Читать книгу Circles of Fate (3). Schicksalskampf - Marion Meister - Страница 8

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Lita kletterte aus dem Spindelwerk hinunter zu Misano, der ihr skeptisch entgegensah. Der Raum dröhnte von all dem Sirren und Klackern der Fäden, Spindeln und Rollen. Ihre Hände klebten vor Schweiß und sie wischte sie an der Jeans trocken. Hatte sie das Richtige getan? Würde Faines Glück ihr helfen? Unauf‌fällig warf sie einen Blick zurück zu der Weberin, die sich versteckt hielt. Diese trug in einer Tasche jede Menge Spulen mit neuen Fäden bei sich. Die Schicksale Hunderter Babys, die heute geboren worden waren. Es war die Aufgabe der Weberin, die Schicksalsfäden an die Neugeborenen zu knüpfen. Doch Misanos Überfall auf den Turm hatte sie aufgehalten. Immerhin war sie nicht von Misano zu Eis verwandelt worden.

Der Unsterbliche hatte Lita versprochen, die Frauen wieder aufzutauen, sobald sie den Totenfaden in das Weltengeflecht gefädelt hatte. Und sie hoff‌te sehr, dass Misano sich an sein Wort halten würde. Denn sie hatte ihren Teil erfüllt.

Lita nickte der Weberin aufmunternd zu. Sobald sie mit Misano den Raum verlassen hatte, musste die Frau sich aus ihrem Versteck trauen, um die Fäden in das Spindelwerk einzulegen. Jeder Mensch brauchte seinen Faden, das hatte Lita in den vergangenen Tagen gelernt. Das Leben stand darauf geschrieben.

Ihr Blick huschte über die Abertausend Spulen und Rollen, die die Lebensfäden transportierten und durch einen Durchlass knapp unter der Zimmerdecke in den dahinterliegenden Weltenraum führten.

Bis vor Kurzem war Lita der Meinung gewesen, sie wäre selbst für ihr Leben verantwortlich. Doch es war Äon, das die Welt erschaf‌fen hatte und für jeden Einzelnen einen Lebenslauf schrieb. Und es gab kein Entrinnen. Das Schicksal war erbarmungslos. Ohne Faden war man allerdings raus aus dem Spiel. So wie sie. Aber Lita war sich nicht sicher, ob es gut war, keinen Faden zu besitzen. Ihr hatte die Schicksalslosigkeit jede Menge Ärger eingebracht. Vor allem gab es keinen Lebensfaden, den man abschneiden konnte. Nicht auszudenken, wenn es plötzlich Hunderte von Schicksalslosen geben würde. Nicht nur, dass ihre Taten nicht vorhersehbar wären – sie wären alle unsterblich.

Elaine würde ausrasten. Für einen Wimpernschlag grinste Lita, als ihr jedoch bewusst wurde, dass sie ihre Großmutter schwer verwundet im Weltenraum zurückgelassen hatte, beschleunigte sie ihre Schritte.

Hastig sprang sie von dem untersten Metallsteg auf den Boden und landete direkt vor Misano. »Ich habe meinen Teil der Abmachung eingelöst«, sagte sie. »Nun sind Sie dran.«

Unsicher beobachtete Misano das Spindelwerk. Die verschachtelte Anlage schien ihm nicht geheuer zu sein. »Wo ist er?«

Lita folgte seinem Blick. Sie hatte keine Ahnung, wo der Totenfaden von Zara abgeblieben war. Die Spule hatte ihn fortgerissen. Aber mit Sicherheit war er bereits im Weltenraum. Und Faines Glück würde ihr helfen, ihn wiederzufinden, sobald Misano den Turm verlassen hatte.

Er packte ihr Handgelenk. »Was ist mit Zaras Faden passiert?« Sein Blick irrte umher, auf der Suche nach dem Schnipsel, das von Zaras Lebensfaden übrig gewesen war.

»Was glauben Sie denn! Es ist zurück im Weltengeflecht!« Sauer versuchte sie, sich aus seinem Griff zu befreien. Seine Haut fühlte sich eisig an. Angst, er könne sie jeden Augenblick einfrieren, überfiel sie. »Ich hab getan, was Sie wollten. Ich habe den Faden zurück in das Gespinst gebracht!« Endlich ließ er sie los, fuhr herum und eilte in den Weltenraum, der gleich hinter dem Raum mit dem Spindelwerk lag.

Lita nickte abermals der Weberin zu, die sich versteckt hielt, und folgte Misano. Als sie sich noch einmal umsah, beobachtete sie erleichtert, wie die Frau emsig Fäden in das Spindelwerk einlegte.

Das Dröhnen der monströsen Maschine war im Weltenraum nicht mehr wahrzunehmen. Hier war es still wie in einer Kirche. Die Schicksalsfäden, die wie dünne schillernde Lichtstrahlen den Raum durchkreuzten, trugen mit ihrem farbigen Schimmer zu dem sakralen Eindruck bei.

Elaine kauerte noch immer am Boden. Sie sah fürchterlich aus. Ihre Nase hatte geblutet, ein Auge war geschwollen und offenbar hatte Misano ihr eine Schulter ausgerenkt. Sie musste schreckliche Schmerzen haben.

Lita ging auf Elaine zu. Unauf‌fällig glitt ihr Blick zum Eingang, der noch immer durch eine Eiswand blockiert war. Misano hatte mit dieser Welle aus Eis Rukar aus dem Weltenraum geschleudert. Wo er jetzt wohl war? Hatte er sich aus dem Staub gemacht, weil das hier keiner seiner Aufträge war?

»Zeig ihn mir!«, rief Misano. Gehetzt blickte er sich in dem flirrenden Netz aus Licht um.

»Den Faden?« Lita lachte nervös. Auch sie wollte den Faden der Toten finden, allerdings um ihn wieder aus dem Geflecht zu entfernen. Misano durf‌te nichts davon mitbekommen. Es war besser, wenn er den Faden nicht fand. So konnte sie behaupten, dass seine Idee eben nicht funktioniert hatte. Jeder hatte sich mit dem Tod abzufinden. Auch Unsterbliche, wenn sie sich in Sterbliche verliebten.

Ihr Blick glitt über das endlose Gespinst aus Schicksalsfäden. Es schien unmöglich, dieses kurze Stückchen darin wiederzufinden. Misano machte allerdings nicht den Eindruck, als wollte er das akzeptieren. Er stapfte mitten hinein. Doch die Fäden waren wie Laserlicht für ihn. Nur Weberinnen konnten die Fäden berühren. Seine Bewegungen verwirbelten die bunt schimmernden Lichtfäden. Hilflos ruderte er in dem flirrenden Gespinst herum, ohne auch nur einen Faden berühren zu können.

Lita suchte Elaines Blick, aber die Oberste Weberin wandte sich von ihr ab. Pure Missbilligung spiegelte sich in ihrem Gesicht. Fast hätte Lita sie angeblafft. Elaine hatte seit siebzehn Jahren gewusst, dass dieser schreckliche Tag kommen würde. Es war ihr nicht gelungen, die Geschehnisse abzuwenden. Lita hatte den Faden einer Toten in das Gespinst eingeflochten und laut Äons Orakelspruch war dies der Beginn des Weltuntergangs. Zumindest interpretierte Elaine das Orakel so, dass Lita dadurch die Welt in Asche verwandelte.

Bisher war keine Asche zu sehen.

Noch immer ruhte ihr Blick auf Elaine. Sie gab ein Bild des Jammers ab. Lita merkte, wie sie eine Faust ballte. Elaine hätte lieber eine Weberin nach der anderen Misanos Zorn geopfert, als den Faden einzuflechten. Und das, wo sie doch Äon hatte Folge leisten wollen. Vermutlich war es ihr wieder nur um ihren Stolz gegangen. Elaine war der Meinung gewesen, Äon würde die Welt allein wegen ihres Vergehens enden lassen wollen, als Strafe für Elaine.

Aber nun war Misano hier und hatte den Tod zu den Lebenden gebracht.

Lita war sich sicher, sie hatte die richtige Entscheidung getroffen. Denn sobald Misano nun endlich das Eis schmolz und mit seiner Toten verschwand, würde sie den Faden wieder entfernen.

Sie war ohne Faden geboren worden. Kein Schicksal. Sie war frei von Äons Willen. Sie existierte in Äons Plan schlichtweg nicht. Elaine hatte sich in allem geirrt. Nach Elaines abweisenden und wütenden Blicken zu urteilen, war es ihr inzwischen selbst klar geworden, dass sie ihre Tochter Hanna völlig umsonst ins Exil genötigt hatte.

Im Gespinst waren Millionen von Leben miteinander verwoben, die sich gegenseitig beeinflussten. Eigentlich war ihre Idee, Zaras Fadenschnipsel darin wiederzufinden, bescheuert. In hundert Tagen würde ihr das nicht gelingen! Allerdings hatte sie der Glückskami Faine ein zweites Mal gesegnet. Hielt der Glückssegen des Kami lange genug an, dann fand sie den Faden im Handumdrehen. Sie hatte mit diesem Segen einen Unsterblichen aufgespürt und sie würde auch Zaras Faden finden. Nur Misano musste endlich verschwinden!

»Ich habe keine Ahnung, wo Zaras Faden ist«, sagte sie zu Misano, der mit seinem schweren Mantel ziellos zwischen den Fäden herumwirbelte. »Nur das Schicksal selbst weiß, welchen Weg er nehmen wird.«

Er kam drohend auf sie zu. »Wenn du mich betrogen hast …! Wo ist ihr Faden? Euch Weberinnen ist nicht zu trauen! Zeig ihn mir oder du wirst es bereuen!« Er ballte eine Faust und eisige Blitze zuckten darauf.

Ungeachtet der Gefahr, dass er sie jederzeit schlagen oder, schlimmer noch, vereisen konnte, trat sie auf ihn zu. »Gehen Sie zu Ihrer Zara. Sie haben ihren Leichnam mitgeschleppt, oder nicht? Gucken Sie in die Sänfte, ob dort Ihr Zombie sitzt und auf Frühstück wartet!«

Seine Ohrfeige traf sie unvorbereitet und sie taumelte zur Seite. »Sprich nicht so über Zara!«, donnerte er.

Ihre Wange brannte wie Feuer, doch Lita wollte sich nichts anmerken lassen. »Verschwinden Sie, bevor ich Ihrer Zara das Leben wieder nehme. Sie haben geschworen, den Turm zu verlassen, zusammen mit Ihrem Eis!«

Um seine geballte Faust zuckten weitere Eisblitze. Lita blickte ihn entschlossen an. »Sie haben auf Zaras Faden geschworen, dass Sie den Turm verlassen und die Weberinnen erlösen!«

Er zögerte, schien abzuwägen, ob er tatsächlich zu Zara gehen oder sich lieber den Faden zeigen lassen sollte. Da rührte sich plötzlich Elaine. Sie atmete schwer, hustete und versuchte, auf die Beine zu kommen.

Es schnürte Lita das Herz zu, sie so zu sehen. Auch wenn sie wütend auf sie war, auf ihren Starrsinn und ihre Rechthaberei. Sie war trotz allem ihre Großmutter. Jedoch widerstand Lita dem Impuls, zu ihr zu eilen, um ihr zu helfen. Stattdessen fixierte sie Misano. »Verschwinden Sie endlich!«, zischte sie.

Er warf einen Blick auf die Fäden, dann wirbelte er herum, sein bodenlanger Mantel knisterte, als die Eiskruste unter seinen Füßen aufplatzte. Mit einer ungeduldigen Geste schoss ein glühender Ball aus seiner Hand auf den Eingang zu. Das Eis schmolz zischend, verdampfte in einer dicken Wolke und Misano eilte aus dem Raum.

»Wie konntest du nur!«, stöhnte Elaine hinter Lita. Sie stützte sich mit ihrem gesunden Arm ab und hievte sich auf die Beine. Es kostete sie große Anstrengung, sich aufrecht zu halten.

Lita ging zu ihr und stützte sie. »Ich bring dich hier raus, du brauchst einen Arzt.«

Zwar ließ Elaine die Hilfe zu, doch ihr Gesichtsausdruck sprach Bände. »Du hast die Welt zerstört!«

Lita schnaubte. Die Welt war noch da. Allerdings musste sie sich beeilen, den Faden zu finden, bevor Faines Glück sie verließ.

»Du hast deinen Teil der Prophezeiung erfüllt!«, jammerte Elaine weiter.

Lita griff fester zu. Auf keinen Fall würde sie sich jetzt auf einen Streit mit Elaine einlassen. Es war vorbei. Sie wusste, was sie tun musste. Faine hatte ihr den Mut gegeben und das Werkzeug. Und irgendwelche dämlichen Verse konnten sie mal!

Schritt für Schritt brachte Lita die alte Frau zum Ausgang. Hoffentlich hatte ihre Mutter Äon erreicht. Misano musste bestraf‌t werden für seine Tat!

»Du bist das Ende der Welt! Du hast sie alle ermordet, sehenden Auges!« Obwohl Elaine zu schwach war, um selbstständig zu laufen, hatte sie genügend Atem, um Lita zu beschimpfen. Ihr Tonfall klang gehässig und Lita verlor die Geduld mit ihrer starrsinnigen Großmutter.

»Ich bin keine Mörderin! Weder lasse ich meine Großmutter erschlagen noch die Weberinnen ausrotten.« Und wenn Misano nicht Wort hielt und die Frauen, die er in Eis verwandelt hatte, wieder zurückholte, würde sie zur Furie werden und ihn bis ans Ende der Welt verfolgen.

Er war vielleicht unsterblich, sie jedoch auch und ihr würde sicher etwas einfallen, wie sie ihn wieder und wieder dafür bestrafen konnte, was er den Weberinnen angetan hatte.

Circles of Fate (3). Schicksalskampf

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