Читать книгу Seefahrt - Abenteuer oder Beruf? - Teil 1 - Mario Covi - Страница 9

7. POLLERAFFEN, BILGENKREBSE UND TASTENQUÄLER

Оглавление

Die Christliche Seefahrt ist paramilitärisch geprägt. Da mögen die Kerle auf irgendeinem versifften Trampdampfer in noch so gleichmacherischen Dreckspäckchen herumhängen, die Dienstgrade sind streng hierarchisch: Erster, Zweiter, Dritter, Vierter, Hinterletzter...

Aber Seeleute sind auch Traditionalisten auf eine andere Art. Sie mögen sich zum Teufel nicht daran gewöhnen, liebgewonnene durch offizielle und korrekte Bezeichnungen für die Dienstgrade an Bord zu ersetzen, wie sie von der Schiffsbesetzungs- und Ausbildungs-Ordnung (SBAO) oder den Bemannungsrichtlinien der Seeberufsgenossenschaft verwendet werden. Dort wird von Hilfs- und Fachkräften gesprochen, was im Hinblick auf ordnungsgemäße Bemannung der Kauffahrteischiffe bestimmt von großer Wichtigkeit ist. Was ich aber hier erklären will, ist die Angewohnheit, Dienstgrade an Bord in überlieferter Weise zu bezeichnen oder anzusprechen.


Dritter Ing. im 'Fettkeller' der 'Bamburi'

Wenn ich also vom "Zweiten Ing" spreche, so ist das offiziell und laut Musterrolle der "2.T.O.", der Zweite Technische Offizier, der meistens gar kein Befähigungszeugnis als Schiffsingenieur – ein CI, früher ein C6 – sondern ein CT-Patent mit der Befähigung zum Schiffsbetriebstechniker, oder gar – mit einer Ausnahmegenehmigung des Verkehrsministeriums – ein Seemaschinistenpatent – Cma – sein Eigen nennt. Früher waren das alles Ingenieure, aber auch Meister, wenn der Ton kameradschaftlicher, das Schiff kleiner, die Fahrt küstennäher und die Uniformstreifen "in der Büx" (gemeint war in diesem Fall die Unterhose!) präsentiert wurden, wie das derb umschrieben wurde. Außerdem hätte sich "Inschenör" ziemlich blöde angehört. Und weil man dieses Wort abgekürzt "Ing." schreibt, waren das eben "Ings", ob nun Maschinist, Meister oder Schiffsingenieur.

Die Nautischen Offiziere waren schon immer Offiziere, "Offis" oder Steuerleute. Landratten stellen sich einen Steuermann immer im Zweikampf mit einem nostalgischen Steuerrad vor. Doch der Mann am Ruder, das heutzutage so klein wie der Schaltknüppel eines Sportwagens sein kann, ist meist ein Matrose, ein Decksmann oder auch ein Deckshelfer, sofern die Steuerung des Schiffes nicht von der Automatik übernommen wird, dem maritimen Autopiloten. Allen neuen Rechtschreibregeln zum Trotz ist übrigens das Fugen-s eine in der Seefahrt unentbehrliche Hilfskraft. Sonst würden aus Deckshelfern und Decksoffizieren zu leicht anrüchige Deckhengstgrade!

Die "Assis" – einstige Ingenieursassistenten – haben an Deck Kollegen bekommen, die als Nautische Offiziersbewerber und Nautische Offiziersassistenten in die hohe Kunst der Nautik eingeführt werden. Man spricht von den "Oas", den "Oasen" oder den "Assis", obwohl so ein Assi eigentlich ein "T.O.A.", ein Technischer Offiziers-Assistent ist. Ein Maschinenwart klärte mich einmal über die Bedeutung dieser Abkürzung auf: "Total ohne Ahnung".


Wellentunnel tief unten im Maschinenraum der 'Geert Howaldt'

So ein Maschinenwart war ja mal ein Motormann, davor ein Schmierer, der es zum Storekeeper oder Schiffsbetriebsmeister bringen konnte. Und auf den Dampfschiffen gab es selbstverständlich noch Heizer und Trimmer. Viele "Chiefs" oder Leitende Ings, die offiziell "Leiter der Maschinenanlage" heißen, sprechen immer noch von ihren Reinigern und Schmierern. Wenn dann der Heilige Krieg zwischen Deck und Maschine ausbricht, beschimpft erstere Fakultät "die da unten" allesamt als Heizer – oder besser "Heizers".


Die "Heizers" wehren sich ihrerseits, indem sie "die da oben" als dämliche Polleraffen schmähen, um von diesen wiederum verächtlich Keller-Asseln genannt zu werden, die da unten im "Fettkeller" in der höllisch-heißen und lärmerfüllten "Zeche Elend" ein jämmerliches Dasein als Bilgenkrebse fristen. Die "Maschinesen" lassen sich das natürlich nicht unwidersprochen gefallen, sind sich ihrer Wichtigkeit trotz ölverschmierter, schweißdurchtränkter Kesselpäckchen bewusst und lachen über die Decksbauern, die in weißer Tropenuniform auf der Brücke einen faulen Lenz schieben, wichtigtuerisch mit den Sextanten herumspielen, um dann die genaue Schiffsposition von der Anzeige des Satellitennavigators abzulesen! Ohne Maschine würden sie hilflos dahintreiben, da sie ja nicht einmal mehr Ahnung vom Segeln hätten, diese blasierten Überseetransportbegleiter!


Dass Sextanten übrigens keine Sex-Tanten sind, hat sich seit Columbus bestimmt herumgesprochen. Die als Sextantenfummler ausgezählten Nautiker erinnern wiederum daran, dass sie bei Nebelfahrt vom ununterbrochenen Ins-Radar-Glotzen müde und kaninchenrote Augen bekommen, dass sie beim Laden und Löschen wie die Schauerleute in der Luke herumfuhrwerken und sich die Klamotten mindestens so malerisch versauen wie die "Schwarzfußindianer" in ihrem stinkenden Kellerloch! Und dass sie sich in eisigen Winterstürmen schier den Arsch abfrieren, während sich die Kerle da unten den feisten Hintern wärmen!

Dann, wenn nicht schon längst, besinnen sich alle zusammen, auch der "Chef" alias Frikadellenschmied in der Kombüse, sein Kochsmaat, die "Ata-boys" und "Ata-girls" (falls Stewards und Stewardessen die Mannschaftsliste zieren), das gesamte "Feudelgeschwader" also, dass da noch so eine Figur an Bord herumlungert, die den ganzen Tag an seinen Radioapparaturen und Klöterkästen herumfummelt und nur mit den Ohren arbeitet. Also der Mann, der – außer dem Alten – den besten Job an Bord hat. Jawohl, der Funker, der "Sparks", auch schon mal "Sparky", "Funki", Antennenheizer, Tastenquäler oder Funkenpuster genannt, aber auch hochoffiziell Funkoffizier und hämisch Herr Funkrat oder gar Oberpostrat, zu Ehren der ungeliebten Bundespost, die auch bei Seefunkanlagen ihre Monopolmacht ausspielt... Besser gesagt ausspielte, denn die Zeiten der Seefunkerei sind ja endgültig vorbei!


Aber was soll’s! Mit der Seefahrt – so vermutet ein großer Teil wettergegerbter Fahrensleute – geht es sowieso rapide abwärts. Schiffe sind keine Schiffe mehr, Seeleute nur noch Überseetransportbegleiter und diejenigen, die einmal Verantwortung tragen sollen, sind Retortenbabys ohne jegliche praktische Erfahrung.

Zimmerleute gibt’s nicht mehr, wo sind sie nur geblieben die pfiffigen "Holzböcke"? Man machte Deckschlosser aus ihnen. Was soll auch ein echter Schiffszimmermann auf einem Zossen, wo nur noch Metallberufler das Sagen haben und die letzten Stücke Holz die Zahnstocher auf dem Messetisch sind?


Matrosen gibt's nicht mehr…

Den Decksjungen, den Jungmann, den Leichtmatrosen haben sie abgeschafft. Auch Matrosen gibt’s nicht mehr. Sie wurden zu unromantischen Schiffsmechanikern. Oder finden Sie es romantisch, wenn in marineblauen Seemannsschnulzen mit einem Male Schiffsmechaniker die Herzen brechen oder sehnsuchtsvolle Schmachtblicke zum Horizont schicken? Allerdings werden in oberflächlichen Berichterstattungen der Alltagsmedien Seeleute sowieso immer zu Matrosen, egal auf welcher Sprosse der Hierarchieleiter sie stehen. Zum Glück war der Alte schon immer der Kapitän, der uns bitte mit auf die Reise nehmen soll...

Was ist eigentlich aus dem "Scheich" geworden!? So wurde von den Matrosen der im Unteroffiziersrang stehenden Bootsmann genannt; keine Ahnung, warum. Und ein Bootsmann war meistens ein handfester Fahrensmann, der auch einer wüsten Decksgang klarzumachen vermochte, wo es längs geht. Ich erinnere mich an Bootsleute (nicht Bootsmänner, auch nicht Steuermänner, bitte!), deren früheste Tätowierungen noch aus der Nordatlantikfahrt im Zweiten Weltkrieg stammten. An wettergegerbte Kerle, die einst mit der Walfangflotte des griechischen Großreeders Onassis vor Perus Küste von peruanischen Flugzeugen angegriffen und aufgebracht worden waren. Ich erinnere mich an Ober-Machos, die Drei-Zoll-Nägel mit der Faust in Bar-Tresen rammten, und an gestandene Mannsbilder, die außer Muskeln auch jede Menge seemännischen Sachverstand mitbrachten.

Aber die Seefahrt wird auch ohne die nostalgischen Kosenamen für die Jungs an Bord auskommen. Ob sie allerdings ohne Fugen-s und Mehrzahl-s auskommen wird? Da muss ich noch eine kleine Story loswerden, über den Gebrauch des Mehrzahl-s.

Ein Steuermann erzählte mir, dass er mal auf Revierfahrt , Elbe aufwärts, mit dem Lotsen über die anstehenden Heuertarifverhandlungen diskutierte, über das magere Angebot der Reeder und die Zerstrittenheit der Gewerkschaften. Schweigend hatte der Matrose am Ruder dem Gespräch gelauscht und nur ab und zu beifällig mit dem Kopf genickt. Als nun die Fragwürdigkeit des von vielen Reedern als Druckmittel gehandhabten Ausflaggens zur Sprache kam, gab auch der Matrose einen kurzen Kommentar: „Jo! Reeders sind alles Pissers!“

Übrigens! Falls Sie, lieber Leser, Lust haben auch musikalisch das Thema Seefahrt näher gebracht zu bekommen, dann klicken Sie doch auf "YouTube" "mario covi" an. Dort habe ich einige meiner Lieder eingestellt. Versuchen Sie mal "Seemanns Lamento" unter diesem Link: http://www.youtube.com/watch?v=9QYd7zUSEp8


Seefahrt - Abenteuer oder Beruf? - Teil 1

Подняться наверх