Читать книгу Ottokar Heisenberg - Ein relativ unscharfer Typ - Mark Löschner - Страница 9
Zweiter Arbeitstag
ОглавлениеDas erste, was Tom nach einem ‚Guten Morgen‘ von einem Kollegen im Büro hörte, war ein ‚Der Boss will dich sehen‘. Jeder Andere hätte sich unwohl gefühlt und irgendeine Ausrede gesucht, um erst eine Minute vor Beginn der Rente dieser Aufforderung zu folgen. Aber Tom ging damit anders um. Er kannte Peter und wusste, dass sein Chef einfach zu viel Angst hatte, einen Fehler zu machen, und deshalb niemals so etwas gefährliches machen würde wie einen Untergebenen zurechtzuweisen oder gar eine Entscheidung zu treffen. So ging Tom mit einem freundlichen Gesicht und leicht lächelnd in Peters Büro. Peter saß an seinem Schreibtisch und bediente irgendetwas auf seinem Computer mit der Maus. Es dauerte ein paar Sekunden, bis Peter merkte, dass jemand in seinem Büro stand. Er zuckte etwas zusammen als er zu Tom hochguckte, führte noch einen schnellen Klick mit der Computermaus aus und wies stumm auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch.
„Guten Morgen, Peter“, sagte Tom erst jetzt mit überschwänglicher Freundlichkeit und setzte sich.
‚Aha‘, dachte Tom.‚Krawattennadel und Manschettenknöpfe wechseln also nicht täglich.‘
„Einen wunderschönen guten Morgen, Tom!“, erwiderte Peter mit überschwänglicher Freude und redete stakkatohaft weiter. „Hast du dich gut eingelebt in die Location? Die Kollegen sind wirkliche Buddies oder? Martin hat einen phantastischen Vorschlag gemacht, wie wir das Security-Problem mit deinen Gadgets solven: Er travelt nächste Woche persönlich nach Hamburg und managt das. Ja, so stehen wir füreinander ein. Das ist wirklich gutes Teamwork. Für das Daily Business hat er auch schon eine Lösung. Aber ich will ihm nicht vorgreifen. Er möchte es in einem Meeting mit dir in seinem Office bekannt geben. Da bekommt er vollen Support von uns. Any questions?“
„No, äh, nein“, gab Tom zur Antwort.
„Sehr schön. Ich muss jetzt zu einem Meeting, du weisst ja: Time is Money! Ich bin immer für eure Probleme da. That’s my job! See you later!“
Peter sprang auf und stürmte aus dem Büro.
Tom lächelte, da er wusste, dass Peter kein Meeting hatte sondern sich jetzt irgendwo eine ruhige Ecke suchte, um allem Unangenehmen wie Fragen von Mitarbeitern oder gar einer Aufforderung, eine Entscheidung treffen zu müssen, aus dem Weg zu gehen. Tom stand auf und ging gemächlich zu Martins Büro. Martin schaute von seinem Handy auf, als Tom in der Bürotür stand.
„Guten Morgen, Tom!“ grüßte Martin mit ernst gemeinter Freundlichkeit.
„Guten Morgen“, erwiderte Tom ebenso freundlich und setzte sich auf den einzigen freien Stuhl. Eigentlich war der Stuhl nicht frei, da ein Karton auf ihm stand, aber nachdem Tom den Karton vorsichtig auf den Boden gestellt hatte, war er frei.
„Ich habe gehört, dass du schon nächste Woche nach Hamburg fährst?“ begann Tom das Gespräch.
„Ja, überraschenderweise. Normalerweise dauert so ein Dienstreiseantrag immer länger. Irgendetwas ist passiert.“
„Nun, ich denke dass Peter gestern noch einen Anruf aus Hamburg bekam und die ihm Feuer unter dem Hintern gemacht haben. Das mag er gar nicht.“
Tom grinste.
„Hm, das könnte sein.“
Martin schaute Tom ausdruckslos an.
Nach ein paar Sekunden des Schweigens fragte Tom: „Du wolltest mir einen grandiosen Plan verkünden? Sagte Peter zumindest.“
Martin stutzte kurz.
„Stimmt, die Sache mit dem VPN“, antwortete Martin. „Es ist echt lustig. Unsere Firma hat erst vor drei Monaten eine Auszeichnung wegen unserer Computer-Sicherheit bekommen, aber ich habe da eine Sache entdeckt, welche dich bestimmt freuen wird. Dein interner Zugang zum Firmennetzwerk ist zwar aufgrund des gestern ausgelösten Sicherheitsalarms komplett gesperrt und somit kannst du noch nicht mal Solitaire auf deinem Rechner spielen. Aber irgendwie hast du noch einen VPN-Zugang, der von deinem Firmen-Account unabhängig ist. Das heisst, du kannst dich von jedem Computer der Welt, so lange er nicht hier bei uns steht, ins Firmennetzwerk einloggen. Wusstest du das?“
„Jupp! Ich habe schon sehr oft in Hamburg von zu Hause aus gearbeitet, da mir die Büroatmosphäre nicht gefiel und ich so Peter nicht ertragen musste.“ Tom lächelte. „Dieser zusätzliche VPN-Zugang wurde eingerichtet, weil die Firma unbedingt an Fördergelder der EU heranwollte. Wenn ich das richtig verstanden habe, dann wurde jeder Heimarbeitsplatz und jede Arbeitsstelle mit Gleitzeit unterstützt. Somit habe ich in meinem Arbeitsvertrag drinstehen, dass ich jederzeit von zu Hause aus arbeiten kann und dass ich die volle Arbeitszeit angerechnet bekomme, sobald ich mich einmal am Tag ins Firmennetzwerk einlogge.“
„Hammer, was es alles gibt!“ sagte Martin sichtlich beeindruckt. „Warum habe ich keinen solchen Arbeitsvertrag bekommen, als ich hier anfing?“
„Das Förderprogramm lief letztes Jahr aus aber mein Arbeitsvertrag ist unbefristet. Denen da oben ist das wohl noch nicht aufgefallen.“
„Na, herzlichen Glückwunsch sage ich dann mal. Ich denke, dann sehen wir uns wohl erst nächste Woche wieder, wenn ich aus Hamburg zurück bin. Viel Spass bei der Heimarbeit!“
„Danke“, antwortete Tom etwas säuerlich und ging.
‚Na, Spitze‘, dachte Tom, als er zum Ausgang ging, um nach Hause zu fahren. ‚Da brauche ich zum ersten Mal wirklich diesen blöden externen Zugang und dann habe ich noch nicht mal Internet.‘
Wie aufs Stichwort meldeten sich gleich zwei Emails auf seinem Smartphone. Tom entschied sich, in sein Büro zu gehen, welches ja eigentlich nur noch ein Raum mit Möbeln und einem nutzlosen PC war. Er wollte sich durch pure Anwesenheit einfach noch eine Arbeitsstunde anrechnen lassen, um auf seinem Arbeitszeitkonto nicht zu sehr ins Minus zu rutschen. Warum nicht die privaten Emails bearbeiten? Die Kollegen interessierte es nicht und Peter würde ihn sicherlich nicht stören.
Die erste Email war von der Wohnungsmaklerin, Frau Harttisch. Darin versuchte sie in allerbestem Wirtschaftsneusprech Tom daran zu erinnern, dass sie beide doch eine Abmachung hätten, ihr die auf dem ursprünglichen Mietpreis basierende Provision möglichst zeitnah zukommen zu lassen. Dieses wiegelte Tom mit einer einfachen Antwort in herkömmlichen Deutsch ab indem er schrieb:
‚Sehr geehrte Frau Harttisch,
das Angebot der Provision auf Basis der ursprünglichen Miete erfolgte unter der Bedingung, die Miete um fünf Prozent zu senken. Da in der anschließenden Verhandlung die Miete nur um drei Prozent gesenkt wurde und Sie nicht weiter auf einer abweichenden Provision bestanden, ist aus meiner Sicht mit Ihrer jetzigen niedrigeren Provision alles in Ordnung.’
Sein Emailprogramm erledigte mithilfe der automatischen Signatur den Rest. Auf Toms Gesicht spiegelte sich ein triumphales Lächeln.
‚Touché!‘ dachte Tom.
Der Inhalt der zweiten Email löschte leider das triumphale Lächeln wieder aus. In ihr gab Toms Telefonanbieter bekannt, dass es eine Statusänderung bei seiner Störungsmeldung gäbe. Der angefügte Link führte ihn zum Livetracking der Arbeiten und enthielt folgende Statusmeldung: ‚Der zuständige Techniker hat aufgrund der unbekannten Natur des Fehlers Unterstützung bei allen 37 Technikteams des Unternehmens angefordert und wartet nun auf Vorschläge.’
Frustriert verliess Tom sein Büro und fuhr nach Hause.