Читать книгу Wiener Lust - Marie von O. - Страница 7
Kathrin.
ОглавлениеNach einem flüchtigen Blick auf ihren unaufgeräumten Frühstückstisch zog sie ihren Mantel an und knallte die Tür hinter sich zu. Sie war so richtig schlecht gelaunt.
Eigentlich hatte sie laufen gehen wollen. Jetzt, wo der Winter endlich vorbei war, genoss sie an herrlichen Tagen wie diesen die frische Frühlingsluft und die Einsamkeit der frühen Morgenstunden, wenn sie die große Wiese überquerte und dann langsam, aber kraftvoll ihre acht Kilometer lange Runde durch den Wald mit seinem ausschlagenden Grün zurücklegte. Das war schließlich der Grund, warum sie sich das entzückende alte Häuschen am Stadtrand gekauft hatte. Freiheit. Natur. Ungetrübte Lebenslust.
Dann hatte ihr Handy geläutet und sie daran erinnert, dass dieser Luxus auch finanziert werden musste. Die alljährliche Schullandwoche mit den fünften Klassen stand bevor. Einer der Väter hatte sich bereit erklärt, als Begleitung mitzufahren. Nun wollte er wissen, ob sie sich vorher treffen sollten, um abzuklären, was man konkret von ihm erwartete. Er schien sympathisch und eigentlich sogar recht witzig: „Wollen wir uns nicht persönlich kennenlernen, bevor wir miteinander in den Urlaub fahren?“ Scherzkeks, dachte Kathrin. Der schien wirklich keine Ahnung zu haben, was da auf ihn zukam. Irgendwie gelang es ihm, sie in ein Gespräch zu verwickeln. Eine halbe Stunde später zeigte ihr Blick auf die Uhr, dass sie das Laufen für heute vergessen konnte.
Kathrin seufzte und startete den Motor. Ihr altes Golf-Cabrio ließ sich wie immer bitten, doch bereits beim zweiten Versuch sprang es an. Schon wieder läutete das Telefon. Es war Jürgen.
Jürgen. Wann würde dieses schmerzhafte Ziehen in der Magengegend endlich aufhören? Sie brauchte nur seinen Namen auf dem Display zu lesen, und schon waren sie wieder da. Diese nüchternen Worte, die sie auch nach langen Wochen des Trennungsschmerzes nicht losließen: „Du bist eine tolle Frau, Kathrin, wirklich. Aber im Bett herrscht zwischen uns ja mittlerweile total tote Hose. Tut mir leid, das halte ich nicht länger aus.“ Tränen traten ihr in die Augen. Er hatte so verdammt recht. Sie schluckte und nahm das Gespräch an.
„Hi Kathrin, wie geht es dir?“, erkundigte sich Jürgen.
„Sehr gut, danke. Was kann ich für dich tun?“ Sie bemühte sich, locker und unbeschwert zu klingen.
Jürgen lachte auf. „Du bist einfach klasse! Ich finde es großartig, wie schnell du unsere Trennung weggesteckt hast. Das macht es mir jetzt leichter. Du, ich möchte dir etwas sagen. Du sollst es von mir erfahren. Ich möchte nicht, dass du es von jemand anderem hörst. Ich bin jetzt mit Judith zusammen.“
Kathrin stockte der Atem. Rasch brachte sie den Wagen am Straßenrand zum Stehen.
„Bist du noch dran?“, fragte Jürgen.
Sie atmete tief durch. „Ja. Seit wann?“
Jürgen räusperte sich. „Na, schon länger.“ Er zögerte. „Ach, was soll’s, ich will ehrlich zu dir sein. Das mit Judith geht schon geraume Zeit. Es hat begonnen, als wir noch zusammen waren.“
„Was?“ Ihre Stimme klang schriller, als Kathrin lieb war.
„Beruhige dich. Zwischen uns beiden ist doch schon seit Monaten nichts mehr gelaufen. Und Judith war so verdammt ausgehungert nach ihrer Trennung von Klaus. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie die abgegangen ist. Das hat mein Selbstbewusstsein wieder aufgemöbelt. Mit dir habe ich ja schon geglaubt, ich bin der totale Versager. Du hast ja immer richtig erleichtert gewirkt, wenn es vorbei war und du endlich unter die Dusche konntest. Während sie ...“ Jürgen schien zu bemerken, dass er sich auf dünnes Eis begab, und geriet ins Stocken. „Wie auch immer. Ursprünglich haben wir uns darauf geeinigt, dass es nur eine Affäre sein sollte, aber dann sagte sie plötzlich, dass sie sich in mich verliebt hat und mehr von mir will. Also musste ich mich entscheiden. Es tut mir leid, ich wollte es dir eigentlich erst später erzählen, ein bisschen Zeit vergehen lassen, aber – Judith ist schwanger. Ich möchte nur, dass du das weißt.“
„Ach, na so was, dann gratuliere ich euch beiden.“ Sie hörte ihre Stimme wie aus weiter Ferne. Sie klang hohl, aber Jürgen schien es nicht zu bemerken.
„Wirklich? Du, das freut mich. Das freut mich echt. In der Schule wird ja so viel getratscht, und es wäre schlimm, wenn du damit nicht klarkommen würdest. Judith hat sich schon Sorgen gemacht.“
„Tatsächlich?“ Kathrin konnte es kaum fassen. „Sie hat sich Sorgen gemacht. Um mich?“
Der beißende Spott in ihrer Stimme prallte völlig an ihm ab. „Ja, um dich. Sie unterrichtet ja Birgits Tochter in Englisch, du weißt, ich trainiere ihren Bruder in der Basketball-Schulmannschaft. Birgit hat Verdacht geschöpft und Judith direkt gefragt, ob da zwischen uns was läuft. Judith wollte dich schonen und dir diesen bösen Tratsch ersparen. Wir wollen unsere Beziehung ja auch wegen des Babys jetzt nicht mehr länger geheim halten. Judith war es, die mir geraten hat, dich gleich als Erste anzurufen.“
Kathrin verspürte plötzlich einen heftigen Brechreiz. „Jürgen, bei mir klopft jemand an. Ich muss aufhören. Alles Gute nochmal! Tschüss.“ Dann ließ sie ihren Tränen freien Lauf. Dieser Scheißkerl. Er hatte sie betrogen. Ausgerechnet mit Judith, dieser arroganten Mistziege. Während sie ein schlechtes Gewissen hatte, weil sie ihn so oft zurückwies, hatte er schon längst ein Verhältnis mit ihrer Kollegin. Verdammt, was war das bloß für ein Tag!
Sie nahm ein Taschentuch und putzte sich die Nase. Andererseits – Kathrin klappte den Spiegel herunter und wischte sich hastig die Augen trocken – konnte sie endlich richtig wütend auf ihn sein. Das nagende Gefühl ihres eigenen Versagens mitsamt ihren Schuldgefühlen über Bord werfen und ihn vom Grund ihrer Seele heraus hassen. Ja, das tat richtig gut.
Kathrin atmete tief durch und sah auf ihr Handy. Sie war zu spät dran. Aber warum sich deshalb einen Kopf machen? Ihr Unterricht begann erst in der zweiten Stunde. Und am Abend würde sie ihre Freundinnen treffen. Sie lächelte zufrieden. Kathrin hatte in ihrer eingeschworenen Clique der fabelhaften Vier immer schon den undankbaren Platz auf der Zuhörerbank eingenommen. Kathrin, die Zuverlässige. Kathrin, die Sportskanone, die eine anstrengende Biking-Tour oder ausgiebige Bergwanderungen jederzeit heißem Sex vorzog. Heute würde auch sie etwas zu erzählen haben.