Читать книгу Circles of Fate (3). Schicksalskampf - Marion Meister - Страница 9
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Rukar taumelte nach vorne, verlor das Gleichgewicht und krachte auf den Boden. Der Tritt hatte ihn überrascht und er war davon so benommen, dass er seine Fähigkeit, in die Zukunft zu sehen, nicht wie ein Echolot laufen ließ.
Die Fliesen waren von einer dünnen Eisschicht bedeckt, die es unmöglich machte, einen festen Stand zu finden. Verdammt! Bevor er wieder auf den Beinen war, traf ihn erneut ein Schlag. Er spürte die Treffer nicht, denn das Mantikorblut betäubte sein Schmerzempfinden. Aber es machte ihn wütend, dass er die Schläge nicht kommen sah.
Er fuhr zu seinem Angreifer herum. Das Eis, das den Boden bedeckte, brachte ihn erneut aus dem Gleichgewicht und er ärgerte sich über seine fehlende Abwehr.
Wieder schoss eine Faust auf ihn zu. Er duckte sich und sie streifte seine Schulter. Im selben Augenblick erkannte er, wer ihn angriff. »Du?« Er war zu überrascht, um zu reagieren.
»Das ist mein Haus! Du wagst es, erneut hier einzudringen? Mit einem tollwütigen Unsterblichen?« Tegan starrte ihn wütend an. Ihr lila gesträhntes Haar war zerzaust, den Mantel hatte sie nach hinten geworfen, damit er sie bei ihren Attacken nicht behinderte. Darunter trug sie nur ein Tanktop, was ihr in diesem Moment einen ziemlich toughen Look verlieh. Mit einem Wutschrei holte sie aus und ließ ihre Faust auf sein Gesicht zuschießen. Er sprang zur Seite.
Das Gift der Mantikorbluts leistete endlich ganze Arbeit. Er fühlte sich wieder stark und sicher. Selbst seine Zeitleserfähigkeiten kehrten zurück.
Erneut stürmte Tegan ihm entgegen. Aber sie konnte keinen weiteren Schlag mehr platzieren. Rukar blickte schlicht ein paar Sekunden voraus und kannte Tegans nächsten Angriff. Elegant ließ er sich auf dem Eis zur Seite schlittern und Tegan stolperte in die Leere.
»Lass es«, mahnte er sie, als sie ihn zum x-ten Mal mit aller Kraft verfehlte. »Es tut mir leid! Es war ein Auftrag. Ich konnte nicht ahnen, welche Ereignisse er nach sich ziehen würde.« Oder doch? Er hätte sich die Mühe machen können nachzusehen. Aber er hatte strikt nach seinem Kodex gehandelt.
»Es tut dir leid?«, keuchte sie. »Du bist mit Misano hier eingedrungen und hast meine Familie umgebracht!«
»Nein! Nein! Ich –« Er wich einem Tritt von ihr aus. »Hör auf! Ich habe nichts mit Misanos Überfall zu tun!«
»Das ist eine Lüge – du hast mich ausgeknockt, um dich als mich auszugeben und so in den Turm zu gelangen! Du hast Misano die Tür geöffnet!«
»Nein! Ich bin mit Lita hier!« Dass er allerdings Elaine entführt und Misano den Schlüssel damit geliefert hatte, verschwieg er ihr lieber. Denn es stimmte, was sie sagte: Er war verantwortlich. Er hätte nicht so naiv sein dürfen. Entführung! Was hatte er gedacht, das Misano plante?
Für eine Millisekunde hielt Tegan inne, denn hinter ihr sprang eine Weberin aus dem Baum. »Lass ihn, Tegan. Das Schicksal wird seinen Weg gehen.« Die Weberin war fast noch ein Kind. Ihr rotes Haar stand ihr wirr vom Kopf ab und sie musterte Rukar scharf.
Das Schicksal wird seinen Weg gehen? Unwillkürlich tastete er nach dem Stück Teppich unter seiner Jacke. Ein Stück seines Schicksals. Wusste dieses Mädchen, wie die Zukunft aussah?
Tegan versuchte, noch einen Schlag zu landen, doch Rukar trat nur lässig einen Schritt zur Seite, ohne den Blick von dem rothaarigen Mädchen zu nehmen.
Tegan stieß einen derben Fluch aus. »Das Schicksal? Winnie! Ich scheiß auf mein Schicksal! Er hat es verdient!«
»Tegan!« Ihre Umhängetasche umklammert, warf die Kleine Tegan einen strafenden Blick zu. Zu Rukars Überraschung zog die nun die Schultern hoch, wickelte sich in den Mantel und verschränkte trotzig die Arme vor der Brust.
Anscheinend war diese Winnie Tegans Boss. Er unterdrückte ein Grinsen. »Es tut mir ehrlich leid. Ich werde versuchen, meinen Fehler wiedergutzumachen. Wirklich.« Er nickte zu dem Durchgang, der mit Eis verschlossen war. »Misano hat Lita und Elaine in seiner Gewalt. Ich wollte Lita da rausholen, doch Misano hat mich … kaltgestellt.«
Winnie trat neben Tegan und legte ihr beschwichtigend eine Hand auf den Arm. Die beiden tauschten einen Blick und Rukar bemerkte, wie Tegan flüchtig den Stoff musterte, der aus Winnies Tasche lugte. Es war eindeutig eine Prophezeiung. Sie hatte die gleichen Farben wie das Stück in seiner Jacke. Hatten alle Teppiche diese Farben?
»Was will Misano hier?«, fragte Winnie ihn.
Rukar schluckte. Der Orakelspruch, den Lita ihm in der Bar zitiert hatte, ging ihm nicht mehr aus dem Sinn. Der Tod kommt zu den Lebenden. Als er Elaine zu Misano gebracht hatte, war er von einem Streit zwischen den beiden ausgegangen. Dass es um Zara ging, war ihm bewusst gewesen, aber was Misano tatsächlich geplant hatte … »Dort unten am Fuß des Schicksalsbaums steht eine Sänfte«, sagte er. »Er hat seine tote Geliebte mitgebracht.«
»Er hat was?«, riefen beide wie aus einem Mund. Er konnte ihnen ansehen, dass sie nichts begriffen. Kannten sie Litas Orakelspruch nicht?
»Zara, eine Menschenfrau –« Rukar deutete die Treppe hinunter, als plötzlich seine Sinne auf Alarm sprangen. In wenigen Augenblicken würde … Sofort hechtete er auf Winnie und Tegan zu und riss sie zu Boden. »Festhalten!«, schrie er.
Tegan stieß einen Wutschrei aus und schlug auf ihn ein, aber da erschütterte bereits eine Detonation den Turm. Eis regnete auf sie herab. Rukar drückte beide auf den Boden, versuchte, sie mit seinem Körper zu schützen, als eine Wolke heißen Wasserdampfs über sie hinwegfegte.
»Was –«, begann Tegan, doch weiter kam sie nicht, denn da wurden sie schon vom Wasser erfasst. Das Eis, das eben noch den Durchgang zum Weltenraum versperrt hatte, verwandelte sich in eine riesige Flutwelle.
»Haltet euch am Seil fest!«, befahl Rukar. Er hatte es bereits von seinem Gürtel gelöst und das Ende mit dem Widerhaken zum Baum geschleudert. Der Haken wirbelte um einen Ast und verhakte sich keinen Augenblick zu früh, denn da spülte das Wasser die drei auch schon von der Plattform.
Er schlang seinen freien Arm um Winnie, bevor ein heftiger Ruck im Seil ihren Fall stoppte.
Winnie kreischte auf und klammerte sich schmerzhaft an seinen Arm. Tegan packte das Mädchen ebenfalls und ihr Blick traf den seinen. Sie war wütend, zugleich auch erstaunt und geschockt. Aber vor allem wütend.
Mit aller Kraft umklammerte er das Seil. Doch das Gewicht der beiden Weberinnen zerrte an ihm. Ihre Umhänge waren vollgesogen mit Schmelzwasser und das machte die beiden nicht gerade leichter. Unter ihnen ging es sicherlich dreißig oder vierzig Meter in die Tiefe. Lange würde er sich mit einer Hand nicht mehr halten können. Mit einem entschuldigenden Grinsen holte er Schwung und sie pendelten auf einen Ast zu.
»Kannst du in den Baum springen?«, fragte er Winnie, die wie ein Klammeraffe an ihm hing.
Sie starrte ihn nur mit offenem Mund an und nickte.
Aufmunternd lächelnd gab er ihr ein Zeichen, als sie auf den Ast zuschwangen, und Winnie ließ ihn los, drehte sich in der Luft und landete geschickt auf dem Ast. Sofort lief sie tiefer in das Geäst zu einer geschützten Position und sah sich um.
Das Seil mit ihm und Tegan schwang zurück.
Er hielt sie noch immer umschlungen, doch inzwischen hatte sie ebenfalls das Seil umfasst.
»Traust du dich zu springen?«, wollte er von ihr wissen.
In ihren Augen blitzte noch immer Wut. »Damit sind wir nicht quitt«, zischte sie zur Antwort und als sie erneut auf den Ast zupendelten, sprang auch sie. Tegan landete ebenfalls im Baum, wenn auch nicht mit der gleichen Eleganz wie Winnie. Kaum war sie in Sicherheit, kletterte Rukar am Seil hinauf und zog sich auf den Ast, um den sich der Widerhaken geschlungen hatte. Er gönnte sich keine Verschnaufpause, um seine Muskeln auszuschütteln. Das Mantikorblut dämpfte zum Glück noch immer sein Schmerzempfinden. Eilig löste er das Seil und verstaute es wieder an seinem Gürtel, bevor er zu den Mädchen hinabstieg.
Die Explosion hatte den Durchgang zum Weltenraum freigesprengt. Das Blutrot von Misanos Mantel leuchtete durch den Dampf, der sich in der kalten Luft in Schnee verwandelte. War das dort neben ihm Lita?
Rukar sprang direkt auf die Plattform und ging Misano entgegen, der mit energischen Schritten den Raum verließ.
»Misano!«, rief er ihm hinterher. Doch der Unsterbliche blieb nicht stehen. Er marschierte eilig zur Treppe und warf Rukar nur einen flüchtigen Blick zu.
Erleichtert stellte Rukar fest, dass der Zorn aus Misanos Zügen gewichen war. Eine zerbrechliche Hoffnung glomm in seinen Augen. Was immer er von Elaine gefordert hatte, er hatte offensichtlich sein Ziel erreicht.
»Ich hab einen Auftrag für dich!«, rief Misano ihm zu. »Halte Elaine zurück. Sperr sie irgendwo ein. Und diese Göre ebenfalls.«
Ohne Rukars Antwort abzuwarten, wandte er sich der Treppe zu. Sein Mantel wehte wie eine Kriegsflagge hinter ihm her und verwirbelte den sanften Schnee, der in der Luft tanzte.
Rukar starrte ihm nach. Misano wollte zu Zara. Der Tod kommt zu den Lebenden. Hatte Elaine tatsächlich die Frau zurück ins Leben geholt?
Er duckte sich, denn seine Sinne warnten ihn, dass Tegan ihn angreifen wollte.
»Du bist zu laut. Er hört dich jedes Mal, bevor du angreifen kannst«, kommentierte Winnie Tegans nutzlosen Schlag. »Und bitte lass es endlich sein. Er hat uns gerettet.«
»Er hat uns überhaupt erst in Gefahr gebracht!«
Genervt verdrehte er die Augen und ließ die beiden stehen. Er musste nach Lita sehen. Hoffentlich hatte Misano ihr nichts getan.