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Einspänner.

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Die vier Freundinnen bummelten gemütlich durch die Kärntner Straße Richtung Stephansdom, nachdem sie die Sky Bar verlassen hatten. Trotz der fortgeschrittenen Stunde herrschte vor dem Riesentor, dem Haupteingang des Wiener Wahrzeichens, noch immer reger Betrieb.

„Was machen wir jetzt?“ Kathrin drehte sich zu ihren Freundinnen um.

„Das Übliche?“ Fragend sah Marie-Christine in die Runde.

Nina nickte, während Theresa protestierte: „Ach was, Mädels, seid nicht so langweilig. Der Abend fängt erst an. Lasst uns etwas Aufregendes unternehmen.“

Kathrin schüttelte den Kopf. „Wir wollten uns doch unterhalten, oder? Ich finde, das ist eine gute Idee, wir sehen uns ohnehin schon viel zu selten.“

Theresa seufzte. „Spießer seid ihr alle miteinander. Aber von mir aus.“

Sie machten kehrt und schlenderten zurück zum Graben. Wie üblich hing eine Menschentraube vor dem Stock-im-Eisen-Platz, wo sich an der Ecke des Palais Equitable, fast unsichtbar hinter Glas versteckt, auf einem Sockel aus tschechischem Hornblende-Granit eine der berühmtesten Sehenswürdigkeiten der Stadt verbarg.

„Was an einem Stück Holz mit Nägeln drin so toll ist, muss mir auch erst mal jemand erklären“, nölte Theresa noch immer schlecht gelaunt.

„Dieses Stück Holz ist immerhin über zwei Meter hoch und mehr als fünfhundert Jahre alt“, gab Kathrin leicht gereizt zurück. „Und einiges daran gibt uns bis heute Rätsel auf. Die Sage behauptet ja, dass der Teufel selbst den Stamm in Eisen gelegt hätte. Jedenfalls ist er der älteste noch erhaltene Nagelbaum der Welt und das Schloss definitiv nicht zu öffnen.“

„Gut gebrüllt, Frau Professor.“ Nina nickte anerkennend.

„Unnützes Wissen“, konterte Theresa gelangweilt.

„Wie auch immer, meine Lieben, das ist Wien. Eine Stadt voller Sagen, Rätsel und Legenden.“ Marie-Christine fand das Thema sichtlich inspirierend. „Was zum Beispiel macht die Kuh mit der Brille auf einer Hauswand in der Wiener Bäckerstraße? Und dann der Basilisk in der Schönlaterngasse.“ Sie zog eine angewiderte Grimasse. „Spuk und Grusel mitten in der Stadt. Sogar im Steffl wimmelt es nur so von Drachen, Löwen, Basilisken und Hunden, auch Eidechsen und Kröten sind dabei. Geister und Dämonen, der Kampf zwischen Gut und Böse, das sind doch nach wie vor die Bestseller unserer Geschichte.“

„Und wie man sieht – sie kommen gut an“, nahm Nina den Ball auf. „Immerhin verzeichnet der Stephansdom, wie ich vor ein paar Tagen gelesen habe, über fünf Millionen Besucher pro Jahr.“

„Na gut“, lenkte Theresa ein. „Wenn ihr jetzt unbedingt einen auf Touri machen wollt, kann ich auch was dazu beitragen. Ich habe nämlich vor Kurzem eine Führung gemacht.“

„Erstaunlich“, stichelte Nina. „Woher der plötzliche Bildungshunger?“

„Auf den Spuren der Josefine Mutzenbacher“, fuhr Theresa unbeirrt fort.

Nina prustete los. „Sag bloß, da gibt es eine Führung.“

„Sicher doch, jeden Samstag“, nickte Theresa ernst. „Tom hat sie mir zum Valentinstag geschenkt. Die Tour war einfach großartig. Wusstet ihr, dass wir uns hier auf dem früheren Schnepfenstrich befinden? Dass die Nobelhuren Grabennymphen hießen, bevor man sie auf den Gürtel vertrieben hat? Und das Schärfste: Dass im Barock die Prostituierten die Michaelerkirche zur Geschäftsanbahnung benutzt haben?“ Mit triumphierender Miene schaute sie in die ungläubigen Gesichter ihrer Freundinnen. „Stellt euch das nur mal vor! Wien war schon immer so was von bigott. Das hat die Führerin auch gesagt. Man kann in Wien machen, was man will, nur nicht darüber reden. Und jetzt kommt der Hammer: Bis vor wenigen Jahren das Prostitutionsgesetz erlassen wurde, behaupteten manche Wiener vollen Ernstes, es gäbe hier keine Bordelle. In älteren Reiseführern steht das sogar schwarz auf weiß.“

„Ist nicht wahr!“ Ungläubig schüttelte Nina den Kopf.

„Genau das habe ich auch gesagt“, erklärte Theresa. „So was von scheinheilig. Und dabei ist es nicht einmal gelogen. Man hat die Bordelle ganz einfach anders bezeichnet, nämlich als Laufhaus, Massagesalon, Etablissement, Club oder – mein absoluter Favorit – als Nagelstudio. Schon zu Zeiten Maria Theresias soll es geschätzte zehntausend Prostituierte gegeben haben. Heute sind es ungefähr genauso viel.“ Jetzt war Theresa nicht mehr zu stoppen. „Ihr kennt doch das ,Levante’ in der Wallnerstrasse, oder? Früher befanden sich dort ein Kaffeehaus und der Wiener Hausfrauenstrich. Die ehrbaren Damen haben sich im Dessousgeschäft gegenüber chic eingekleidet und sind dann ins Café gegangen. Dort gab es Tischtelefone zur Kontaktanbahnung. Ein Stundenhotel war praktischerweise auch gleich in der Nähe. Geil, oder?“ Sie nickte zufrieden. „Und im Palais Kaiserhof gleich nebenan hat der Mann von Maria Theresia seine Geliebten empfangen. Daraufhin war sie so sauer, dass sie eine Sittenpolizei eingerichtet hat, Keuschheitskommission hieß die, glaube ich. Die haben sogar die Büsche im Prater ausgedünnt, damit die Aufpasser alles besser überblicken konnten.“

Gleich um die Ecke, berichtete sie weiter, während sie den Graben entlangmarschierten, sei der „Rotz’ngraben“ gewesen, dort, wo sich im heutigen Haarhof ein Beisl ans andere reiht. Wer sich die teuren Grabennymphen nicht leisten konnte, wich nämlich auf die günstigeren Nebengassen aus, wo die „Fensterhennen“ ihre „Herzipopos“, so nannten sie ihre ausladenden Dekolletés, ungeniert zur Schau stellten.

„Schätzchen, ich unterbreche dich ungern“, erwiderte Marie-Christine lächelnd, „aber wir sind da und sollten dringend das Thema wechseln.“

Theresa zuckte die Achseln. „Meinetwegen, an mehr kann ich mich ohnehin nicht erinnern. Aber sei nicht so prüde. Du weißt doch: Was mocht a Nockerter ...“

„Aus jetzt.“ Energisch schubste Marie-Christine Theresa durch die Tür des Café Hawelka. Der legendäre Künstlertreff war seit Jahren das Lokal ihrer Wahl für Geburtstagsfeiern, ein Glas Wein nach einer anstrengenden Shoppingtour oder die Behandlung akuter Notfälle wie Bürointrigen, Liebeskummer oder falsche Strähnchenfarben. Die vier Freundinnen liebten diese Wiener Institution und seine Geschichte, die nach dem Zweiten Weltkrieg begann. Mit einfachsten Mitteln und ohne jeden Komfort bereitete Josefine Hawelka den Kaffee für ihre Gäste in den ersten Jahren noch am Holzofen zu, während ihr Mann Leopold das Feuerholz eigenhändig im Wienerwald sammelte. Später dann, im Lauf der Jahrzehnte, wurden die bescheidenen Besitzer gegen ihren Willen selbst so wohlhabend und berühmt wie ihre illustren Gäste aus Kunst, Wirtschaft und Politik. Mit ihrer bisweilen spröden Eigenwilligkeit, der immer ehrlich gemeinten Gastfreundlichkeit und den nicht wegzudenkenden Buchteln. „Es ist bereits in London bekannt, und es treffen auch Leute aus Paris und den Niederlanden im Café Hawelka ein“, erzählte einer der Stammgäste, niemand Geringerer als Heimito von Doderer, anno 1960. Und warum? „Letzten Endes nur deshalb, weil Herr Hawelka nicht renoviert.“ Tatsächlich konnte das Interieur, das 1912 von einem Schüler des Jugendstilarchitekten Adolf Loos entworfen wurde, bis heute allen Trends und Modernisierungswellen trotzen. Einziges Zugeständnis an die Moderne war die Espresso-Maschine, die Leopold in den sechziger Jahren installierte.

„Unser Lieblingsplatz ist frei“, jubelte Nina und ließ sich auf die geräumige Ecksitzbank im hinteren Teil des Lokals fallen. „Sag mal, Chrissy, was ich dich fragen wollte: Was war denn das eben mit diesem Peter Beck? Das ist doch einer deiner Klienten, oder? Ein Wahnsinnstyp, ganz nebenbei bemerkt. Und du warst richtig unfreundlich zu ihm.“

„Eben deshalb“, entgegnete Marie-Christine. „Er ist einfach zu perfekt. Und er würde mir das Herz brechen. Genau wie Max.“

„Und weil er perfekt ist und sich offensichtlich für dich interessiert, zeigst du ihm die kalte Schulter.“ Entnervt verdrehte Nina die Augen.

„So ist es nun mal. Punkt.“ Marie-Christine schien das Thema unangenehm zu sein.

Theresa lachte. „Fick ihn doch einfach, dann ist die Sache erledigt.“

„Mein Gott, Tessa“, stöhnte Kathrin auf. „Du redest ständig nur über Sex. Dabei geht es im Leben doch um ganz andere Dinge.“

„Ach wirklich?“, erwiderte Theresa spöttisch. „Dann frag mal deinen Ex Jürgen, wie er das so sieht.“

„Autsch! Das war aber jetzt unfair.“ Nina legte mitleidig den Arm um ihre Freundin.

Kathrin seufzte. „Dass Männer das anders sehen, habe ich schon in der Bravo gelesen. Danke Tessa!“

„Das war wirklich taktlos. Du weißt doch, was Kathrin mitgemacht hat.“ Verständnislos schüttelte Nina den Kopf, während sie Theresa einen vorwurfsvollen Blick zuwarf.

„Lass es, Nina, ich möchte nicht, dass ihr mich mit Samthandschuhen anfasst. Das alles ist fast ein Jahr her. Ich komme damit zurecht und möchte einfach nur nicht mehr darüber reden“, stellte Kathrin klar.

„Wirklich?“, fragte Marie-Christine, wobei sie Kathrin aufmerksam musterte.

„Ja, wirklich“, beharrte Kathrin. „Und ich habe eine Neuigkeit für euch.“ Sie atmete tief durch. „Jürgen wird Vater.“ Mit Genugtuung blickte sie in die fassungslosen Gesichter ihrer Freundinnen. Dann prasselte ein wahrer Sturm an Fragen auf sie nieder, die sie genüsslich und ausführlich beantwortete.

„Nein, mir geht es gut“, beteuerte sie. „Ich kann das Kapitel Jürgen jetzt endlich abschließen.“

Nachdenklich betrachtete Theresa ihre Fingernägel. „Du brauchst jetzt einfach dringend Sex“, sagte sie gedehnt, bevor sie Kathrin direkt anschaute. „Ich kann dir da ein paar ganz heiße Typen vermitteln. Glaub mir, danach ist es dir völlig egal, was die Leute reden und ob dein Ex sich einen ganzen Stall voller Kinder zulegt.“

„Sag mal, hörst du mir nicht zu?“, brauste Kathrin auf. „Ich – habe – keine – Lust – auf – Sex, ok? Was findet ihr alle bloß daran? Dieses Rein und Raus, bis er fertig ist, gibt es etwas Öderes?“

Schweigend starrten ihre Freundinnen sie an. „Jetzt ist alles klar! Du hattest noch nie einen Orgasmus, stimmt’s?“, meinte Theresa triumphierend.

„Natürlich hatte ich Orgasmen, und zwar jede Menge!“, entgegnete Kathrin wütend.

„Aber nicht, wenn ein Mann dabei war“, setzte Theresa nach.

Nach einer betretenen Pause zuckte Kathrin die Schultern. „Na und wenn, das ist nun mal nicht zu ändern. Wenn ich mich entspannen will, weiß ich, was ich tun muss. Da brauche ich niemand anderen dazu.“

„Ach du meine Güte“, entfuhr es Marie-Christine. „Du hattest wirklich noch nie ...“

„Lass es gut sein, Chrissy“, entgegnete Kathrin mit einem gezwungenen Lächeln. „Können wir jetzt über etwas anderes sprechen?“

„Das muss sich ändern“, stellte Nina entschieden fest. „Du brauchst einfach einen Mann, der weiß, was er tut.“

„Sag ich doch“, bekräftigte Theresa. „Und ich habe genau den Richtigen für dich. Der Kerl ist scharf wie eine Rasierklinge und dabei geduldig wie ein Heiliger. Der fickt dich nicht, bevor du nicht mindestens zwei Mal gekommen bist.“

„Tessa, bitte“, stöhnte Kathrin gequält.

„Wie steht es übrigens mit dir und Tom, Tessa?“, kam Nina Kathrin zu Hilfe. „Er hat dich ja in der Sky Bar mit den Augen verschlungen. Ich finde, ihr passt gut zusammen.“

„Ich habe auch nicht verstanden, warum du ihn in die Wüste geschickt hast. Der Mann ist toll und passt wirklich gut zu dir – was, wie wir alle wissen, nicht einfach ist“, bemerkte Marie-Christine trocken.

Theresa lachte. „Ach Mädels, ihr habt ja keine Ahnung, was mir da entgangen wäre. Ich hatte inzwischen jede Menge richtig abgefahrenen Sex. In einer Beziehung funktioniert das nicht, da ist nach einiger Zeit alles irgendwie“, sie machte eine kurze Pause und suchte nach dem richtigen Wort, „vorhersehbar. Ich habe keine Lust auf große Gefühle, ich will’s knallhart und so oft wie möglich mit so vielen Männern wie möglich. Und ich möchte Grenzen überschreiten, es soll wehtun, mich in den Wahnsinn treiben ...“

„Schon gut“, unterbrach Nina sie mit einem Seitenblick auf Kathrin. „Ich glaube, wir können uns vorstellen, was du meinst.“

„Und wie steht’s bei dir?“, fragte Theresa, die Nina die rüde Unterbrechung keineswegs übel nahm. „Traummann schon in Sicht? Oder ist es noch immer Christian, der dein Möschen beackern darf?“

Nina blitzte Theresa an. „Wie du immer redest!“ Vorwurfsvoll schüttelte sie den Kopf. „Aber wenn du’s unbedingt wissen willst: Nein, mit Christian läuft nichts mehr. Und niemand Spezielles ist in Sicht.“ Sie seufzte. „Wenigstens gibt’s da noch Harry.“

„Harry?“ In Sekundenschnelle waren drei Augenpaare erwartungsvoll auf sie gerichtet.

Nina setzte ihre süßeste Unschuldsmiene auf. „Ja, Harry. Er ist immer bereit, wenn ich ihn brauche, funktioniert auf Knopfdruck und leistet in jeder Programmstufe fantastische Arbeit. Die dritte mit dem Rhythmuswechsel, Mädels, der reine Wahnsinn! Wer auch immer die programmiert hat, weiß, was Frauen scharf macht. Das Beste daran ist: Harry macht niemals schlapp, ich kann kommen, so oft ich will. Und wenn ich fix und fertig bin, verschwindet er einfach in der Schublade.“

Theresa prustete los. „Unser Lämmchen! Schaut drein, als könne sie kein Wässerchen trüben, während sie’s zu Hause mit Dirty Harry bis zum Abwinken treibt. Schätzchen, wir zwei müssen unbedingt mal shoppen gehen. Ich sage dir, da gibt’s Harrys, die treiben dir die Tränen in die Augen. Und kennt ihr schon das Neueste?“

Sie kramte in ihrer Handtasche und zog ein schwarzes Samttäschchen hervor. „Tata, der Lustbringer der Woche!“

Marie-Christine nahm das lila Hörnchen und betrachtete es ratlos von allen Seiten. „Was ist das?“

Kathrin versuchte, es ihr aus der Hand zu nehmen. „Pack das weg. Das ist ja peinlich.“

„Wieso peinlich?“, fragte Marie-Christine gedehnt, während Kathrin seufzte. „Ist doch interessant. Also was ist das?“

„Ein Paarmassagegerät“, antwortete Theresa stolz.

Ihre Freundinnen blickten sie fragend an. „Ihr seid ja vielleicht begriffsstutzig.“ Theresa blühte sichtlich auf. „Das führst du dir so ein, dass der flache Teil direkt auf deiner Klit aufliegt, der Rest funktioniert wie ein Vibrator. Mit der Fernbedienung da drinnen“, sie wies auf das Täschchen, „kannst du acht verschiedene Vibrations- und Rotationsstufen wählen. Und das ist noch nicht alles. Beim Sex bleibt das nämlich drinnen. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie da die Post abgeht.“

„Und wo hast du das her?“ Nina wirkte sichtlich inspiriert.

„Ich sag dir doch, wir gehen shoppen“, antwortete Theresa zufrieden. „Aber im Moment ist das nichts für dich. Dafür brauchst du einen Schwanz.“

Nina verzog das Gesicht.

„Sei doch nicht gleich beleidigt.“ Theresa schüttelte den Kopf.

„Ich bin nicht beleidigt. Aber musst du immer so vulgär sein?“, erwiderte Nina pikiert.

„Süße, dir gefällt das vielleicht nicht, aber du bist auch nicht meine Zielgruppe. Also“, fuhr Theresa ungerührt fort, „für dich habe ich was anderes im Auge. Einen Oralring. Den steckst du dir an den Finger. Das Ding hat eine rotierende Kugel eingebaut, die sich wie eine Zunge anfühlt. Scharf, sage ich dir. Gott sei Dank hält der Akku eine Stunde, das Schmuckstück hat echtes Suchtpotenzial.“

„Okay.“ Marie-Christine warf einen nachdenklichen Blick in die Runde. „Jetzt ist es amtlich. Da sitzen wir, Chicas, Mitte Dreißig, Singles, fabelhaft, erfolgreich, attraktiv – und das Einzige, wofür wir uns begeistern, sind Vibratoren und Oralringe. Sind wir wirklich so am Ende?“

„Wieso am Ende?“ Verständnislos sah Theresa sie an. „Ist doch cool. Wir können Männer haben, wenn wir sie wollen. Aber wir brauchen keinen Schwanz, um einen Höhepunkt zu haben.“

Marie-Christine seufzte. „Jetzt muss ich Kathrin mal ausnahmsweise recht geben, Tessa. Es dreht sich im Leben nicht alles nur um Sex.“

„Könnt ihr euch erinnern?“, warf Nina ein. „Unser Wellness-Wochenende im letzten August ist noch gar nicht so lange her. Wir hatten Beziehungen, es lief so recht und schlecht. Du, Chrissy, warst glücklich, Kathrin war zufrieden, Tessa mit Tom ausnahmsweise auf Ruhemodus gestellt, und ich, naja, ich wusste schon damals, dass Christian mich betrügt, aber ich dachte, das legt sich mit der Zeit.“

Marie-Christine zuckte die Achseln. „So ist es doch immer“, stellte sie nüchtern fest. „Deshalb habe ich auf diese Spiele einfach keine Lust mehr. Seien wir doch mal ehrlich. Das Leben ist eine Sackgasse. Da hofft man sein ganzes Leben auf den Traummann, küsst Frösche ohne Ende, und plötzlich verwandelt sich endlich einer in einen Prinzen. Aber das war’s dann auch schon. Prinz. Kuss. Schluss.“

„Na und! Sollen wir jetzt in Depressionen verfallen?” Theresas Augen funkelten. „Mir geht es als Single wesentlich besser. Ihr drei seht einfach großartig aus, könnt jeden haben, den ihr wollt, euch alles leisten. Kathrin in ihrem schicken Häuschen, Nina mit ihrer gut gehenden Praxis, von dir, Chrissy, mit deinem lukrativen Job und dem Geld deiner Familie im Hintergrund will ich gar nicht erst reden. Wir haben alles, Chicas, seht es endlich ein. Unser Leben ist perfekt.“

„Und was ist mit Kindern, mit Familie?“, konterte Kathrin. „Tick, tack, wir steuern auf die Vierzig zu. Potenzielle Familienväter laufen da draußen in unserem Alter kaum noch herum. Entweder sind sie verheiratet, geschieden und nach Abzug ihrer Alimente kaum noch in der Lage, sich selbst über die Runden zu bringen. Oder sie sind notorische Freigänger, die alles andere im Sinn haben als sich zu binden. Den kümmerlichen Rest angeln sich die fröhlichen Mittzwanzigerinnen. Die sind knackiger, biegsamer, nicht so eigenwillig, kompliziert und anspruchsvoll wie wir. Lasst uns der Wahrheit ins Gesicht schauen. Unser Zug ist abgefahren.“ Sie nahm einen kräftigen Schluck aus ihrem Weinglas. „Prost!“

Nach einem erstaunten Schweigen begann Nina zu kichern. „Wenn ihr mich fragt, ist da was dran. Unsere Lage ist großartig, aber hoffnungslos. Wir sind privilegiert und rein beziehungstechnisch so ziemlich am untersten Ende der Hackordnung.“

„Wie wahr“, pflichtete Marie-Christine ihr bei. „Während wir unser Wellness-Wochenende genießen, verliebt sich mein Mister Right in eine Seglerin, die unsere Freunde im letzten Moment als Ersatz für mich aufgestellt haben. Was soll ich euch sagen? Sie ist Studentin. Zweiundzwanzig.”

„Wie gern würde ich noch mal von vorne anfangen.” Nina stieß einen sehnsuchtsvollen Seufzer aus. „Noch einmal Zweiundzwanzig sein, so voller Träume, alles liegt vor einem, alles ist möglich ...”

„Aber was ist heute anders?”, fiel Theresa ihr ins Wort. „Das Leben ist ein Abenteuer, daran hat sich doch nichts geändert. Wir haben mehr Erfahrung und mehr Geld, das ist alles. Wann seid ihr so frustrierte Ziegen geworden? Ich für meinen Teil möchte mein Leben in vollen Zügen genießen.”

„Sagt mal, wann haben wir eigentlich verlernt, uns auf etwas zu freuen?” Nachdenklich kaute Nina an ihrer Unterlippe. „Neues auszuprobieren, Risiken einzugehen, uns so richtig zu blamieren, uns umwerfend oder elend zu fühlen, egal. Wir sollten einfach wieder lernen, uns zu spüren.”

„Stimmt.” Marie-Christine nickte versonnen. „Also was mich betrifft, bin ich in diesem Frühling zum ersten Mal seit – lasst mich nachrechnen – siebzehn Jahren Single. Vielleicht mache ich einfach allein Urlaub? Könnte spannend werden.” Sie warf einen Blick in die Runde. „Was ist mit dir, Nina, was möchtest du?”

Nina dachte nach, dann lächelte sie verlegen. „Verliebt, verlobt, verheiratet. Das wäre doch was.“

Theresa verzog das Gesicht. „Nicht für dich, Süße. Was du willst, hast du ja schon ausführlich erklärt.“

„Hast du schon mal überlegt, es mit einer Partnerbörse zu versuchen?“ Marie-Christine sah Nina fragend an.

„Himmel, nein. Das würde ich niemals tun. Ist doch peinlich. Andrea hat ihren Mann so kennengelernt, du weißt schon, meine ehemalige Assistentin. Aber die war ja wirklich ein hoffnungsloser Fall. So verzweifelt bin ich nun auch wieder nicht“, beteuerte Nina.

„Ach, trau dich doch! Wir erstellen dein Profil gemeinsam und machen ein richtig heißes Luder aus dir“, warf Theresa ein.

„Na ob ich so meinen Traummann finde, wage ich zu bezweifeln“, entgegnete Nina spöttisch. „Aber meinetwegen. Und dann entwerfen wir gleich auch eines für dich, Chrissy.“

Marie-Christine schüttelte den Kopf. „Oh nein, da stürze ich mich lieber ins Nachtleben. Ich schnapp mir Tessa und ziehe durch die Clubs.“

„Cool, bin dabei“, erwiderte Theresa begeistert.

„Und ich fange einen Kletterkurs an“, erklärte Kathrin bestimmt. „Das wollte ich immer schon. Machst du da auch mit?“

Theresa verdrehte die Augen. „Oh mein Gott. Das ist ja so ziemlich das Letzte, was ich mir vorstellen kann. Wie ein Mehlsack in einer Wand zu hängen, und das Einzige, was man zwischen den Beinen hat, ist ein Sicherheitsgurt. Nein danke, ich passe.“

Marie-Christine nickte zufrieden. „Das ist ja mal eine Ansage. Und wer bis zu unserem nächsten Wellness-Wochenende, sagen wir“, sie warf einen prüfenden Blick in den Kalender ihres Handys, „Ende September nächsten Jahres die aufregendste Premiere erlebt hat, bekommt eine Kiste Champagner. Hand drauf!“

Heißhungrig fielen sie über die Buchteln her, die ihnen ein großer, etwas beleibter Kellner formvollendet mit einer kleinen Verbeugung und verschwörerischem Lächeln auf den Tisch stellte: „Na dann, auf einen heißen Sommer, die Damen!“

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