Читать книгу Das Tarot der Engel - Marisa Brand - Страница 12

7.

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Nat zwinkerte mit den Augen, um sie an das Dunkel zu gewöhnen. In eine Nische gepresst, schaute er sich um. Halleluja, was für eine Kirche! Bisschen wenig Bilder für seinen Geschmack, stattdessen frommes Gekritzel auf weiß gekalktem Mauerwerk, immerhin in Gold. Und überall Sitzbänke! Darauf ließ sich das Geschwätz der Prediger aushalten. Eine Kanzel, die aussah, als würde sie an der Wand schweben, glänzte wie frisch poliert. Die Treppenschnecke, die hinaufführte, prangte mit geschnitzten Tudor-Rosen, gedrechselten Schriftbändern und irgendwelchen Köpfen.

Das entschädigte ein wenig für den fehlenden Hochaltar, an dessen Stelle ein Tisch gerückt war. Darauf brannte vor einem schmucklosen Kreuz eine Wachskerze, die eine halbe Elle maß. Kein praller Augenschmaus, dafür roch man weder Urin noch Hundekot wie in vielen Pfarrkirchen Londons, wo Binsen den Steinboden bedeckten und geduldig die Ausscheidungen aller Besucher und ihrer Begleiter aufsogen. Im Sommer war der Gestank unerträglich.

Unter Nats Füßen bildeten Marmor- und Granitfliesen ein riesiges Schachbrett. Aber erst die Decke! »Christus! Hätte ich eine Wollkappe, würde ich sie mir auch ohne Kopfnuss von ’nem Popen vom Schädel reißen!« Das hohe Gewölbe schwamm in königlichem Blau, war übersät von Sternen. Nat kniff die Augen zusammen, um steinerne Ornamente, noch mehr Rosen, Zapfen und Strebwerk zu bewundern.

»Gefällt's dir hier?«

Nat duckte sich wie unter einem Schlag in die Nische.

»Keine Bange, ich vergesse, dass ich dich hier gesehen habe, und du vergisst, dass es mich gibt. Abgemacht?«

Ein glatt rasierter schwarzhaariger Mann in höfischer Tracht war aus dem Nichts vor ihm aus dem Boden gewachsen. Verfluchter Palast! In Londons Gassengewimmel könnte ihn niemand so leicht überrumpeln. Nat tastete nach seiner Schleuder. Sein Gegenüber entblößte beneidenswert weiße Zähne und zwinkerte ihm unter einem Barett aus braunen Augen zu. Zugleich schoss seine linke Hand vor und schloss sich wie ein Schraubstock um Nats Handgelenk. Die Schleuder entglitt seinen Fingern.

Der Mann mit dem Pechhaar zerrte ihn aus der Nische. Verflucht, der Kerl war kräftig. Und dabei höchstens drei, vier oder fünf Jahre älter als der Hänfling von Page, dem er diesen Schlamassel zu verdanken hatte. Nie mehr würde er dem einen Botengang abnehmen! Auch nicht für eine Schale Frühstücksbrei mit Honig und Speck! Brachte einen in Teufels Küche!

»Sir, ich wollt nur mal da beten, wo’s vornehme Leute tun. Alle Wetter, is das ne Kathedrale. Könnte einen Heiden zum neuen Glauben bekehren.«

Sein Gegner griff mit rechts unter seinen schwarzen Umhang. Nat erkannte das Adlerwappen des Kaisers im Innenfutter, sah einen spanischen Seitendegen aufblinken. Hurenscheiße! Ein Ausländer und Katholik – wieso sprach der so gut Englisch? Egal. Wenn Spanier und Engländer in Londons Gassen aufeinandertrafen, regierte die Sprache der Messer. Dieser grinsenden Hofschranze würde es ein Vergnügen sein, ein englisches Kind in einer Kirche des neuen Glaubens abzukehlen. Spaniern war nix heilig, außer ihrem Glauben vielleicht. »Natürlich is hier alles bisschen karg, so ohne den üblichen Prunk und alle Heiligen und ...«

Blitzschnell zog sein Häscher die Schwerthand wieder hervor.

Unbewaffnet. Nat atmete erleichtert auf.

Mit dem Daumen schnippte sein Angreifer eine Münze aus der Faust. »Das ist für dich.« Nat fing den Shilling im Flug.

»Kannst du schweigen?«

Nat nickte verblüfft wie ein Jahrmarkts gaffer.

»Gut, dann haben wir etwas gemein. Wir sind Männer von Ehre.« Der Höfling tippte an sein gefiedertes Barett, deutete eine Verbeugung an und steuerte auf das Hauptportal zu.

»Da würd ich nich raus, Sir, die Luft is mit Hellebarden und Schwertern vergittert. Dudley und paar seiner Schlagetots sind hinter mir her.« Rasch las er seine Schleuder auf.

Der junge Mann drehte sich zu ihm um, sein Umhang schwang aus wie unter einer Tanzbewegung und verriet die Geschmeidigkeit des Degenfechters. »Alle Achtung, womit hast du dir diese Ehre verdient?«

Nat deutete auf die Zwille, die aus seiner Hose ragte.

Der Höfling lachte laut auf. »Du hast den Herzog und ersten Kriegsherrn Englands mit einer selbst geschnitzten Darmseitenschleuder beschossen?«

»Und getroffen.«

»Noch besser. Wie ist dein Name?«

»Nat die Themseschwalbe, Sir.«

»Ein Wunder, dass du noch lebst, Nat die Themseschwalbe. Allein die Kränkung brächte dir den Galgen ein. Davon abgesehen, dass es Hochverrat ist, den Vormund des Königs anzugreifen und bei Hof Raufhändel auszulösen. Wie konntest du seinen Gardisten entweichen?«

»Sie hatten es nich eilig, den Lord zu retten, und ein süβes Ding mit Taubenaugen hat mir geholfen. Hübsche Frauen können mir nur schwer widerstehen.«

»Hübsch? Meinst du die junge Frau im Krähenkleid?«

»Naja, Geschmack ist Glücksache und eine Frage des Preises. Aber die Augen sind die Fenster zur Seele, sagt Master Enoch.«

»Kluger Mann. Und du bist also ein galanter chevalier d’amour.«

»Che- was? Is das wenigstens was Gefährliches?«

»Durchaus. Für Frauen sind manche Kavaliere der Untergang!«

Erst recht für reizlose Krähen, die parfümiertes Liebesgeschwätz in Gebetsbüchern verstecken und achtlos unter Kirchenbänken verstreuen, dachte Samuel van Berck. Das verräterische Papierstreifchen steckte in einer Tasche seines Wamses. Jetzt kannte er das Geheimnis ihrer Qual und ihren sicheren Weg ins Verderben. Die Närrin hatte sich in de Selve verliebt! Bedauernswert. Fast konnte das Mädchen einem leidtun, und aus Mitleid hatte er den Zettel auch an sich genommen. Dudley würde sie grün und blau schlagen, wenn er von diesen Briefen erfuhr. Oder Schlimmeres. Nun, ihr Schicksal ging ihn nichts an.

Entscheidend war, dass Dudley mit ihrer Hilfe eine neue Schachfigur auf das Spielbrett setzen wollte, das England für ihn war. Eine Königin von seinen Gnaden. Jane Grey! Eine geborene Tudor, wenn auch nur eine Großnichte Heinrichs des Achten. Für Dudley war sie unendlich viel wertvoller als die katholische Maria oder deren eigensinnige Halbschwester Elisabeth. Jane Grey war sechzehn, und sie war dafür bekannt, dass sie ihr bisheriges Leben über evangelischen Büchern verhockt hatte. Darin war sie womöglich noch fanatischer als Edward, mit dem sie als Kind kurz verlobt gewesen war. Und nun sollte das Mädchen Cass seine Freundin Jane Grey dem König wieder schmackhaft machen, nicht als Braut, aber als seine Nachfolgerin.

»Ich mag Frauen«, holte Nats Stimme ihn in die Gegenwart zurück.

»Wie?«

»Ich mag Frauen und würd ihnen nie nix zuleide tun, Sir!«

Der junge Mann nickte amüsiert. »Ein wahrer Ritter! Du musst der Welt unversehrt erhalten bleiben. Komm mit, es gibt einen Zugang zur Krypta und von dort einen Geheimgang in die Gärten.« Der Spanier winkte.

»Geheime Gänge? Sakrament. Wenn ich das früher gewusst hätte!«

»Alle königlichen Paläste sind durchzogen davon. Eine höchst nützliche Einrichtung.«

Nat verzog den Mund. »Nich, wenn Englands Feinde sie kennen. Ihr seid doch Spanier oder?«

»Ich bin in London geboren, genauso wie du. Meine Mutter stammt aus Santiago de Compostela, das liegt in Nordspanien.«

»Hauptsache, es liegt nich in London, Sir.«

»Du kannst erfrischend ehrlich sein, Nat.« Der Mann lachte und glitt lautlos durch das Seitenschiff zur Apsis hinter dem Altar. Jenseits des Lettners, der den Beilen der Steinmetze standgehalten hatte, entdeckte Nat zwischen altem Chorgestühl den versprochenen Abstieg.

Sein rätselhafter Beschützter riss eine Fackel aus der Halterung und entzündete die ölgetränkten Leintücher in ihrem Kopf an der Altarkerze. Dann hob er die Falltür und verschwand in einen schmalen Schacht. Nat folgte ihm in ein Gewölbe, das nach dem Staub versunkener Jahrhunderte roch. Der junge Mann zog ein Gitter auf. Dahinter gähnte endloses Schwarz. Prüfend beugte der Mann seinen Kopf unter herabhängendes Mauerwerk.

»Die Luft ist rein! Soll ich dich bis zum Kai für die Mietbarken führen, Themseschwalbe? Ich nehme an, die City ist dein Nistplatz.« Er hob den Kopf und drehte sich zu Nat um. Die vorwitzige Feder seines Baretts verfing sich in Stein. Er riss es sich vom Kopf.

»Nee, ich soll hier ...« Nat brach ab. Sein Blick glitt zum linken Ohrläppchen des Fremden. Daran baumelte ein schlicht gefasster Stein. Nats Augen saugten sich fest. Schlicht? Das Fackellicht entlockte dem Stein ein Funkeln und brach es in ungezählte Farben, als berge er einen Regenbogen.

Master Enoch hatte recht: Wer einen Opal sah, der wusste, was ein Opal war. Der verdammt schönste Edelstein der Welt. Aber warum hing er am Ohr eines Mannes? Enoch hatte doch ausdrücklich von einer Frau gesprochen. Einer heiligen Braut!

»Sir, kann ich Euren Namen wissen?«

»Wozu?«

»Naja, Ihr kennt ja auch meinen, und vielleicht könnte ich mich mal erkenntlich zeigen oder Euch eine Weile als Bursche dienen. Für nen Spanier, der in London geboren is, würd ich mich glatt überwinden.«

Der junge Mann lächelte. »Mein Pferd ist in Greenwichs Stallungen gut versorgt, und ich sattle es lieber allein. Aber falls dir zu Ohren kommt, dass Samuel van Berck Tod und Vernichtung drohen, dann sei bitte samt Schleuder zur Stelle.«

»Van Berck? Seltsamer Name für den Sohn eines Engländers.«

»Mein Vater stammt aus Köln, mein Großvater war Flame. Ich sehe schon, die kannst du auch nicht leiden. Ihr Engländer seid ein verdammt eigenwilliges Volk. Vertrau mir, ich liebe diese Insel, und ich würde mein Leben für sie geben – und erst recht für meinen Glauben!«

Junge, der ging ran! Musste am spanischen Blut liegen. »Und wie steht’s mit nem Mädchen? Habt Ihr vielleicht zufällig eine Braut?«

»Da sei Gott vor! Und du, sei nicht so neugierig. Komm, ich habe es eilig.«

Das Tarot der Engel

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