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I. Haftung im Horizontalverhältnis

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Die straf- und ordnungswidrigkeitenrechtliche Haftung weist im Horizontalverhältnis Besonderheiten auf, obwohl für Erfolgsdelikte die generellen Grundsätze über Kausalität und Zurechnung sowie die allgemeinen Beteiligungsregeln gelten.

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An sich müsste es dem Konzept individueller Schuld und Vorwerfbarkeit entsprechen, die Zurechnung von Rechtsgutsverletzungen vor allem mit Blick auf das Individuum vorzunehmen, dem gegenüber ein straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtlicher Vorwurf artikuliert werden soll. Gerade dies wird jedoch zum Problem, da innerhalb von Leitungsgremien im Regelfall mehrere Personen agieren, weshalb es nicht überrascht, dass die Praxis anstelle einer individuellen eine unternehmensbezogene Betrachtungsweise wählt, bei der zunächst eine Zurechnung auf das Unternehmen und erst dann auf innerhalb dieses Unternehmens angesiedelte Individuen stattfindet. In diesem Sinne ist die in BGHSt 37, 106 ff. entwickelte Rechtsprechung zu interpretieren, durch die in Abkehr von einer individuellen Zurechnung ein Grundsatz der Generalverantwortung und Allzuständigkeit statuiert und unter Hinweis auf gesellschaftsrechtliche Pflichtenstellungen ein straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtlich relevanter Erfolg im ersten Schritt allen Mitgliedern eines Gremiums zugerechnet wird.[1] Die unternehmensbezogene Betrachtungsweise hat zur Folge, dass die Leitungsorgane einer Gesellschaft – etwa der Vorstand einer Aktiengesellschaft oder die Geschäftsführung einer GmbH – schon aufgrund ihrer gesellschaftsrechtlich fundierten Position für sämtliche Angelegenheiten der Gesellschaft verantwortlich und zuständig sind und in den Sog der Zurechnung geraten.[2] Demgegenüber spielt die Frage, ob im Einzelfall im Sinne eines Ressortprinzips Verantwortungs- und Zuständigkeitsverteilungen vorgesehen waren oder nicht, allenfalls im zweiten Schritt der Zurechnung eine Rolle; in Krisen- und Ausnahmesituationen soll aber der Grundsatz der Generalverantwortung und Allzuständigkeit wieder aufleben:[3]

[BGHSt 37, 106, 124]

„Doch greift der Grundsatz der Generalverantwortung und Allzuständigkeit ein, wo – wie etwa in Krisen- und Ausnahmesituationen – aus besonderem Anlass das Unternehmen als Ganzes betroffen ist; dann ist die Geschäftsführung insgesamt zum Handeln aufgerufen“.[4]

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Der dem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht an sich gemäße individuelle Haftungsansatz wird hierdurch von den Füßen auf den Kopf gestellt, indem über die Referenz auf Generalverantwortung und Allzuständigkeit kollektive als individuelle Verantwortlichkeit ausgewiesen wird.[5] Die pauschale Anknüpfung der Zurechnung an das Leitungsorgan und seine Mitglieder kaschiert nur notdürftig, dass an sich das Unternehmen der eigentliche Haftungsadressat ist. Zurechnungsmaßstäbe werden somit in einer Weise vergröbert, die nur schwer mit dem Prinzip individueller Schuld und Vorwerfbarkeit in Einklang gebracht werden können.[6] Die Problematik einer solchen Haftungsbegründung löst sich nicht über die Referenz auf das Gesellschaftsrecht auf, da die Zurechnung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht nicht zivilrechtlichen Haftungszwecken, sondern der Sanktionierung von Einzelpersonen dient. Die jeweiligen Pflichtenkreise sind nicht deckungsgleich, sondern vielmehr sind an das Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht generell höhere Zurechnungsanforderungen zu stellen, die sich nur bedingt mit Pauschalierungen vereinbaren lassen. Insofern ist es für jede Verteidigung unabdingbar, auf diese im unterschiedlichen Charakter der Rechtsgebiete angelegten Diskrepanzen zu insistieren. Dies gilt umso mehr, als das von der Rechtsprechung postulierte Wiederaufleben des Grundsatzes der Generalverantwortung und Allzuständigkeit in Krisen- und Ausnahmesituationen für den Beschuldigten schon deswegen Steine statt Brot darstellt, weil es gerade jene Ausnahmen und Krisen sind, denen ex post straf- und ordnungswidrigkeitenrechtliche Relevanz beigemessen wird.[7] Die Statuierung einer Generalverantwortung und Allzuständigkeit führt ferner dazu, dass in der Praxis allzu freihändig schlechterdings nicht zu erfüllende Pflichtenkataloge formuliert werden.[8] Angesichts dieser Gefahren hat die Verteidigung aufzuzeigen, wo die rechtlichen, aber auch faktischen Grenzen postulierter Pflichten liegen. Die mit der immerhin auch nach dem BGH zulässige Delegation von Aufgaben dürfte zudem im Horizontalverhältnis weiter reichen, da Delegat und Delegatar als Leitungspersonen gleichermaßen gesteigerten Pflichten unterliegen, auf deren wechselseitige Erfüllung man namentlich auf Leitungsebene vertrauen können muss.[9] Dementsprechend kommt es aus Verteidigungssicht darauf an, deutlich zu machen, dass eine wechselseitige Totalkontrolle der Mitglieder derartiger Gremien weder praktikabel noch wünschenswert wäre.

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Mit Blick auf die Haftung im Horizontalverhältnis ist zwischen den Verhaltensmodalitäten des aktiven Tuns und des Unterlassens zu differenzieren, wobei der Grundsatz der Generalverantwortung und Allzuständigkeit für beide Handlungsweisen gleichermaßen gilt.

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