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Erste Unterkunft

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Von unserem ersten Mietshaus nahe an der Stadt, unserer ersten Unterkunft, die kaum den Namen Behausung, schon gar nicht die Bezeichnung Wohnung verdiente, die eher eine Bruchbude oder gar ein Stall für Vieh war, hatte ich dir kaum je erzählt. Bis unter die Schindeln war das Haus verletzt und auf den Tod krank. Das Heraussprengen der neuen Strasse war ihm nicht gut bekommen. Das Schürfen der Bagger, das untergründige Schüttern der Rammen und Walzen hatten sein schon mürbes Fundament gebrochen. Durch den Sockel zog sich ein Riss. Sand rieselte und Steine kieselten heraus. Der Holzbau darüber ächzte, als ob er wankte. Nur der Beton der neuen Stützmauer blendete. Der samtene Strassenbelag glänzte. An heissen Tagen heftete er sich an die Schuhe, dass es zischte. Der Vermieter war ungeschickt in Geldsachen. Er hätte Schadenersatz verlangen können. Er hätte die Behörden anschreiben und Expertisen machen lassen sollen. Stattdessen war er ausgezogen, hatte den Platz in einem der Zimmer seinen Küngeln gegönnt und die anderen dem anfallenden Staub überlassen.

»Für ein halbes Jahr«, hatte der Vermieter gesagt. Heizen könne man das Haus nicht mehr. Die Küngel werde er in die Ställe hinter dem Haus schaffen. Wir angehenden Musikstudenten, Stüten, Troller, Wanner und ich, waren sofort einverstanden gewesen. Auch unter der Bedingung, dass die Frau des Vermieters weiterhin die Waschmaschine in der Küche benutzen dürfe.

Am Tag nach dem Einzug sassen wir um den Frühstückstisch. Wir waren daran, unsere Brote zu streichen und Kaffee zu kochen, als es kaum hörbar an die Küchentür klopfte. Ich öffnete. Den vollen Wäschekorb auf die eine Hüfte gestützt, stand die Frau des Vermieters im Rahmen. Sie trug Schwarz. Nur die weiss gepunktete Schürze hob sich ab. Das Gesicht war schmal. Haut wie Pergament. Fast ohne Falten. Das schüttere Haar am Hinterkopf von einem Kamm zusammengekrallt. Ich hielt die Türe noch immer und versperrte ihr den Weg. Ich war gebannt von ihrer Erscheinung. Niemand hatte die Aussentür gehört. Ob sie störe, fragte sie. Ich machte ihr den Durchgang frei.

»Bitte«, sagte ich mit einem Handzeichen Richtung Waschmaschine. Die anderen murmelten ein »Guten Morgen«.

»Ich habe nicht genug schwarze Wäsche«, erklärte sie und dachte wohl, es wäre ein Gesprächseinstieg. Eine Einladung, uns nach dem Todesfall zu erkundigen. Wir hätten ihr die Trauer ja ansehen, den Korb voll schwarzer Wäsche als Hinweis nehmen können. Aber keinem von uns fiel es ein nachzufragen. Sie kniete sich vor das geöffnete Maschinenauge hin und begann in gespenstischer Langsamkeit die Trommel zu füllen. Dabei folgte sie mit scheelem Blick und gespitztem Ohr jedem kleinsten Geräusch und jedem Schatten hinter ihrem Rücken. Ein Lastwagen kesselte vorbei. Das Haus vibrierte. Wir versuchten stoisch unser Frühstück einzunehmen. Die Stimmung aber war verflogen. Das Gespräch versiegt. Wanner stiess sich mit beiden Armen vom Tisch, kippte mit dem Taburett zurück, lehnte sich an den gelb gestrichenen Sockel und liess in demonstrativer Ungeduld die Beine baumeln. Troller trommelwirbelte nervös mit seinen Fingern. Stüten und ich starrten indigniert in die Leere. Alle verwünschten wir die herumspionierende Frau. Wir wollten sie so bald wie möglich loshaben, uns keinesfalls auf ein Gespräch mit ihr einlassen. Wir wollten in Ruhe unseren Kaffee trinken.

Ungefragt aber fing sie an zu erzählen. In der verspannten Stille ihre dünne, ritzende Stimme. Die bläulichen Lippen öffneten sich kaum. Sie sprach provokant leise. Als ob sie uns herüberlocken oder willenlos machen wollte. Unablässig tröpfelte ihre Rede. Verzweigte sich wie ein Rinnsal. Netzfädig wie die geplatzten Äderchen auf ihren Wangen. Auch als Troller den Gasherd anfachte und das untergründige Fauchen, später das Zischeln aus dem Kaffeekännchen den Singsang ihrer Wörter übertönte, blieb sie dabei. Zuerst sprach sie in die Trommel der Maschine. Dann erhob sie sich und polierte umständlich mit einem Lappen die Metallteile. Vom Todesfall ihres Bruders erzählte sie. Wie lange er gelitten. Wie lange sie ihn gepflegt habe. Mehr war nicht auszumachen. Scheinbar losgelöst vom Atemholen, zuckten ihre schmalen Lippen beim unverständlichen Murmeln. Kaum hatten sich die Laute gelöst, legte sich eine dünne Schicht Eis darauf. Von hinten züngelten die blauen Zinken der Gasflamme. Das Kaffeepfännchen röhrte, gluckerte, sprudelte, zischelte dann. Unverhohlen begrüssten wir das alles betäubende Tosen. Troller drückte sich an der Frau vorbei, um an den Herd zu gelangen. Als er den Kaffee herüberreichen wollte, spritzte Dampf aus dem Verschluss und nebelte der Frau ins Gesicht. Ein Zittern durchfuhr ihre Pergamenthaut und ein Ruck den ganzen Körper. Die Rede erstarb. Wanner kippte sein Taburett an den Tisch zurück. Nicht sicher, was geschehen sollte. Troller hielt die Pfanne in der Luft. Die Frau aber startete die Maschine, langte nach ihrem leeren Korb und machte sich bereit zu gehen. Wir zogen unsere Schultern hoch und drückten ein Grinsen in den Tisch. Wir durften nicht aufschauen, um nicht in krachendes Gelächter auszubrechen.

Sie stand im Türstock und wollte sich verabschieden. Troller schenkte noch Kaffee aus. In diesem Moment bog sie, als ob sie gerufen worden wäre, ihren Kopf nach hinten und starrte ungläubig in die Flucht des kurzen Korridors. Sie musste an dessen Ende die offene Tür und das sich türmende Schwarz von Lautsprecherboxen gesehen haben. Es konnte auch der Chromstahl eines Tonüberträgers oder eines Beckenständers aufgeblinkt haben. Sie trat in den Korridor und betrachtete in unverstellter Verblüffung den Bildausschnitt, der ihr zugänglich war. Alles Abweisende fiel von ihr. Im Netz ihrer Wangen verfing sich ein Hauch von blühendem Mohn. Troller, der den Umschwung bemerkte, bot der Frau an, ihr das Probelokal zu zeigen. Sie müsse gehen, vielleicht ein anderes Mal, war ihre Antwort. Aber das Kühle und Schmallippige war von ihr gewichen. Troller schaute ihr durch das Haustürfenster nach, wie sie im Treppenschacht zur Strasse verschwand.

Wir wechselten ins Probelokal. Die Läden waren geschlossen. Eine von der Decke hängende Glühbirne verbreitete Streulicht, eine Stehlampe mit zwei Spotleuchten warf zwei gebündelte Strahlen in den Raum, die sich im gesprungenen Lack der Holztäfelung spiegelten. Meine Hammond stand in der hinteren Ecke, so dass ich die zahlreichen Kabelschnüre, die sich über den grauen Linoleumboden schlängelten und ihre Köpfe in ein Dosenbrett in der Raummitte steckten, übersteigen musste. Ich setzte mich auf die Orgelbank, startete das Instrument und eröffnete das Stimmprozedere. Stütens Gitarrentöne schwangen sich ein. Wanner begann mit einer Basslinie. Troller folgte mit einigen weichen Schlägen auf das Standtom. Endlich liess Stüten seine Gitarre aufjaulen und leitete über zu einem langsamen Blues, der uns auf eine Pilgerreise zu den damaligen Cherubim unseres Himmels führte: Jimi Hendrix und Janis Joplin, Eric Clapton und Ginger Baker, Frank Zappa und John Mayall.

Deine Cherubim waren es nicht. Unsere Musik war dir zu sehr von Technik, von Verstärkern und Elektronik bestimmt und viel zu laut. Schon dazumal suchtest du die leiseren, subtileren Töne. Trotzdem unterstütztest du mich in meinem Unterfangen. Freutest dich auch, als ich anfing, konsequent zu üben. Für dich als angehende Tänzerin war das tägliche Training eine Selbstverständlichkeit.

Der von Küngeln geräumte und von Stroh freigemistete Raum wurde zur Abstellkammer. Der beissende Gestank darin war unerträglich. Hier konnte weder geprobt noch gewohnt werden. Aus den Ritzen der Bodenriemen stiess noch immer zungengraues Stroh. In den Rillen und Fugen klebte der Kitt von Mist. Die Küngelställe vor dem einzigen Fenster raubten dem Raum sein letztes Licht. Ein gesundes Erwärmen und Trocknen blieb auch im Sommer aus. Hier faulte es. In dieser verschatteten Hausecke, dem Hang zugekehrt, dem Bergwasser ausgesetzt, waren Boden und Wände dem Verfall geweiht. Flecken wie von ausgelaufenem Maschinenöl, streckenweise grau wie das Genist flügelloser Insekten. Wir lagerten die Hüllen von Instrumenten ein. Koffer, unbrauchbare Regale, eine Fahrradfelge, einen Benzinkanister. Die Tür lag dem Kellerabgang gegenüber, von wo ein grottenfeuchter, modriger Geruch heraufschlug, und grenzte an das Klosett, aus dem das sture Tropfen und Gurgeln einer undichten Spüle herüberdrang.

Das Klosett war ein Tannenholzverschlag, eng wie ein Besenschrank. Schamlos legte die darin thronende Schüssel ihr Alter in Form uringelber Jahresringe offen. Hinter der Schüssel stieg eine mit dickem Mull bandagierte und wie von trockenem Blut gefleckte Röhre hoch, die im metallblanken Schnabel des Spülhahns mündete. In der Aussenwand ein winziges quadratisches Guckfenster mit geklöppeltem Vorhang. Wanner hatte es heraus, beim Gang aufs Klosett die Türe sorgfältig anzuheben und sie ohne Lärm über die Unebenen des Bodens zu schwenken. Troller hingegen, und mit ihm auch die anderen Neueinzüger, schlugen mit ihrer Schuhkappe so in die Tür, dass diese aufsprang und an die nächste Brettkante prallte. Troller liess den Spalt, den er sich zum Durchschlüpfen erzwungen hatte, immer offen. Es konnte sein, dass er ein Gespräch in der Küche begann und auf der Schüssel weiterführte. Meist hatte er sein oranges Briefchen und den blauen Tabakbeutel dabei, um sich eine Zigarette zu drehen.

Troller wuchs in einem der Nachbardörfer auf und stiess erst spät zu unserer Gruppe. Er war dir aber bekannt. In der Fabrikhalle, wo wir probten, seid ihr euch begegnet. »Er hat Charme und Witz«, sagtest du. »Er ist ein Verführer«.

Troller galt als der Lebenserfahrenste. Was er sagte, hatte Gewicht. Wenn er sprach, hörten die anderen zu. Beim Umzug soll er im Fond von Stütens Opel Kadett geweint haben. Sein Vater, ein schon älterer Milchmann und Bauer, soll ihm nur das eine gesagt haben: »Trag Sorge zu dir.« Das rührte Troller so, dass er sich erst nach mehrstündiger Autofahrt erholte. Die Achtung, die man ihm zollte, stieg dadurch. Troller durfte sich Tränen leisten. Als Schlagzeuger besass er Autorität. Der nachschollernde Klang seiner Toms, erzeugt durch Unterspannung der Felle, war unverwechselbar. Einen Teil seines Zubehörs hatte er von der Müllkippe, gesprungene, klirrende, nachwimmernde Dinger. Der Rest kam aus dem Bestand einer kleinen Handwerksfirma, glockenhaft singende, fein ziselierte Beckenschalen mit unvermutet untergründigem Anschwellen. Aber erst mit dem Bummern seiner Doppelpauke und den Peitschenhieben auf das hart gespannte Snare verwandelte Troller seine Batterie in eine rollende Brandung. Er schrie und balzte. Er schlug den Kopf herum und liess die Haare vor seinem Gesicht tanzen. Mit den von Schlägern verlängerten, vom Wirbeln vervielfachten Armen sah er aus wie ein tanzender Shiva, ein Medizinmann, ein Abgesandter des Rhythm and Blues. Das war Troller.

Jeden Tag kam der Vermieter und fütterte die Küngel. Wir sahen seinen Kopf vor dem Küchenfenster vorbeiruckeln. Er schleppte sich schwer. Trug an einem aufgeschwemmten Leib. Wir hörten, wie er atmete, wie er über den Gartenweg tappte, zu den Küngeln redete wie zu Seinesgleichen. Er besänftigte sie, wenn sie zu toll herumschlugen, mit einem begütigenden »Neinnein.« Papiersäcke raschelten. Futter rieselte in die Näpfe. Eine Schaufel schliff und kratzte, bis die Riegel wieder klickten. Dann schlurfte er zurück und versank wie ein Schatten in der Treppe zur Strasse.

An einem Abend schwenkte er ums Eck und stellte sich an die Sandsteinstufe des Eingangs. Er suchte das Gespräch. Ihn schien etwas zu belasten, das er loswerden wollte. Wanner, der die Gemütslage des Vermieters am besten kannte, ging nach draussen und fragte, ob er helfen könne. Ich folgte zögerlich, blieb im Hintergrund. Der Vermieter rückte mit nichts heraus. Stand da, als ob er von Wanner etwas erwartete. Seine Hose hatte er oberhalb der grossen Bauchwölbung gegürtet. Die Hosenstösse reichten nicht über die Schuhschäfte. Zwischen Schaft und Hosenschlag quollen die Wollsocken hervor. Im Schritt spannte die Hose. Das Gemächt zeichnete sich ab.

»Waren etwas wild heute?«, fragte Wanner.

»Ja, ja«, kam die Antwort zögerlich.

»Haben ordentlich an Gewicht zugelegt.«

»Es braucht schon noch einiges. Ich gebe sie nicht gerne zu früh. Wenn das Fell so schön glänzt, möchte ich sie am liebsten behalten.«

Ein Wort gab das andere. Von den Küngeln kam er zur Geschichte des Hauses, zum Feuerschauer, der ihm den Kamin nicht mehr abnehmen wollte, zum Verkehr auf der neu geteerten Strasse, der seine Frau nicht schlafen lasse. Sie habe es nicht mehr gut, sagte er und begann, von ihr zu erzählen. Als ob er sich für sie entschuldigen wollte. Nachts geistere sie in der Wohnung herum. Suche nach längst fortgeschafften, nicht mehr gebrauchten Dingen. Rufe nach der Tochter, die vor Jahrzehnten gestorben sei. Lange könne sie nicht mehr bei ihm sein. Schwermütig sei sie. Das laste auch auf ihm. Die einzige Abwechslung seien für ihn die Küngel. Obwohl die Knöpfe offen waren, schob er alle paar Sätze den Unterkiefer vor, als müsste er seinen Hals von einem engen Hemdkragen befreien. Beim Vorschieben des Kinns stülpte er die Unterlippe um, und beim Zurücknehmen schwoll das Doppelkinn an. Die grau durchsträhnten Haare waren mit einem öligen Gel an den grossen Schädel geklebt. Die vorgewölbte Stirn blieb beim Reden glatt wie bei einem Kind. Die kleinen Augen schauten nach innen. Während der Vermieter dastand und beide Beine belastete, die Arme steif an den Leib drückte, die Schultern angezogen hielt, als ob er nie ganz ausatmen könne, stand Wanner ihm gegenüber in der Türlaibung, eine Schulter angelehnt, Hände in den Taschen, und spielte mit dem einen unbelasteten Fuss auf dem Scharrgitter.

»So ist es halt«, sagte der Vermieter unvermittelt. »Ich will Sie nicht länger aufhalten«, sagte er und ging.

Der Vermieter fühlte sich von Wanner verstanden. Das hatte seine Gründe. Wiewohl langhaarig, trug er meist das blaue kragenlose Bauernhemd mit der vielfach eingewobenen Edelweissblüte. Dazu hängte er sich eine Taschenuhr mit Kette an. Lederriemen, wie er sagte, schnalle er sich keine um das Handgelenk. Über die Qualität einer Cordhose entschied das Vorhandensein eines Uhrtäschchens am Hosenbund. Dünn besohlte oder gar spitze Lederschuhe verabscheute er, weil sie ihm ein Tänzeln beim Gehen aufnötigten. Seine Rebellion bestand darin, dass er nicht allem Neuen zustürzte, sondern in der vorhandenen Umgebung nach Ursprünglichkeit suchte und sie in der Elterngeneration noch zu finden glaubte.

Ich hatte Wanner einmal in seinem Elternhaus besucht und war betroffen gewesen, in welch ungebrochener Einheit ich ihn mit seiner Herkunft fand. Gartenhausklein, das Gebäude am Rande des Dorfes. Eine Stube, die nach dem wollenen Tuch auf dem Tisch und nach dem von der Sonne erwärmten Holz roch. Ich sass auf der äusseren Kante einer Eckbank. Wanner kniete vor einem Regal und durchsuchte einen Stapel Schallplatten. Er sprach über seinen Vater, den Briefträger, der noch immer lieber zu Fuss mit der Post durch das Dorf gehe, wenn nötig einen zweirädrigen Kistenwagen vor sich her stosse, statt ein Moped zu nutzen. Da hetze man nur nach Hause, habe der Vater gesagt, sei steif vom ewigen Sattelsitz und erledigt vom Sekundenknattern des Motors. Wanner hob den Deckel eines hölzernen Radiogehäuses und legte eine Schallplatte auf den Teller des eingelassenen Abspielgerätes. Er schwenkte den Tonarm soweit nach aussen, bis es knackte und die Scheibe zu drehen begann. Um die Nadel exakt in die vorher ausgezählte Leerrille zu setzen, neigte er den Kopf tief zur Seite. Seine Haare schleiften über das schwarzglänzende Vinyl der kreisenden Platte. Ein Knistern zuerst, dann ertönte der Blues. Wanner begab sich zum anderen Ende der Eckbank. Er schloss die Augen und wiegte den Kopf. Wenn die Mundharmonika aufspielte oder die Orgel hereinflutete, legte er den Kopf wie zum Sonnenbaden zurück. Eine hohe gepresste Männerstimme sang von Trauer und verlorener Liebe, von Sehnsucht und San Francisco. Jedes Wort spiegelte sich als ein Zucken und stummes Mitreden auf den Lippen von Wanner. Als der Tonarm in die letzte Rille auslief und nur noch ein ruckweises Klopfen hörbar war, sass er noch lange da, die Hände auf das Tischtuch gelegt, und sagte nichts. Die Stube des Briefträgers war zum geeigneten Resonanzkörper für Wanners Blues geworden.

Es war Mittag. Der Verkehr für eine halbe Stunde zum Erliegen gekommen. Über der Teerstrasse flirrten und flimmerten die Spiegelungen der Hitze. Die Zeit stand still. Niemand wagte, die zähe Ruhe zu stören. Bis von der Kuppe ein Moped surrte. Den ganzen Morgen hatte Meret an der Töpferscheibe gesessen, Ton zentriert und geformt. Nun genoss sie das Ausfahren, den Fahrtwind, die Freiheit und das insektengleiche Surren des Motors, der auf dem Schutzblech des Vorderrades sass wie ein kleiner Tornister. Von Weitem schwenkte sie den Männerhut. Die leicht rötlich gefärbten Haare flatterten, die weisse Bluse plusterte sich im Fahrtwind auf zu einer Glocke. Die Schösse der Weste klatschten hin und her wie kleine Flügel eines Wasservogels. Sie fuhr an den Granitstein des Trottoirs, stützte mit dem rechten Fuss auf und legte das andere Bein quer in den Rahmen. Sie trug hohe, gelbe, stellenweise grau abgewetzte Schnürschuhe mit gerillten Sohlen. Die verwaschenen Jeans reichten nur bis zur Wade und liessen das Muschelweiss ihrer Haut hervorblitzen. Sie hatte wieder einmal eine Nachricht zu verkünden. Im Kleintheater spiele Isla mit seinem Trio, rief sie. Das müsse man gehört haben. Wir verstanden nichts. Isla war uns kein Begriff. Entschlossen nahm sie einen Bildband vom Gepäckträger, kam die Treppe hochgerannt und stand schon in der Küche. Die nussbraunen Augen weit aufgesperrt. Die Wangen pflaumenviolett überschossen. Isla, der Bassist, und sein Trio. Das sei ein Muss.

»Natürlich kommen wir. Am Samstag?«

Sogleich war sie beim nächsten Thema. Sie hatte in den Tagesmeldungen von Überschwemmungen gehört. Entsetzte sich über Ungerechtigkeiten und den zeitlichen Verzug der Hilfslieferungen. Kinder waren betroffen. Tränen stürzten ihr aus den Augen. Ihre Gesichtshaut wurde gefleckt. Dann zeigte sie den Bildband her. Sie habe ihn nur ausgeliehen. Müsse ihn unbedingt kaufen. Wahnsinnig, die Schönheit dieser Menschen, schwärmte sie. Im Band waren absonderliche Gestalten abgebildet. Verwachsene, Gebuckelte, Riesen und Zwergwüchsige, Ausschnitte von Füssen mit Schwimmhäuten, von Brüsten mit vielen Warzen, von Frauen mit nabellangen schwarzen Bärten. Meret fieberte. Die Wangen noch nass von Tränen, lachte sie wieder. Vor Freude. Ergriffenheit. Klingendes Schellen und kehliges Gluckern lösten sich ab. Sie vergass die Umgebung. Bei jedem Umblättern wurde es wahnsinniger. Die Lippen waren aufgeschwollen. Sie bekam etwas Stülpnasiges und Lüsternes. Mitten in der Betrachtung griff sie nach Wanners Uhr. Ich muss gehen, rief sie. Rannte los, startete das Moped. »Bis Samstag«, schrie sie, schwenkte den Hut und weg war sie.

Als ich sie am Abend mit Wanner in ihrer Töpferwerkstatt abholte, waren die Lippen wieder schmal, das Flackern in den Augen dem ruhigen Blick gewichen. Die Stirn gesenkt, drehte sie in die feuchte, gestaltlose Masse von Lehm luftleichte Formen von Vasen und Krügen.

Wie weit deine Hände bei der Wohnungssuche mit im Spiel waren, habe ich nie erfahren. Ob du Meret angerufen oder sie anders kontaktiert hast, blieb mir verborgen. Vielleicht hätte Wanner mehr gewusst. Wir anderen kümmerten uns nicht darum. Wir nahmen das Angebot des Hauses als Geschenk, ohne seine Herkunft zu hinterfragen.

Der Samstag kam. Meret meldete, sie habe Barbara, Danielle und weitere Freunde ins Küngelhaus zum Essen eingeladen. Sie müsse noch einiges erledigen, bringe einen Nachtisch mit, um drei sei sie zurück. Und schnurrte mit dem Moped dahin. Stüten war mit dem Opel Kadett auf Einkaufstour gegangen, den gemeinsam erstellten Warenzettel in der Brusttasche seiner Military-Jacke. Troller per Postauto zum Stadtbahnhof gefahren, um sich dort für eine Stunde eine Kabine mit Badewanne zu mieten – weisse Frotteetücher sowie Duftmittelchen inbegriffen – und sich aufzupeppen, damit die Haare auf das Wochenende hin wieder wehten und seine Wangen glänzten. Wanner dagegen hörte sich in einem der oberen Küngelhauszimmer unzählige Male die ewig selbe Schallplatte an, um an seinem Instrument die Basslinien nachzuspielen. Ich selber verschwand im Höhlendunkel des Proberaums und kletterte im Lichtspalt des Spotlichts penetrant die immer gleichen Bluestonleitern hinauf und hinab.

Jetzt stand der Tisch unter dem Pflaumenbaum bereit. Barbara, Danielle und Freunde waren angekommen. Meret hatte Kuchen mitgebracht. Wir tranken Kaffee. Reichten Gitarren herum. Holten Schlaginstrumente. Es wurde gejammt, gesungen, gequatscht, gelacht und gekocht. Als Wanner eine Basslinie zu summen anfing, stimmten alle ein. Abwechselnd übernahmen wir die Soli, eine Gitarre oder ein Saxofon imitierend. Applaus nach jedem Einsatz. Troller schüttelte ein wildes Zwischenspiel auf die Bongos.

Für mich war der Moment gekommen. Den Gesang auf den Lippen, verdrückte ich mich ins obere Zimmer, legte die Kleider ab und zog den Bademantel über. Eben schwoll der Chorus in voller Stärke durch die Eingangstür, als ich ungesehen vorbeiglitt und die Kellertreppe hinunterstieg. Die Tür zur alten Waschküche stand halb offen. Das spärliche Licht, das durch einen vergitterten Schacht sickerte, liess die Wände, den Waschtrog, die Abdeckung des Abflusses zementgrau erscheinen. Hinter der Tür stand die milchweisse Badewanne, am Kopfende bewacht von der dunklen Säule eines Kupferkessels. Ich hatte am frühen Morgen Wasser eingefüllt und Feuer gemacht. Jetzt öffnete ich den Schwenkhahn, liess heisses Wasser in die Wanne strömen und goss Badeessenz nach. Weisser Schaum quoll auf und erklomm die Wannenwände. Als ich einstieg, schwappte das Wasser über, spritzte über den Holzrost und überschwemmte einen Teil des Bodens, der dunkel eingefärbt wurde. Der überschüttete Schaum zeichnete flüchtig fliessende Figuren in den Grund. Ich schmiegte mich in die Wannenwölbung. Die Beschichtung war an einigen Stellen abgeplatzt und kratzte. Ich legte den Nacken in den weichen Bogen der Umrandung und spürte am Hinterkopf die Wärme des Kupferkessels. Ich schloss die Augen, hörte das Knittern von Schaumblasen und hinter dem Knistern das ferne Klirren von Geschirr, die gezupften Töne der Gitarren, die wie durch einen Schleier gedämpften Stimmen der Küngelhäusler und Gäste, das Summen der Gasleitung und das stete Pochen von Schritten in der Küche.

Ich musste einige Momente dösend im Dämmer gelegen haben. Als ich den Blick wieder schweifen liess, meinte ich den Augen nicht trauen zu können. In der hintersten Ecke der Waschküche bemerkte ich drei Schlachtkörper von Küngeln. In der Geschäftigkeit des Feuerns und des Wassereinlassens hatte ich sie offenbar übersehen. Ich stierte entsetzt über den Wannenrand auf die zerschlagenen Schädel, auf die von der Wäscheleine hängenden blauen Leiber, das geäderte, glänzende Fleisch, die schwarzen Lachen und Rinnsale am Boden. Gespenstisch schienen sie noch zu baumeln. Offensichtlich hatte der Vermieter drei Küngel für einen Festtagsbraten veräussern können und liess sie in der Waschküche abhängen. Ich hatte gemeint, in ein Badehaus gestiegen zu sein und war in Wirklichkeit im dampfenden Bottich eines Schlachthauses gelandet. Schnell wusch ich mir die schulterlangen, verknoteten Haare, tauchte der Länge nach unter, spähte in einer Art makabrer Lust über den Rand, ob sie noch da waren. Ich spülte Schaum und Seife unter dem Schwenkhahn heraus und zog den Spund. Während sich das Wasser über den Boden ergoss und durch die Ritzen des Schachtes strudelte, frottierte ich mich, warf mich in den Bademantel und glitt in die Hausschuhe. Noch einmal zwang mich eine gruslige Gier, sie zu sehen. Sie baumelten noch immer. Es schauderte mich. Ob vor Kälte oder vor Abneigung, dass ich hier gebadet hatte, wusste ich nicht. Ich rannte die Treppe hoch, als ob jemand hinter mir her sei. Zog mich oben um und mischte mich so unauffällig wie möglich unter die Speisenden. Von den Küngelkadavern erzählte ich niemand.

Am Abend zitterten am Himmel die Sterne. Über der Waldlinie glühten die Lichter der Stadt. Wir sassen bei Kerzenschein noch lange draussen, bis ein kühler Wind die Flammen löschte und uns in die Autos trieb. Stüten fuhr voraus. Ich folgte mit meinem Renault. Es ging eine kurvenreiche Strasse den Wald hoch. Die Scheinwerfer trieben ihre Lichtkegel in das aufragende Gitter von hellen und dunklen Stämmen. Wanner, auf dem Beifahrersitz, packte den Griff des Schaltstocks und ging in Bereitschaft. Als Fahrerduo waren wir minutiös aufeinander eingespielt. Während ich die Kupplung drückte und in den Motorenlärm ein Kommando schrie, schoss Wanner den Schalthebel in die nächsthöhere Position. Barbara applaudierte und legte lachend den Hinterkopf in den Falz des offenen Fensters. Ihre vollen Locken flatterten und trommelten ans Blech. Die wechselnden Schatten des Waldes strichen über ihr Gesicht. Sie hielt Ausschau nach den blinkenden Sternen. »Wie im Karussell«, rief sie, und winkte aus dem Fenster. Um sie zu erschrecken, fuhr ich über den Randstein. Äste ratterten entlang der Wagenseite, Rutenspitzen schnellten ins offene Fenster. Barbara kreischte. Blätter hingen ihr in den Haaren.

Kaum aus dem Wald verbarg das Licht der Strassenlampen den Nachthimmel. Unsere Motoren hallten von hohen Hausmauern. Eine rote Kette aus Rücklichtern zog sich durch die Häuserschlucht. Tanksäulen, in kaltes Neonlicht getaucht, säumten die Strasse. Stüten hielt bei der nächsten. Er trat an unser Fenster. Er habe sich gegen Isla und sein Trio entschieden. Es sei zu spät. Das Konzert habe längst begonnen. Meret stiess die Tür auf. Sie protestierte. Die anderen Wagenschläge wurden aufgerissen. Wie bei einem Überfall. Wir standen zwischen Tanksäule und Strasse. Verhandelten. Stritten. Ein kurzes Gefecht. Meret konnte nur Wanner überzeugen. Die anderen stimmten für die Gaskessel. Danielle wäre auch gerne in den feuchtheissen Dampf des Jazzkellers getaucht. Sie fühlte sich angezogen vom Ruch des politischen Untergrunds. Die Extravaganz von männlichem Parfüm und Pfeifenrauch betörte sie, auch wenn sie sich hinter einer Drahtbrille versteckte und ihre Leidenschaften nicht gleich verriet. Heute aber entschied sie sich, in der Umgebung von Troller zu bleiben und einen Abend lang die Dünste seines Schlagzeugkörpers zu atmen.

Von Weitem sahen wir die Gaskessel, die sich wie zwei Schildkrötenpanzer aus einem Schuppenareal wölbten. Sie waren von einem hohen Maschendraht umzäunt. Das Gittertor stand offen. Öliges Wasser lag in Dellen und Löchern. Farbige Glühbirnen wiesen den Weg zu einem groben Betonkubus, der die beiden Kuppeln verband. Oranges Licht flutete den Eingangskorridor. Ein brandroter Teppich kletterte im einen Kessel die Stufen hoch, bis an den Rand der Kuppelwölbung. Pärchen lagen in den Treppenbögen und schmiegten sich ineinander, wie auf Meeresgrund abgetaucht. Im anderen Kessel fielen wir ins beinah undurchdringliche Schwarz. Nur ein Punktlicht und der Schemen eines Discjockeys waren auszumachen. Wir tasteten uns vorwärts, rochen den Schweiss von Tänzern. Hörten kaum ein Flüstern oder Knacken. Dann hämmerte die Musik los. Lichtblitze zuckten und rissen für einen ritzenkleinen Zeitschnitt wild ausgreifende Gestalten ins grellhelle Licht – und liessen sie ebenso schnell wieder ins schwarze Nichts fallen. Marionettenhaft ruckte Bild um Bild vor. Die wirbelnden Körper wurden wie vom Reflex eines zwinkernden Auges auf eine imaginäre Plakatwand gebannt und wieder abgezogen. Ich begann mitzutanzen und warf meine Haare im Rhythmus der Musik vornüber und wieder zurück. Troller setzte zu irren Sprüngen an. Wie ein Sumoringer landete er in der Halbhocke mit den Händen auf den Knien, warf seinen Kopf hin und her und schlug das Haar herum, als wäre es der Riemen einer Peitsche. Zeitweilig stampften und hämmerten die Tanzenden den Beat auf den Schlag genau in den Boden und wurden zum Kolben einer immensen Maschine. Mechanisch wie der Puls des Schlagzeuges. Betörend wie der Sirenenton der Gitarre.

Barbara hakte sich bei mir unter. Im Paarschritt umgingen wir das Kesselrund. Ich fühlte die Wärme ihres weichen Leibes an meiner Seite. Ihrem entschiedenen Griff merkte ich die Gärtnerinnenarbeit an. Sie überragte meine klein gewachsene Gestalt um einige Fingerbreiten. Ursprünglich stammte sie aus dem Nachbardorf, wohnte aber schon länger in der Stadt. Sie war alleine hergezogen. Meret hatte ihr von uns und dem Küngelhaus erzählt. Sie trug enge und zu kurze Jeans und eine über die Hüfte hängende Bluse. Zwischen Mundwinkeln und Nasenflügeln hatten sich zwei Falten gebildet. Wie eingraviert von ihrem rauchigen, dunklen und ansteckenden Lachen. Ich griff mit der offenen Hand in Barbaras ungezähmtes rotes Haar und versuchte sie an mich zu ziehen. Sie liess sich die Zärtlichkeit gefallen. Sie wollte ihren Durst nach Liebe stillen. Zwar hatte sie einen Freund im Dorf, bekam ihn aber nur alle paar Wochen zu sehen. Sie wusste, dass ich das verstehen und keine weiteren Ansprüche stellen würde. Später dürfte sie es auch ihrem Freund erzählen, wenn die Freundschaft gefestigt war und ein Zusammenziehen in Aussicht stand.

Barbara hatte von unserer Trennung gehört. Zu dieser Zeit warst du bereits unterwegs. Mit deinem Gespür für das Machbare und die Bedingungen für eine Frau im nahen und fernen Osten schlossest du dich einer Gruppe von Indienreisenden an. Einen grossen Teil der Strecke wolltet ihr per Anhalter zurücklegen, einen Aufenthalt in Teheran einlegen, um dann im damaligen Land der Sehnsucht, in Afghanistan, länger zu verweilen. Du immer auf der Suche nach den lokalen Tanzmeistern. Ich stellte mir vor, wie ihr mit weiten Kleidern durch die Basare Kabuls schlendert, wie ihr nachts im Steppengras liegt und euch am Himmel berauscht, der dort so leuchten soll wie nirgendwo. Afghanistan war einer der Träume, die du dir erfülltest. Ob es zu einer Beziehung mit einem der Reisenden gekommen war, wusste ich nicht, wollte ich nicht wissen, dazu war ich zu eifersüchtig.

Nachdem Barbara und ich eine Runde abgeschritten hatten, trafen wir wieder auf Danielle. Sie lachte und lockte Troller in gespielt laszivem Tanz zu Stüten hinüber, der etwas ausserhalb des Geschehens als stangenlanger Heiliger an einer Säule lehnte. Obwohl Leadgitarrist, war Stüten gehemmt. Seine Grösse und sein Frank-Zappa-Schnurrbart, das schulterlange rote Haar hätten aus ihm einen Seemann oder sonst einen Abenteurer gemacht, wenn er denn nicht so zerbrechlich dünn und weisshäutig gewesen wäre. Im Wirtshaus konnte er vor einem Bier sitzen, den Fuss des Glases halten und stundenlang in den Schaum hineinlachen. Als Schriftsetzer war er beliebt. Ohne den üblichen Gewerkschaftskram fügte er Bleiletter an Bleiletter. Die stoische Regelmässigkeit machte ihn zu einem effizienten Arbeiter. Wenn jemand einen Witz riss, klopfte er sich auf die Schenkel. Stüten liess sich die Anwerbung von Danielle gefallen. Heuschreckengleich schritt er in die Runde und begann mit seinem überlangen Leib zu schlenkern, sich zu drehen und mit den Beinen in den Raum hineinzufahren, als ob er die Pedale eines überdimensionierten Tretrades zu bedienen hätte. Er geriet in Rücklage und fiel auf die Tanzfläche. Troller und Danielle hüpften um ihn herum wie Nachtklubtänzerinnen. Stüten kam vor Lachen nicht hoch. Die Musik wälzte sich vorwärts. Eine Lichtorgel begann über dem wogenden Händemeer zu kreisen und verwandelte den Kesseldom in eine kosmische Sphäre. Das ganze Gewölbe tönte in wechselnden Farben. Für einen Wimpernschlag wurde die Harmonie der ewigen Gesetze sicht- und hörbar. Hier war die Erdachse. Unter der Kuppel dieses Gaskessels wurde der Welt ein neues Drehmoment verpasst.

Wir strömten aus. Jeder ein Trabant für sich. Vergassen uns selbst. Ich hörte Barbaras rauchiges Lachen hinter mir. Wir fassten uns an den Händen. Hätten uns noch Stunden so gedreht, wäre nicht Troller auf uns zugekommen.

»Ich möchte gehen«, sagte er. »Stüten steht schon an der Tür.«

Meret und Wanner warteten bei der Tiefgarage. Auf der Heimfahrt war es still. Das Schlagen der Autotüren hallte vom nachtdunklen Saum des Waldes wider. Wie Schatten drängten wir uns den Treppenschacht hoch und verschwanden im Küngelhaus. Die Bettenverteilung ging einfach. Nur zwei Zimmer standen zur Auswahl. Beide küngelhausklein und von der Dachschräge in der Höhe eingeschränkt. Beide mit gewachsten Tannenriemenböden und Täfelungen, auf denen der gleiche dicke Lack glänzte wie im Probelokal. Im einen standen das Bett von Troller beim Eingang, dasjenige von Stüten mitten im Zimmer und meines senkrecht zu den anderen mit Kopflade gegen die Fensterfront. Danielle legte sich zu Troller. Stüten lag als Wächter alleine. Barbara schmiegte ihren Gärtnerinnenleib an mich, sie mit schlechtem Gewissen gegenüber ihrem Freund, ich mit Erinnerungen an dich. Das andere Zimmer stand Meret und Wanner zu, weil sie ein festes Paar bildeten. Die beiden hatten sich sofort zurückgezogen. Noch lange ertönte aus ihren Lautsprechern verhaltener Blues und schützte die Liebenden vor dem Zugriff fremder Ohren. Alle lagen unter ihrem Klangzelt und liessen sich vom gespannten Netz der Basslinien auf dem geschotterten Untergrund des Schlagzeuges tragen. Nachts knallte der Dachstuhl, hämmerte die Wasserleitung, kratzten und tapsten die Mäuse, schlugen dumpf die Küngel an ihre Stallbretter. Und es rischelte die Strohschütte.

Vorspiele

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