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Herr Grünwaldt

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Nachdem der restliche Sonntag ohne größere Überraschungen vorbei gegangen ist, setze ich mich pünktlich um 07.20 Uhr am nächsten Morgen hinter das Steuer meines C-Klasse Mercedes, um kurze Zeit später den dichten Berufsverkehr auf dem Weg zu meinem Park and Ride-Stellplatz zu verfluchen. Ich sollte mir ein Fahrrad kaufen und die paar Meter bis zum Bahnhof als morgendliches Fitnesstraining nutzen. Zu Fuß dauert es zu lange. Mit dem Fahrrad würde es klappen. Nur den inneren Schweinehund überwinden, das muss doch gehen. Ich denke an meinen Religionslehrer mit den dicken Schweißflecken unter den Achseln. Und diese Helme sehen auch wirklich bescheuert aus.

Abseits des Pendlergewusels sitzt der Penner mit seiner Rotweintüte auf einer Bank. Kurz nach mir kommen die Bohnenstange mit dem ausgelaugten Alleinerziehendengesicht und der Gartenzwerg mit den Birkenstock-Latschen, der aussieht wie Nachbarschaftsstreit über herabfallendes Laub. Ein neues Graffiti verkündet:

Trenne dich nie von deinen Illusionen und Träumen.

Wenn sie verschwunden sind, wirst du weiter existieren,

aber aufgehört haben zu leben.

Bevor ich darüber nachdenken kann, kommt mit quietschenden Bremsen der Gegenzug und mit ihm die allmorgendliche Ladung Telekom-Mitarbeiter: die lange Mähne, wahrscheinlich IT-Freak, zwei Schlipsträger aus dem mittleren Management, diverse graue Mäuse und das Mädel, das schon von Weitem nach Drogenmissbrauch aussieht. Ich kann die Traurigkeit in ihren Augen sehen. Auch heute spreche ich sie nicht an. Wahrscheinlich bringe ich nie den Mut dazu auf. Sie würde mich vermutlich ohnehin falsch verstehen.

Ich sitze immer ganz vorne im Zug, wenn es geht. In den Zeiten des Terrors hat man da die besten Chancen, habe ich mal gelesen. Kofferbomber platzieren ihre tödliche Fracht offenbar am liebsten in der Zugmitte. Mir gegenüber sitzt der Flughafenmitarbeiter, neben ihn hat sich eine korpulente Rothaarige gezwängt. In Brühl steigt sie mitsamt ihrem Gucci-Imitat aus. Dafür entert das zivile Kirchenpersonal die Bildfläche: der pastorale Schwätzer, die Betschwester und die stumme Zeitungsleserin. Zwischen Köln-West und Hauptbahnhof geht es nur stockend und schließlich gar nicht mehr voran, weil eine Weiche klemmt. Die Störung erlaubt mir einen diskreten Blick auf das Sexparadies zur Rechten und den Gedanken, was eigentlich wäre, wenn ich jetzt einfach aussteigen würde. Armes Schwein. Doch da ruckelt der Zug auch schon wieder an. Pünktlich um 08.29 Uhr ziehe ich meinen Dienstausweis durch die Stechuhr und blicke auf exakt 98,24 Überstunden. Wenn ich den heutigen Tag dazurechne, habe ich die magische 100er-Grenze überschritten, die die Fleißigen von den Unentbehrlichen trennt.

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