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1.6 Sucht, Kontrolle und Verantwortung
ОглавлениеAber auch wer eine zugewandte, nicht verurteilende und unterstützende Haltung gegenüber Menschen mit Suchtverhalten in unserer Gesellschaft erreichen möchte, muss anerkennen, dass es Situationen gibt, in denen es unübersehbar wird, dass auch im ausgeprägten Suchtverhalten Elemente von individueller Steuerungsfähigkeit enthalten sind: Die Suche und der Gebrauch von Drogen sind intendierte Handlungen; die Willkürmotorik ist beteiligt. Das ist etwas anderes, als bei Masern einen Ausschlag zu bekommen – der Drogenkonsum ist dann eher dem Kratzen vergleichbar. Von daher ist es mehr als nur plausibel anzunehmen, dass der Erkrankte in der Lage ist, zu einem gewissen Grad intentionale Kontrolle über den Drogenkonsum auszuüben bzw. zu erlangen. Darüber hinaus ist es ein hilfreiches und bewährtes Schlüsselelement in der Beratung und Behandlung von suchtkranken Menschen, wenn Suchtberater und -beraterinnen suchtkranke Personen ermutigen können, »Verantwortung für das eigene Verhalten zu übernehmen«, sie also genau auf ihre (verbliebene) Steuerungsfähigkeit ansprechen und diese positiv herausheben. Gleiches gilt für die Betonung der Entscheidungsfähigkeit und Autonomie der abhängigkeitskranken Menschen in beratenden und behandelnden Kontexten, der ebenfalls entscheidende Bedeutung für die Bewältigung und Genesung zukommt ( Kap. 12).
Es kann zu Verwerfungen kommen, wenn verantwortliche Menschen nicht als verantwortlich gesehen und behandelt werden. Wenn die bio-medizinische Perspektive in ihrer puristischen Ausprägungsform auch auf intentionales Handeln angewendet wird, führt dies zu einer Objektivierung des Menschen, zu einer bevormundenden, demütigenden Umgangsweise und Herabwürdigung (Morse 2004). Wenn der Wille eines Menschen zur Disposition steht, dann ergeben sich kaum noch Mitspracherechte, z. B. in Hinblick auf Hilfeformen und Behandlungsarten. In aller Regel bringt paternalistisches Verhalten Widerstand hervor, der als Ausdruck des Willens nach Selbstbestimmung zu deuten ist und der die Beziehung zwischen abhängigem Menschen und Berater beeinträchtigen und die Arbeit am »eigentlichen Thema« und eine Krankheitsbewältigung erschweren kann.
Dies ist insbesondere in der Suchthilfe – in der Kontrollaspekte der Sozialen Arbeit eine besondere Rolle spielen – von hervorgehobener Bedeutung. Einen Ausweg aus diesem Dilemma bietet hier zum einen eine konsequente Trennung von Person und Verhalten. Das Suchtverhalten darf diskutiert und kritisch hinterfragt werden, auch in Hinblick auf die dadurch hervorgerufenen Risiken und Schäden bei der suchtkranken Person und in ihrem Umfeld. Die Person ist aber dabei immer als unverletzbares Subjekt zu betrachten, dem in jeder Situation uneingeschränkt Würde und Respekt zukommt. Zum anderen gewinnt in der Suchtkrankenhilfe nach langen Jahren der Dominanz der abstinenzorientierten Hilfen das Paradigma der »zieloffenen Hilfen« zunehmend an Bedeutung, das den Selbstbestimmungsrechten von abhängigen Menschen Rechnung trägt ( Kap. 8).