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6. LANDGANG IN ALEX

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Nach vier Tagen Außen-Reede Alexandria verholten wir unerwartet auf die Innenreede dieses als "Perle des Mittelmeeres" nicht gerade schimmernden Hafens. Wir hatten uns auf ein gemütliches Wochenende gefreut und mit mindestens ein, zwei Wochen Wartezeit gerechnet. Letzte Reise hatte die "Bernhard-S" sogar drei Wochen am Schlickhaken geschwoit. Dicht an dicht lagen hier mindestens weitere vierzig Frachter.

Aus der Nähe sah die Stadt vielversprechender aus. Kuppeln und schlanke Minarette drängten aus dem saharafarbenen Häusermeer. Auffallend der Prachtbau der ehemaligen ägyptischen Könige, der Ras-El-Tin-Palast, von dem einst Faruk ins Exil gejagt wurde.

Nachmittags gingen wir an unseren Liegeplatz, einen für das Militär reservierten Kai. Das Längsseitsgehen glich einem Eiertanz, denn das Hafenbecken war von zahllosen verbeulten Schuten und uralten hölzernen Lastkähnen verstopft, die allesamt vollgetürmt waren mit Kisten, Kästen, Bündeln und Ballen. Auf den vorsintflutlichen Barken flüchteten Gestalten in zerfetzten und vor Dreck starrenden "Ghallabijas" vor dem drohenden Schiffskörper. Sie hätten trockenen Fußes, von Boot zu Boot springend, das Bassin überqueren können. Mit viel gutturalem Gezeter, Schiffssirenengeheul und Schlepperhilfe gelangten wir durch dieses "Wuhling" und machten am Kai fest. Vor uns lag ein chinesischer Frachter, aus dessen Räumen unzählige Geschütze an Land gesetzt wurden. Ballerdinger, mit denen sich immer die Falschen goldene Nasen verdienen. Unsere Ladung war etwas ziviler: eine von vielen Fuhren Eisenbahnwaggons aus Rumänien zu fünfunddreißig Stück.

Für mich war’s der erste Landgang in Alex. Von meinen Bordkameraden war nicht viel zu erfahren. Kaum einer hatte Zeit, viele auch keine Lust, an Land zu gehen. Da sei ein Nachtklub, "Crazy Horse", da gehe man schon mal hin...


Basarhändler in Iskenderun, Türkei

In den sechziger Jahren bin ich oft genug in arabischen und levantinischen Häfen gewesen, kann mich an ein aufregendes Port Said erinnern, an die Medina von Casablanca (und die altbekannten Storys über "Dödel-Wilma"), an die tausend Jahre alte Stadtmauer von Sfax, die Souks von Tripolis, den Basar von Benghasi, an urige Händler und Handwerker auf dem Basar von Iskenderun, im Osten der Türkei. An die libysche Wüste im Frühling, den Goldbazar und die Ramadan-Böllerschüsse von Dubai, an Sandstürme und Straßensperren in Aden. Die dreiste Aufdringlichkeit arabischer Händler und Bootsfahrer im Suezkanal ist mir bekannt, mit Kameraden bin ich von libyschen Gassenjungen mit Steinen beworfen worden und meiner neugierigen Kamera waren gezielte Tomatenwürfe im libanesischen Beirut zugedacht. Was stellte ich mich also so an und fragte so blöd? Also, hinein ins Unbekannte!


Messerschmied, Basar von Iskenderun

Der Hafen selbst war zunächst ein Schock. Alles das, was Handel und Wirtschaft der internationalen Kauffahrtei-Schifffahrt anzuvertrauen wagten, stapelte und türmte sich, lag durcheinander, zerbrach, lief aus, gammelte, stank und verschwand zum Teil auch auf Nimmerwiedersehen. Fast der gesamte Außenhandel dieses einst nur von biblischen Plagen gebeutelten Landes ging zwangsläufig über Alexandria.

Nach zweimaliger Landgangspasskontrolle war ich endlich im Wahnsinnsgetöse einer Vier-Millionen-Stadt. Ein Maultierkutscher verfolgte mich: „Hans, willst du Kuuutsche farren?“ – Ich versuchte sein Vehikel als Deckung zu nehmen, um durch den wütenden Verkehr heil in den Schatten der hohen Häuser zu gelangen. – „Du, komm! Kuuutsche farren, billig, billig!“ Fast hätte mich ein Wahnsinnsding von LKW erwischt. Der Fahrer lachte; schwarze Locken, schwarze Augen, Allah ist groß!

Schließlich ein Platz. Souvenirschuppen mit Ramsesramsch und Pyramidenplunder. Die Sphinx als Aschenbecher, als Briefbeschwerer, auf Messing, auf Leder. Ach ja, die Nofretete auch! Ein stattlicher Kerl, einer von vielen "Ali-Achmeds-aus-Berlin", hängte sich an meine Fersen. Ich wurde den Kerl nicht los. Wir gingen in eine der seltenen Kneipen mit Alkoholausschank, wo mich Ali auf meine Kosten zu einem Bier einlud. Er erzählte, dass er mit Silberschmuggel viel Geld verdient habe. Es war gerade ein Jahr her, dass auf den Weltmärkten innerhalb kurzer Zeit der Silberpreis hochgepuscht worden war. Münzen und alten Beduinenschmuck nach Italien, mit Autos zurück nach Ägypten. Mir waren bereits etliche Wagen, vorzugsweise der Marke Mercedes, mit verwittertem D-Schild aufgefallen. Aber Ali war bestimmt ein ehrlicher Schmuggler und kein Autoknacker!

Ali hatte mich hellhörig gemacht. Durch winkelige Gassen führte er mich zu einem der unzähligen Silberhändler, dessen Laden, nicht viel mehr als ein vitrinenähnlicher Kasten, buchstäblich auf dem Pflaster der Gasse stand. Hinter Glas eine reiche Auswahl an Amuletten, Ringen und Reifen. In Blechdosen verwahrte er Münzen und schwere Fuß- oder Armreifen: Brautschmuck der Beduinen. Eines dieser Stücke mit Verzierungen aus tordiertem Silberdraht hatte es mir angetan. Das alte Nomadengeschmeide brachte 135 Gramm auf die Waage. Ali feilschte prahlerisch laut mit dem stillen Händler, gurrte, schmeichelte, umarmte ihn, küsste ihn schließlich – und konnte seine Vermittlerprozente kassieren.

Endlich allein schlenderte ich durch das abendliche Basarviertel und trottete über Pflastersteine, deren abgewetzte Oberfläche vom Schliff bewegter Jahrhunderte zeugte. Ich stöberte in Tante-Emma-Läden. Da gab es säuberlich aufgereihte Säcke voll würzig riechender Spezereien. Aus klobigen klemmenden Schubladen wurden für ein paar Piaster Koriandersamen oder Weihrauchharz in grobes Packpapier geschaufelt. Ich kam durch Gassen, wo bei nächtlichem Funzellicht Sessellehnen geschnitzt oder Intarsien in Tische gesetzt wurden. Die niemals durch Fragen des Geschmacks verunsicherte Hand des Meisters dirigierte lernende Jungenhände. Quallige Möbel wurden liebevoll mit Zuckerbäckerstuck verziert und zum protzig-plüschigen Prunk fürs Volk, handwerklich solide und termitenfest.

Welch ein Treiben! Ärmlich gekleidete Fellachen, verschleierte Frauen, kichernde Schulmädchen, modisch gekleidete Schönheiten. Nubier, dunkelhäutig, in weißen wallenden Umhängen und Turbanen, düster wirkende Kopten, bleichgesichtige Griechinnen und großnasige Armenier waren ebenso in der Menschenmasse vertreten wie die unzähligen lärmenden Kinder oder die alten Männer mit ihren Patriarchenköpfen.

Marktstände säumten die größeren Basarstraßen. Da türmte sich Obst, Gemüse, Haushaltskram, Kleidung, lag klebrig-süßes Backwerk neben Datteln und Zuckerrohrstangen. Fisch und Langusten wurden von Fliegen umschwirrt und Katzen umlagert. Dann Käfigtürme voll Federvieh. Und unzählige Kaninchen. In einer Ecke ein Blechfass, in dem sie – gekauft und für gut befunden – geschächtet rasch verbluteten. Auf den Dächern der Schlachtereien trockneten im Großstadtsmog Fleischwaren, die von Gestellen baumelten wie Gehängte. Zwischen all dieser Farbenpracht verzweifelt hupende Autos, fluchende Kutscher, der zum Gebet rufende Singsang eines Muezzins aus einer der unzähligen Moscheen...

Neugierde, dieser altvertraute Drang, trieb mich in dunkle Viertel. Doch bald sah ich wieder Licht, erreichte eine sich hofartig erweiternde Sackgasse. Musik war zu hören und ich entdeckte hinter einer feierlich gekleideten Männergesellschaft verwegen aussehende Musikanten. Einige Männer stellten sich in Reihen auf, wiegten sich im verhaltenen Klagen des Vorsängers. Von Zeit zu Zeit beugten sie ihre Oberkörper weit zurück, Arme gen Himmel, und lächelten verzückt, um dann in Gegenrichtung rumpfbeugend der Erde zuzustreben. Die Musik steigerte sich, einer von allen erwarteter Ekstase entgegen drängend. Trommeln und Tamburine wirbelten, festigten sich zu komplizierten Rhythmen. Flötenphrasen schlängelten sich um die präzisen Schläge der Perkussionsspieler. Der kehlige Gesang wurde aufpeitschender. Da schwang etwas in der Stimme des Wüstensohnes, das an fanatisierte Reiterhorden mahnte, die mit Feuer und Schwert einem alle Ungläubigen vernichtenden "Mahdi" folgten... Welche Gedanken würden mich wohl heute heimsuchen? Das Wort "Islamismus" war noch so gut wie unbekannt!

Dann beherrschte nur noch Trance die Tänzer, Hingabe an fetzende Synkopen, ekstatischer Singsang. Die Männer wirbelten, warfen sich vor und zurück, "Ghallabijas" wallten und Schweiß tropfte von verzückten Gesichtern.

Die Musik verstummte, die Szene löste sich auf. Der verzaubernde Bann verwehte wie eine letzte Flötenkadenz, wie fremdartiger Blütenduft, der von fernem Gestade einem einsamen Seemann in die Nase weht und ihn rätselnd allein lässt.

Ich wollte mich in die Nacht verdrücken, war jedoch längst erspäht worden. "Schai", der allgegenwärtige stark gesüßte Tee, wurde mir gereicht, ein Stuhl bereitgestellt. Dies sei eine Hochzeitsfeier, erklärte man mir. Erstaunt fragte ich nach der Braut, nach den auf solchen Festen nirgendwo fehlenden Frauen und Mädchen. Eine Hand wies nach oben. Ich erhaschte einen Blick auf neugierig herab lächelnde Frauensleute und Kinder, die von Balkonen und in Fenster gelehnt dem Treiben im Hof folgten. Meine Frage: „Und die Frauen tanzen nicht?“ wurde mit Gelächter quittiert. Nein, das seien religiöse Tänze, Lobpreisungen Gottes.

Als die Musikanten wieder nach ihren Instrumenten griffen, forderten mich die jungen Männer zum Tanzen auf. Ich winkte ab, seltsam berührt von dieser ganz anderen Art Männerwelt, in der Tanz und körperliche Berührung frei von jenen Tabus sind, mit denen wir die Grenzen zwischen Männlichsein und Unmännlichkeit abzustecken das Recht in Anspruch nehmen.

Die ägyptischen Jünglinge deuteten meine Zurückhaltung sicherlich als europäische Steifheit, als tapsig-unmännliche und amusische Tölpelhaftigkeit. Als die Musik erneut ihre drogenähnlichen Reizstoffe in die wirbelnde Menge sprühte, fingen die Zuschauer den synkopischen Rhythmus der Trommler auf und klatschten anfeuernd mit. Da sah ich als rhythmustrainierter Funker eine Chance, das angeknackste Image des Fremden zu korrigieren und schlug begeistert den ungewohnten Takt sauber mit, was die tanztrunkene Männerrunde mit anerkennenden Rufen belohnte.

Seefahrt - Abenteuer oder Beruf? - Teil 1

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