Читать книгу Unternehmensstrafrecht und Unternehmensverteidigung - Markus Berndt - Страница 8

Оглавление

Teil 1 Einführung in die Problematik › A. Allgemeines

A. Allgemeines

1

Die Frage nach einer Unternehmensstrafe ist schon deswegen von andauernder Aktualität,[1] weil sich auf internationaler Ebene ein eindeutiger Trend für die Etablierung einer solchen Sanktion ausmachen lässt. In Zeiten rechtlicher Globalisierung ist es für ein Normengefüge kaum möglich, sich in „splendid isolation“ gegenüber derartigen Entwicklungen zu immunisieren und das eigene Rechtssystem frei von äußeren Einflüssen zu halten. Die angelsächsischen Länder kennen ohnehin seit langem eine solche Sanktion, nachdem der US-amerikanische Supreme Court im Jahre 1909 die Möglichkeit der Bestrafung eines Unternehmens bestätigt hatte:

„(The law) cannot shut its eyes to the fact that the great majority of business transactions are conducted through these bodies (...), and to give them immunity from all punishment because of the old and exploded doctrine that a corporation cannot commit a crime would virtually take away the only means of effectually controlling the subject-matter and correcting the abuses aimed at“.[2]

2

Hinzu kommt, dass über das europäische Recht ein erheblicher Druck auf den nationalen Gesetzgeber ausgeübt wird, wirkungsvolle Sanktionen gegenüber Unternehmen vorzusehen. Das „Zweite(s) Protokoll aufgrund von Artikel K. 3 des Vertrags über die Europäische Union zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften“ hat in Art. 4 Abs. 1 den Mitgliedstaaten die Verpflichtung auferlegt, „die erforderlichen Maßnahmen“ zu ergreifen, „um sicherzustellen, dass gegen eine (...) verantwortliche juristische Person wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen verhängt werden können, zu denen strafrechtliche oder nichtstrafrechtliche Geldsanktionen gehören und andere Sanktionen gehören können (...)“.[3] Obwohl hierdurch explizit keine Verpflichtung zu strafrechtlichen Maßnahmen statuiert wird, leuchtet unmittelbar ein, wie sehr solche supranationalen Vorgaben im Verbund mit der in anderen europäischen Ländern erfolgenden Etablierung einer Unternehmensstrafbarkeit den deutschen Gesetzgeber in Zugzwang bringen.

3

Ob und wie lange der Strafrechtsgesetzgeber einem solchen Druck Stand hält, lässt sich nicht prognostizieren. Jedenfalls wird man eine gewisse Skepsis artikulieren müssen, ob eine solche Sanktion für alle Zukunft unter Hinweis auf die dogmatischen Kategorien fehlender Handlungs-, Schuld- und Straffähigkeit abgelehnt werden kann. Diese Argumentationstopoi machen jedoch deutlich, dass es um eine Frage nach Grund und Grenzen des nationalen Strafrechts geht. Denn eine Unternehmensstrafe stellt einen Fremdkörper für das in der Neuzeit herausgebildete und seinem Anwendungsbereich nach auf natürliche Personen beschränkte Individualstrafrecht dar, da lange Zeit der Satz „societas delinquere non potest“ galt. Jedoch flackerte die Debatte immer wieder auf, was nicht nur in Monographien,[4] sondern auch darin Ausdruck fand, dass sich der Deutsche Juristentag vor dem Hintergrund der Kollektivschulddebatte im Jahre 1953 mit der Problematik beschäftigte – und am Ende relativ klar gegen die Einführung einer Unternehmensstrafe votierte.[5]

4

Allerdings stellt die Frage nach einer Unternehmensstrafe von vornherein eine Verengung der Problematik dar, da Unternehmen vielfältigen Sanktionsrisiken ausgesetzt sind. Diese äußern sich in Gestalt von straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Maßnahmen und Nebenfolgen (Verfall, Einziehung), der Abschöpfung des Mehrerlöses oder Geldbußen des deutschen Ordnungswidrigkeitenrechts, aber auch des europäischen Kartellrechts. Bestanden diese Sanktionsrisiken von jeher, hat sich in den letzten Jahren eine fundamentale Änderung insofern ergeben, als diese Ahndungsmöglichkeiten – in den Worten Roscoe Pounds – nicht länger nur „law in the books“, sondern „law in action“ sind.[6] Sie werden seitens der Unternehmen nicht allein wegen der mit ihnen verbundenen finanziellen Einbußen, sondern vor allem der gleichfalls finanziell spürbaren Imageschäden in der Öffentlichkeit gefürchtet, die nicht erst mit der Auferlegung einer solchen Sanktion, sondern bereits mit einem darauf gerichteten und oftmals alles andere als diskret geführten Verfahren eintreten.

5

Unabhängig davon, in welcher Gestalt sie verhängt werden (und ob sie überhaupt in den offiziellen Justizstatistiken auftauchen – vielfach handelt es sich um Bestandteile konsensualer Verfahrenserledigungen) ist an diesem Punkt die Frage nach den Ursachen dieser Entwicklung aufgeworfen. Insoweit dürften jedenfalls zwei Aspekte eine wichtige Rolle spielen: Angesichts der immer ausgreifenderen Ökonomisierung aller gesellschaftlichen Lebens- und Handlungsbereiche liegt es nahe, dass hiervon auch die Instanzen der formellen Sozialkontrolle infiziert werden und die Rechtsanwendung zunehmend von fiskalischen Motiven geprägt ist. Folgerichtig müssen Unternehmen ins Visier von Kontrollinstanzen geraten, da ihre Sanktionierung finanziell ungleich einträglicher ist als die der natürlichen Personen. Für die Sanktionsinstanzen gilt durchaus: „Crime does pay“! Ein weiterer Gesichtspunkt besteht darin, dass es gesellschaftlich nicht nur mehr oder weniger diffuse Vorstellungen über eine Unternehmensverantwortlichkeit, sondern darüber hinausgehend auch das Bedürfnis gibt, eine solche Verantwortlichkeit kollektiver Entitäten mit den Instrumenten des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts zu fixieren (Rn. 430).[7] Dementsprechend treten die individuellen Akteure im gesellschaftlichen Diskurs hinter das Unternehmen zurück: Anstelle der „von Pierer-Affäre“ spricht man über die „Siemens-Affäre“. Dass damit ganz neuartige Probleme im Spannungsfeld der Verantwortungszuschreibung zwischen Staat, Unternehmen und Individuum auftreten, liegt auf der Hand.

Unternehmensstrafrecht und Unternehmensverteidigung

Подняться наверх