried begleitet, dessen Gedichte Theresa liebte. „Es ist was es ist“ ... Auch das wusste niemand außer Tom, der ihr Erich Frieds Gesammelte Werke zu ihrem letzten Geburtstag geschenkt hatte.

Bereits wieder völlig entspannt schlenderte sie zum Eingang der Bar, vorbei an der Garderobe, zwei Sicherheitskräften und einer Platzanweiserin im grauen Business-Kostüm. Nicht umsonst gehörte die Sky Bar seit Jahren zu den Hotspots der Stadt. Die Musik war cool, das Ambiente zeitlos elegant, die Drinks waren hervorragend, vor allem aber gab es nur wenige Plätze, die einen derart spektakulären Panoramablick auf die gesamte City bis hinaus zu den umliegenden Weinbergen zu bieten hatten. Theresa jedoch ließ die Aussicht auf den 137 Meter hohen Südturm des Stephansdoms in diesem Moment völlig kalt. War sie tatsächlich die Erste? Das konnte nicht sein. Sie sah auf die Uhr. Klar, sie war wieder einmal zu spät. Angestrengt musterte sie die in Gruppen zusammenstehenden Gäste an der Bar neben dem Eingang, ging an den Sitzgruppen vorbei und steuerte suchend auf die zweite Bar zu. Plötzlich stellte sich ihr ein Mann in den Weg. Mit einem breiten Grinsen nahm er sie in die Arme. „Du kriegst wohl nie genug von mir?“, begrüßte er sie.

„Tom.“ Überrascht schaute sie ihn mit einer Mischung aus Freude und Ärger an. „Stalkst du mich? Ich habe dir doch erzählt, dass ich heute meine Freundinnen hier treffe.“

Toms Grinsen wurde noch breiter. „Klar. Aber ich muss dir nicht alles auf die Nase binden. Und dein Gesicht konnte ich mir einfach nicht entgehen lassen. Ich bin mit Peter Beck hier, du weißt schon, Trader Immobilien, wir kennen uns vom Golfclub. Ich fotografiere diese Woche seine aktuelle Imagekampagne. Soll ich ihn dir vorstellen? Früher oder später wirst du ihn sowieso kennenlernen. Unsere Chefin Eliza hat sich sozusagen auf seinem Schoß einquartiert und gute Chancen, einen Auftrag an Land zu ziehen.“

„Eliza ist hier?“ Theresa verzog das Gesicht. „Dann erspar mir das. Ich habe jetzt frei und keine Lust auf Smalltalk mit meiner Chefin.“

Tom lachte laut auf. „Die ehrgeizige Theresa tut auch wirklich alles, um ihre Karriere in Gang zu bringen.“

Plötzlich schlang Theresa ihren Arm um seinen Hals und leckte lasziv ihre Lippen. „Ich sage dir“, flüsterte sie ihm ins Ohr, „was meinen Ehrgeiz weckt. Ein harter Schwanz wie du.“ Sanft umkreiste ihre Zunge sein Ohr. „Und jetzt ziehe ich weiter, mein Schatz. Hab einen schönen Abend.“

Ihr wirkungsvoller Abgang verlor allerdings etwas an Power, als sie feststellte, dass ihre Freundinnen direkt neben Tom an der Bar standen. Kathrins brauner Lockenschopf und Ninas blonde Mähne leuchteten ihr entgegen.

„Hallo ihr zwei Süßen, schön euch zu sehen!“ Theresa drehte nach einem kurzen Nicken der zwischen Tom und Peter Beck stehenden Eliza den Rücken zu und umarmte ihre Freundinnen von hinten. „Wo ist Chrissy?“

„Die kommt später“, erklärte Nina. „Sie musste nach ihrer letzten Besprechung noch mal in die Kanzlei. Aber bis halb neun wollte sie es schaffen.“ Wie auf ein Stichwort betrat Marie-Christine die Bar. Ihr rotes Haar, ihr ebenmäßiges Gesicht und ihre schlanke Gestalt verfehlten ihre Wirkung auf Männer so gut wie nie. Auch jetzt zog sie die Blicke auf sich, während sie langsam auf die Bar zusteuerte.

„Peter! Was halten Sie davon?“, fragte Eliza begeistert, doch Peter Beck hörte ihr nicht mehr zu. Wie gebannt starrte er auf Marie-Christine, die wiederum nur Augen für ihre Freundinnen hatte.

Mit einem strahlenden Lächeln trat sie auf sie zu. „Oh, das tut gut, euch zu sehen. Bitte entschuldigt meine Verspätung. Das war heute ein total chaotischer Tag. Aber davon erzähle ich euch später.“

Erst jetzt entdeckte sie Peter Beck, der lächelnd auf sie zuging. „Daran scheine ich ja nicht ganz unbeteiligt zu sein.“ Er nahm ihre Hand und beugte sich kurz über sie. „Was für eine angenehme Überraschung.“

„Ja, was für ein Zufall“, bemerkte Marie-Christine kühl. „Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.“ Mit einer kleinen Bewegung entzog sie ihm ihre Hand.

„Ladies Night. Da haben Herren keinen Zutritt“, fügte Nina erklärend hinzu.

Peter Beck musterte sie kurz und lächelte. „Danke für den Hinweis. Dann viel Spaß noch.“ Er ging zurück zu seinem Drink und legte Eliza den Arm um die Schulter.

Fragend schaute Nina Marie-Christine an. Doch diese schüttelte den Kopf und wandte sich ihren Freundinnen zu. „Sagt mal, wollt ihr wirklich hier bleiben? Es ist so laut, man versteht ja sein eigenes Wort nicht. Lasst uns gehen.“

Theresa nickte heftig. Sie hatte keine Lust, ihre Chefin bei der Geschäftsanbahnung zu beobachten, Nina und Kathrin zuckten gleichgültig die Achseln. Die beiden Männer neben ihnen waren mittlerweile ohnehin viel zu sehr damit beschäftigt, mit Eliza zu flirten, als dass sie ihren Abgang bemerkt hätten.

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