Читать книгу VON KANADA NACH PANAMA - Teil 1 - Mario Covi - Страница 10
8. ANGST UND SCHRECKEN AUF DER GEISTERINSEL
ОглавлениеEines Morgens, bei der Morgentoilette, schrie Hildrun auf und fragte entsetzt: "Schau doch mal, hat mich da ein Vampir gebissen?"
Sie zeigte mir ihren blutigen Waschlappen. An ihrem Hals rann eine Blutspur hinab, was schon ein wenig seltsam aussah, aber bestimmt eine einfache Erklärung finden sollte.
"Vampire gibt's doch in diesen Breiten gar nicht", tröstete ich meinen Schatz. Wir wurden bald aufgeklärt: klitzekleine schwarze Fliegen - die gehassten Blackflies - soffen sich an unseren Körpern satt!
Zoologisch zählen die Blackflies zu den Mücken, sehen aber aus wie Fliegen im Miniformat. Weltweit gibt es über 1.500 Arten. Bei uns gibt es welche, die unter dem Begriff Kriebelmücken bekannt sind. Sie stechen nicht, sondern öffnen die Haut durch einen Biss. Danach bringen sie einen Blutgerinnungshemmer in die Wunde, so dass sie genüsslich den roten Lebenssaft schlürfen können, diese Biester! Dass ihre Bisse extrem jucken und sich nicht selten bis hin zu einer Blutvergiftung entzünden können, sollten wir im Laufe unserer Kanadajahre noch reichlich erfahren...
Unangenehm ist, dass diese vor allem in Kanada und den USA vorkommenden Viecher tagsüber unterwegs sind. Gegen die Moskitos kann man sich im Dämmerlicht noch irgendwie mit Textilien und Sprays wehren. Schwimmen gehen oder kalt duschen ist übrigens ein guter Trick, denn einen abgekühlten Körper verschmähen die Moskitos - zunächst... Aber gegen die Blackflies gab es damals so gut wie kein Mittel, das nachweislich irgendeinen abschreckenden Effekt erzielt hätte. Da half tatsächlich nur die so oft zitierte indianische Gelassenheit! Mittlerweile gibt es angeblich Giftstoffe, die helfen sollen - wenigstens der Pharmaindustrie. Wir haben allerlei simple Hausmittel ausprobiert. Gut funktioniert Baby-Öl, Vaseline, besonders gut mentholhaltige Salben (z.B. Vicks VapoRub) oder jede andere Art fetthaltigen Sonnenschutzes. Dick auf der Haut aufgetragen ersaufen oder ersticken die kleinen Insekten einfach in diesem Gemisch aus Fett, ätherischem Öldampf und Schweiß. Man ist eine Art lebender Fliegenfänger.
Auf unserem Weg nach Westen kamen wir durch Espanola. Eine Abzweigung führte zur Insel Manitoulin. Falls Sie ein Freund von Quizfragen sind: Manitoulin ist mit 2.766 qkm die größte Insel in einem See, also die größte Binneninsel der Welt. Wir machten einen Abstecher auf diese Landmasse im Huronsee, die von sechs sogenannten First Nations, wie man heute politisch korrekt die Indianerstämme nennt, bewohnt wird. Weil kein offizieller Campingplatz in Reichweite war, entschlossen wir uns, wild zu kampieren. Auf dem Inselteil Great Cloche Island entdeckten wir eine riesige schräg nach oben führende Fläche aus blankem Fels. Das war es! Wir fuhren auf diesem Felsplateau immer höher in den Wald, bis wir eine Stelle erreichten, wo wir wunderbar stehen konnten.
Hildrun war ein wenig ängstlich, denn es war wirklich düster und einsam da oben auf dem Felsplateau inmitten der kanadischen Wildnis. Und dann noch im Indianer-Reservat! Natürlich mimte ich den coolen Macker und wischte alle Bedenken weg.
Nachts wurden wir von einem extrem heftigen Gewitter aufgeschreckt. Es blitzte und donnerte und krachte ohrenbetäubend. Hildrun wimmerte neben mir: "Was ist, wenn wir jetzt sterben müssen?"
"Wir müssen nicht sterben, jedenfalls nicht jetzt", tröstete ich meine junge Frau.
"Aber wenn der Blitz einschlägt? Wir stehen doch hier völlig ungeschützt, wir bieten uns ja regelrecht an!"
Ich versuchte Hildrun mit dem Prinzip des Faradayschen Käfigs zu trösten, dass wir also im Auto durchaus sicher seien vor Blitzeinschlag und elektrischer Exekution. Inwieweit unsere Blechkiste tatsächlich dieses Versprechen gehalten hätte, war mir nicht klar. Aber es half erst mal, nach dem Gewitter ein wenig Schlaf zu finden.
Unterschwellig jedoch war da eine quälende Urangst in uns. Diese totale Einsamkeit um uns herum ließ mich bald wieder wach werden, und ich schaute vorsichtig zwischen den Vorhängen unseres Camping-Bullis hinaus in die Nacht. Mir stockte der Atem: Da schlich ein Schatten zwischen den Bäumen, mit einer Taschenlampe! Und noch eine zweite Taschenlampe bewegte sich auf uns zu...
Hildrun war ebenfalls aufgewacht. Ich flüsterte: "Sei ganz, ganz still! Ich glaube, uns haben die Indianer entdeckt. Jedenfalls schleichen da irgendwelche Kerle mit Taschenlampen durch den Wald."
Mein Schatz schaute nun ebenfalls vorsichtig aus dem Fenster und flüsterte: "Da kommt auch einer! Und dort auch! Was sollen wir nur machen? Ich habe Angst!"
Mittlerweile hatte ich einen weiteren Indianer mit Taschenlampe entdeckt. Uns wurde wirklich ganz komisch! Und dann sah ich einen im Baum hocken! Hoch oben blinkte seine Taschenlampe im Geäst, etwas höher eine weitere, überall waren Indianer mit Taschenlampen!
Irgendwie konnte das nicht sein. Ich schaute etwas unaufgeregter und genauer in die Dunkelheit - und dann ging uns beiden gleichzeitig ein trübes Licht auf: "Glühwürmchen!", riefen wir erleichtert aus und fielen uns lachend um den Hals. Es ist wirklich verblüffend, wie hell diese Glimmerkäfer in einer stockdunklen Nacht leuchten.
Dass Manitoulin in der Sprache der Ureinwohner Geister-Insel bedeutet, erfuhren wir viel später - aber wir erinnern uns immer wieder mit einem wohligen Schaudern, welche Urangst uns damals in dieser finsteren Gewitternacht fröhlich schwirrende Glühwürmchen eingeflößt hatten!