Читать книгу Schließe Frieden mit Dir selbst - Mark Coleman - Страница 12
ОглавлениеKAPITEL VIER
DER FRIEDENSDIEB
Der Kritiker als Ursache geringer Selbstachtung
Bleib dem Gericht der Selbstverurteilung fern, denn dort gibt es keine Unschuldsvermutung.
ROBERT BRAULT
Wie oft haben Sie schon einen ruhigen Sonntagnachmittag genossen, haben in der Spätsommersonne im Garten gesessen, vollkommen eins mit der Welt, und dann meldete sich plötzlich eine nörgelnde
Stimme und sagte so etwas wie: „Warum verschwendest du diesen wunderbaren Nachmittag? Du könntest etwas Produktiveres tun, zum Beispiel den Rasen mähen, die Garage entrümpeln oder all die Arbeiten im Haus erledigen, die du dir für dieses Wochenende vorgenommen hattest.“ Blitzartig wird der beschauliche Augenblick durch ein schlechtes Gewissen kaputt gemacht.
Dasselbe geschieht, wenn wir abends eine Spazierfahrt mit dem Auto machen und wir feststellen, dass das Auto seit Monaten nicht mehr gewaschen wurde, die Fenster dreckig sind und der Müll ausgeräumt werden müsste. Dann erhebt sich eine Stimme aus dem Dunkeln und erklärt, warum du diesen netten kleinen Ausflug nicht verdient hast, sondern stattdessen daran erinnern werden musst, wie vergesslich und faul du bist und warum du etwas tun musst – irgendetwas, und sei es so etwas Einfaches wie das Auto zu waschen.
Das Gleiche gilt für all die Male, als Sie zum Abendessen bei einem Kollegen in sein wunderschönes Haus eingeladen waren, die idyllische Kindergeburtstagsparty bei einem Freund besucht oder eine Probefahrt mit dem neuen Wagen Ihres Bruders gemacht haben. Anstatt den Augenblick genießen zu können, wurden Sie von dem Kritiker abgelenkt, der Ihr Leben mit dem der anderen verglich und alles aufzählte, wo Sie nicht mithalten können. Der innere Richter unterstellt, dass wir weniger wert sind, weil wir nicht so gut kochen können, unser Haus zu lotterig ist, um Gäste zu empfangen, wir die Geburtstagspartys unserer Kinder nicht gut organisieren und unser Auto schlichtweg peinlich ist.
Jene Stimme des Kritikers ist allzeit bereit, uns die Freude des Augenblicks zu verderben und uns daran zu erinnern, dass wir kein Recht auf Spaß oder Entspannung haben, nicht fähig sind, auf uns selbst aufzupassen und im Vergleich mit anderen nicht gut genug sind. Sie will uns weismachen, dass wir, wenn wir doch nur zuhören und die Kommandos des Kritikers befolgen würden, ein besserer, zufriedener und erfolgreicherer Mensch wären.
Was als harmlose Stimme begonnen haben mag, dreht mit der Zeit den Lautstärkeregler in unserem Kopf immer mehr auf, bis sie zu einer fortwährenden Nörgelei wird, wie ein kläffender Hund, der ständig nach unseren Fersen schnappt.
Was geschieht, wenn wir auf all diese verunglimpfenden Bemerkungen hören? Der Genuss am gegenwärtigen Moment geht verloren. Stattdessen fühlen wir uns wertlos, unzulänglich und unzufrieden. In meiner Arbeit der letzten zwei Jahrzehnte mit tausenden Menschen habe ich immer wieder beobachtet, wie die Leute ihrem inneren Kritiker und seinem harten Urteil zum Opfer fallen. Wenn man all diesen scharfen Urteilen Glauben schenkt, stellt sich als traurige Konsequenz eine Dämpfung der Freude, Verminderung des Wohlbefindens und ein Verlust der Selbstachtung ein, und die Chancen einer Depression oder Angststörung nehmen zu. Das Endergebnis ist ein unterschwelliges Schamgefühl.
Einmal arbeitete ich mit einem wunderbaren Mann namens James – er war schon in den Sechzigern – dem es nicht gelungen war, der Unterdrückung durch seinen inneren Kritiker zu entkommen. Er sah grau aus, vom Wetter gegerbt, und sprach davon, dass er sich wie erstickt fühle, wie unter einer Wolke aus Scham. Er war nicht in der Lage, seine eigenen Gedanken vom Lärm des Kritikers zu unterscheiden, deshalb wurde er ständig von den Urteilstiraden in seinem Kopf geplagt.
Er tat mir unendlich leid. Er konnte nicht sehen, was für ein guter Mensch er war, jemand, der immer sein Bestes gab und sich aufrichtig um seine Kollegen, seine Familie und um viele andere Menschen kümmerte. Ich konnte ein Funkeln wahrnehmen, wenn er über seine Liebe zur Natur und zu Tieren sprach, doch sein ganzes Wesen war wie in einen schweren Deckmantel eingehüllt. Abgesehen von wenigen Glücksmomenten, machte ihm sein innerer Kritiker – der ständig mahnte, er sei nicht gut genug, er sei ein Versager – das Leben schwer, so dass James keinen Frieden finden konnte.
Wäre der Kritiker eine eigenständige Person, die uns all diese endlosen Tiraden auftischt, würden wir sie des emotionalen oder psychischen Missbrauchs bezichtigen. Gut möglich, dass wir Hilfe suchen würden, jemanden, der eingreift und ihr sagt, sie solle verschwinden; womöglich würden wir sogar eine einstweilige Verfügung mit Kontaktverbot erwirken. Doch da die Kritik in den stillen Kammern unseres eigenen Kopfes stattfindet, bemerkt sie niemand anderes; sie wird zu so etwas wie unserem Wohnzimmermobiliar – vertraut im Hintergrund – unbehelligt und unangefochten.
Ich erinnere mich noch an eine andere Situation: Ich coachte eine Frau, die medizinische Forschung auf höchstem Niveau in New York betriebt. Sie war Ende Dreißig, sehr versiert und hatte als Beraterin im Gesundheitswesen im Capitol Hill in Washington DC gearbeitet. Trotzdem war ihr Selbstbild sehr negativ. Alles, worauf sie fixiert war und zur Selbstbewertung heranzog, war ihre Unfähigkeit, erfolgreich eine lange Beziehung zu führen. Bedauerlicherweise war sie nicht in der Lage, die Errungenschaften ihrer glänzenden Karriere zu genießen und zu feiern.
Dieses eine Problem in ihrer eigenen romantischen Welt war die einzige Linse, durch die sie schaute, um den Wert ihrer Person zu bestimmen. Das machte sie niedergeschlagen und hoffnungslos. Ihren natürlichen Begabungen, Stärken und Talenten gegenüber war sie völlig blind. Sie sah sich nur durch diese Linse. Kein Wunder, dass sie sich elend fühlte.
Je mehr wir auf die negativen, verzerrenden inneren Stimmen der Selbstverurteilung hören, die unseren Selbstwert in Frage stellen, umso wahrscheinlicher wird unser Selbstwertgefühl aus dem Gleichgewicht geraten und wir werden immer mehr dazu neigen, mutlos an uns zu zweifeln. All das Gute, was uns ausmacht, nicht mehr wahrnehmen zu können, bedeutet, dass uns das Fundament fehlt, auf dem wir ein glückliches Leben aufbauen können.
ÜBUNG
Den inneren Saldo ausgleichen
Der innere Kritiker ist wie ein schlechter Buchhalter, der nur auf die roten Zahlen schaut, auf die Verbindlichkeiten und die Schulden, ohne die Habenseite mit einzubeziehen. Um einen klareren Blick auf Ihre inneren Bilanzen zu bekommen, versuchen Sie doch mal einen ganzen Tag lang, auf die positiven Aspekte an sich zu achten:
• Achten Sie auf Ihre individuellen Gaben, Fähigkeiten und Eigenschaften.
• Registrieren Sie, wann immer Sie auf positive, freundliche, anteilnehmende Weise handeln.
• Nehmen Sie Ihre leisen Momente der Freude und Leichtigkeit wahr.
• Verinnerlichen Sie die Momente, in denen Sie Ihre Kleidung und Ihr Aussehen wertschätzen können.
• Erkennen Sie es an, wenn Sie mit anderen Menschen höflich, respektvoll und anteilnehmend umgehen.
• Halten Sie nach den positiven Wirkungen Ausschau, die Sie in eine Situation oder Umgebung hinein- oder einer Person entgegenbringen.
• Verinnerlichen Sie die Male, in denen Sie spontan großzügig zu anderen sind.
• Nehmen Sie Ihren Sinn für Humor wahr und Ihre Fähigkeit, sich am Leben zu erfreuen.
Manchmal, wenn wir das tun, kommt es vor, dass der Kritiker in uns noch lauter wird. Es kann sein, dass er jeden unserer Versuche, auf die Sonnenseite des Lebens zu schauen, lächerlich macht. Bemühen Sie darum, Ihre Bilanzen ins Gleichgewicht zu bringen, indem Sie Ihren Blickwinkel auf folgende Weise verlagern:
• Wenn Sie Komplimente bekommen, nehmen Sie sich Zeit, diese anzunehmen, anstatt sie abzuwinken oder an den Motiven zu zweifeln.
• Wenn Sie eine E-Mail bekommen, in der sich jemand bei Ihnen für etwas bedankt, das Sie getan oder gesagt haben, nehmen Sie das an und achten Sie darauf, wie es sich anfühlt.
• Wenn Sie gute Arbeit geleistet haben, im Büro, zu Hause oder wenn Sie sich um die Familie gekümmert haben, nehmen Sie auch das in sich auf.
Je mehr Sie das Gute an einer Ihrer Handlungen annehmen können, umso eher erkennen Sie, wie es aus Ihrem angeborenen Gutsein kommt, aus Ihrer authentischen Natur.