Читать книгу Ein philosophischer Streifzug durch die Jahrtausende - Markus Orians - Страница 7
1.3Das magische Bewusstsein
ОглавлениеMit dem Heraufdämmern der nächsten Epoche des Bewusstseins, dem magischen Zeitalter, sagt Dsuang Tsi, haben die Menschen ihre „Einfachheit“ verloren, den Verlust des sicheren Wissens und der vollständigen Verbundenheit mit der Welt. Indem sie lernten einfache Werkzeuge herzustellen, ist eine Distanz, ein Außen entstanden, in das sie eingreifen konnten. Durch diese Regungen und Entwicklungen des Geistes entstand aber auch eine Unsicherheit. Man fühlte sich nicht mehr behütet und geborgen und wollte auch wieder in den ursprünglichen „Einheitszustand“ zurück.
Es ist eine Zeit, in der die Familiengruppe, der Stamm und das überschaubare Jagdgebiet eine Einheit bilden, in der auch alle Pflanzen und Tiere untrennbar noch miteinander verbunden sind. Die Stämme hatten vielleicht eine Art Gruppenseele, in der sich deren Mitglieder kaum als Einzelwesen sahen. Alle arbeiteten für alle und Besitz und Herrschaft auf Grund von der Geburt, wie z. B. Im Mittelalter, gab es noch nicht. Das, was außerhalb dieses Rahmens war, war das „Andere“. In dieser Zeit müssen die magischen Handlungen entstanden sein, die wir von den Schamanen kennen.
Beim Schamanismus handelt es sich um die nachweislich älteste religiöse Form des Denkens. Seit der Entdeckung der Höhlenkunst von Chauvet im Tal der Ardeche in Frankreich kann man dies relativ sicher nachweisen. Eine Kunst, die vor ca. 30 000 Jahren entstand. Im Oktober 2011 hat man durch Funde festgestellt, dass die Menschen schon vor 100 000 Jahren Farben herstellten konnten. Statuen und auch Zeichnungen zeigen kaum einen Mund. Die Sprache spielte wohl noch nicht die-se dominante Rolle wie bei uns. Um die Außenwelt vor allem bei der Jagd zu verändern, brauchte man eine Magie, einen Zauber, um die größere Kraft und Schnelligkeit der Tiere auszugleichen, um eine Chance zu haben, sie zu besiegen. Das Denken kreiste um die Gegenwart, um das Ritual, um die magische Handlung.
Dafür waren die Schamanen zuständig. Schamanen sind auch religiöse Heiler, die sich mit Hilfe von Ekstasetechniken, in einen veränderten Zustand bringen, um in eine Welt zu reisen, die man im Wachzustand nicht erreichen kann. In dieser „Anderswelt“ suchen sie nach positiven Kräften, Geistern oder auch Bildern, die ihnen sagen und helfen, wie man einen Kranken heilen kann. Ähnlich ist es, wenn sie einen Rat in einer wichtigen Angelegenheit brauchen. Sie können auch mit Hilfe von Gesängen mit ihren Ahnen Kontakt aufnehmen und mit ihnen sprechen. Bevor sie aber in diese Welt gelangen, müssen sie Hindernisse über-winden und auch negative Geister als Unterstützer gewinnen oder sie besiegen. Deshalb werden die Schamanen von ihren „Krafttieren“ und guten Geistern unterstützt. Sie sind Mittler zwischen dieser und der „Anderswelt“. Druiden bei den Kelten und Germanen wurden von den Göttern auserwählt und mussten viele Jahre bei einem Meister in die Lehre gehen, bevor sie selbst dieses oft wichtigste Amt in alten Kulturen ausführen durften. Von Caesar wissen wir, dass die Druiden auch Lehrer und Richter waren.
Magische Handlungen sind Handlungen, die weder von der Vernunft noch von der Naturwissenschaft nachzuvollziehen sind. Der Handelnde selbst geht davon aus durch über-natürliche Kräfte „Wunder“ zu vollbringen. Der Magier oder der Schamane greift durch Ri-tuale in die Wirklichkeit in nicht rationalem, nachzuvollziehendem Maße ein. Die Interpre-tation des Religionspsychologen Mircea Eliade für den Schamanen lautet: „der außer sich ist.“ Ein Mensch, der die körperlichen Fesseln sprengt und in eine andere Landschaft reist. Er reist in die Welt, in der die herkömmlichen Naturgesetze aufgehoben sind. Dazu braucht er die Imagination, die Vorstellungskraft durch die innere Bilder entstehen. Auf diese Weise hat er gelernt Einfluss auf die Natur zu nehmen. Er war überzeugt, indem er den Kontakt zu der Anderswelt herstellt, die guten Geister so beeinflussen zu können, dass sie ihm helfen, die Jagd oder eine Heilung positiv zu gestalten.
Zauberer, Medizinmänner oder Schamanen findet man in vielen früheren Kulturen: In Sibirien, die Aborigines in Australien, bei den Eskimos, den Indianern, in Südamerika. Huilt-krantz sagt über den Schamanismus: „Der Schamanismus bildet ein religiöses Glaubens-system, das auf religiöser Erfahrung und sakralen Mythen sowie auf Riten beruht. Letztere finden ihren Ausdruck durch kulturspezifische, schamanistische Techniken, unter denen Trance oder Ekstase eine hervortretende Rolle spielen.“ Das Ritual, bei dem oft der ganze Stamm teilnimmt, ist bis ins kleinste Detail vorbestimmt. Allein dadurch entstehen Kräfte, die es im Alltag so nicht gibt. Man reinigt sich vorher in einer Schwitzhütte, die Zeit ist bestimmt, der Ort ist besonders hergerichtet, durch das Feuer entsteht eine besondere At-mosphäre und nicht nur der Schamane auch alle Beteiligten sind besonders geschmückt. Gesänge, Tänze, bewusstseinsverändernde Getränke, Zaubersprüche, Beschwörungen, oft auch der Rauch einer Pfeife durch besondere Blätter und Fetische wie besondere Knochen oder Steine können zu diesem Ritual gehören. Schon die äußeren Umstände führen alle Teilnehmenden in eine andere Welt. Diese besonderen Umstände lassen eine Atmosphäre entstehen, der sich niemand entziehen kann und allein dadurch und im Zusammenhang mit den inneren Bildern und positiven Imaginationen entstehen ungewöhnliche und außeror-dentliche Gefühle und Kräfte, die sich auch auf den Körper auswirken. Ein Kranker kann durch diese Kräfte gesunden, wie wir dies aus vielen solcher Behandlungen wissen. Neuropsychologen können diese Kräfte heute bestätigen, weil durch sie das Immunsystem verbessert und die Selbstheilungskräfte, der Glaube an die Macht dieser Zeremonie, ungewöhnlich aktiviert werden. Wir kennen diese Kräfte in schwächerer Form beim Place-boeffekt, wo allein der Glaube und nicht das „Medikament“ heilt. In den letzten Jahren zunehmend hat man die Kräfte der Rituale und der Imaginationen bei Krebserkrankungen und chronischen Krankheiten wiederentdeckt.
In praktisch allen modernen Religionen finden wir heute noch zahlreiche schamanische und magisch interpretierbare Reste. Z. B. Als Mittler in die „Anderswelt“ - bei den Juden waren dies die Propheten, die „Gott“ als Mittler zwischen ihm und den Menschen auserwählt hat: Moses, Ezechiel, Jesus... Der Exorzismus, der in der katholischen Kirche durch Papst Benedikt XVI eine Renaissance erfährt. Der Exorzist, (Priester) treibt die bösen Dämonen oder gar den Teufel persönlich aus. Wunder von denen in der Bibel immer wieder die Rede ist. Z.B. die Wiedererweckung des Lazerus, oder die Verwandlung von Wasser in Wein. Auch die Himmelfahrt sowohl bei Jesus, Maria und auch Mohammed. Die Schutzgeister finden wir in Form von Schutzengeln wieder. Die Heiligen- und Reliquienverehrung war früher der Fetischismus bei den Schamanen. Auch die Verwandlung von Wein in das Blut von Christus entspricht einem magischen Zauberspruch. Die rituelle Reinheit bei den Muslimen, früher waren es die Schwitzhütten. Die uralten Initiationsriten finden wir in der Kommunion und Konfirmation wieder. Und die Gesänge und der Weihrauch alles hat einen heidnischen Ursprung, der viele tausend Jahre zurückliegt.
Auch in der Naturwissenschaft finden sich heute noch dieses Wissen und diese Weisheiten. Der Kulturwissenschaftler Joachim Faulstisch berichtet von Hospitälern im Regenwald in Peru, wo die Schulmedizin nur dann Erfolge hat, wenn sie bereit ist mit dem zuständigen Schamanen zusammen zu arbeiten. Die Patienten hören auf den Medizinmann und der Medizinmann hat, wie sie immer wieder feststellen die Macht Patienten zu heilen. Erst als die Schulmedizin dafür bereit war, haben sie sich mit Erfolg etablieren können. Die Wissenschaft kann zwar die Wirkung der Akupunktur nicht erklären, die Heilerfolge sind aber nicht zu übersehen und deshalb wird sie mittlerweile auch von Schulmedizinern angewen-det. Man hat wissenschaftlich nachweisen können, dass positive Imaginationen, (innere Bil-der) die Heilungschancen verbessern. Besonders bei Krankheiten, bei denen die Schul-medizin ihre Grenzen erfährt, wie bei Krebs, chronischen Krankheiten und Traumata, können Imaginationen und damit verbundene Rituale die Heilung unterstützen. Im Sport wurde dies noch vor 20 Jahren zumindest belächelt, heute gehört die Versenkung in innere Bilder, in der der Lauf vorweggenommen wird zur Ausbildung und Vorbereitung für den Wettkampf.
Fast alle Kinder durchlaufen eine magische Phase, wenn sie mit Puppen oder Figuren spielen, mit ihnen reden, ihnen Kräfte verleihen, ihnen Essen geben. Wie wichtig kann dieses Spiel bei Kindern sein, die sich in ihrer Entwicklung zwangsläufig nicht immer verstanden fühlen. Wenigstens ihr Held oder die Fee hört zu und kann die Welt nach ihrem Sinne verwandeln.
In unserer ausgeprägten rationalen Welt ist die Magie, meistens leicht verdeckt, in vielen Situationen noch zu erkennen. Beim Würfelspiel hauchen wir, wenn wir eine 6 brauchen den Würfel 3mal an, Menschen klopfen 3mal auf Holz, um auszudrücken, dass sie bisher Glück hatten, wer hat nicht schon mal ein 4-blättriges Kleeblatt gesucht, mit Blumen - er liebt mich, er liebt mich nicht- gespielt. Fußballer achten darauf, dass sie mit dem rechten Fuß zuerst den Rasen betreten und wenn man mit dem roten Pullover einmal Glück hatte, zieht man ihn immer wieder an, wenn das Glück einem besonders wichtig ist. In Konstanz hatten die Bauern, alle tief katholisch, über der Tür des Stalles, indem ihre wichtigsten Tiere lebten, ein Hufeisen angebracht.
Gerald Hüther, der Neuropsychologe geht noch einen Schritt weiter indem er sagt, dass Imaginationen, die inneren Bilder, unsere Wahrnehmung in der Welt grundsätzlich bestim-men, sowohl individuell als auch kollektiv. Nicht nur ist jeder einzelne Mensch von diesen Mustern bestimmt, sondern auch Gruppen, die einer gemeinsamen Idee folgen, bis hin zu Nationen. Was wir im Sprachgebrauch als „Nationalcharakter“ bezeichnen, ist eine Sammlung innerer Bilder, die der ganzen Nation gemeinsam ist und damit ihre Wahr-nehmung der Wirklichkeit steuert. Wir müssen nur, bedingt durch unsere unterschiedliche Geschichte, das Selbstbewusstsein bei den Amerikanern im Unterschied zu uns Deutschen anschauen. Wir sehen nicht die Banane, die vor uns liegt, sondern die Banane im Inneren, ein Bild das wir mit Banane verbinden. Ebenfalls innere Bilder filtern unsere Eindrücke, die unser Gehirn erreichen. Sie sind ein Ordnungsfaktor und Zensor zugleich. Was keine Entsprechung im Inneren hat, wird als irreal, als Sinnestäuschung wahrgenommen. Wenn der Verstand sagt, das gibt es nicht, dann sehe ich es auch nicht. Oder Menschen, die damit aufwachsen, dass es Geister gibt, sehen die Geister. Einer dem das fremd ist, sieht sie nicht. Tief, sehr tief und nachhaltig ist in uns das magische Bewusstsein noch am Wirken. (Der erste Teil ist auch in „Horizonte öffnen“ zu finden.)