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Erster Arbeitstag, erstes Problem

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„Tom! Schön dass du da bist! Komm doch gleich in mein Büro!“ schallte es fröhlich über den Flur.

„Peter!“ rief Tom genauso überschwänglich zurück. „Schön dass du auch da bist! Ich bin gleich bei dir!“

Peter Lettrig, Toms neuer Chef in Dresden und ehemaliger Teamleiter in Hamburg, stutzte kurz und verschwand durch eine der Bürotüren.

Tom war am Tag nach der mehr oder minder erfolgreichen Wohnungsanmietung auf seiner neuen Arbeitsstelle erschienen. Er hatte der Möbelfirma, die seine Möbel zwischenlagerte, einen Schlüssel für seine Wohnung zukommen lassen. Da er Gleitzeit hatte und seine Firma sehr großzügig bei der Freizeitplanung war, verzichtete er darauf, Urlaub für den Umzug zu nehmen. ‚Spare in der Zeit, dann hast du in der Not‘ war Toms Motto.

Tom ging in Peters Büro. Es war einfach und funktionell eingerichtet, ohne den üblichen Schnickschnack, den ein Chefbüro normalerweise hatte. In Toms Firma wurde das Prinzip der flachen Hierarchie gepflegt. Ein älterer Kollege murrte darüber mal: „Man fühlt sich hier wie auf Island. Da haben die Leute auch nur Vornamen.“ Zum Prinzip der flachen Hierarchie gehörte auch, dass jedem Mitarbeiter, egal welche Position er innehatte, die gleichen Möbel zustanden.

Peter saß hinter seinem Schreibtisch und beendete mit einem Mausklick irgend eine Arbeit auf dem Computer, während er stumm auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch wies. Tom folgte der Aufforderung und setzte sich. Dabei musterte er kurz seinen Chef und musste innerlich ein wenig grinsen: Peter hatte seine Kleidung seiner neuen Position angepasst. In Hamburg hatte Tom ihn noch in seinen letzten Tagen als stellvertretenden Teamleiter kennengelernt. Damals trug er Anzughosen und Hemden ohne Krawatte. Als er dann Teamleiter wurde, trug er zusätzlich eine Krawatte. Jetzt als Niederlassungsleiter hatte Peter seine Kleidung um eine Krawattennadel und edlere Manschettenknöpfe erweitert. Allerdings konnte Tom immer noch an der Kombination Krawatte, Hemd, Hose und Schuhe das genaue Datum ablesen: Es war der 16. September, ein Mittwoch. Schon in Hamburg spekulierten Tom und seine Kollegen, ob Peter einen Plan im Kleiderschrank hängen hatte, eine App auf dem Smartphone benutzte oder ob einfach seine Frau den Kleiderplan festlegte, da die Verbindung der wiederkehrenden Muster der Kleidungsstücke mit den entsprechenden Tagen im Kalender einfach jedem aufgefallen waren.

Peter wendete sich Tom zu, setzte ein überaus freundliches Lächeln auf und begann stakkatoartig zu sprechen:

„Wirklich sehr schön, dass du hier bist. Wir haben schon alle sehnsüchtig auf dich gewartet. Hast du die anderen schon kennengelernt? Nein? Das wirst du sicherlich noch. Hast du eine Wohnung gefunden? Ist sie okay? Very good! Dann können wir uns ja dem Daily Business zuwenden. Dein Workplace ist bereits prepared und wartet nur noch auf dich. Ich habe schon Martin gecallt, dass er mit dir die ganze administration erledigt. Login, Pad, Security und so weiter. Martin ist der Chief of Computer and Security Administration in dieser Location. Wie gefällt dir Dresden? Wunderschöne Stadt! Habe ich dir mal erzählt, dass meine Family aus der Nähe hier stammt? Das werden wir mal bei einem ordentlichen Drink in der besten Cocktailbar in der City nachholen.“

Peter wendete sich einem Mann zu, der vorsichtig durch die offene Bürotür eingetreten war.

„Ah, Martin! Come in! Das ist mein Teammember aus Hamburg, Tom. Du möchtest ihm wohl seinen Workplace zeigen. War schön mit dir zu plaudern, Tom. Ich habe jetzt ein Meeting. See you later!“

Bei dem stakkatohaften Vortrag blieb Tom nur ein Nicken oder Kopfschütteln. Peter wartete bei seinen Fragen selten auf eine Antwort. Genau so schnell, wie er gesprochen hatte, war er auch aus dem Büro verschwunden und liess Tom mit Martin alleine zurück.

Martin Frerand sah auf den ersten Blick wie ein Nerd aus. Auch der zweite und dritte Blick konnte diesen Eindruck nicht verändern. Seine halblangen strohblonden Haare hatten scheinbar noch nie etwas von einem Kamm oder einer Bürste gehört, geschweige denn gesehen. Die Sportschuhe, die er trug, sahen ebenso verschlissen und alt aus wie seine Jeans. Komplettiert wurde der Eindruck durch ein T-Shirt mit dem Aufdruck:

Ich bin stolz ein

Komputergenie

Commputtergenni

Combuterjenie

NERD

zu sein!

„Hallo, ich bin Martin“, stellte Martin sich mit einem Lächeln vor.

„Hallo! Ich bin Tom!“ antwortete Tom ebenso freundlich. „Schön dich kennenzulernen.“

Tom war aufgestanden und schüttelte Martin die Hand.

Martin schaute verstohlen kurz aus dem Büro auf beide Seiten des Flures und wendete sich dann Tom mit Verschwörermiene zu und sagte mit gesenkter Stimme: „Sag mal, hattest du den Peter wirklich schon als Teamleiter in Hamburg?“

„Jupp“, antwortete Tom grinsend, weil er genau ahnte, was als nächstes kam.

„Ist der schon immer so auf Speed gewesen?“ fragte Martin weiter.

„Das ist doch noch gar nichts“, antwortete Tom mit einer abfälligen Handbewegung. „Was glaubst du, wie der abging, als er von dem neuen Chefposten hier hörte. Eine Kollegin, Verena, machte sich den Spass und nahm alles auf, was Peter sagte und spielte es dann in halber Geschwindigkeit ab, um ja keine Information zu verpassen, wie sie scherzhaft bemerkte.“

„Meine Güte, das muss schrecklich gewesen sein“, erwiderte Martin sichtlich betroffen. „Ich weiss immer nicht, wie ich das alles einordnen soll, was er von sich gibt. Der redet viel zu schnell. Sein blödes Denglisch verwirrt nur noch mehr. Wie lange hast du den schon ertragen?“

„Schlappe drei Jahre. Du musst nur nicken oder den Kopf schütteln. Versuch dir ja nicht zu merken, was er sagt. Mach einfach deinen Job und alles wird gut. Er ist auch der einzige Mensch, den ich kenne, der mitten im Satz das Thema wechselt ohne ins Stottern zu kommen. Frage mich jetzt bitte nicht, wie er an den Posten in Hamburg oder gar hier gekommen ist. Ich habe in all der Zeit niemals etwas fachlich Richtiges von ihm gehört. Aber irgendwie scheint er sich durchmogeln zu können.“

„Tja, das ist eben der Unterschied: Er ist ein Macker und wir sind die Macher. Das blöde ist ja: Wir können ohne ihn. Nur merkt es irgendwie keiner in der Chefetage. Sind wahrscheinlich auch nur Macker. Komm, ich zeig dir deinen Schreibtisch und führ dich ein bisschen herum und mache dich mit den anderen bekannt.“

Nachdem Tom seine neuen Kollegen kennengelernt und seinen Schreibtisch mit dazugehörigem Computer durch Eingabe seines persönlichen Logins elektronisch als sein Revier markiert hatte, händigte Martin ihm noch ein Smartphone und einen Tablet-Computer aus.

„Oh, nochmals zwei Geräte?“ fragte Tom verwundert. „Jetzt muss ich wohl meinen Rucksack gegen einen größeren tauschen.“

„Wie, nochmals zwei Geräte?“ fragte Martin während Tom schon dabei war, sein Passwort in das neue Smartphone einzutippen.

„Ich habe doch noch die beiden Teile aus Hamburg“, antwortete Tom ohne hochzuschauen.

„Echt? Das widerspricht aber der IT-Sicherheits-Leitlinie der Firma. Die Geräte sind nur auf den jeweiligen Standort beschränkt“, entgegnete Martin leicht verwirrt und sah auf sein eigenes Tablet. „Dann log dich mal nicht ein. Das muss ich klären.“

„Zu spät“, sagte Tom, der mit der Eingabe fertig war und lächelnd zu Martin hochblickte.

„Neeeeiiiiiin!“, schrie Martin verzweifelt.

Tom hatte recht: Es war wirklich zu spät.

Das Display des neuen Handys fing rot zu blinken an. Darüber hinaus war der Raum plötzlich von einem fiesen Warnton erfüllt, der von eben diesem Gerät ausging. Kurz darauf schaltete sich Toms Computer aus. Dann erschallten aus Toms Rucksack, der auf dem Boden neben seinem Schreibtisch lag, zwei weitere fiese Warntöne.

„Was ist denn jetzt los?“ fragte Tom völlig verwirrt.

„Du hast gerade die Hacker-Abwehr-Routine und die Diebstahlsicherung der Handys und Pads ausgelöst. Oh, Mann, das gibt Zoff!“

„Was habe ich?“ Toms Verwirrung wollte einfach nicht schwächer werden.

„Du hättest die Geräte in Hamburg abgeben müssen. Jetzt denkt das System, irgendjemand hat ein Firmenhandy geklaut und versucht sich in unser System zu hacken. Das kann nur von der Zentrale in Hamburg rückgängig gemacht werden. Ich muss sofort Dennis anrufen.“

Mit diesen Worten stürmte Martin aus dem Büro.

Tom sprang Martin hinterher und rief: „Und was mache ich jetzt mit den Fiepdingern hier?“

Martin blieb stehen und drehte sich um.

„Hier, der Schlüssel für den Panzerschrank im Serverraum.“ Martin warf Tom einen großen Panzerschrankschlüssel zu. „Der ist schalldicht, dann nerven die Teile nicht mehr.“

Martin lief weiter zu seinem Büro.

Tom sah sich den Schlüssel an.

„Toller erster Tag“, murmelte er völlig niedergeschlagen vor sich hin.

Peter stürmte an ihm vorbei über den Flur und rief: „Alarm, Alarm! Wir haben einen Alarm! Sofort jemand zu mir mit der Security-Checklist! Oh Hilfe, hoffentlich ist das kein Bombenalarm. Sofort jemand die Polizei, Feuerwehr, Technisches Hilfswerk und das BKA anrufen. Wir haben einen Alarm!“ Er rannte weiter und verschwand in seinem Büro.

Tom zuckte nur die Schultern, schnappte sich seine wirklich nervtötend laut fiependen Geräte und schloss sie im Panzerschrank im Serverraum ein. Von seinen neuen Kollegen bekam er auf dem Weg dorthin viele hämische Bemerkungen zu hören.

‚Wer den Schaden hat, spottet jeder Beschreibung‘, dachte Tom und lächelte nur. Auf ein zusätzliches Winken verzichtete er. Das Einzige, was Toms Ego wirklich ankratzte, war die Tatsache, dass scheinbar alle seine Kollegen genau wussten, was falsch gelaufen war, während Tom nach mehrjähriger Zugehörigkeit zum Unternehmen heute das erste Mal etwas von der Hacker-Abwehr-Routine erfuhr.

Tom brachte den Panzerschrankschlüssel zu Martin zurück. Martins Büro war leicht zu finden. Auf dem offiziellen Türschild mit Martins Namen war seine Stellenbeschreibung mit dem Schriftzug ‚NERD‘ überklebt und der Großteil seiner Bürotür wurde von einem Plakat eingenommen, auf welchem eine verschwommene schwarzweisse Aufnahme eines Ufos mit den Worten ‚I want to believe‘ überschrieben war. Als Tom durch die halb geöffnete Bürotür eintrat, beendete Martin hinter seinem Schreibtisch stehend gerade ein Telefonat.

„Und nun?“ fragte Tom.

„Das war gerade Dennis am Telefon, der Chef-Admin aus Hamburg“, erwiderte Martin ein wenig niedergeschlagen. „Er sagte, dass die Geräte nach Hamburg gebracht werden müssen um dort freigeschossen zu werden. Danach wird dein Account wieder online geschaltet und du kannst ganz normal weiterarbeiten.“

„Wie lange wird das dauern?“

„Ich muss erst einen Reiseantrag stellen, persönlich mit den Geräten nach Hamburg fahren und dann ist alles wieder in Butter. Ich vermute, dass es wohl so zwei bis drei Wochen dauert“, antwortete Martin und die Niedergeschlagenheit in seiner Stimme verstärkte sich.

Tom brauste auf.

„Zwei bis drei Wochen?“ rief er. „So lange braucht ihr IT-Fritzen zum Freischalten meines Accounts?“

„Nein, das Freischalten dauert nur ein paar Minuten. Der Reiseantrag braucht nur so lange, um über den Schreibtisch von Peter zu wandern.“

„Na, Spitze!“

Tom liess die Schultern hängen.

„Apropos Peter“, sagte Martin. „Kannst du den vielleicht wieder einfangen bevor der noch den Bundespräsidenten anruft?“

„Der fängt sich schon von selber ein, vertrau mir. Zum Glück habe ich ja Gleitzeit. Ich fahre jetzt nach Hause.“

„Ja, in diesem Fall hast du wirklich Glück.“

Ottokar Heisenberg - Ein relativ unscharfer Typ

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