Читать книгу Ottokar Heisenberg - Ein relativ unscharfer Typ - Mark Löschner - Страница 4
Die Wohnung
ОглавлениеIrgendwo in der Galaxis, welche von halbwegs intelligenten humanoiden Zweibeinern poetisch als Milchstraße bezeichnet wurde, fand auf einem kleinen blassblauen unscheinbaren Planeten eine Wohnungsbesichtigung statt.
„Die Wohnung ist ein wirkliches Schmuckstück, ein außergewöhnlicher Glücksfall für sie. Ihre außerordentlich schöne Lage, umgeben von vielen Grünflächen, fernab der Hauptstraße und doch direkt angebunden an öffentliche Verkehrsmittel ist ein Highlight. Der Große Garten ist nur wenige Gehminuten entfernt. Geschäfte zur Deckung des täglichen Bedarfs befinden sich in unmittelbarer Nähe und die Innenstadt mit den vielfältigen Shoppingmöglichkeiten erreichen sie innerhalb weniger Minuten, ob mit öffentlichen Verkehrsmitteln, mit dem Auto oder sogar zu Fuß! Die Wohnung ist genau wie das gesamte Gebäude in einem Top-Zustand. Genau so, wie man es von einem nur wenige Jahre alten Neubau erwartet.“
„20 Jahre sind für sie wenig?“
„Wie kommen sie auf 20 Jahre?“
„Im Aufzug ist ein Typschild mit dem Baujahr angebracht und ich denke nicht, dass man einen alten Aufzug in dieses Gebäude eingebaut hat.“
„Oh, ich sehe, sie haben ein Auge für Details! Sie müssen verstehen, in einer Stadt, in der die Bausubstanz im Schnitt über 40 Jahre alt ist, kann man solch ein Gebäude schon mal als Neubau wahrnehmen. Sehen sie sich doch bitte den wunderschönen Ausblick vom großzügigen Balkon an. Ist doch herrlich, oder?“
Die Frau im Businesskostüm gab sich alle Mühe, Tom die Wohnung schmackhaft zu machen und fuhr fort:
„Zwei großzügige Zimmer, ein geschmackvoll eingerichtetes Bad und die hoch funktionelle Küche bilden ein schönes Ensemble, in welchem man sich wirklich wohlfühlen kann. Und das alles für eine mehr als angemessene Miete.“
45 Quadratmeter aufgeteilt auf Flur, Küche, Bad, einen mickrigen Balkon und noch zwei Räume ergaben im Werbe-Neusprech der Maklerin zwei großzügige Zimmer. Zumindest großzügig im Vergleich zur Küche, deren Funktionalität sich augenscheinlich darin erschöpfte, dass man durch einfaches Umdrehen auf der Stelle alle Schränke und Arbeitsplatten erreichen konnte. War die Küchentür geschlossen, konnte man als normal grosser Erwachsener noch nicht mal umfallen. Zumindest bei der Miete hatte Corinna Harttisch, wie die Maklerin hiess, nicht übertrieben. Sie lag fast zehn Prozent unter dem Stadtdurchschnitt.
„Apropos Miete“, hob Tom bedeutungsschwer zu seiner Verhandlung an. „Mit der Formulierung ‚mehr als angemessen‘ haben sie den Nagel auf den Kopf getroffen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Ich bin bereit, noch heute den Mietvertrag zu unterschreiben, wenn die Höhe der Miete nur angemessen ist und nicht mehr als das. Sagen wir fünf Prozent weniger und ich garantiere ihnen, dass sie innerhalb von 48 Stunden ihre Provision bekommen. Natürlich auf dem bisherigen Mietpreis basierend. Das ist mehr als fair.“
„Das ist ein sehr großzügiges Angebot“, erwiderte die Maklerin mit einem Lächeln, welches freundlich sein sollte aber eher unsicher wirkte. „Allerdings müssen sie in Betracht ziehen, dass solch eine wunderschöne Wohnung in bester Lage sehr begehrt ist. Einer Minderung des Mietpreises wird mein Klient wohl nicht zustimmen.“
„Wenn diese Wohnung so begehrt ist, warum steht sie dann seit drei Jahren leer?“
„Wie kommen sie denn darauf?“ fragte die Maklerin sichtlich betroffen.
„Nun ja, es gibt das Internet-Archiv, in welchem alle alten Internetseiten gespeichert werden und da kann man schön den alle sechs Monate fallenden Mietpreis verfolgen. Und das seit mehr als drei Jahren, als diese Wohnung das erste Mal von Ihrem Maklerbüro als ‚sofort bezugsfertig‘ angeboten wurde. Ich vermute mal, das geschah nachdem der Vermieter bereits einige Zeit selber versucht hat, die Wohnung zu vermieten. Und das in dieser schnell wachsenden Stadt!“
„Äh, ich muss sagen, auch hier zeigen sie eine besondere Beobachtungsgabe“, entgegnete die Maklerin unsicher. „Solch ein Angebot muss ich erst mit meinem Klienten besprechen, das geht nicht so einfach.“
Aber sie wollte Tom nicht so einfach von der Angel lassen und fragte mit etwas mehr Sicherheit in der Stimme: „Sie sind also an der Wohnung interessiert?“
„Ja, aber nur zu den Konditionen, die ich eben genannt habe.“
Tom sah demonstrativ auf seine Armbanduhr.
„Entschuldigen sie bitte, aber ich habe noch einen anderen Besichtigungstermin, den ich wahrnehmen möchte“, fuhr er fort. „Sie haben ja meine Nummer und können mich jederzeit anrufen. Ich bedanke mich für die Besichtigung und wünsche ihnen noch einen schönen Tag.“ Tom lächelte kurz ohne zu winken und ging dann zielstrebig auf die Wohnungstür zu.
„Warten sie kurz!“ rief die Maklerin aus.
Tom hielt inne und drehte sich um.
„Okay, sagen wir zwei Prozent weniger Miete und sie bekommen die Wohnung“, sagte die Maklerin.
„Drei Prozent und wir haben einen Deal“, entgegnete Tom mit einem Grinsen.
„Na gut, drei Prozent, abgemacht“, entgegnete die sichtlich genervte Maklerin mit einem unterdrückten Seufzen und hängenden Schultern.
Tom folgte mit seinem Auto der Maklerin zu ihrem Büro, wo er den Mietvertrag unterschrieb und die Schlüssel für die Wohnung erhielt.
Bei der außerordentlich freundlichen Verabschiedung fragte er die Maklerin: „Sagen sie mir ganz ehrlich eins: Was hat sie überzeugt, auf mein Angebot einzugehen? Die Aussicht auf die schnelle Provision oder mein Trick mit dem erfundenen weiteren Besichtigungstermin?“
„Ganz ehrlich?“ antwortete die Maklerin mit einem breiten Grinsen. „Die Kenntnis darüber, dass der Vermieter bereits den Auftrag erteilt hat, ab nächsten Monat die Miete um weitere sieben Prozent zu senken. Einen schönen Tag wünsche ich noch!“
„Mist!“ entfuhr es Tom.