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KAPITEL FÜNF

DU BIST NICHT DEINE SCHULD


Gedanken nicht persönlich nehmen

Bevor Sie hingehen und die jüngere Generation kritisieren, denken Sie daran, wer sie aufgezogen hat.

ANONYM

Es gibt hin und wieder diese Momente im Leben, in denen uns ein bestimmtes Wort oder ein Satz ganz unerwartet überrumpelt, in uns einsinkt und so tiefe Resonanz erzeugt, dass er die verborgensten Winkel unseres Seins durchdringt. Das geschah mir, als ich den Satz „Du bist nicht deine Schuld“ von meinem Freund und Kollegen Wes Nisker hörte.

Irgendwie schmolz dadurch eine große Last in mir weg, so als ob mir ein mit schweren Steinen gefüllter Rucksack abgenommen worden wäre. Ich erkannte, dass ich den Ballast dessen, was ich glaubte, wer oder wie ich sei – dass das alles meine Schuld sei – nicht länger mit mir herumschleppen musste.

„Ich bin nicht meine Schuld – was für ein Gedanke“ – ich sann dem nach. „Was für ein anderer Ansatz, mich zu sehen.“ Wie die meisten Menschen hatte ich die Vorstellung mit mir herumgetragen, selbst schuld zu sein. Dass ich derjenige sei, der daran schuld war, dass ich planlos und sensibel war, dass ich wenig Energie hatte und all das andere auch, das aus der Sicht des Kritikers mit mir nicht stimmte.

Ich fragte mich, wie es wohl wäre, all das nicht mehr persönlich zu nehmen. Es mir selbst nicht mehr vorzuwerfen, mich selbst nicht mehr dafür verantwortlich zu machen. Das hieß natürlich nicht, ab jetzt meine Verantwortung für mein Benehmen und mein Handeln abzugeben. Es bedeutete nur, dass ich mir all meine Eigenarten, Unzulänglichkeiten und Macken nicht mehr vorwarf. Es bedeutete, mich aus der Verantwortung für die kulturelle, soziale, biologische und familiäre Konditionierung zu lösen, die mir früh in der Kindheit eingeprägt worden war und stark beeinflusst, wer ich heute bin.

Denken Sie darüber nach, in welcher Weise das auf Sie zutrifft – wie Sie nicht „selbst schuld“ sind. Haben Sie um eine bestimmte Körperform, Hautfarbe oder Größe gebeten? Haben Sie sich diesen zwanghaften, kontrollierenden Geist gewünscht? Haben Sie Ihre ethnische Zugehörigkeit bestellt? Haben Sie Ihren emotionalen Typus – der vielleicht zum Theatralischen, Irrationalen, oder Sprunghaften tendiert – im Katalog ausgesucht? Haben Sie sich die dysfunktionale Familie erbeten, die bei Ihnen emotionale Narben und Neurosen hinterlassen hat? Wahrscheinlich nicht.

Im New-Age-Denken gibt es diese Strömung, die behauptet, dass wir um genau das gebeten haben, was wir in diesem Leben bekommen. Sei es unser Körper, unsere Familie, unsere Traumata oder die Probleme, mit denen das Leben uns herausfordert. Ich bezweifele diese Vorstellung stark. Wo ist der empirische Beweis, dass es so ist? Es mag viele „Psychomedien“ geben, die aus „vergangenen Leben“ berichten und Theoretiker, die behaupten, dass wir hier auf die Erde gekommen sind und all das so gewollt haben. Doch das ist ein rein spekulatives Glaubenssystem, das sich nicht beweisen lässt. Und mehr noch, es bereitet den Menschen Schuldgefühle, weil sie sich dadurch selbst verantwortlich für ihre schwierigen und oft schmerzlichen Lebensumstände fühlen.

In Wirklichkeit sind wir die Summe unzähliger Ursachen und Bedingungen, die wir unmöglich alle nachverfolgen können. Wer wir sind und wie wir enden, hängt von einer Vielzahl von Gegebenheiten außerhalb unserer Kontrolle ab. Denken Sie nur an so einfache Tatsachen wie an den Ort, wo Sie geboren wurden – wie Sie das geformt und geprägt hat. Was für ein anderer Mensch wären Sie, wenn Sie in einem Inuit-Stamm im Norden Kanadas in klirrender Kälte oder bei Textilhändlern in einer Stadt in Ghana, oder bei Tango-Lehrern in Buenos Aires geboren worden wären?

Überlegen Sie, was es ausmachen würde, wenn Ihr IQ um 70 Punkte höher wäre, oder wenn sie als Kind eine Lernschwäche gehabt (oder nicht gehabt) hätten. Oder wenn sich Ihre Eltern getrennt (oder nicht getrennt) hätten, als Sie klein waren. Oder wenn Sie extrem gut im Schach wären und nationaler Schachmeister würden. Oder wenn die Stadt, in der Sie wohnten, von einem Tornado zerstört worden wäre. So viele Faktoren, so viele Einflüsse, die da jenseits unserer Kontrolle an unserem Werdegang beteiligt sind.

Doch irgendwann und irgendwo in dem Prozess haben wir begonnen, die Verantwortung für all das zu übernehmen. Das Ego in all seiner Hybris stand eines Tages auf und sagte: „Jawohl, es ist alles meine Schuld. Ich bin der einzige entscheidende Faktor, der mich zu dem macht, wer und was ich bin. Nichts anderes zählt. Ich habe Erfolg oder versage, schaffe oder „vermurkse“ es, je nachdem, was ich tue.“

Nehmen Sie sich die Zeit, das Gesamtbild zu betrachten; wie Sie überhaupt hierhergekommen sind, auf diese durchs Universum fliegende Felskugel, und denken Sie an die unzähligen Faktoren, die Sie in sozialer, persönlicher und genetischer Hinsicht beeinflussen und prägen. Mit Abstand betrachtet kann das Mitgefühl aufkommen lassen, mit was für Problemen auch immer, mit besonderen ererbten oder erworbenen Charakterzügen, mit Verhaltensmustern und Schwächen. Wieso? Weil wir einsehen, dass es nicht unsere Schuld ist. Weil wir, wenn wir in dieses Leben treten, unsere Karten einfach ausgeteilt bekommen, ein bisschen wie beim Blindsetzen auf eine Kartenfolge in einer Runde Texas-Poker.

Wie wir mit den Karten, die wir bekommen haben, dann umgehen, liegt natürlich mit dem Erwachsenwerden mehr und mehr in unserer eigenen Verantwortung. Doch selbst dann ist nicht zu unterschätzen, wie viele unserer Reaktionen weiterhin irgendwie beliebig und außerhalb unserer Kontrolle sind.

Es gibt einen Spruch, der lautet: „Nicht, was du mitbringst, sondern wie du damit arbeitest, macht den Unterschied.“ Oder in Anlehnung an den Begründer der Analytischen Psychologie, C.G. Jung: „Ich bin nicht, was mir geschah. Ich bin, was ich zu werden wähle.“ Wir sollen uns keine Vorwürfe machen oder uns abstrafen für das, was und wer wir sind. Wir sollen uns selbst mit einer freundlich-gütigen, neugierig-forschenden Haltung begegnen und mit dem Rohmaterial, das wir in diesem Leben vorgesetzt bekommen haben, in Resonanz gehen. Das ist eine völlig andere Haltung als die eines Richters, der Schuld zuweist und aburteilt. Diese Haltung erlaubt uns, uns selbst zu akzeptieren und bietet mehr Raum für unsere kuriosen, wundervollen und manchmal dysfunktionalen Eigenarten.

Ebenso ist unser Verstand oder unser Kritiker nicht unsere Schuld. Genauso wenig sind es die zahllosen urteilenden Gedanken, die unser Geist hervorbringt. Nichts davon müssen wir persönlich nehmen. Die Urteile des Kritikers sind nicht wir. Wie alles andere ist der innere Kritiker ein Ergebnis unserer Konditionierung, ein notwendiger Bestandteil der kindlichen Entwicklung. (Auf diese Thematik werden wir in Kapitel 6 näher eingehen.) Die Tatsache, dass er nicht mehr willkommen ist oder über seinen Nutzen hinaus fortbesteht, ist auch nicht unsere Schuld. Aber jetzt ist es an der Zeit, die Verantwortung für die urteilenden Stimmen zu übernehmen, die sich bei uns eingenistet haben und die wir nun, falls nötig, zum Gehen auffordern oder sie wenigstens nicht mehr zum Dinner einladen!

Mit Ihren Gedanken verhält es sich ähnlich wie mit diesen kritischen Stimmen. Es sind nicht Ihre Gedanken. Es gibt keinen „jemand“ hinter Ihren Gedanken. Gedanken denken sich selbst. Das Gehirn denkt sechzig- bis siebzigtausend Gedanken11 pro Tag. Das ist eine ganze Menge! Wie viele von denen haben Sie wirklich absichtlich gedacht? Wahrscheinlicher ist, dass sie einfach wie Pilze aus dem feuchten Waldboden sprießen.

Wenn Sie einen Schritt zurücktreten und achtsam diesen ganzen Gedankenzirkus anschauen, ohne sich darin verstricken zu lassen, können Sie erahnen, dass Weite und Freiheit möglich sind. Sie können nicht nur Ihre Verantwortung für die Gedanken in Ihrem Kopf ablegen, sondern Sie können sich mit Hilfe achtsamer Bewusstheit auch von deren Bedeutungen und Wirkungen distanzieren. Dann treffen sie Sie nicht mehr so schmerzlich, weil Sie sie nicht für die Stimme der Wahrheit halten, sondern einfach für Gedanken, die wie Luftblasen aus einer Quelle sprudeln und wieder vergehen.

ÜBUNG

Es nicht persönlich nehmen

Notieren Sie auf einem Blatt Papier in einer Spalte all das, wofür Sie sich Vorwürfe machen oder woran Sie schuld zu sein glauben. Dann fügen Sie in einer weiteren Spalte neben jedem Punkt hinzu, ob Sie wirklich und realistisch dafür verantwortlich zu machen sind.

Beispielsweise könnte in der ersten Spalte stehen, dass Sie im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung übergewichtig sind. In der Spalte daneben ständen dann einige der Ursachen und Gründe, die zu Ihrem Gewicht beitragen, aber außerhalb Ihrer Macht liegen und nicht Ihre Schuld sind. Zum Beispiel: Übergewicht in der Familie; Diabetes Typ 2; ein verlangsamter Stoffwechsel; eine überdurchschnittlich kräftige Statur.

Wieder geht es hier nicht darum, sich vor der Verantwortung zu drücken, sondern die weitreichenderen Ursachen und Bedingungen zu sehen, die unser Leben beeinflussen. Das kann helfen, dem Kritiker entgegenzuwirken, wenn er einzelne Punkte herausgreift, um sie uns als Fehler anzukreiden.

Ein weiteres Beispiel: In der ersten Spalte steht vielleicht, dass Sie sozial ängstlich sind, was der innere Kritiker als Problem und Fehler ansieht. In der Spalte daneben könnte stehen, dass Sie in einer Gegend aufwuchsen, in der Ihre Familie zu einer religiösen, sozialen oder ethnischen Minderheit gehörte und wo man Sie wegen Ihres Andersseins gemobbt, abgelehnt oder verhöhnt hat. Solch eine Behandlung über Jahre hinweg ist vielleicht zum Teil verantwortlich dafür, dass Sie in sozialen Situationen ein völlig natürliches Gefühl der Angst und Zurückhaltung empfinden.

Wenn Sie mit beiden Spalten durch sind, nehmen Sie sich Zeit, um darüber zu reflektieren und darauf zu achten, wie es sich anfühlt, Ihr Leben in diesem größeren Zusammenhang anzuschauen. Betrachten Sie Ihr Verhalten oder Ihre Eigenschaften aber nicht isoliert, sondern berücksichtigen Sie, wie diese entstanden sind – durch zahlreiche Ursachen und Bedingungen, über die Sie keine Macht hatten.

Sobald Sie solche Dinge objektiver anschauen, können Sie die Schichten der Scham oder Peinlichkeit herunterschälen. Ironischerweise setzt das Energien in Ihnen frei, so dass Sie sich dieser Dinge mit größerer Klarheit und Verantwortung annehmen und, falls nötig, effektive Maßnahmen ergreifen können.

Schließe Frieden mit Dir selbst

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