Читать книгу Den du nicht siehst - Ein Schweden-Krimi - Mari Jungstedt - Страница 19

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Auf der Straße waren kaum Autos unterwegs. Es war nach neun, Johan und Peter fuhren Richtung Süden. Am Straßenrand zog sich die flache Landschaft im Schein der Morgensonne dahin. Rechts konnte Johan in regelmäßigen Abständen das Meer sehen, während sich links Felder und Wiesen abwechselten.

Viehherden grasten auf den grünen Weiden. Johan fragte sich, warum die Schafe auf Gotland schwarz und fast alle Kühe weiß waren. Auf dem Festland war es genau umgekehrt. Weiße Schafe und schwarze oder braune Kühe.

Sie kamen am Schießgelände und der Kirche von Tofta mit ihrem holzverkleideten Turm vorbei, verlangsamten in der Ortschaft Västergarn ihr Tempo und passierten schließlich den größeren Ort Klintehamn.

Nach einigen Kilometern hatten sie Fröjel erreicht. Von hier aus konnten sie das Meer sehen. Braune Reitpferde weideten auf einer Koppel. Die Kornfelder wogten noch in Grüntönen. Unten bei einem am Meer gelegenen Wäldchen sahen sie Streifenwagen und Absperrbänder. Sie hielten neben den anderen Autos.

Knutas war in ein Gespräch mit einer Kollegin vertieft. Er schaute auf, als die Presseleute sich näherten. Sie könnten in einer Viertelstunde ein Interview haben, wenn sie den abgesperrten Bereich nicht beträten, erklärte er.

Ein mehrere hundert Quadratmeter großer Bereich war abgesperrt. Johan schaute zum Wald, zu den Dünen und dem Meer hinüber. In dieser Naturidylle war also ein bestialischer Mord geschehen. Er fragte sich, ob die Ermordete noch Zeit gehabt hatte zu begreifen, was ihr angetan wurde.

Sie wanderten zum Strand hinunter. Hinter der Absperrung starrten zwei Polizisten den Boden an. Hin und wieder hoben sie etwas auf und verstauten es in einer Plastiktüte.

War es der Lebensgefährte, der ihr gefolgt war, um sie brutal zu ermorden?, überlegte Johan. Er war schließlich festgenommen worden. Aber Johans Erfahrung hatte gezeigt, dass oft aus überaus vagen Gründen Haftbefehl erlassen wurde.

»He, Johan, weg da!«, rief Peter, versteckt hinter seiner Kamera, den Blick durch die Linse gerichtet.

Die große Fernsehkamera war auf einem Stativ montiert, und Johan stand der geplanten Panoramaaufnahme vom Strand im Weg.

Es war elf Uhr. Der Redakteur der Mittagsnachrichten wusste bereits, dass er sich mit dem Morgenmaterial begnügen musste, darum brauchten sie sich also keine Sorgen zu machen.

»Ich schlage vor, wir nutzen die Zeit und schauen mal bei der Schwester von diesem Opa vorbei, der die Leiche gefunden hat«, sagte Johan, als sie wieder ins Auto stiegen. »Sie wohnt hier in der Nähe. Vielleicht kriegen wir ja ein Interview von ihr.«

»Okay«, sagte Peter.

Svea Johansson öffnete nach viermaligem Klopfen. Der Duft frisch gebackener Rosinenbrötchen strömte ihnen entgegen.

»Ach? Und wer sind Sie?«, fragte sie direkt in ihrem gotländischen Singsang und schaute zu ihnen hoch.

Johan hatte noch nie eine so kleine Frau gesehen. Ihr weißes Haar war im Nacken zu einem Knoten zusammengesteckt. Ihr Gesicht hatte eine frische Farbe und war von vielen kleinen Fältchen durchzogen. Sie trug eine gestreifte Kattunschürze und hatte Mehl auf der Nasenspitze. Sie kann höchstens einen Meter vierzig groß sein, dachte Johan fasziniert und stellte sich und Peter vor.

»Ja, dann kommen Sie mal rein«, sagte Svea und ließ sie in die enge, dunkle Diele. »Ich backe gerade, Sie müssen sich also in die Küche setzen.«

Sie nahmen auf der Küchenbank Platz, und gleich darauf standen zwei Kaffeetassen auf dem Tisch.

»Einen Schluck Kaffee wollen Sie doch sicher«, murmelte die alte Frau, ohne die Antwort abzuwarten. »Jetzt, wo Sie schon Glück haben und das erste Blech gleich fertig ist.«

»Ja, das wäre schön«, sagten die jungen Männer wie aus einem Munde.

Johan schaute auf den Hofplatz hinaus, ihm wurde klar, dass dieser Besuch seine Zeit dauern würde. Er fragte Svea Johansson, ob sie etwas dagegen habe, wenn die Kamera während ihres Gesprächs liefe.

»Wir wüssten gern, ob Sie uns erzählen können, wie Ihr Bruder die Tote gefunden hat«, fragte Johan.

»Sicher kann ich das«, antwortete die alte Frau und zog gleichzeitig ein Blech mit frischen Brötchen aus dem Ofen. »Er war einfach außer sich, der Arme. Er ist noch immer im Krankenhaus. Sie wollen ihn noch etwas dort behalten. Ich habe heute Morgen mit ihm gesprochen, da hörte er sich schon ganz munter an.«

»Wie hat er sie denn gefunden?«

»Ja, wir waren zu einem Spaziergang verabredet. Das machen wir immer, jeden Tag. Aber gestern konnte ich nicht, nein, ich hatte Halsschmerzen und einen schrecklichen Husten. Heute geht es mir schon viel besser«, teilte sie mit und kniff sich in ihren runzligen Hals.

»Na ja, er kam wie immer gegen elf. Wir haben ein bisschen gegessen, das machen wir immer so. Dann ist er allein losgezogen. Und schon bald war er wieder da und hämmerte gegen die Tür, obwohl die offen war. Er war völlig verstört und sagte etwas von einer toten Frau und einem toten Hund und dass er die Polizei anrufen müsste.«

Johan schnappte nach Luft.

»Ein toter Hund? Können Sie uns darüber mehr sagen?«

»Ja, da ist offenbar auch ein Hund ermordet worden. Geköpft, und eine Pfote wurde abgehackt – das ist doch einfach entsetzlich«, sagte sie und schüttelte den Kopf.

Johan und Peter warfen sich einen Blick zu. Das hier war etwas Neues.

»Gehörte der Hund zu der Frau?«, fragte Johan.

»Ja, das nehme ich an.«

Eine halbe Stunde später verließen Johan und Peter den Hof. Svea Johanssons Bericht hatten sie im Kasten.

Emma Winarve war schweißgebadet. Sie hatte einen widerwärtigen Geschmack im Mund, und ihr Magen krampfte sich vor Angst zusammen. Der Albtraum hatte sie noch immer im Griff. Sie und Helena waren wie so oft am Strand entlanggegangen. Helena lief ein Stück vor ihr. Emma rief, sie solle warten, aber Helena reagierte nicht. Sie beeilte sich und rief noch einmal Helenas Namen. Die Freundin drehte sich nicht um. Emma versuchte zu rennen, blieb aber auf der Stelle. Ihre Füße hoben sich in Zeitlupe vom Boden, und so sehr sie sich auch anstrengte, sie kam nicht vom Fleck. Sie konnte Helena nicht einholen. Mit einem Schrei fuhr sie aus dem Schlaf hoch.

Wütend strampelte sie sich von Olles Decke frei, die auf ihre Bettseite gerutscht war und über ihrer eigenen lag. Sie hätte gern geweint, doch sie schluckte den Kloß im Hals hinunter und stand auf. Das Sonnenlicht schien durch die dünnen Baumwollvorhänge und leuchtete in das große, luftige Schlafzimmer.

Sie war nicht zur Arbeit gegangen, obwohl das Schulabschlussfest schon in zwei Tagen stattfinden sollte und sie unendlich viel zu tun hatte. Sie wollte ihre Schüler ja auch nicht im Stich lassen, aber im Moment konnte sie ihnen einfach nicht gegenübertreten. Sie würde versuchen, die letzten Vorbereitungen von zu Hause aus zu treffen. Der Rektor hatte Verständnis gezeigt. Der Schock. Die Trauer.

Emma und Helena. Helena und Emma. Sie waren die allerbesten Freundinnen gewesen.

Mechanisch machte sie ihre übliche Toilette. Das Duschwasser lief über ihren erhitzten Körper, aber sie spürte keine Abkühlung. Ihre Haut war wie ein dicker Panzer, als gehöre sie nicht zu ihr. Emma war völlig aus dem Gleichgewicht geraten.

Olle hatte die Kinder zur Schule gebracht, ehe er zur Arbeit gefahren war. Er hatte angeboten, zu Hause zu bleiben, doch Emma hatte das energisch abgelehnt, sie wollte allein sein. Sie zog Jeans und einen Pullover an und lief auf bloßen Füßen in die Küche. Im Haus ging sie immer barfuß, selbst im Winter. Nach einer Tasse starkem Kaffee und einigen Scheiben Toast fühlte sie sich etwas besser. Aber das Gefühl der Unwirklichkeit wollte sie nicht verlassen. Wie hatte das nur passieren können? Ihre beste Freundin war an ihrem Strand ermordet worden. Dort, wo sie mit Eimer und Spaten im Sand gespielt, als pferdeverrückte Zwölfjährige Wettrennen veranstaltet, als Teenager ihre Probleme diskutiert hatten, wo sie Moped gefahren waren und sich zum ersten Mal betrunken hatten. Helena hatte an diesem Strand sogar ihre Unschuld verloren.

Das Klingeln des Telefons riss sie aus ihren Gedanken. Es war Kommissar Knutas.

»Es tut mir Leid, Sie zu stören, aber es wäre gut, wenn wir so bald wie möglich miteinander reden könnten. Außerdem muss ich Ihnen mitteilen, dass Per Bergdal heute Morgen vorläufig festgenommen worden ist. Kann ich nach dem Mittagessen zu Ihnen kommen?«

Emma erstarrte. Per festgenommen. Das konnte doch nicht wahr sein. Die Polizei weiß offenbar über den Streit Bescheid, dachte sie.

»Warum ist er festgenommen worden?«

»Aus mehreren Gründen, die ich Ihnen später erklären kann.«

Schockiert und verwirrt, wie sie war, wollte sie keinen Polizisten in ihre private Höhle lassen. Da war es schon besser, den Kommissar auf neutralem Boden zu treffen.

»Könnte ich auf die Wache kommen? Gegen zwei?«

»Das wäre hervorragend. Wie gesagt, es tut mir Leid, Sie stören zu müssen, aber die Sache ist wirklich wichtig«, sagte Knutas noch einmal.

»Ist schon gut«, erwiderte sie tonlos.

Den du nicht siehst - Ein Schweden-Krimi

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