Читать книгу Circles of Fate (3). Schicksalskampf - Marion Meister - Страница 7
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Äon?« Hannas Stimme hallte in der Leere des Raums wider. Sie blinzelte gegen die blendende Helligkeit an, die den Orakelraum erfüllte. »Bitte! Wir brauchen deine Hilfe!«
Wie oft hatte sie nun schon nach dem Wesen gerufen? In dem runden Raum, der wie die Quelle des Lichts war, in dem man jegliche räumliche Orientierung verlor, schien auch Zeit nicht zu existieren. War sie eben erst durch die versteckte Tür hereingekommen? Oder verschwendete sie schon Stunden darauf, Äon zu rufen? Vermutlich würde sie nie eine Antwort erhalten.
Mit geschlossenen Augen verharrte sie und wartete – auf irgendetwas. Ein Geräusch, eine Bewegung, eine Veränderung des Lichts … eine Stimme.
Doch immer noch geschah nichts.
»Äon! Wir werden angegriffen!«, brüllte sie in das Licht. »Du hast uns keine Fähigkeiten gegeben, um uns gegen die Angriffe der Unsterblichen zu verteidigen! Hilf uns!«
Die Stille verschluckte ihr Flehen.
Wieso antwortete es nicht? Es musste wissen, was vor sich ging! Manche behaupteten, Äon hätte seine Schöpfung schon vor Hunderten von Jahren im Stich gelassen. Hatten sie etwa recht?
Nein, niemals. Äon kannte jeden Faden seiner Schöpfung. Es wusste, was hier gerade passierte.
Äon bestimmte, was geschehen sollte. Nicht nur in den einzelnen Leben der Menschen – auch mit der gesamten Welt.
»Hast du uns satt?«, brüllte Hanna in das Licht. »Willst du uns so aus deiner Schöpfung löschen?«
Es war sinnlos, hier weiter um Hilfe zu betteln. Lita, Elaine und all die anderen Weberinnen waren da draußen. Schutzlos dem Wahnsinn eines Unsterblichen ausgeliefert. Sie musste zu ihnen.
Hastig wandte Hanna sich um und tastete blind nach der Tür, die in der Wand des Orakelraums verborgen war. Es dauerte, bis sie die Stelle erreicht hatte. Die Tür glitt zur Seite und Hanna taumelte hinaus.
Die Luft im Turm war schneidend kalt und unter ihren Sohlen knirschte es. Raureif. Angst schlich sich in ihr Herz. Was hatte Misano Lita und Elaine angetan?
Hastig stolperte sie vorwärts, doch sie konnte nichts sehen. Ihre Augen waren noch immer von der Helligkeit geblendet, die im Orakelraum geherrscht hatte. Es schmerzte wie Messerstiche, sobald sie sie öffnete, und Tränen verschleierten ihren Blick.
Wie hatte sie nur eine Sekunde lang glauben können, Hilfe vom Weltenschöpfer zu erhalten. Alles, was geschah, war sein Werk!
Es hatte Elaine gesagt, dass das Ende bevorstand. Und Elaine hatte geglaubt, es wäre seine Strafe für sie. Für ihren Ungehorsam. Doch Äons Schweigen war mehr als deutlich: Es hatte genug von den Weberinnen, von den Menschen und den Unsterblichen. Selbst von den gutmütigen Kami. Es wollte seine gesamte Schöpfung beenden! Warum sonst hüllte es sich in Schweigen und ließ die Dinge einfach so geschehen?
Der Angriff auf den Turm war sein Wille! Dies war Hanna nun schmerzlich klar geworden.
Sie biss die Zähne zusammen gegen den Schmerz in ihrem Herzen. Blinzelnd versuchte sie, den Weg zu erkennen.
Der Raum des Orakels befand sich einige Stockwerke über dem Weltenraum. Er hing wie ein Nest, das Webervögel in die Zweige gewoben hatten, in den Ästen des Schicksalsbaums.
Sie atmete tief ein und bekämpfte die in ihr aufkommende Verzweiflung. Tränen liefen über ihre Wangen, während sie halb blind den Weg suchte.
Warum hatte Äon diesen brutalen Überfall geschehen lassen? Es hätte die Welt mit einem Fingerschnippen verschwinden lassen können. Genauso, wie es sie vor Millionen Jahren erschaffen hatte.
Warum wollte es, dass seine Kinder Schmerz und Angst litten?
Es ist sinnlos.
Gegen das von Äon vorgegebene Schicksal waren sie alle machtlos. Es hatte Elaine das Ende der Welt vorhergesagt. Und Schritt für Schritt bewegten sie sich darauf zu. Hanna selbst hatte Jin gezeigt, wie auch er seinen Teil dazu beitragen konnte.
Schluchzend sackte Hanna auf die Knie und begann, hemmungslos zu weinen. Durch den Tränenschleier verschwand die Welt um sie herum immer mehr.
Nach Atem ringend setzte sie sich auf und blickte in den Baum. Seine grünen Blätter waren von Eis überzogen. Alles im Turm funkelte wie Kristall. Schön anzusehen, doch kalt und hart und schneidend. Bevor Misano in den Turm eingedrungen war, war ihre Heimat weich, luftig und von Wärme durchflutet gewesen.
Hier war sie aufgewachsen. Und obwohl sie freiwillig den Turm verlassen hatte, war der Geruch und Klang des Schicksalsbaums in ihren Erinnerungen nie verblichen. Wann immer sie die Augen schloss, hatte sie ihn gespürt. Seine Macht verband sie alle miteinander. Nicht nur die Menschen, auch die Weberinnen waren Teil seiner Gemeinschaft. Zwölf Bäume wurzelten auf der Welt, verbunden durch ein dichtes Flechtwerk aus Wurzeln, entsprungen aus dem einen Weltenbaum, der noch immer in der jenseitigen Welt stand und seine Abkömmlinge mit seiner Kraft nährte.
Äon selbst hatte diesen Urbaum geboren, erzählten die Legenden. Und mit ihm all das Leben, das nun auf dieser Welt existierte.
All die Menschen, Tiere, Pflanzen, Kami, Unsterblichen und Weberinnen. Selbst jene Wesen, die in der Dunkelheit hausten.
Ein weiterer Krampf schnürte Hannas Brust zu. Allein der Gedanke, dass ihre Tochter von Misano gefangen war! Dass sie unter seinen grausamen Attacken Schmerzen litt. Sie musste zu Lita, bevor alles vorbei war. Entschlossen wischte Hanna sich die Tränen fort. Zittrig erhob sie sich.
Erst jetzt fiel ihr auf, wie totenstill es im Turm war. Die Blätter des Schicksalsbaums schwiegen. Die Melodie, die die Blätter stets flüsterten, war verstummt. Misanos Frost hatte sie erstarren lassen. Aber nicht nur das Wispern des Baums war verklungen, auch die fröhlichen Stimmen der Früchte erntenden Weberinnen. Kälte kroch Hanna unter die Haut.
Eilig betrat sie den Astweg und lief in Richtung der Treppe, die sich um den Stamm wand.
Egal, ob Äon die Welt enden lassen will – ich lasse Lita nicht allein!
Als sie die Treppe betrat, spähte sie den Stamm hinab in die Eingangshalle. Dort unten war alles weiß. Dickes Eis ummantelte Äste und Treppe. Ihre Schuhe quietschten leise, als sie die Stufen hinunterlief. Je näher sie dem Weltenraum kam, umso mehr Eiszapfen glitzerten an den Ästen. Die Stufen der Spindeltreppe waren glatt. Sie musste vorsichtig sein, denn auch das vereiste Geländer, an dem sie sich festhalten wollte, bot kaum Halt. Der Frost brannte sich in ihre Haut.
Würde sich der Baum von den Erfrierungen erholen? Besorgt musterte sie die Zweige, während sie weiter hinablief.
Plötzlich rutschte sie weg. Die Sohle fand keinen Halt auf der Eiskruste. Hanna fiel nach hinten und landete hart auf dem Eis, das sie die Treppe hinabschlittern ließ. Panisch versuchte sie, sich festzuhalten, aber die Stufen waren so glatt, dass ihre Finger jedes Mal abglitten.
Fast zu spät bemerkte sie die Weberin, auf die sie zurutschte. Mitten auf den Stufen, in der Bewegung eingefroren, stand sie auf der Treppe. Offensichtlich war sie vor Misano geflohen, doch er hatte sie nicht entkommen lassen. Hektisch warf sich Hanna herum, damit sie die vereiste Frau nicht traf, begann zu trudeln und schaffte es endlich, ihre Rutschpartie zu stoppen, indem sie sich mit dem Fuß gegen eine Strebe des Geländers stemmte.
Vorsichtig, als balancierte sie auf rohen Eiern, zog sie sich auf die Füße und schob sich zur Weberin hinüber.
»Serena«, wisperte Hanna geschockt, als sie der Frau ins Gesicht sah. Es war eindeutig Serena, die unter einer zentimeterdicken Eisschicht erstarrt war. Die Augen weit aufgerissen, den Mund zu einem Schrei verzerrt, schien sie Hanna direkt anzusehen.
Ihr stockte der Atem. Konnte Serena etwa noch am Leben sein? Zögerlich trat sie näher an die Eingefrorene heran. Serena war damals eine enge Freundin gewesen.
Auch wenn der Blick an Hanna vorbeiging, beschlich sie das Gefühl, dass ihre Freundin unter dieser eisigen Schale gerade um ihr Leben kämpfte.
Hanna musste sich zusammenreißen, um nicht erneut loszuheulen.