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8. CRAZY HORSE

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Eine ganze Weile schon saß ich beim Ersten Offizier Langhinrichs (alle Namen meiner Kameraden geändert), der gestern Geburtstag hatte und wegen der Arbeit an Deck noch nicht dazu gekommen war, dies zu feiern. Es war bereits Mitternacht, und die anfangs noch mäßige Stimmung hatte sich soweit gemausert, dass wir – der Alte, der Erste, der Chief und ich – beschlossen, ins ‚Crazy Horse‘ zu gehen.

Wie sich herausstellte, hatte der Betrieb in diesem beliebten Nachtklub Alexandrias gerade erst richtig begonnen. Langhinrichs und Chief Teuchert wurden an der Bar als alte Bekannte begrüßt.

„Ihr scheint ja hier öfter einen rund zu machen“, stellte der Alte trocken fest.

„Das muss auch ab und zu sein bei dieser Fahrt“, knurrte Langhinrichs und prostete uns mit dem ersten Drink zu.

„Beim letzten Mal war’n wir ganz schön knülle, was?“, lachte Teuchert.

Langhinrichs knallte sein leeres Glas auf den Tresen und wandte sich an mich: „Gleich spielt Helmut Zacharias!“ (Helmut Zacharias galt als "Zaubergeiger", spielte vor allem Swing-Jazz und ist 2002 gestorben)

„Ich denke, es gibt Bauchtanz?“, fragte ich und beobachtete, wie auf der Bühne eine Art Bandwechsel stattfand. Verstärker, Boxen, Hallgeräte, Gitarren, Mikrostative, Keyboards, Saxophone, Schlagzeug – und Kabel, Kabel, Kabel. Wehmütig dachte ich an meine eigene Amateurmusikervergangenheit zurück. Doch der Blick auf diesen ganzen Tanzmucker-Krempel wurde nun von ernst blickenden Musikern in dunklen Anzügen verdeckt, die sich mit Trommeln, Tamburinen und fremdartigen Perkussionsinstrumenten davor aufbauten.

„Wart’s ab Funki, kommt alles!“, dröhnte Langhinrichs und drückte mir den zweiten Drink in die Hand. Noch mehr dieser düsteren Brüder hatten sich mittlerweile vor der Tanzfläche eingefunden, darunter einer mit riesigem Akustik-Bass. Und da!

„Da isser ja!“, grölten Chief und Erster gleichzeitig. Und tatsächlich, da marschierte Helmut Zacharias, die Geige unterm Arm, gefolgt von zwei weiteren Streichern, gemessenen Symphonikerschrittes Richtung Bühne. Die Ähnlichkeit war verblüffend, man hätte am liebsten gerufen: „Helmut, was hamse dir angetan!“, doch Helmut reihte sich ein in den düster blickenden Haufen. Noch glotzte ich völlig verblüfft, da hieß es: „Austrinken!“ – Und schon schmückte ein neuer Drink meine unseemännische Funkerfaust.

Dann aber ging’s los: Ein Trommelwirbel setzte ein, steigerte sich, brach ab. Die Geigen weinten, wimmerten, verhallten... Eine Flöte klagte... Der Zauber des Orients schwebte doch tatsächlich heran, brach sich Bahn in einem abermaligen Wirbel wahnsinnig gewordener Tamburine, der sich zu einem mitreißenden Rhythmus festigte. Ich war begeistert! Die Fremdartigkeit orientalischer Musik überwältigte uns und ließ jedes abfällige Blödeln im Keime ersticken. Die Virtuosität der Künstler war so überzeugend, dass selbst dann, als ein Ägypter im langen Flattergewand die wehmütig-wilden Schnörkel eines arabischen Liebesliedes sang, keiner von Katzengejaule oder widerwärtigem Gewinsel sprach. Die Schönheit arabischer, im weitesten Sinne orientalischer Musik zu begreifen, mag für mitteleuropäische Ohren schwierig sein. Aber, ist der Orient nicht bereits im strapazierten Zigeunermoll-Schluchzen eines Kaffeehausgeigers zu spüren? Und die melancholische Phrase eines andalusischen Flamencogitarristen ist der eines "Ud"-Spielers von der gegenüberliegenden Mittelmeerküste zum Verwechseln ähnlich...

„Nicht schlecht, die Jungs, was?“ – Langhinrichs drückte mir schon wieder einen Drink in die Hand. Ein neues Musikstück begann. Auf der Tanzfläche erschien eine erblondete Schöne, nicht ganz üppiger Orient, aber auch nicht schlank-blonde Nordlandnorm. Eher ein rassiges Mollchen mit liebreizend liederlichem, levantinischem Profil: Genau das Richtige in diesem teuren Schuppen! Die Schöne, im flitterigen Nabel-Look, hob die Arme, spreizte die Finger, schwang die Hüften und ließ ihr herrliches Becken kreisen. Im fetzigen Trommelrhythmus wogten die Weichteile, bebten Busen und Bauch. Wir leckten uns die Lippen – und in Gedanken diesen haremsschwülstigen Körper, der sich da in folkloristischer Geilheit produzierte.

Die Gäste an den Tischen – Griechen, Armenier, ägyptische Geschäftsleute, fast ausschließlich Männer mit weichen Gesichtern, aber auch Damen: reichlich beklunkert, kokett, offensichtlich vermögend, – spendeten Beifall, warfen Geldscheine aufs Parkett, steckten der Bauchtänzerin protzige Pfundnoten an die wogenden Pfunde. Ein junger Mann löste sich aus einer Gruppe von Freunden, tänzelte auf die sich Wiegende zu, spreizte und zierte sich mit ihr, schenkte ihr und seinen Kumpanen ein glutäugiges Schönlingslächeln.

„He! Du schwuler Hund!“, brüllte Langhinrichs. Die Gäste freuten sich sichtlich über das fälschlicherweise als Beifall verstandene Gegröle, der Lockenkopf dankte mit lasterhaftem Schnauzbartgrinsen, und wir lachten uns kaputt.

Und immer wieder die freigebig gespendeten teuren Drinks...

„Geburtstag ist Geburtstag, also trink aus!“, polterte Langhinrichs und verzog sein kerniges Piratengesicht zu einem sympathischen Grinsen. Wir schnackten eine Weile, kamen ins Plaudern, in beschwipstes Thekensalbadern, das die kauzigen Seemannsherzen ein bisschen befreite von allerlei Dummsinn und Ballast, seicht plätschernd, wie das glückselige Entleeren eine Biertrinkerblase, die doch dauernd wieder volläuft...

Der Tag darauf war verkatert, logisch! Doch abends packte es uns wieder als der Erste meinte, er müsse seinen Geburtstag noch ein wenig nachfeiern. Okay, pfeif was auf Kater! Wie sagte so ein schlauer römischer Dichter? „Lebe heute, morgen wird es zu spät sein!“

Morgen sollen wir auslaufen – also, ab an Land, ins "Crazy Horse"!

Seefahrt - Abenteuer oder Beruf? - Teil 1

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