Читать книгу Ein philosophischer Streifzug durch die Jahrtausende - Markus Orians - Страница 10
2.1.2Exkurs: Buddhistische Philosophie vor 2600 Jahren und heute
ОглавлениеDer Buddhismus, nach 500 v. Chr. hat das Sanskrit zu einer toten Gelehrtensprache gemacht, weil Buddha auch für die einfachen Menschen lehrte. Buddha hat wie Jesus in einfachen Gleichnissen gesprochen, weil die Lehre ja auch für einfache Menschen gedacht war. Beide haben einen neuen Weg der Selbstverwirklichung gezeigt. Von beiden gibt es keine einzige Schrift, kein einziges Wort von der oder dem wir sicher sagen können, dass es von ihnen gesprochen wurde. Ähnliches gilt auch für Mohammed.
Was haben die Religionen aus ihnen gemacht? Buddhas Worte wurden zum Teil Jahrhun-derte später aufgeschrieben. Jesus Worte sind frühestens 40 Jahre und das Johannes- Evangelium etwa 100 Jahre nach seinem Tod aufgeschrieben worden. Auch Mohammeds Koran wurde frühestens 20 Jahre nach seinem Tod aufgeschrieben.
Es gibt nicht die buddhistische Philosophie. Der tibetische und der japanische Zazen unterscheiden sich beträchtlich. Auch ist der westliche Buddhismus ziemlich weit von den Methoden des östlichen entfernt. Im Westen gibt es mittlerweile viele und sehr unter-schiedliche Schulen. Aber bei allen befinden sich einige wichtige Werte ganz oben in der Wertehierarchie, auf die ich hier ein-gehen möchte und die man als buddhistische Bildung bezeichnen könnte.
Weder die Aufklärung noch die christlichen Religionen hatten für uns 68er nachhaltige Antworten auf die Fragen zur modernen Welt geben können, die wir als existenziell empfunden hätten. Es war eine Zeit in der die bisher größte Katastrophe fiel, die Menschen bisher verursacht haben. Der Faschismus mit seinen etwa 60 Millionen Toten im II. Welt-krieg. Diesen vielleicht tiefsten Fall in der Menschheitsgeschichte, wollten die Menschen auch so schnell wie möglich verdrängen. Viele „Mitläufer“ wollten weder ihr Denken noch ihr barbarisches Tun hinterfragen und verantworten. Sie fühlten sich fast alle als Opfer. Es gab aber nicht nur die Mitläufer sondern Träger des Faschismus, die wieder in führenden Ämtern in Politik und Verwaltung, im Justizministerium und dem Staatsschutz unterkamen. Z.B. Bundeskanzler Kiesinger, der langjährige Ministerpräsident von Baden-Württemberg Filbinger oder der wichtigste Berater von Adenauer, Globke. Es war auch eine Zeit der Doppelmoral, was die Sexualität anbelangte und die Kirche wurde uns durch die immer mehr bewusst werdenden Widersprüche immer fremder. Ich war zuvor 10 Jahre Ministrant. Es gab wenig Glaubwürdiges und Sinnerfüllendes in der Nachkriegsgesellschaft. Stattdessen fand man einen neuen Sinn im Konsum. Nach dem Hungern kam die Fress- dann die Konsum- und zuletzt die Reisewelle. Der technische Fortschritt und das Wachsen des Bruttosozialpro-duktes war das Bindeglied, das was die Nachkriegsgesellschaft miteinander verband. Dieser „Fortschritt“ genügte einem Großteil der Jugendlichen und Heranwachsen-den bald nicht mehr, um darin einen Sinn im Leben erkennen zu können.
Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre war ich deshalb auf der Suche nach einem Sinn im Leben. Über einen Zeitraum von 7 Jahren habe ich schamanische, buddhistische und huma-nistisch therapeutische Ausbildungen gemacht oder selbst Kurse gegeben und davon gelebt. Man kann auch sagen, dass ich von einem Guru zum anderen unterwegs war.
Vor mehr als 35 Jahren kam ich daher ins Altmühltal und machte dort eine Woche Zazen. Zazen ist die japanische Art des Buddhismus. Von all den vielen Methoden, Übungen und Ausbildungen hat mich als einzige Zazen (Sitzmeditation) nie mehr verlassen. Ich habe nicht die ganzen Jahre regelmäßig Zazen geübt, aber auch nach längeren Unterbrechungen kam ich immer wieder auf Zazen zurück. Die wenigste Zeit habe ich in Gruppen geübt, meistens alleine und seit etwa sechs Jahren ziemlich regelmäßig sechs Mal in der Woche mit meiner Frau. Zazen ist in Stille und Unbeweglichkeit sitzen und wahrnehmen, was ich denke und fühle, ohne in das innere Geschehen einzugreifen. So bewusst wie möglich wahrnehmen, was im Geist mit mir geschieht.
Die Gewaltfreiheit, die Toleranz, das Mitgefühl, die Stille in der Meditation und die Atmosphäre, die dadurch entstehen kann, war für uns neu und hat uns auf unserer Suche nach „Wahrheit“ genauso schwer beeindruckt, wie das Charisma und die Authentizität die-ser Lehrer. Sie waren die einzigen unter den Gurus, die ich in dieser Zeit kennengelernt habe, bei denen Sagen und Handeln in hohem Maße übereinstimmte.
Gautama Buddha, der Begründer des Buddhismus, ist etwa 560 v. Chr. in Indien geboren. Er lebte dort etwa 80 Jahre. Es war die Zeit in der auch Sokrates in Griechenland und Lao Tse in China ihre Lehren verkündeten. Er war der Sohn eines Fürsten, um den sich viele Legenden ranken. Als Gautama das Elend der Menschen erkannte, gab er sein luxuriöses Leben am Hofe auf, obwohl er verheiratet und vor kurzem Vater eines Sohnes geworden war. Als strenger Asket suchte er lange die Befreiung aus dem ewigen menschlichen Leid. Nach lan-ger Suche erlangte er, nachdem er das strenge Asketendasein aufgegeben hatte die „Er-leuchtung“. Danach nannte er sich selbst Buddha, was Erleuchteter heißt.
Einige wichtige Lehren von Buddha:
Während der Erleuchtung erkannte Buddha die „Vier Edlen Wahrheiten“:
Das Leben ist Leiden. Solange man im Daseinskreislauf gefangen ist, wird man un-freiwillig mit Leiden konfrontiert: Leiden ist geboren werden, Krankheiten zu be-kommen, älter zu werden, materielle Verluste, der Tod geliebter Menschen, Ängste, Wünsche...
Das Leiden kommt nicht zufällig, sondern hat klar erkennbare Ursachen. Die Ursachen gehen vom Geist aus und sind Begierden, Hass, Neid, falsche Ansichten, falsches Den-ken und Unwissenheit.
Es ist möglich sich aus dem Leiden zu befreien. Die Ursachen sind im Geist und des-halb muss der Geist gewandelt werden. Der Geist ist von Natur aus rastlos, das heißt der Geist bindet sich unentwegt an irgendwelche Gedanken. Er muss von diesen Ab-lenkungen befreit und befriedet werden. Man muss ihn führen lernen, indem man erkennt, was man denkt, und das Denken dann bewusst beeinflussen.
Es gibt einen Weg, der aus diesem Leiden führt.
Die Essenz des Buddhismus ist die Befreiung aus diesem Leiden. Der Weg, den er „Mittleren Weg“ nannte, der zu dieser Befreiung führen kann, verläuft zwischen den Gegensätzen. Wir sollen in der Mitte bleiben:
Kein Hass, aber auch keine Gleichgültigkeit
Keine Gier, aber auch keine Vermeidung
Kein Klammern, aber auch kein Wegschieben
Keine Völlerei, aber auch kein Hungern
Sich aus Abhängigkeiten befreien. Nirgendwo festhalten. Dies ist wohl die einzige Möglich-keit, um aus der ewigen „Achterbahnfahrt“ der Extreme, der polaren Gefühle sich zu befrei-en. Dieser Weg kann zu einem guten Einvernehmen mit der Ambivalenz des Lebens führen.
Buddha nennt acht Bereiche in unserem Alltagsleben, in denen wir unsere Erkenntnisse um-setzen sollen. Dieser achtfache Pfad ist eine praktische auf direkter Erfahrung beruhende Methode, um ein sinn- und friedvolles Leben zu führen. Dieser achtfache Weg besteht aus:
Rechtes Verstehen: Rechtes Verstehen entsteht durch Reflexion. Ich habe hier zu klä-ren, was mir wirklich wichtig ist, das heißt zu den Werten zu stehen, nach denen ich leben will. Rechtes verstehen beinhaltet meine Reflexion über die Konsequenzen meiner Handlungen bezogen auf das gesamte Sein.
Rechte Absicht: Meine Absicht bestimmt, ob meine Handlungen friedvoll sind. Es geht auch darum meinen Geist kennen zu lernen, um meine Emotionen und Gefühle steu-ern zu lernen.
Rechte Rede: Zur rechten Rede muss man Achtsamkeit entwickeln, um zu erkennen was wahr, was nützlich und angemessen in diesem Moment ist. Tratschen und Klat-schen gehört nicht dazu, aber mit Mitgefühl zuhören zu können.
Rechtes Handeln: Kultivierte Achtsamkeit bei jeder meiner Handlung soll ich verhindern, etwas zu tun, wodurch andere ausgebeutet oder betrogen werden. Dazu gehört auch meine Zeit so einzuteilen, dass ich andere und mich nicht überfordere. Was ist meine Absicht, ist eine Frage, die ich mir immer wieder zu stellen habe?
Rechter Lebenserwerb: Ich soll meinen Lebensunterhalt so verdienen, dass ich ande-ren möglichst keinen Schaden zufüge. Nirgendwo, wo Waffen hergestellt werden, kann ein buddhistisch gebildeter Mensch arbeiten.
Rechte Anstrengung: Hier geht es um die Achtsamkeit und das Gewahrsein meiner Gedanken. Einerseits soll ich möglichst in heilsamen Gedanken verweilen und an-dererseits negative und aggressive Gedanken, die mit Neid, Eifersucht, Gier, Ärger und auch Wut verbunden sind, nicht verdrängen. Alle starken Emotionen und Ge-danken, die ich verdränge, führen in meinem Innern ein mächtiges Eigenleben und kommen durch unkluge Worte und kaum zu kontrollierende auch gewalttätige Handlungen wieder in meine Existenz zurück.
Rechte Achtsamkeit: Zu einem bewussten Leben gehört Achtsamkeit. Meine Absicht achtsam zu sein, ist eine grundsätzliche Voraussetzung den achtfachen Pfad zu gehen.
Rechte Sammlung: Rechte Sammlung entwickelt man vor allem über die Meditation.
Die Philosophie des achtfachen Pfades ist, wie man erkennt, ganz auf das alltägliche, spirituelle Leben ausgerichtet und wie bei den Philosophien steht die Frage: Was soll ich tun, im Mittelpunkt.
Obwohl es heute in Asien viele nach Landessitten ausgerichtete buddhistische Religionen gibt, bei denen Buddha als Gott verehrt wird (Laos, Thailand), verwarf Buddha selbst nicht nur jede Art von göttlicher Verehrung, sondern auch jeden äußeren Kult.
Der Buddhismus ist eine „Religion“ ohne Gott, ohne Schöpfer, ohne Schöpfung, ohne Ich. Buddha: Da alles sich ständig verändert, ist es durch etwas Anderes verursacht oder bedingt und kann daher nicht das Absolute sein.
Der Buddhismus ist in erster Linie eine geistige Wissenschaft. Seine Methoden befassen sich mit der Erforschung des Geistes.
Für Buddha gibt es nur einen beständigen Wandel, ein ewiges Fließen. Alles Sein blitzt nur für einen Moment auf. In dem Moment, wo das Denken einsetzt, ist der Augenblick schon wieder vergangen. Das einzige Überdauernde ist daher der ständige Veränderungsprozess in allen Dingen. Deshalb zählt nur der Augenblick, das Jetzt. Zeit ist daher die Aufeinanderfolge von lauter Einzelmomenten. Daher kann es auch kein feststehendes „Ich“ geben. Dies ist eine Behauptung, zu der die Wissenschaftler, die Neurowissenschaftler noch 2500 Jahre brauchten, bis sie dieses Wissen zu ihrer eigenen Überraschung bestätigen mussten.
Vieles, was Buddha als Lehre verkündete, sagte 500 Jahre später in ähnlicher Form auch Jesus:
Die Seligpreisungen des Buddha:
Selig ist, wer ohne Hass lebt, obwohl Hass und Lieblosigkeit ringsumher walten.
Selig ist, wer ohne Verblendung ist, obwohl die Welt verblendet dahinsiecht.
Selig ist, wer frei atmen kann, weil er das nimmersatte Raffen aufgegeben hat, ob-wohl die Welt voller Gier sich selber frisst.
Selig ist, wer die Einfachheit gewählt hat, denn ihn durchströmt beseligend göttliche Heiterkeit.
Vor 2500 Jahren gesagt und noch heute aktuell, oder gerade heute.
Einst soll Buddha von einem Kaufmann nach der Essenz seiner Lehre gefragt worden sein. Er sagte: Tu Gutes, meide das Böse und zähme deinen Geist. Der Kaufmann soll entgegnet haben: „ Aber das weiß doch jedes Kind.“ Da sagte der Buddha: „Aber noch mit achtzig hält sich kaum jemand daran!“
Eine Verwandtschaft zu Jesus besteht auch darin, dass er sich an alle Menschen, alle Stände und alle Völker wandte. Das Kastenwesen ignorierte er und machte deutlich, dass die Zugehörigkeit zu einer Kaste keine Bevorzugung oder Benachteiligung beinhaltete, um die-sen Weg zu gehen.
Buddha machte auch deutlich, dass jeder das Heil finden kann und dass dieses Heil innen, im geistigen Bereich liegt (wie bei allen Mystikern). Die Vorstellung eines Gottes zu dem man beten und Hilfe erbitten kann, lehnte er ab. Dagegen betonte er, dass man alleine und selbst für sein Schicksal und die spirituelle Entwicklung verantwortlich ist.
In schroffem Gegensatz zur christlichen oder muslimischen Ausbreitung und Missionierung, erfolgte die weltweite Verbreitung des Buddhismus in diesen 2500 Jahren ohne jede Gewalt. Sie ist eine Lehre des Friedens, selbst wenn Tibet von China seit mehr als 50 Jahren besetzt, unterdrückt und ausgebeutet wird, und die Tibeter, vor allem die Mönche umerzogen und gefoltert werden. Diese grundsätzlich friedliche Haltung ist ein ganz wichtiger Faktor, dass der Buddhismus sich im Westen so ausgebreitet hat.
Mit der wichtigste Unterschied zu den theistischen Religionen besteht im „Nichtglauben.“ Buddha empfahl, man solle ihm nicht einfach glauben, sondern seine Lehren ausprobieren. Über die Erfahrung kann „Einsicht“ geschehen. Einsicht ist für den buddhistischen Lehrer Phi-lip Moffitt: „ eine tiefe Ebene des Verstehens, die rein intellektuelle Kognition transzendiert und nur durch direkte Erfahrung erkannt werden kann.“ Eine der Methoden ist hierfür die Achtsamkeit. Achtsamkeit ist die Fähigkeit im gegenwärtigen Augenblick vollkommen präsent zu sein. Die theistischen Religionen haben wenig mehr als Methode anzubieten, als zu Gott beten und ihn zu bitten, um den Glauben zu verstehen und anzunehmen. Wünsche, die einen großen Teil des Betens im christlichen Glauben ausmachen und das Ego befrie-digen sollen, kann es im Buddhismus auch nicht geben, weil es niemanden gibt, den man bitten oder anbeten kann.
Die Art unserer Erfahrungen ist von unserem Bewusstsein abhängig. Wilfried Reuter beschreibt in seinem Buch „Weck den Buddha in dir“ wie der tibetische Meister Tarab Tulka zwei Bewusstseinsarten unterscheidet. Das Verstandesbewusstsein und das Spürbewusst-sein.
Das Verstandesbewusstsein ist das Bewusstsein, das sich mit dem Ich und auch mit dem Ego verbinden kann. Den größten Teil unseres Lebens verbringen wir in der Regel in dieser Art von Bewusstsein. Es ist mit unserer Vergangenheit oder mit der Zukunft beschäftigt. Mit ihm denken wir nach, erinnern uns, planen für die Zukunft. Es ist auch diese Art des Bewusst-seins, das bewertet, kontrolliert, vergleicht und unterscheidet. Es schaut gewissermaßen von außen auf die Dinge. Hier finden wir unsere Muster, Konzepte und Konditionierungen. Es ist die Welt der Begriffe, der Worte, der Gedanken. Wir nehmen die Welt als von uns getrennt wahr. Wirklichkeit ist hier nicht das Ganze sondern besteht aus Ausschnitten. Es ist unsere individuelle, einzigartige Wirklichkeit, die wir aber nicht selten für die einzige und ganze Wahrheit halten. Außerdem baut das Ich immer eine Distanz zum anderen auf.
Anders das Spürbewusstsein. Es gibt keine Sprache, kein Vergleichen, kein Bewerten, kein sich Erinnern, kein Zukünftiges. Das Spürbewusstsein bringt mich in Kontakt mit mir selbst. Die Sinne sind geöffnet und ich nehme direkt wahr, bin mit meiner Empfindung beim Gegenüber. Ich bin im Hier und jetzt. Ich benenne nicht die Bäume als Eiche oder Buche, oder bezeichne den Vogel als Amsel oder benenne den Sonnenuntergang, sondern höre das Rauschen der Blätter, das Singen des Vogels und berausche mich am Sonnenlicht. Nichts wird gedeutet oder verglichen. Die Erfahrung ist einmalig. Es gibt hier keine Erinnerung. Es gibt keinen Abstand zu dem Gegenüber, keine Trennung und keine Angst. In dieser Art von Bewusstsein ist eine Berührung oder ein Kuss mit seiner seit 20 Jahren verheirateten Frau immer wieder neu und einmalig. Nur diese Seite unseres Bewusstseins kann mit Freude, Liebe oder Glück verbunden sein.
Im Buddhismus gibt es eine Vielzahl von Methoden, die alle mit der Arbeit unseres geistigen Vermögens, unseres Bewusstseins und der reflektierten Selbstwahrnehmung verbunden sind. Daher ist es nicht möglich sich als Opfer zu sehen, wie dies in unserer westlichen Kultur ein tief internalisiertes Denken bei vielen Menschen ist und zu vielem unnötigem Leiden und auch zur oft nicht an-gemessenen Hilfe der Helfer führen kann. Welches Leid steckt alleine darin, sich als Opfer zu sehen. Menschen, die sich in der Opferrolle sehen, haben es schwer an der Wirklichkeit zu bleiben. Erlittenes wird dann immer wieder hervorgehoben. Verant-wortung wird abgegeben, in Beziehungen und Konflikten irgend- etwas oder jemand wird stattdessen schuldig gesprochen! Der Buddhismus kennt keine Schuld. Deshalb kann es auch keine Schuldzuweisungen geben. Wenn es keine Schuld, keine Sünde gibt, dann gibt es auch keine Sühne. Im Leid gibt es nur mich und meinen Geist.
Ich habe den Buddhismus immer mehr als Selbsttherapie angesehen, als eine Art huma-nistische Therapie, denn das Wichtigste ist die persönliche Erfahrung durch Selbst-reflektion, nicht nur durch sich selbst Fragen zum eigenen Denken und Handeln zu stellen, sondern auch zu allen Ideologien, Philosophien, Meinungen, Religionen... Toni Packer nennt diese radikale Selbstbefragung „Meditatives Fragen.“ Deshalb wird Achtsamkeit, Mitgefühl, Medi-tation, Stille gelehrt. Viele dieser Aspekte des Buddhismus sind in die humanistische The-rapie hineingeflossen. Buddhismus passt auch gut zur westlichen Erkenntnisgewinnung über die Logik und die Wissenschaften.
Niemand hat mich gedrängt, von der Lehre etwas anzunehmen, wenn ich eine andere Meinung hatte. Weil jeder Lama oder Roshi (Meister, Lehrer) während seiner Praxis andere persönliche Erfahrungen gemacht hat, hat sie oder auch er im Detail eine unterschiedliche Lehrmeinung. Es gibt auch keinen der eine buddhistische Hierarchie anführt, wie dies bei den Katholiken durch den Papst der Fall ist. Daher gibt es aber zum Beispiel im Buddhismus auch eine feministische Richtung, nicht nur von Sylvia Wetzel. Man wird Lehrer oder Lehrerin, wenn man durch sehr viele und über jahrelange (3 Jahre) Selbsterfahrungen oft in der Einsamkeit hindurchgegangen ist. Eine Nonne oder ein Mönch verpflichtet sich auch zum Zölibat. Wenn man sich aber später z. B. für eine Partnerschaft entscheidet, behält man den Status der Lehrerin oder des Lehrers bei. Es gab und gibt auch richtige „Freaks“ unter den Meistern, wie Richard Baker Roshi, oder Toni Packer, aber auch sehr strenge Meister vor allem im Zen Buddhismus wie Shunryo Suzuki, der in Amerika lehrte. Ein buntes Kaleidoskop von Lehrern, die durch die jahrelange, für uns extreme Selbsterfahrungen, eine persönliche Reife und tiefgründige, geistige Erfahrungen und Wissen entwickelt haben. Was sie weitergeben ist daher nicht nur ein tiefgründiges geistiges Wissen sondern vor allem per-sönliche, spirituelle Erfahrung. Zum Teil sehr traditionell und streng hierarchisch gegliedert, zum Teil sich immer mehr sich aus diesen traditionellen Strukturen lösend. So hat Toni Packer in den 80er Jahren sich weit von der Zen Tradition entfernt, indem sie viele Rituale und Übungen, die vor allem eine hierarchische Struktur unterstützten, einfach fallen gelas-sen hat. Damit hat sie nicht nur die amerikanischen Zenklöster beeinflusst. Sie nimmt die Worte des Buddhas ernst, die besagen, dass der Buddha seine Hörer ermahnt hat, das gesprochene Wort nicht zu akzeptieren, noch das, was in einer Schrift geschrieben steht, noch die scheinbare Fähigkeit eines anderen, noch die Überlegung, dass diese Person mein Lehrer ist. Er sagte in seinen letzten Worten: „ seid euch selbst ein Licht. Nehmt keine Zuflucht in äußeren Dingen. Haltet fest an der Wahrheit. Sucht in niemandem Zuflucht außer in euch selbst.“ Diese Haltung führt wahrlich zu demokratischen Strukturen und ganz flachen Hierarchien. Diese geistige Wissenschaft fördert aber auch Selbsterkenntnis, Selbstbewusst-sein und eine kritische Einstellung zur Politik.
Der Buddhismus ist nicht dogmatisch und konnte sich deshalb auch den säkularen Philo-sophien und der Psychologie des Westens öffnen. Er hat sich westlichen Lehren, die auch Gewaltfreiheit und den Abbau des Egos lehren, weit geöffnet und mit in die eigene Lehre und Methoden eingebunden. Aber auch umgekehrt ist es heute nicht mehr ungewöhnlich, wenn Pfarrer und Mönche eine Zenausbildung gemacht haben oder sogar Zenmeister sind, wie die beiden Benediktinermönche Willigis Jäger oder David Steindl Rast. Der damalige Kardinal Josef Ratzinger und heutige Papst Pius XVI hat Willigis Jäger deshalb verboten, die Messe zu zelebrieren. Genauso lassen sich buddhistische Mönche in humanistischen Thera-pien ausbilden. Therapeuten mit analytischer Ausbildung wie z.B. Luise Reddemann aber auch in der Familientherapie findet man geistige Gesetze und Methoden, die an den Bud-dhismus angelehnt sind. Mittlerweile gibt es eine Fülle von Literatur über Psychotherapie und Buddhismus. Beide Therapien verbinden Wege aufzuzeigen, wie der Mensch sich selbst aus seinem Leiden befreien kann. Die Psychotherapie entstand genauso, wie der Buddhis-mus als Reaktion auf das scheinbar unentrinnbare Leiden in der Welt.
Innerhalb dieser Auseinandersetzung kommt man zu allen grundlegenden Fragen im Leben, über den Sinn im Leben, Tod, Krisen, Gier, Neid, Verluste, Angst, Glück, Verantwortung, Freiheit, Gerechtigkeit, Beziehung, Identität... Keine Frage, die nicht gestellt werden kann. Man erkennt in dieser Art Selbstreflektion, dass es auf viele Fragen keine konkreten Antwor-ten geben kann. Stattdessen wird man in die Stille geführt, die einem Antworten jenseits der Sprache, jenseits der Ratio ermöglichen kann. Durch dieses „Sich selbst Erkennen oder „me-ditative Fragen“ wie Toni Packard es nennt, kann man feststellen, dass es innerhalb dieses Fragenkomplexes nur Weniges gibt, das wir wirklich wissen. Es bleibt die Möglichkeit in die Stille „hineinzulauschen“ und jenseits von Ratio zu verstehen.
Im Zazen geht man davon aus, dass ein Großer Teil des Leidens, psychischer Schmerz, aber auch körperlicher Schmerz durch den Widerstand gegen den Lebensprozess auftritt. Unser Versuch, das Geschehene nicht anzunehmen, zu verdrängen und zu verleugnen, verursacht bei uns physische und psychische Schmerzen. Aufrichtige Trauer und die geistige Arbeit können uns wieder mit dem Leben verbinden. Diese Auseinandersetzung führt uns nicht vom Leiden und dem Schmerz weg, sondern mitten hinein und hindurch. Die Krise wird als Notwendigkeit zum inneren Wachstum begriffen. Krisen gehören zum Leben und sind nichts Ungewöhnliches. Man kann altes Denken und Handeln zurücklassen und sich neuem ganz-heitlichem Denken öffnen, das man ohne die Krise sonst niemals kennengelernt hätte. Krisen und Schicksalsschläge sehen wir häufig unter dem Horizont des „ Warum gerade ich.“ Dies ist eine Fragestellung die nicht wirklich zu Antworten führt. Der Horizont des „Wozu, was will mir diese Erfahrung zeigen“, kann uns zu Antworten, zu Einsichten, zum Verstehen leiten. Die Öffnung dieses Horizontes kann mir die inneren Bilder, die Meinung, die Ideologie zei-gen, warum ich diesem leidvollen Denken anhänge. Dies ist eine Voraussetzung die Situation und das gesamte „Sein“ mit neuen Augen zu sehen.
Diese Methoden, die die tägliche Praxis und Selbstreflektion mit in den Alltag nehmen, ist das besondere dieser „Religion“ oder Wissenschaft und damit sind sie allen mir bekannten Religionen oder Philosophien überlegen. Die Methoden beinhalten eine systematische Schulung des menschlichen Bewusstseins und des gesamten Geistes.
Ein japanischer Zenmeister empfing einen Universitätsprofessor, der etwas über Zen erfahren wollte. Der Zenmeister goss zur Begrüßung die Tasse seines Besuchers voll und hörte nicht auf weiterzugießen, bis der Professor ihm sagte, dass die Tasse übervoll ist. Nan in, der Zenmeister erwiderte: So wie diese Tasse, sind auch sie voll mit ihren Meinungen und Spekulationen. Wie kann ich ihnen da Zen zeigen?
Eine Methode, um die „eigene Tasse“ zu leeren ist das „Koan“. Z.B. Höre das Klatschen der einen Hand.
Diese Aufgabe verstört so einen rationalen Denker auf Tiefste. Das Klatschen der einen Hand kann man natürlich nicht hören. Die Aufgabe ist also nicht über den Verstand lösbar. Sie ist ein Widerspruch in sich selbst, ein Paradoxon. Trotz-dem hat man nur eine Chance, das Koan zu „verstehen,“ zu begreifen und zu lösen, wenn man konsequent den Verstand und die Vernunft an dieser Aufgabe abarbeitet. Das heißt langsam aber sicher kommt durch eine ernsthafte Auseinandersetzung der Verstand an seine Grenze und zur Ruhe. Bis er ganz zur Ruhe gekommen ist. Der Meister lässt einem mit dieser Aufgabe über längere Zeit alleine „brüten“ und fragt den Schüler immer wieder nach seiner gefundenen Antwort. Solange der Schüler auf der rationalen Ebene antwortet, wird er immer wieder weggeschickt. Bis der Schüler eine andere Lösung, jenseits des Rationalen, einen ganzheitlichen Weg, jenseits des Verstandes, vielleicht findet.
Es geht hier also um ein anderes geistiges Wissen als wir das in unserer rationalen Welt kennen. Auf diese Weise kann man seinen Verstand leeren und dieses andere Wissen, das durch die Meditation einfließen kann, aufnehmen.
Die traditionelle Bezeichnung für Meditation sagt Chögyam Trungpa heißt so viel wie „fried-liches Verweilen“. Man soll durch die Meditation Freundschaft mit sich selbst schließen. Der Weg ist kein Glaubensweg, sondern ein Weg der persönlichen Erfahrung. Toni Packer formuliert diese Methode konkreter. Für sie bedeutet Meditation mit unseren gewohn-heitsmäßigen Reaktionen von Angst, Begierde, Zärtlichkeit, Langeweile oder was auch immer direkt in Berührung zu kommen und sie dadurch neu zu sehen. Dies ist dann möglich, wenn ich alles was sich in Bildern oder Erinnerungen mir zeigt weder bewerte, analysiere, abwehre oder festhalte. Denken und die Ratio stoßen hier an Grenzen. Was ich denke ist sehr stark abhängig von den Erfahrungen in der individuellen Sozialisation. Hieraus entstehen Konditio-nierungen und Konzepte, die ich nicht mehr in Frage stelle, beziehungsweise habe ich genau besehen keine Wahl anders zu denken und zu handeln. Diese geistigen Prägungen hindern mich aber frei und immer wieder neu auf Situationen zu antworten und zu reagieren. In der direkten Berührung im Jetzt kann ich über das unmittelbare Empfinden zu einer neuen Einsicht gelangen.
Die geistige Lehre im Zazen ist einfach und radikal. Sie gibt mir keine Chance, weder meine Verantwortung für mein Tun abzugeben, noch kann ich, wie dies meines Wissens alle theis-tischen Religionen tun, andere Philosophien und Religionen abwerten. Ich habe mich nur mit meinem Geist zu befassen, denn, was und wer ich bin, mache ich über meine geistigen Kräfte selbst. Der Geist ist die Quelle aller Erfahrungen. Das gesamte Leben ist eine geistige Aus-ein-ander-setzung.
Im Wesentlichen behandelt der Buddhismus die Mechanismen von Glück und Leid. Glück, sowie auch Leid, sind im Wesentlichen eigenes geistiges Werk, ein innerer selbsterzeugter Zustand. Mit äußeren Situationen haben sie wenig zu tun. Nicht die Situationen, in die wir kommen sind das Problem, es ist unser Denken, unsere Denkmuster. Wenn ich mich ändern möchte, geht dies nur durch und über meinen Geist, mein Bewusstsein. Deshalb steht im Mittelpunkt der Meditation den Geist kennen zu lernen. Seine endlosen Gedankenschleifen wahrzunehmen, um sie irgendwann loslassen zu können. Gedankenschleifen mit Wertun-gen, Plänen, Entschuldigungen, Abwehren, Angriffen, Überheblichkeiten... Dieses chaotische Gedankenmuster bestimmt in hohem Maße unser Handeln. Vor allem sind es die oft unbewussten Wertungen, die unseren Alltag mitbestimmen. Fast alles, was wir mit unseren Sinnen aufnehmen, bewerten wir, ordnen es ein, etikettieren es. Das heißt, wir lassen uns gar nicht auf die Wirklichkeit, das Hier und Jetzt ein, sondern bewerten es, auf Grund von Denkmodellen, früheren Erfahrungen, Ängsten und Gewohnheiten. Bewerten heißt, es wird der Situation sofort ein Vorgefühl aufgedrückt, unter dem wir die Erfahrung mit gut oder schlecht bewerten. Oft sind wir unfähig ohne diese Gedanken und Gefühlsmuster, also relativ frei einer Situation zu begegnen. Nicht selten sind dies negative Gedanken und deshalb bin ich mit negativen Gefühlen erfüllt. Meine Bewusstheit, die sich durch meine Gedanken ausdrückt, führt mich letztendlich zu meinem individuellen Handeln. Zusammen-hänge, die wir uns selten bewusst machen aber unsere Haltung zum Leben, zum Sein in hohem Maße mitbestimmen. Man muss bestimmte Gedanken nicht denken, ich kann auch ganz bewusst Gedanken zulassen oder nicht zulassen und dafür andere Gedanken in meinen Geist aufnehmen. Das Beherrschen der Gedanken ist der Weg zum Glück, sagt der Dalai Lama.
Der Körper hat klare Grenzen. In der Beweglichkeit, in der Kraft, im Aushalten, Durchhalten... Geistiges kennt keine Grenzen. Nur die, die wir ihm selbst auflegen. Wir setzen ihm z.B. durch unsere Denkmuster Grenzen.
Alles, was ich sehe und wahrnehme, mache ich selbst. Es ist, als wenn ich ständig in einen Spiegel blicke. Alles, was ich sehe, bin ich, denn mein Geist erschafft meine Welt. Ich erschaffe mich selbst über meine Gedanken. Sie sind in meinem Geist entstanden und deshalb habe ich dafür die Verantwortung zu übernehmen. Nicht nur was ich sehe, sondern auch fühle und empfinde. Unser Bewusstsein schafft unsere Wirklichkeit. Alles geht von mir selbst aus. Gleichgültig, ob ich die Gefühle als angenehm oder unangenehm empfinde:
Willst du wissen, wer du warst, dann schau wer du bist.
Willst du wissen, wer du sein wirst, dann schau was du tust.
Wenn alles von mir selbst ausgeht und ich dafür die Verantwortung zu übernehmen habe, dann habe ich auch grundsätzlich die Macht meine Gefühle, meine Befindlichkeiten zu steu-ern. Um damit immer besser umzugehen, brauchen wir die Meditation. In der Meditation kann ich alle geistigen Kräfte kennen und steuern lernen. Dies ist die wichtigste Methode des Buddhismus oder Zen, die zum inneren und äußeren Frieden beitragen kann. Es gibt hier nahezu unendliche Möglichkeiten mit dem Geist zu „spielen“ und dadurch immer umfassen-dere, noch schlummernde geistige Fähigkeiten in sich zu entdecken. Die nicht zu trennende Verbindung von Geist und Körper gehört ebenso zu dieser Erfahrungswelt. Wie innig das Geistige mit dem Körper verbunden ist, kann jeder feststellen. Allein der Gedanke „Wut“ mit seinen inneren Bildern mobilisiert sofort den ganzen Körper. Der Körper bekommt eine ganz andere, eine starke Spannung. Der Atem verändert sich. Aus zuvor ruhigem Atemrhythmus entsteht ein stoßartiger Atem. Der Körper versucht so tief wie möglich zu atmen, um Kraft für einen eventuellen Kampf zu bekommen. Adrenalin wird ausgeschüttet. Wenn man dabei bewusst sein kann, stellt man fest, dass man von diesem Gefühl regelrecht überrollt werden kann. Daher kommt es immer wieder vor, dass Menschen „austicken.“ Da Gefühle aber kei-ne Handlungsanweisung sind, kann ich mich jetzt hinsetzen, ruhig atmen, andere, entspan-nendere Bilder in mir entstehen lassen und sehr bald ist das Adrenalin abgebaut und die Spannung aus dem Körper wieder entwichen. Beide extremen Gefühle, Wut und Entspan-nung sind im Geist durch das Denken, durch imaginäre Gedanken entstanden und wieder verschwunden. Auf diese Weise kann ich lernen, negative Gefühle zu steuern, indem ich sie imaginär in positive verwandle.
Ich kann mich also auch auf ein positives Gefühl, wie Liebe, Achtsamkeit oder Mitgefühl konzentrieren und dieses immer mehr durch die Kraft der Kontemplation verstärken. Ich kann lernen, die Heilkräfte des Atems, den Träger unseres Lebens zu nutzen, indem ich den Atem an Körperteile führe, die mich schmerzen, oder zu denen ich wenig Empfindungs-fähigkeit habe. Ich kann die Schmerzen über den Atem hinausführen. Ich lerne die Empfin-dungsmöglichkeiten meines Körpers zu erweitern und bekomme dadurch eine intensivere Beziehung zu meinen geistigen Kräften und zu meinem ganzen Leib.
Wenn man über die Meditation und andere Methoden beständig sich selbst, seinen Mustern und Gewohnheiten begegnet und für sie die Verantwortung übernimmt, ist es kaum möglich fundamentalistisch, dogmatisch oder intolerant zu werden.
Die Geistesschulung des Bewusstseins kann man über die Achtsamkeit zunehmend in den Alltag übernehmen. Nicht, dass dadurch unbedingt das Leben leichter wird. Während ich früher sicheren Schrittes durch die Welt rauschte, den Blick nach vorne gerichtet und mit meiner scheinbaren Klarheit als kleiner Guru nicht wenige Menschen beeindruckt habe, hat sich meine Wahrnehmung des Weltgeschehens stark verwandelt. Heute verunsichern mich diese Menschen, die Asphalt-cowboys, das fraglose Gepolter der unbeirrten Macher mit dem Verkünden ihrer scheinbaren Wahrheiten. Ich spüre in der Welt der großen Ichs den schwankenden Boden, die Halbwahrheiten, die ständigen Brüche und versuche mit den aufgetauchten Ohnmachten, Unsicherheiten und Ängsten so zurecht zu kommen, dass ich trotzdem immer wieder einen Weg finden kann, um in diesem Leben auch außerhalb der Meditation das Leben dankbar aufzunehmen und möglichst zu genießen.
Diese Praxis führt das Bewusstsein der Menschen in mehr Mitgefühl, Achtsamkeit und soziale Gerechtigkeit, bildet so eine Voraussetzung, nicht nur unser Überleben vielleicht zu sichern, sondern uns alle bewusster und glücklicher machen zu können.
Eine weitere wichtige Haltung gehört zum buddhistischen Konzept, das die Nachhaltigkeit, die inter- und der intragenerative Gerechtigkeit unterstützt. (Intergenerativ heißt: wir müs-sen so nachhaltig mit den Rohstoffen und Gütern umgehen, dass die Generationen, die nach uns kommen, ähnliche Verhältnisse vorfinden wie wir. Intragenerativ heißt, dass zwischen allen Kulturen, die jetzt leben eine Gleichheit herrschen muss, was den Verbrauch der Res-sourcen anbelangt). Gerechtigkeit zwischen uns und den Generationen. Die Haltung hierzu ist die Einfachheit.
Menschen, die praktizieren, erfahren nebenbei eine Paradigmenveränderung. Vom Haben und immer mehr Haben Wollen ins Sein, einfach zu sein und das im Hier und Jetzt genießen zu können. Sri Chinmoy sagt nicht umsonst, dass Einfachheit ein Kurs für Fortgeschrittene ist. Auf dem Weg zur Einfachheit begegnet einem ausdauernd und beständig das „Ego“. Das Ego ist der geistige Teil in uns, der die Welt trennt zwischen Ich und dem Rest, der selten zufrieden ist, der von Neid, der Gier, der Unsicherheit, den Ängsten und des Rechthabenwol-lens beherrscht wird, der moralisiert, vergleicht und wenn man ihn lässt, die anderen geistigen Kräfte dominieren will. Er ist der Teil, der sich selbst und das, was er bewirkt auch nicht anschauen möchte. Daher werden Wirklichkeiten verdrängt und müssen kompensiert werden. Der Begriff „Verdrängung“ drückt nur bedingt diesen komplexen, psychischen Vor-gang aus, denn das „Verdrängte“ ist für mich eine aktive Kraft, die beständig gebändigt und zurückgehalten werden muss. Das Verdrängte ist etwas Unerledigtes, will aber geklärt und erledigt werden. Diese aktive Kraft bindet durch die notwendige ständige Kontrolle enorm viel Energie. Sie kann aber niemals wirklich kontrolliert werden. Ausgeglichen, also kompen-siert wird dieser Prozess über den Konsum, die Medien aber auch über Gewalt und Depres-sion. Wenn man verdrängen will, muss man beständig kompensieren, zumeist unbewusst. Ruhe, Entspannung, Entschleunigung, eben Einfachheit, ist Gift für das Ego. Das Verdrängte ist ja nicht verschwunden, sondern man hat es nur ein bisschen „nach hinten“ geschoben. Sobald Ruhe eintritt und man wirklich nichts tut, was ja entspannen eigentlich ist, dann zeigt sich die aktive Kraft des Unerledigten. Das Verdrängte schiebt sich wieder mit Mächtigkeit nach vorne. Daher finden wir viele dieser Menschen in Jobs, wo sie im Hamsterrad gefangen sind. Sie tun alles, um dem Verdrängten nicht zu begegnen, das in der Stille, in der Ruhe von innen her auftauchen kann. Nicht umsonst heißen Menschen mit dieser Sucht „Workoho-liker“. Der Kapitalismus, wie er heute existiert, braucht genau diesen „Schlag“ von Men-schen, die für viel Geld im Hamsterrad um die Wette treten, ohne nach rechts oder links, oder was mindestens genauso wichtig wäre, nach innen zu blicken.
Je mehr man sich den immateriellen, geistigen Teilen entziehen will, umso stärker drängt es uns dieses Vakuum durch Materie, durch Macht, durch Besitz auszugleichen. Viele, vielleicht die wichtigsten Philosophen haben die Einfachheit als Voraussetzung, um zu philosophieren angesehen. Lao Tse, Konfuzius, Heraklit, Sokrates, die Stoiker, Meister Eckhard, Spinoza... Sie suchten über die Einfachheit ihre Seelenruhe. Über die Einfachheit finden wir zur Verant-wortung, Gerechtigkeit, zur Gemeinsamkeit. Einfachheit ist wahre Nachhaltigkeit. Über die Einfachheit verändert sich die Wahrnehmung zum Weltgeschehen. Mit Dankbarkeit und wenigstens einem Hauch von Ehrfurcht lernt man die unglaubliche Fülle, die schillernde Pracht, die betörenden Düfte der Natur zu genießen und deshalb so wenig wie möglich in dieses Mysterium einzugreifen.