Читать книгу Im Wesentlichen Nichts - Markus Saga - Страница 14
Esther
ОглавлениеIn den meisten Bürokäfigen ist es still. Nur in der IT brennt Licht. Wahrscheinlich schauen sie sich wieder Pornos an. Der verdammte Putzwagen ist noch schwerer als sonst. Oder ich werde alt. Ich lasse ihn einfach hier stehen und flitze um die Ecke zur Männertoilette. Den wird schon keiner klauen. Wie das hier wieder aussieht! Müssen die immer daneben pinkeln? Die dicken Gummihandschuhe sind doch manchmal ganz gut. Ein Glück, dass die mir fast bis zu den Ellenbogen reichen. Wozu gibt es eine Klobürste? Wie im Kindergarten. Schnell noch den Schweinestall durchwischen und dann ab nach Hause.
Ich habe schon die Klinke in der Hand und bin froh, dass trotz fehlender Absperrung durch den Putzwagen keiner reingekommen ist, da springt mir die Tür förmlich entgegen.
Dong!!
Ich höre den Knall in meinem Kopf und denke, gleich falle ich um. Himmel, was hat das gescheppert. Scheiße!!! Ich muss mich festhalten. Die Tür ist still. Da stehe ich in meiner ganzen weiß-blau-gelben Herrlichkeit, klammere mich an das Waschbecken, während mir ein Horn aus der Stirn wächst und von draußen ein zaghaftes Hallo? zu hören ist.
Der Schlipsträger steht jetzt schräg hinter mir und fragt: „Alles in Ordnung?“
„Geht schon.“ Witzbold.
Ich bleibe über das Waschbecken gebeugt. Der glotzt mir bestimmt auf den Hintern und versucht krampfhaft abzuschätzen, ob ich eine Figur habe, für die es sich lohnt. Pech gehabt, du Schmock! Tarnung ist das halbe Leben.
„Soll ich einen Arzt holen?“
Jetzt hat er auch noch Angst, dass ich ihn verklage.
„Mir ist nur schwindelig. Bin gleich wieder soweit.“
Seine Stimme passt nicht zu dem, was ich denke. Ich drehe mich um. Er ist mittelalt, schon Geheimratsecken, die übliche Beamtenspießerkleidung. Er schaut mich an, als hätte er noch nie eine Frau gesehen. Aber mir gefallen seine Augen. Sehr sogar. Sie sind offen. Dahinter sehe ich ein Licht. Das kann doch nicht sein. Ich glaube, jetzt starre ich auch. Er schluckt schwer und wir sehen bestimmt beide höchst dämlich aus, wie wir uns hier anglotzen. Ich schiebe eine Haarsträhne zurück unter mein Kopftuch. Schade, dass er meine Haarfarbe nicht sehen kann. Henna. Heute morgen erst gemacht. Ob sie ihm gefallen würden? Oh Esther, jetzt krieg dich wieder ein, der ist unter Garantie verheiratet und hat Kinder in einem schmucken Einfamilienhaus im Grünen. Einen Ring trägt er allerdings nicht. Das sind die Schlimmsten.
Jetzt nimmt er auch noch meine Hand!
Seine ist ganz warm.
Ich kann nicht anders und schaue ihn wieder an. Wir kennen uns schon ewig, kein Zweifel.
„Es geht schon wieder“, sage ich und nehme meine Hand wieder aus seiner. „Es war meine Schuld.“
„Nein, nein“, stammelt er, „es war meine Schuld. Ich hätte nicht so hektisch die Tür aufstoßen dürfen. Entschuldigung.“
Ich muss lächeln, obwohl ich mich zurückhalten will. Am liebsten würde ich ihn umarmen. Fast schon rührend, wie er dasteht und nicht weiß, was er tun soll.
Ich drehe den Wasserhahn zu, nehme Putzeimer und Mopp und stehe auch ganz unschlüssig vor ihm.
„Ich müsste jetzt da raus“, sage ich schließlich.
Er nickt und tritt zur Seite.
„Was ist mit Ihrer Beule? Wir sollten sie kühlen.“
„So schlimm ist das nicht. Danke.“
Ich blicke mich noch einmal um und verschwinde dann. Mannomann.
Ich kann das nicht einordnen. Obwohl ich weiß, wer er ist. Alles um mich herum hat sich verschoben. Ihm geht es genauso. Dieses Licht kam von ganz weit her. Oder täusche ich mich?