Читать книгу Tax Compliance - Markus Brinkmann - Страница 82

1. Allgemeines

Оглавление

55

Während die materielle Compliance-Pflicht das Verhalten des Verpflichteten grundsätzlich isoliert betrachtet, öffnet die Compliance-Pflicht im prozessualen Sinne den Blick und nimmt die Wechselwirkung dieses Verhaltens zu dem anderer Personen in den Fokus. Die prozessuale Compliance-Pflicht stellt den Pflichtenkanon des Einzelnen in den Gesamtkontext der jeweiligen Organisation und trägt der Arbeitsteilung moderner Organisationen Rechnung.

56

In diesem Sinne erstreckt sie die Pflichten des Einzelnen auf Aspekte einer tragfähigen Aufbau- und Ablauforganisation und nimmt die Aufgaben und Befugnisse anderer Individuen im Unternehmen in den Blick. Innerhalb einer Organisation gibt insofern neben den unmittelbaren steuerlichen Verpflichtungen der in den Steuergesetzen genannten Personen eine organisationsrechtliche Verantwortung der Führungskräfte. Diese Verantwortung umfasst die Implementierung einer Aufbau- und Ablauforganisation, die dazu dient und hierzu auch grundsätzlich geeignet ist, dass die im Rahmen der Organisation anfallenden steuerlichen Pflichten ordnungsgemäß erfüllt werden. Je nach Aufgabenzuschnitt der der Führungskraft zugewiesenen Mitarbeiter ist das Ziel, dass die Mitarbeiter die ordnungsgemäße Erfüllung der steuerlichen Pflichten durch bestimmte Tätigkeiten aktiv befördern, jedenfalls aber nicht behindern.

57

Relevant wird diese Erweiterung des Pflichtenkanons für die betroffene Führungskraft insbesondere bei der Frage der strafrechtlichen, bußgeldrechtlichen und steuerrechtlichen Haftung, konkret bei der Bestimmung von Vorsatz und diversen Formen der Fahrlässigkeit. Im Einzelnen betrifft dies z.B. den Vorsatz als Voraussetzung einer strafbaren Steuerhinterziehung (§ 370 AO i.V.m. §§ 369 Abs. 2 AO, 15 StGB) bzw. Beihilfe hierzu, die Leichtfertigkeit als Voraussetzung einer ordnungswidrigen Steuerverkürzung (§ 378 AO), die grobe Fahrlässigkeit als Mindestvoraussetzung einer steuerrechtlichen Haftung nach § 69 AO und die Frage nach einem ordnungswidrigen Organisationsverschulden (§ 130 OWiG). Dogmatisch gesehen ist die prozessuale Compliance-Pflicht keine Pflicht im eigentlichen Sinne, sondern vielmehr die Summe der organisatorischen Maßnahmen, die erforderlich sind, um zu verhindern, dass ein Fehlverhalten anderer Personen, die für die Organisation tätig sind, rechtlich auf den Betroffenen durchschlägt, sei es in Gestalt eines Rückfalls einer durch ihn delegierten Pflicht auf ihn selbst oder sei es in Gestalt eines Organisationsverschuldens. In diesem Sinne betreibt der Betroffene mit der Erfüllung der Compliance-Pflicht im prozessualen Sinne organisatorische Zurechnungsprävention.

58

Die durch den Betroffenen zu ergreifenden organisatorischen Maßnahmen können sich auf die steuerlichen Pflichten beziehen, die ihm selbst obliegen (z.B. die ausreichende Beschaffung von Informationen als Grundlage für durch den Betroffenen abgegebene Steuererklärung) oder die einer anderen Person im Hinblick auf die Organisation übertragen sind (z.B. die ausreichende Kontrolle dieser Person durch den Betroffenen).

59

Demgemäß ist Compliance im Unternehmen „Chefsache“ und bleibt dies auch, unbeschadet aller möglichen Delegationen an andere Personen innerhalb oder außerhalb des Unternehmens.

Tax Compliance

Подняться наверх