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KAPITEL EINS

WANDEL IST MÖGLICH


Neuroplastizität und die Kraft der Wahl

Was unser Leben bestimmt, ist nicht das, was wir mit dem Mund sagen; vielmehr hat das, was wir uns selbst einflüstern, die größte Kraft.

ROBERT T. KIYOSAKI

Als mir zum ersten Mal bewusst wurde, dass man sein Denken verändern kann, haute mich das um. Und ich meine nicht einfach, dass man seine Einstellung zu einer bestimmten Sache ändert, sondern ich rede von einem radikalen Wandel der ganzen Art und Weise, wie man denkt und fühlt. Man kann tatsächlich den eigenen Geist umstrukturieren.

Vor einer Weile fielen mir die Tagebücher meiner Jugend in die Hände; sie lasen sich wie ein Monolog der Verzweiflung. Das machte mich seltsam traurig und mitfühlend dem Teenager gegenüber, der so in den negativen Strudeln seines Denkens gefangen gewesen war. Er hatte nicht gewusst, dass eine Veränderung möglich ist und sich in Negativität und Zynismus verloren. Ihm war nicht klar, dass sein Schmerz der Beginn seiner Suche nach Antworten sein würde, nach Hilfsmitteln und Techniken, die ihn aus diesem Jammertal herausführen könnten.

Zum Glück für ihn – für mich – stolperte ich über die pragmatische Praxis der Achtsamkeitsmeditation. Sie war ein Ausweg. Kein leichter oder schneller Weg, aber immerhin ein Weg durch den gefährlichen Dschungel meiner Innenwelt.

Achtsamkeitspraktiken haben, obwohl es sie schon seit tausenden von Jahren gibt, ihre Wurzel in einem Prinzip, das erst kürzlich durch die Neurowissenschaft entdeckt wurde – in der Neuroplastizität; der Fähigkeit des Gehirns zu Veränderung und Wachstum abhängig davon, worauf die Aufmerksamkeit gelenkt und wie sie gebündelt wird. Das ist eine gute Nachricht für die menschliche Entwicklung: Unser Gehirn ist keine unveränderliche Maschine. Im Gegenteil, es ist dynamisch, mitschwingend, wandlungs- und wachstumsfähig und kann gesunde Verhaltensweisen entwickeln, die unser Glücklichsein fördern.

In jenen qualvollen Jahren damals als Teenager hatte ich keine Ahnung, dass ich eine Wahl hatte. Dass die Programmierung, die ich geerbt und erlernt hatte, eben nur das war: eine Programmierung. Ich wusste noch nicht, dass ich die Codierung umschreiben konnte. Der Umstand, dass ich mich in mein eigenes Gehirn „einhacken“ konnte, grenzte für mich an ein Wunder.

Was uns dazu befähigt, ist Achtsamkeit, das Seiner-Selbst-Gewahrsein, das uns hilft, die inneren Vorgänge unseres Verstandes, unsere Programmierung, zu verstehen. Mit Achtsamkeit haben wir die Wahl, besonders da, wo es um mentale Gewohnheits- und Entscheidungsmuster geht.

Es war die Praxis der Achtsamkeit, durch die mir die tyrannische Selbstzensur, die mein Leben so elend machte, bewusst wurde. Aus einer neu gefundenen Perspektive konnte ich sehen, wie hart ich mit mir selbst umging. Ich erkannte, welche unmöglich hohen Ansprüche ich an mein Leben stellte. Und ich sah auch, wie diese „Fehlersuch-Haltung“ nicht nur mir selbst galt. Auch meine Mitmenschen betrachtete ich unter diesem negativen Mikroskop. Daher war ich als junger Mann für meine Umgebung natürlich ziemlich unerträglich! Ich war ein Idealist, aber mit meinem mentalen Schwert erschlug ich jeden, der meinen unmöglich hohen Maßstäben und Erwartungen nicht gerecht wurde. Das war nicht lustig, weder für mich noch für meine Umgebung. (Ich bitte meine Familie noch immer um Entschuldigung, dass ich ihnen das zugemutet habe.)

Wie nun gelang es mir, dieses Muster zu ändern? Zum einen erkannte ich, dass all die vielen Urteile, die um mich herumflatterten, sich schon allein aufgrund ihrer Menge nicht so verflüchtigen würden. Jeder, der versucht zu meditieren, weiß, dass es unmöglich ist, sich gegen die Gedankenflut zu stemmen. Aber ich erkannte, dass ich den Gedanken nicht die Aufmerksamkeit schenken musste, die sie verlangten. Und gewiss brauchte ich sie nicht zu glauben. Ich brauchte mich nur an den Rat eines Aufklebers zu halten, den ich heutzutage oft in San Francisco auf Autos sehe: „Glaube nicht alles, was du denkst.“

Ich erkannte auch, dass wir wählen können, wie und auf was wir unsere Aufmerksamkeit richten wollen. Ich erkannte, dass ich den Urteilen durch meine Aufmerksamkeit nicht noch mehr Nahrung zuzuführen brauchte; dass ich meinen Blick auch woandershin wenden konnte – auf meinen Körper, auf den Atem, auf den wunderschönen blauen Himmel, auf den Gesang der Vögel oder meinetwegen auch auf den Verkehr und seine Geräusche. Das war enorm befreiend.

Die Neurowissenschaft lehrt uns, dass das, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten, den Aufbau des Gehirns verändern kann. Die Entdeckung des Neurowissenschaftlers Donald Hebb von 1948, dass sich Neuronen, die gemeinsam aktiviert sind, miteinander verschalten, ist zu einem grundlegenden wissenschaftlichen Prinzip geworden, das innere Transformation ermöglicht. Wenn ich fortfahre, negativen Gedanken Aufmerksamkeit zu schenken, werden diese an Gewicht zunehmen. Wenn ich aufhöre, sie zu beachten, haben sie weniger Raum, sich festzusetzen und zu wachsen.

Und wenn ich meine Konzentration nicht auf das lenke, was verkehrt ist, sondern auf das, was gut ist, was positiv oder möglich ist, dann ändert sich auch meine Erfahrung, denn sie wird davon beeinflusst, worauf ich achte. Versuchen Sie das nächste Mal, wenn Sie sich an einem öffentlichen

Ort aufhalten – in einem Café, an einem Bahnhof, auf einer Straße – fünf Minuten nur die Fehler ihrer Mitmenschen zu sehen und achten Sie darauf, wie sich das anfühlt. Vermutlich nicht nach Freude und Ausdehnung. In den nächsten fünf Minuten versuchen Sie, nur das Gute in Ihren Mitmenschen zu sehen, ihre Stärken und positive Eigenschaften. Wenn Sie das tun, werden Sie sich wahrscheinlich verbundener, positiver gestimmt und vielleicht sogar verständnisvoll und dankbar fühlen – ich persönlich würde lieber in diesem Zustand verweilen.

Und genau dazu entschied ich mich. Dank der Fähigkeit des Gewahrseins, die ich in der Achtsamkeitspraxis entwickelte, war ich in die Lage, den Tiraden meines inneren Kritikers und der damit erzeugten Düsterkeit weniger Aufmerksamkeit zu schenken. Stattdessen richtete ich meine Aufmerksamkeit auf das, was gut lief, darauf, was an meinem Handeln freundlich, wirksam und erfolgreich war. Ich achtete auf das, was die Stimmung hebt, was schön und inspirierend ist. Das hat nichts mit einem Verleugnen negativer Gedanken oder der Probleme in der Welt zu tun. Es ist einfach eine bewusste Entscheidung, mich nicht in den Gravitationssog der Urteile hineinziehen zu lassen.

Das ist nicht das einzige, wozu uns Achtsamkeit befähigt. Was vielleicht viel wichtiger ist: Wenn man etwas einmal klar und bewusst erkannt hat, hat es nicht mehr dieselbe Wucht wie vorher. Als ich also meine urteilsgeladenen Gedanken klar zu erkennen begann, war es, als ob ich Projektionen auf einer Leinwand sah, und so konnte ich sie auf Distanz halten und ihren Einfluss auf mich vermindern.

Der andere bahnbrechende Wandel trat ein, als ich mit der Meditation der Liebenden Güte begann. Das ist eine Methode, um Freundlichkeit und bedingungslose Anteilnahme zu kultivieren. Diese Praxis verlangt von uns, dass wir uns selbst mit Güte betrachten, und uns liebende Worte und ernst gemeinte gute Wünsche zukommen lassen – ganz so, wie wir es mit einem geliebten Menschen tun würden. Durch diese Technik lernte ich, mir selbst Liebe geben – was mir zu dieser Zeit als ein radikaler Akt erschien.

Wenn Sie dieses Buch hier lesen, ist Ihnen die Vorstellung, sich selbst gegenüber gütig zu sein, vielleicht noch nicht sehr vertraut. Womöglich haben Sie schon herausgefunden, dass so ein Verhalten nicht zum Repertoire des Kritikers gehört, der uns oft nicht so behandelt, als ob wir solche Güte verdient hätten. Eigentlich ist es genau das Gegenteil von dem, was der Kritiker macht, und deshalb ist die Übung der Liebenden Güte so effektiv. Sie erlaubt Ihnen, Ihr Gehirn umzutrainieren und neue Neuronenverbindungen zu schaffen, die eher zur Selbstliebe statt zum Selbsthass und zur Selbstverurteilung führen.

Als ich das zum ersten Mal ausprobierte, fand ich es fast unmöglich. Es war, als ob ich versuchte, einen Eisberg in meinem Herzen zum Schmelzen zu bringen. Doch mit der Zeit, mit Ausdauer und Geduld, begann der Eisberg tatsächlich kleiner zu werden und ich erhaschte hier und da einen Blick auf die Möglichkeit, wie ich zu mir selbst gütig sein, sogar mir selbst vergeben und all meine Fehler und Schwächen akzeptieren könnte.

Gewahrsein und liebende Güte, diese zwei Flügel eines Vogels, halfen mir bei der schrittweisen Arbeit mit den inneren Stimmen, die mein Leben bis dahin mühsam und schmerzhaft gemacht hatten. Ich verstand, dass Veränderung tatsächlich möglich ist und dass, wenn ich es schaffte, es auch jeder schaffen konnte.

ÜBUNG

Auf die Sonnenseite schauen

Machen Sie diese Übung, wenn Sie das nächste Mal an einem öffentlichen Ort sind. Schauen Sie sich um und konzentrieren Sie sich fünf Minuten lang auf alles, was Sie nicht mögen, was Ihnen verkehrt, schlecht oder hässlich vorkommt. Schauen Sie die Leute in Ihrer Umgebung an und achten Sie auf deren Fehler und darauf, was an ihnen zu verbessern ist. Wie fühlen Sie sich mit dieser negativen, urteilenden Geistesverfassung?

Dann, in den folgenden fünf Minuten, achten Sie auf alles, was Ihnen an Ihrer Umgebung gefällt. Schauen Sie auf das, was positiv, erhebend oder schön ist. Beobachten Sie gleichzeitig die Leute um sich herum und konzentrieren Sie sich auf das, was Sie an ihnen mögen oder wertschätzen. Stellen Sie sich erneut die Frage, wie Sie sich dabei fühlen.

Merken Sie, wie die Verschiebung Ihrer Aufmerksamkeit auf Aufbauendes, Gutes und Positives sich direkt auf Ihre geistige und seelische Verfassung auswirkt?

Nun machen Sie dasselbe mit sich selbst. Verbringen Sie fünf bis zehn Minuten damit, an all das zu denken, was Sie an sich mögen und wertschätzen. Denken Sie an Ihre Errungenschaften, Talente und guten Eigenschaften. Erinnern Sie sich an Situationen, wo Sie sich freundlich oder großzügig verhalten haben. Seien Sie dankbar für Ihren Körper und alles, was er für Sie tut. Und achten Sie wieder darauf, wie die Verschiebung der Aufmerksamkeit auf das, was gut ist, nicht nur Ihre Stimmung verändert, sondern auch die Art und Weise, wie Sie sich selbst wahrnehmen.

Bemühen Sie sich, die Ausrichtung auf das Positive sowohl in Bezug auf sich selbst als auch in Bezug auf andere während des ganzen Tages wachzuhalten, um die Neigung unseres Geistes, sich auf das Negative zu konzentrieren, umzutrainieren.

Schließe Frieden mit Dir selbst

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