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1.3 Enthaftung durch Zertifizierung?
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Die Diskussion um das Thema Compliance hat eine Vielzahl unterschiedlicher Compliance-Standards hervorgebracht, die als Grundlage für die Entwicklung unternehmensspezifischer Compliance-Programme und damit der Erfüllung der entsprechenden Geschäftsleiterpflichten dienen.[14] Neben der Einrichtung eines Compliance-Programms zählt dessen laufende Überprüfung auf Geeignetheit und Effektivität zu den wesentlichen Pflichten der Geschäftsleitung. Mit dem Prüfungsstandard PS 980 „Prüfung von Compliance-Management-Systemen“ vom 11.3.2011 stellt das Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. (IDW) einen Rahmen zur Verfügung, der den Inhalt freiwilliger Prüfungen von Compliance-Programmen und die diesbezügliche Berufsauffassung der Wirtschaftsprüfer darlegt. Ob mit einer derartigen Prüfung und einer Bescheinigung der Effektivität des Compliance-Programms jedoch auch eine Enthaftung der Geschäftsleitung einhergeht, ist unter zwei Gesichtspunkten sehr zweifelhaft.[15]
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Erstens verkennt die Fokussierung auf eine betriebswirtschaftliche Prüfung, dass die Erfüllung der gesellschafts- und strafrechtlichen Organisationspflichten eine Rechtsfrage darstellt, die mit entsprechender juristischer Expertise und unter Nutzung praktischen juristischen Erfahrungswissens zu prüfen ist. Soll eine Wirksamkeitsprüfung tatsächlich einem „objektivierten Nachweis der ermessensfehlerfreien Ausübung [der] Leitungspflicht dienen“,[16] so ist die Prüfung in erster Linie von juristischen Beratern durchzuführen, die über einschlägige Erfahrungen und Spezialwissen bei der Einordnung bestimmter Verhaltensweisen etwa in Fragen des Antikorruptionsrechts oder des Wettbewerbsrechts verfügen.
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Zweitens geht das vorgesehene Prüfungsprogramm mit seiner Fokussierung auf die Beschreibung des Compliance-Programms[17] am Kern des Prüfungszwecks vorbei – der Sicherstellung der praktischen Wirksamkeit des Programms. Dies wird besonders evident durch die Vorgabe eines Hinweises in den Auftragsbedingungen, „dass keine Prüfungssicherheit über die tatsächliche Einhaltung von Regeln erlangt wird, sondern ausschließlich die in der CMS-Beschreibung getroffenen Aussagen zum CMS beurteilt werden“.[18] Ein effektives Compliance-Programm, das zu einer Enthaftung der Geschäftsleitung im Hinblick auf deren Organisationspflichten führen kann, erfordert mehr als nur die Existenz des Programms auf dem Papier. Dies haben insbesondere die großen Compliance-Skandale der jüngeren Zeit gezeigt. Neben der sogenannten „CMS-Beschreibung“ i.S.d. IDW PS 980 kann das Unternehmen zusätzlich Standards zur Einrichtung von CMS heranziehen, wie z.B. den ISO 19600.[19]
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Die von Rechtsprechung und Literatur aufgestellten Anforderungen an eine Enthaftung durch Einholung professionellen Rats[20] werden daher durch eine Zertifizierung nach IDW PS 980 in aller Regel nicht erfüllt.[21]