Читать книгу Ein philosophischer Streifzug durch die Jahrtausende - Markus Orians - Страница 9

2.1Indus-Kultur 2.1.1Arier, Veden, Upanishaden, Bhagavad Gita

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Indien, in den 80er Jahren das Land meiner Träume. Ein Land voller Gegensätze und oft trotz tiefster Armut mit wenigen unglücklichen Menschen. Gerade die ganz Armen, die Unberührbaren, die auf den Straßen leben, sehen glücklicher aus als so manch reicher Mensch im Westen.

Religion und Philosophie lassen sich in Indien nicht trennen. Im östlichen Denken gibt es hier keinen Unterschied. Beim östlichen Denken und Handeln geht es um die Verwandlung des ganzen Menschen. Das zu werden, was man ursprünglich war. Das Suchen nach der verlorenen Einheit. Das Selbst oder das Göttliche wiederzufinden, es geht um Erleuchtung oder Erlösung. Im östlichen Denken gibt es auch keinen eigenen Begriff für Philosophie. Deshalb wird vom Westen oft verkannt, dass der Buddhismus z.B. eine hochdifferenzierte „Philosophie“ entwickelt hat. Die Welt der Inder besteht aus vielen Göttern und unzähligen Ritualen. Selbst bei vielen Christen oder Moslems findet man dort in der Wohnung Krishna, Shiva oder Ganesh, den Elefantengott.

Die Indus-Kultur reicht mindestens 5000 Jahre zurück. Sie war eine der ältesten uns bekannten Hochkulturen. Nomadisierende Rinderhirten drangen etwa um 1500 v. Chr. in Indien ein und eroberten nach und nach ganz Indien. Sie nannten sich Arier, was so viel wie Edelleute bedeutet. Diese indoeuropäischen Stämme wurden im Alten Testament als Philister bezeichnet und von Hitler zu den Herrenmenschen erkoren. Bis auf die Finnen und Balten zählen alle europäischen Sprachen zu den indo-europäischen.

Indien wird etwa bis zu Beginn des 13. Jahrhundert vom Hinduismus, vom 13. Jahrhundert bis ins 17. Jahrhundert von den Moslems geprägt. Die britische Fremdherrschaft begann etwa 1750. Nachdem Großbritannien die französischen und portugiesischen Kolonialisten verdrängt hatten, übernahmen sie die vollständige politische Kontrolle über Indien. 1947 führte Mahatma Gandhi durch eine beispiellose, friedliche Revolution Indien in die Unabhängigkeit. Indien ist mit mehr als einer Milliarde Menschen der größte demokratische Staat.

Nach der indischen Verfassung zählen heute alle Religionen: Jainismus, Buddhismus, Sik-hismus, aber auch Christen und Muslime zum Hinduismus. Ein Begriff, der erst im 19. Jahrhundert den Zusammenschluss aller dieser Religionen bezeichnet. Deshalb ist der Hinduismus mit etwa einer Milliarde Menschen auch nach dem Christentum und den Mus-limen die drittgrößte Religion.

Die Bevölkerung war in vier Gruppen aufgeteilt: die Krieger und Fürsten mit dem König an der Spitze, den Priestern, den Bauern und den Unfreien.

Aus diesen vier Gruppen bildete sich später das Kastenwesen. Die Priester oder Brahmanen nahmen sehr früh eine führende Rolle ein, weil sie die einzigen waren, die das „Heilige Wissen“ oder die Rituale kannten, die für die Opfer bei der Geburt, der Heirat, bei Krankheit, beim Tod... gehalten werden mussten. Fester Glaube war, dass von den Göttern alles abhängt: die Ernten, das Wohl und die Gesundheit der Familie, die Macht der Fürsten und Könige...

Nur die Brahmanen konnten durch das Wissen der Veden (Heilige Schriften) mit den Göttern in Kontakt treten. Auch besaßen sie das Monopol der Erziehung. Im Unterschied aber zu den theistischen Religionen haben sie nie eine weltliche Herrschaft angestrebt. Auch hatten sie nie ein Oberhaupt. Sie waren freie, gleichberechtigte einzelne Priester.

Die Arier waren gegenüber der einheimischen Bevölkerung bei weitem in der Unterzahl. Weil sie sich aber „rein“ erhalten wollten, bildeten sie das Kastenwesen. Die Unreinen oder Tschudras waren die Einheimischen. Später bildeten die Kriegsgefangenen und die Sklaven die unterste Kaste. Man nannte sie die Unberührbaren, denn im wahrsten Sinne des Wortes hatten sie nicht das Recht Menschen der anderen Kasten auch nur zu berühren. Genauso wenig war es vorstellbar, dass ein Brahmane eine „normale“ Tätigkeit, wie putzen oder das Essen zubereiten, ausführt. Obwohl Mahatma Gandhi sich gerade für die unterste Kaste einsetzte, war dies, als ich vor mehr als 30 Jahren mehrmals in Indien war, noch ein strenges Tabu.

Die heiligen Schriften der Hindus, die Veden, sind in Sanskrit, der sakralen Sprache des Hinduismus verfasst. Dies ist vielleicht vergleichbar mit dem Mittelalter im Westen, wo in ganz Europa Schriftliches in Latein verfasst und gelehrt wurde. Niemand außer den Brahmanen konnte die Veden lesen. Dies bestärkte natürlich ihre uneingeschränkte, reli-giöse und gesellschaftliche Machtposition.

Vor den Ariern gab es in Indien keine Geschichtsschreibung. Die erste Hauptperiode, das Vedische Zeitalter ist von 1500-500 etwa anzusetzen. Veda oder Plural die Veden sind religiöse Literatur, die aber noch magisches und mythisches Gedankengut enthält, das noch weit älter ist. Die Veden übertreffen die Bibel an Quantität etwa um das sechsfache. Sie waren Kultbücher für die Priester. Bei jeder Opferhandlung mussten vier Priester anwesend sein.

Die Veden galten als unantastbare Wahrheiten, die bis ins dritte Jahrhundert vor Chr. nur mündlich weitergegeben wurden. Da die vedische Religion keine Tempel und Götterbilder kannten, konzentrierte sich das kultische Geschehen auf die Opfer. Dabei steht die heilige Silbe „OM“ zu Beginn und am Ende jeder Rezitation bei den Hymnen, von denen es etwa 1000 gibt.

An Varuna:

Möge ich nicht Varuna, Oh König, in das irdene Haus (Grab) eingehen- Sei gnädig, du von guter Herrschaft! Zeige Gnade!

Die Texte erinnern an Bitten, Beschwörungen oder Zaubersprüche, denn bestimmte Krank-heiten wurden mit bestimmten Verfehlungen verbunden wie z.B. die Wassersucht. Man verband sie mit jemandem, der die Unwahrheit gesagt hat.

Da die Rituale und Formen der Brahmanen im Laufe der Zeit immer mehr erstarrten, suchten Philosophen und weise Menschen, auch Frauen, deren Namen man nicht kennt, nach Ideen, die sie mehr berührten. So entstanden noch vor der Zeit Buddhas, also zwischen 700-500 die Upanishaden. Schopenhauer sprach ehrfürchtig von der erhebendsten Lektüre, die in der Welt möglich ist.

Bei den Upanishaden werden Fragen zur Welt und dem Selbst gestellt. Upa heißt nahe, nämlich in der Nähe des Meisters, der die heiligen Texte nur einer begrenzten Anzahl von Eingeweihten lehrt. Die Texte sind anderer Natur als die der Veden. Zauberei, Beschwörun-gen und Magie findet man hier nicht mehr.

Der Aufbau des Makrokosmos entspricht dem Mikrokosmos. So ist Atman, der Weltatem, die göttliche Kraft und das Selbst ihrem Wesen nach gleich dem Wind und dem Atem des Körpers.

Die Namen der Verfasser sind kaum bekannt. Im Gegensatz zum Westen treten die Philosophen in Hintergrund zu den Schriften, die sie verfassten. Auch Frauen haben diese Texte mitgeschrieben. Sie nahmen zu dieser Zeit auch an der Wahrheitssuche teil.

Eine Unterweisung aus den Upanishaden:

Hol mir doch eine Feige!

Hier ist sie Ehrwürdiger.

Spalte sie!

Sie ist gespalten.

Was siehst du darin?

Ganz feine Körner, Ehrwürdiger.

Spalte nun eines von ihnen!

Es ist gespalten, Ehrwürdiger.

Was siehst du darin?

Gar nichts, Ehrwürdiger!

Wahrlich mein Lieber, dieses Feinste, das du gar nicht mehr wahrnimmst, aus ihm ist jener große heilige Feigenbaum entstanden. Glaube mir, mein Lieber, was diese feinste Substanz ist, die ganze Welt enthält es als ihr Selbst. Das ist das Wirkliche, das Atman, das du bist !

Brahman könnte man als göttliche Kraft übersetzen. Es ist aber auch ein Paradoxon, weil es für die Hindus keinen theistischen, persönlichen Gott gibt. Das Paradoxon wird in der doppelten Bedeutung von Brahman deutlich. Es heißt so viel wie: es bewegt sich und es bewegt sich nicht, es ist fern und es ist doch so nah. Es geht hier um die Einheitserfahrung durch die Meditation über die Erleuchtung. Sie entspricht dem, was die Mystiker wie Meister Eckhard oder Johannes vom Kreuz mit „Verzückung“ umschrieben haben.

Etwa um 300 v. Chr. wurde die Bhagavad Gita geschrieben:

Krishna sagt im 10. Gesang:

Verkündung:

Weil du mir lieb bist, will ich sie dir zu deinem Besten offenbaren

Weder die Scharen der Götter noch die großen Seher kennen meinen Ursprung...

Jeder Keim aller Geschöpfe bin ich...

Ich bin der Würfel des Falschspielers

Ich bin die Stärke des Starken

Ich bin der Sieg

bin die Bemühung

bin die Reinheit des Reinen...

Die Bhagavad Gita, Gita der Gesang, enthält etwa 100 000 Verse. Das Heldenepos umfasst 700 Strophen. Sie geben Antwort auf die grundlegenden Fragen des menschlichen Daseins. Sie vereinigt viele Strömungen der Zeit und wurde im Laufe der Zeit immer umfassender.

Ein anderer Text aus der Baghavad Gita:

Mir ist keiner verhasst noch lieb. Für alle Wesen bin ich der Gleiche.

Wer sich aber selbst mir weiht (anvertraut) in voller Hingabe, der ist in mir und ich bin in ihm.

Etwas Ähnliches sagt auch Jesus. Allerdings wird diese mystische Verschmelzung von der Kirche damals wie heute ignoriert.

Alles ist Brahman- das Reine, wie der Falschspieler. Das Göttliche ist nicht wie in den theistischen Religionen in gut und bös, in Gott und den Teufel getrennt. Zum Leben, zum Sein, zu Atman, zu Gott gehört beides. Es gibt hier keine Antithese. Die Dialektik von Hegel, bei der in der Synthese die scheinbaren Widersprüche aufgehoben sind und nur im Ganzen das Wahre zu finden ist, hier ist das schon vor mehr als 2500 Jahren in der Bhagavad Gita umgesetzt.

Die Wahrheit, die Erleuchtung ist dem Verstand nicht zugänglich, sie ist nicht in Worte zu fassen und auch nicht für alle zu erreichen. Nur wer bereit ist einen langen Weg zu gehen, der mit Askese, vom Verstand nicht zu begreifende Anstrengungen und Herausforderungen auf sich nimmt, indem er lernt sein Ego und seine Gefühle zu beherrschen, kann diese Befreiung erfahren. Dies ist aber nur durch einen Meister möglich, der zuvor selbst diese Befreiung erlebt hat. Zum Hinduismus gehört die Lehre der Seelenwanderung. Sie ist in Indien tief verwurzelt. Das „Karma“, die Handlung, die jemand ausführt wird sein jetziges und seine zukünftigen Leben bestimmen. Wer Gutes tut, wird als Guter, als Brahmane ge-boren, wer Böses tut, als Bettler, als Kranker oder sogar als Tier wiedergeboren. Dies ist auch der Grund, warum die Inder keine Tiere töten, nicht einmal Moskitos, oder für uns gefährliche Tiere, denn es sind für sie alles wiedergeborene Seelen.

Ein philosophischer Streifzug durch die Jahrtausende

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