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1.5 Sucht: Krankheit oder Fehlverhalten?

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In einem Aufsatz von Morse (2004) finden sich zusammenfassend die zentralen Argumente der beiden o. g. Perspektiven. Dabei ist wichtig, sich zunächst die Implikationen eines bio-medizinisch geprägten Krankheitsmodells zu vergegenwärtigen.

Der bio-medizinische Blick auf Sucht als Erkrankung hat weitreichende Implikationen: Die Medizin geht im Allgemeinen bei einer Erkrankung von einer zugrundeliegenden Störung und darauf bezogenen Symptomen aus, so wie beispielsweise eine Grippeinfektion die Symptome Schnupfen, Husten und Fieber hervorbringt. Zudem wird davon ausgegangen, dass der Erkrankte weder für die zugrundeliegende Störung noch für die jeweiligen Symptome und Anzeichen verantwortlich ist und dass grundsätzlich Erkrankungen als unwillkommene und unangenehme Zustände von Menschen erlebt werden. Die Anzeichen und Symptome unterliegen nicht der willentlichen Steuerung, sondern sie sind lediglich mechanische, biophysische Effekte bzw. Ausdrucksformen der darunterliegenden Pathologie.

Insofern sind die meisten Krankheitsanzeichen und Symptome nicht intentional; Menschen erleiden sie, ohne sie durch willentliche Anstrengung vermeiden zu können. In dieser Logik ist der Suchtkranke nicht verantwortlich für sein Craving (Craving umschreibt das kontinuierliche und nahezu unbezwingbare Verlangen eines Suchtkranken, sein Suchtmittel zu konsumieren, und ist eines der zentralen Momente des Abhängigkeitssyndroms, Kap. 11) und für die Verhaltensweisen, die er zeigt, um das Craving zu beeinflussen oder zu beenden. Moralisch (und ebenfalls juristisch) kann der Mensch nur für das Verhalten verurteilt werden, bei dem er selbst eine Chance hatte, es zu steuern. In diesem Kontext ist eine medizinisch orientierte Antwort nicht wertend, nicht bestrafend und stattdessen therapeutisch ausgerichtet.

Ein zentraler Vorteil der bio-medizinischen Perspektive liegt dementsprechend darin, dass sich hieraus ein akzeptierender, freundlicher, wertschätzender, verständnisvoller und auf Hilfe und Unterstützung ausgerichteter Umgang mit betroffenen Menschen ableiten und begründen lässt (Morse 2004).

Dies ist ein ebenso starkes wie erforderliches Moment in einer Gesellschaft, in der Menschen mit Suchtverhalten immer noch starker Diskriminierung und Stigmatisierung ausgesetzt sind – der eben skizzierte bio-medizinische Blick in der Bevölkerung also nicht zu dominieren scheint. Room (2005) konnte in einer Übersichtsarbeit zeigen, dass Drogen- und Alkoholabhängigkeit zu den Merkmalen von Menschen zählen, die die stärkste soziale Missbilligung erfahren – und das international. Stigmatisierung und Marginalisierung findet statt in Familien, aber auch in sozialen Institutionen und im öffentlichen Leben. Bei drogen- und alkoholabhängigen Menschen wird oftmals verallgemeinernd davon ausgegangen, dass sie in den wichtigen sozialen Rollen (vor allem in der Familie und im Berufsleben) versagen, dass sie gewaltbereit sind und weitgehend unfähig sind, Verantwortung zu übernehmen (Room 2005). So kann man davon ausgehen, dass sich das oben skizzierte bio-medizinische Modell bislang nicht durchsetzen konnte und verurteilende Haltungen gegenüber abhängigen Menschen nach wie vor hochprävalent sind. Hierin wird einer der Hauptgründe für die häufig vorfindbaren Verleugnungstendenzen von suchtkranken Menschen gegenüber ihrer eigenen Erkrankung gesehen, mit der Folge, dass Unterstützung oftmals nur sehr spät im Krankheitsverlauf in Anspruch genommen wird und mögliche Genesungs- und Bewältigungsprozesse erschwert oder verunmöglicht werden (vgl. Lloyd 2013; Palamar 2013).

Soziale Arbeit in der Suchthilfe

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